Illegaler Anbau in indigenen Gemeinden – Der Fall Inga in Aponte (Nariño)

Aufenthalt eines indigenen Aktivisten aus Kolumbien in Deutschland

12.11.2021
Redaktion: Alejandro Burgos
Übersetzung: Lena Meier

Als Ökumenisches Büro haben wir den Stärkungsprozess indigener Gemeinschaften in Kolumbien unterstützt. Dazu haben wir mithilfe der Elisabeth-Selbert-Initiative Leandro Janamejoy, einen ehemaligen Interimsgouverneur der Inga Gemeinde, einen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Die Inga Gemeinde ist seit mehr als 350 Jahren in den kolumbianischen Departments Caquetá, Cauca, Putumayo und Nariño ansässig.

„Das Friedensabkommen wird in keiner Weise eingehalten. Im Gegenteil, die Gewalt nimmt zu, ebenso die Menschenrechtsverletzungen, Großunternehmen plündern zunehmend und mit wachsendem Einfluss in unseren Gebieten. Wir indigene Gemeinden sind die, die am stärksten unter den Folgen leiden. Wir werden weiterhin massakriert“, so Leandro Janamejoy.

In Deutschland hatte er die Möglichkeit, die Geschichte des gewaltlosen Widerstands, die Kultur und die Medizin der Vorfahren sowie die aktuellen Probleme der Gemeinde bekannt zu machen.

Kurze visuelle Einführung zur Inga-Gemeinde in Aponte

Natürliche Ressourcen und illegaler Anbau – der Kampf der Inga Gemeinden

Genauer gesagt gehört Leandro zur Inga Gemeinde in Aponte, eine indigene Gemeinde im Südwesten Kolumbiens, im Department Nariño, wo 3.650 Inga Angehörige auf einer Fläche von 22.800 Hektar angestammten Gebiets zusammenleben. Diese Gemeinde sieht sich mit Problemen konfrontiert, die über die bloße Ressourcenentnahme hinausgehen. In ihren Gebieten gibt es nicht nur Bodenschätze, sie stellen außerdem einen strategischen Durchgangsweg, sowohl für den illegalen Transport von Holz, Mineralien, Kokain oder Heroin als auch für die Mobilisierung von Truppen bewaffneter Gruppen. 1991 wurden in Aponte 1.700 Hektar Mohn angepflanzt, eine Pflanze, die für die Herstellung von Opioiden und Derivaten wie Heroin genutzt wird. Abholzung, Anbau und der maßlose Einsatz von Agrarchemikalien führten zu Problemen für Umwelt und Gesellschaft, wie der Verschmutzung von Nebenflüssen und Trinkwasserquellen, dem Verlust von Biodiversität, der biologischen Verschlechterung des Gebiets und der Schwächung des kulturellen Gefüges. Um dem Drogenanbau entgegenzuwirken, ordnete der Staat das Besprühen mit Glyphosat an, was die Probleme für Umwelt und Gesundheit in der Gemeinde noch verschärfte.

Nachdem sie lange Jahre am eigenen Leib die Folgen des Krieges um Ausweitung und Kontrolle der Mohnplantagen erlebt hatten, entscheidet die Gemeinde 2004, diese Plantagen eigenhändig zu beseitigen. Ausgehend von dieser Maßnahme beginnt ein Prozess des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Wiederaufbaus. 2015 zeigt die Natur jedoch ihre ungestüme Seite, als bei einem Erdriss mehr als 363 Häuser, die Kirche, die Schule und andere Bauten des Hauptrates der Gemeinde in Aponte zerstört werden. Einige Analysen weisen darauf hin, dass der Erdriss aufgrund der massiven Abholzung des Gebiets für den Mohnanbau aufgetreten sei.

Ausrottung der indigenen Völker, illegaler Anbau und Korruption

Leider gibt es auch interne Streitigkeiten, vor allem auf politischer und ideologischer Ebene, da einige Mitglieder der Gemeinde direkt politische Bewegungen unterstützen, die ihren indigenen Prinzipien widersprechen. Daraus entstanden Auseinandersetzungen in der gesellschaftlichen und kulturellen Struktur innerhalb der Inga-Gemeinde. Seit 2019 befindet sich die Inga Gemeinde in Aponte in einem internen Machtkampf aufgrund des Drucks, den das Netzwerk des Drogenhandels ausübt, wieder Mohn in der Gemeinde anzubauen. Aufgrund dieses Machtkamps treten Fälle von Amtsmissbrauch auf. Diese Situation verschärfte sich 2020 durch die Ernennung von Vertreter:innen der Gemeinde durch das Innenministerium, ohne dass die gesetzlichen Anforderungen eingehalten wurden. Beispielsweise gab es keine ausreichende Beschlussfähigkeit der Wahlversammlung und Personen gaben ihre Stimme ab, die nicht in der Gemeinde wählen durften oder nicht indigen waren. Außerdem wurden Amtseid und -antritt nicht unter Anwendung der indigenen Praktiken und Sitten durchgeführt.

Dies alles gibt Anlass zu großer Sorge um die Verletzungen der Menschenrechte, die in der Gemeinde auftreten, wie unrechtmäßige Inhaftierungen, Vertreibungen, Drohungen und Kriminalisierung von Personen, die sich dem illegalen Anbau widersetzen, den Prozess der Gemeinschaftsforderung unterstützen und die individuellen und kollektiven Rechte der Inga-Gemeinde in Aponte verteidigen.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass das Problem der Inga Gemeinschaft mit Drogenhandel und Korruption zusammenhängt. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass in Kolumbien aktuell Ermittlungen über die Beziehungen von Regierungsmitgliedern zu paramilitärischen Gruppen und Drogenhandel geführt werden. (Siehe auch:  Bayona, José. 2021. El narco gobierno de las mafias, la corrupción y la impunidad)

Eine indigene Gemeinde zwischen Globalisierung und Neuanfang

Betroffene indigene Gemeinden im ganzen kolumbianischen Gebiet

Die indigene Bevölkerung stellt in Kolumbien ungefähr 10 % der Gesamtbevölkerung dar – offizielle Statistiken gehen in Richtung 4,4 %. Die heiligen Gebiete und ihre Leute zu schützen ist von je her eine Aufgabe gewesen, der sich die indigenen Gemeinden in Kolumbien mutig gestellt haben. Was in der Inga-Gemeinde geschieht, ist ein anschauliches Beispiel dafür, was tagtäglich in den 102 Gemeinden und angestammten Gebieten in Kolumbien geschieht. Seit mehr als 500 Jahren sehen sich die indigenen Gemeinden mit Ressourcenausbeutung, illegaler Abholzung der Wälder, illegalem Anbau und dem Zusammenprall mit einer anderen Weltanschauung konfrontiert.

Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der FARC-Guerilla hat sich an dieser Situation nichts geändert. Was in diesem Abkommen vereinbart wurde, wird nicht umgesetzt wie geplant. Das führt dazu, dass die ethnischen Gemeinschaften der Gewalt und der illegalen Wirtschaft ausgesetzt werden. Für den Ressourcenabbau durch nationale und internationale Großkonzerne wurde sich an ihren geheiligten Orten und Naturparks vergangen. Einige ihrer natürlichen Wälder sind auch durch internationale Kohlenstoff-Ausgleichsprogramme geschützt, die es den indigenen Gemeinden untersagen, diese zur Nahrungssuche zu betreten. Infolgedessen wurden die Gemeinden aus ihren Gebieten vertrieben und leben jetzt mit konstanten Drohungen, Repressionen, Anschlägen, Verschleppungen, Morden sowie der Ressourcenknappheit für Ernährung, Gesundheit, Wohnen und Bildung. Viele Angehörige der indigenen Gemeinden sehen sich gezwungen, in den großen Städten Zuflucht zu suchen, wo sie Opfer von Rassismus, Diskriminierung und dem Mangel an Arbeitsmöglichkeiten werden.

Außerdem gibt es in einigen Regionen ein besonderes Problem zwischen afrokolumbianischen Gruppen, Landwirt:innen und indigenen Gruppen. Die Regierung selbst schürt diese Konflikte zwischen den genannten ethnischen Gruppen und sät Zwietracht zwischen ihnen, indem sie eine Strategie anwendet, die sich auf die Kolonialzeit zurückführen lässt. Diejenigen, die ihre Stimme erheben, die ihre Grundrechte einfordern und die die konkreten und intellektuellen Verursacher:innen ihrer Not beim Namen nennen, werden automatisch von kriminellen Gruppen bedroht. Tatsächlich zeigen die Statistiken einiger Nichtregierungsorganisationen, dass vom Unterzeichnen des Friedensabkommens 2016 bis 2020, 242 indigene Anführer:innen ermordet wurden.

Wieso interessieren wir uns für die Inga Gemeinschaft?

Die freiwillige Beseitigung der illegal angepflanzten Mohnplantagen in der Gemeinde in Aponte erscheint uns als Fall, den man auf globaler Ebene als gutes Beispiel anführen kann. Leider stellen die Rückkehr der bewaffneten Gruppen in die Region seit 2018 und die interne Regierungskrise ein sehr großes Risiko für die Gemeinde dar, sowohl ein Sicherheitsrisiko durch die Anwesenheit der bewaffneten Gruppen als auch ein gesellschaftliches und kulturelles durch den drohenden Wiederanbau von Mohn.

„Ein Großteil der in Kolumbien produzierten Drogen gelangen schließlich nach Deutschland und in andere Länder der Europäischen Union. Unserer Meinung nach müssen daher die deutsche und europäische Regierungen in diese Angelegenheit eingreifen und die Prozesse freiwilliger Substitution von beispielsweise Mohnanbau, wie in der Inga Gemeinde in Aponte geschehen, sowie die Stärkungsprozesse der indigenen Gemeinde in Kolumbien unterstützen, so Alejandro Pacheco, Kolumbienreferent im Ökumenischen Büro München.

Ein Verteidiger der Rechte der Inga in Deutschland

Aufgrund der Herausforderungen in der Gemeinde, haben wir beschlossen, jemanden einzuladen, der von hier weiter zum Stärkungsprozess der Gemeinde beitragen kann. Bereits 2017 hielten wir einen Vortrag in München über die Situation der Inga in Aponte und der indigenen Gemeinden im Allgemeinen in Kolumbien. Seitdem haben wir Präsenz- und Onlinekonferenzen mit indigenen Anführer:innen der Inga-Gemeinde sowie Aktivitäten in Münchner Schulen und Universitäten organisiert. Auf diese Weise wollen wir den Stärkungsprozess dieser und anderer indigener Gemeinden unterstützen.

Daher haben wir uns auch für die Teilnahme an der „Elisabeth-Selbert-Initiative“ entschieden, ein Stipendienprogramm für Menschenrechts­verteidiger:innen des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), finanziert vom Auswärtigen Amt. Mithilfe dieser Initiative beschlossen wir Leandro, einen ehemaligen Interimsgouverneur der Gemeinde, zu empfangen. Wir wollen in Deutschland und Europa die Probleme, die indigene Kultur, ihre traditionelle Medizin und vor allem die Geschichte des gewaltfreien Widerstands der Inga-Gemeinde und anderen indigenen Gemeinden sichtbar machen. Um es mit Leandros Worten zu sagen: „Es ist wichtig, dass die europäische Gemeinschaft sich der Realität in unserem Land und unserem Kampf bewusst wird und uns ihre Hand in Freundschaft und Solidarität reicht, damit wir am Leben bleiben und weiterhin unser Gebiet verteidigen können, das für uns das Leben bedeutet“.

Mit dem Besuch von Leandro und anderen indigenen Anführer:innen wollen wir

  • den Mord an Verteidiger:innen der Menschenrechte, Mitglieder:innen und Anführer:innen der indigenen Gemeinden anprangern und das Ende dieser Morde fordern,
  • die Situation der indigenen Gemeinden in Kolumbien darstellen,
  • über die Auswirkungen der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und des Anbaus illegaler Plantagen in den indigenen Gebieten und Kulturen informieren,
  • die Kultur-, Gemeinschafts- und Bildungsprozesse der indigenen Traditionen fördern und bestärken,
  • Unterstützung für die Umsetzung des Friedensabkommens vom Jahr 2016 finden, insbesondere bezüglich der ländlichen und ethnischen Entwicklung und des Kampfes gegen den Drogenhandel.

Währen des Aufenthalts in Deutschland hat sich Leandro mit politischen Persönlichkeiten, NGO´s und Solidaritätsnetzwerken getroffen und Vorträge über die Situation der indigenen Gemeinden in Kolumbien und die Beseitigung der Mohnplantagen in der Gemeinde gehalten. Er hat auch Workshops über traditionelle Medizin gegeben. Außerdem gab er verschiedenen Kommunikationsmedien Interviews. Zusätzlich unterstützte er den Kampf in seiner Gemeinde weiter.


Für mehr Information, kannst du dich gerne an unsere Kolumbienreferent wenden: kolumbien@oeku-buero.de

„Wir wandern mit den Sternen, immer begleitet von zwei Kräften: dem Raum und der Zeit. Wir sind Wesen des Lichts, dabei arbeiten wir Hand in Hand mit unseren Älteren zusammen für ein glückliches Morgen und teilen unsere Philosophie des Lebens und der Einheit mit allen“
Leandro J.