Filmvorführung: "La Isla – Archive einer Tragödie" - im Rahmen des BUKO 35
„La Isla. Archive einer Tragödie“ dokumentiert wie Armee und Polizei in Guatemala Ende des 20. Jahrhunderts hunderttausende Menschen verschleppten und ermordeten. Nach dem zufälligen Fund eines geheimen Archivs 2005 tauchten Millionen neuer Dokumente auf. Der Regisseur drehte seinen Film in diesem Archiv und mittels visueller und emotionaler Interaktion wird die Geschichte der Tragödie nachgezeichnet. Ein gelungenes Portrait der jungen Generation von MitarbeiterInnen, die sich vom Würgegriff der unaufgearbeiteten Geschichte befreien will. Nach dem Film wird ein Protagonist des Films, der Aktivist und Rapper Lucio Yaxón, für Fragen und Diskussion anwesend sein.
Filmvorführung und anschließende Diskussion, VOKÜ
La Isla, Archive einer Tragödie, Deutschland/Guatemala 2009 (85 Min.)
Eintritt Frei
Eine Veranstaltung des Ökumenischen Büros in Kooperation BUKO35 und Stattpark OLGA
Ort der Veranstaltung: Stattpark OLGA, Aschauerstraße 34
Öffentliche Verkehrsmittel:
linie 117 (SEV) Schwanseestraße
Linie 145 Ständlerstraße
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Archive einer Tragödie
Ein neuer Dokumentarfilm über die Vergangenheit Guatemalas lässt Archive im Namen von Verschwundenen sprechen
Uli Stelzners neuestes Werk „La Isla. Archive einer Tragödie“ dokumentiert wie Armee und Polizei in Guatemala Ende des 20. Jahrhunderts hunderttausende Menschen verschleppten und ermordeten. Nach dem zufälligen Fund eines geheimen Archivs 2005 tauchten Millionen neuer Dokumente auf. Der Regisseur drehte seinen Film in diesem Archiv und mittels visueller und emotionaler Interaktion wird die Geschichte der Tragödie nachgezeichnet. Ein gelungenes Portrait der jungen Generation von MitarbeiterInnen, die sich vom Würgegriff der unaufgearbeiteten Geschichte befreien will.
Der neue Dokumentarfilm von Uli Stelzner hatte Ende April im
Nationaltheater von Guatemala-Stadt vor 6.000 ZuschauerInnen Premiere
– trotz Bombendrohung und Sabotage der Stromversorgung. Wenige Tage
zuvor hatte es noch Auseinandersetzungen zwischen Regierung,
Diplomatie und rechter Opposition um die Erstaufführung des Films
gegeben. Diesen Film am Ort des Geschehens zu zeigen war also kein
leichtes Unterfangen. Ermöglicht wurde Stelzners Werk erst durch den
überraschenden Fund eines immer wieder verleugneten Polizeiarchivs,
welches sich in der Zone 6 der Hauptstadt befand und durch eine
Explosion freigelegt wurde. Auf dem Gelände der heutigen
Polizeischule lag früher die Insel, ein geheimes Gefängnis
gefürchteter Kommandos der Bundespolizei. Auf 80.000 Schriftstücken
sind dort die Verbrechen des 36 Jahre andauernden bewaffneten
Konflikts akribisch von den TäterInnen verzeichnet worden. Schwarz
auf weiß existiert nun, worüber vorher niemand zu sprechen wagte;
in einem Land, das noch keinen Frieden gefunden hat.
„Dies ist
der schwierigste Film gewesen, den ich je gemacht habe“, sagt Uli
Stelzner im Gespräch mit den LN. Der Filmemacher lebt und arbeitet
seit mehreren Jahren zwischen Berlin und Guatemala-Stadt. „Das
dramaturgische Konzept hat sich aus den Beschränkungen ergeben, die
mir von der Verwaltung des Archivs und auch durch das Material selbst
auferlegt wurden. Trotzdem wollte ich zu einer reichhaltigen
visuellen Sprache finden.” Stelzner konstruierte aus
Zeugenaussagen, Archivmaterial schweizer und US-amerikanischer
Kriegsreportagen und nachgestellten Sequenzen einen Dokumentarfilm,
der seine ZuschauerInnen langsam, aber stetig in den Bann zu ziehen
weiß.
Der Film trägt durch die vergilbten Aktenstapel des
Polizeiarchivs; alles ist in abstrakten Tönen gehalten, die Kälte
der Farben geht einher mit der Kälte der Kellerräume. Das Cello der
Filmmusik erscheint plötzlich im Bild und wird von einem alten Mann
in den kahlen Gängen oder auf einem verlassenen Schrottplatz hinter
dem Gebäude gespielt. Guatemaltekische Geschichte wird in
Projektionen auf die weißgetünchten Archivwände lebendig. „Wir
wollten erreichen, dass der Ort selbst zu sprechen anfängt”,
kommentiert der Autor. Und das Archiv spricht: von den ersten
Verschwundenen in den 60er Jahren, von der zunehmenden Repression der
70er bis hin zu den Massakern der 80er Jahre. Rückblickend geht der
Film auch auf den Sturz des ersten sozialdemokratischen Präsidenten
Arbenz 1954 ein, welcher auf Drängen der United Fruit Company und
mit Hilfe der CIA durchgeführt wurde und so den Anfang einer
gewaltvollen Geschichte der Mächtigen in Guatemala einleitete.
Die
politische und wirtschaftliche Elite des Landes zog Polizei und
Militär zu Hilfe und bildete mit Hilfe der USA Todesschwadrone aus,
um den Status Quo der ungleichen Besitzverhältnisse gegenüber der
armen indigenen Mehrheit aufrecht zu erhalten. 45.000 Personen gelten
heute als verschwunden – schätzungsweise 250.000 Menschen wurden
in zumeist von Militär und Paramilitärs verübten Massakern ums
Leben gebracht.
Langsam entwickelt der Film „La Isla“ die
Geschichte eines Geschwisterpaars, das nach dem Verbleib von
insgesamt 16 Familienmitgliedern sucht. In den Akten des Archivs
finden sie einige von ihnen wieder. Nach und nach enthüllt sich in
den Erzählungen die ganze Tragik der Vergangenheit. „Ich bin
danach nie wieder glücklich geworden”, schließt die Schwester die
Schilderungen des traumatischen Eindringens einer Polizeieinheit in
ihr Elternhaus ab.
„Das Archiv wird Guatemala verändern. Es ist
von enormer Wichtigkeit für die Aufarbeitung der Vergangenheit und
ganz konkret auch für die Beweisführung gegen die Täter von
Verbrechen”, konstatiert Stelzner. „Bisher gab es nur
Zeugenaussagen, jetzt halten wir offizielle Akten mit Stempel und
Unterschrift in den Händen. Der Staat kann seine Verantwortung für
die Verbrechen des bewaffneten Konflikts nicht mehr negieren.” Uli
Stelzner hat einen kritischen Umgang mit seiner Rolle als
ausländischer Filmemacher. Doch er verweist zugleich darauf, dass
guatemaltekische KünstlerInnen bis auf wenige Ausnahmen nicht aus
dem Exil zurückgekehrt sind. „In Deutschland hat es nach dem
Holocaust ähnliche Erfahrungen gegeben: Geschichtliche und
gesellschaftliche Analysen, wie es dazu kommen konnte, kamen in den
50er und 60er Jahren aus dem Ausland. Erst mit der Bewegung der 68er
fing die Nachkriegsgeneration in Deutschland an, Fragen zu stellen.”
Aus der Nachkriegsgeneration Guatemalas rekrutieren sich auch die
HauptprotagonistInnen des Films „La Isla“. Denn es sind zumeist
junge Leute, die das Archiv der Nationalpolizei auswerten. Die
staatliche Menschenrechtskommission, die die Akten seit der
Entdeckung vor fünf Jahren dokumentiert und analysiert, stellt
wohlweislich nur Kinder der ehemaligen Opposition ein.
Diese haben
ein persönliches Anliegen, dass keine Akte abhanden kommt. So ist
gesichert, dass niemand aus politischen Motiven oder gegen Geld
Unterlagen verschwinden lässt. Eine Angst, die durchaus berechtigt
ist, schließlich bekleiden viele der im Archiv aufgeführten Täter
noch immer hohe Posten in der Politik, bei der Polizei oder im
Militär. Tag für Tag sind die jungen Archivmitarbeiter mit den
Fotos von Hingerichteten konfrontiert, mit der detaillierten
Dokumentation von Foltermethoden, mit dem Verzeichnis der
Überlebenden, die dann aus Hubschraubern ins offene Meer geworfen
wurden. „Es ist, als würden sie den Krieg selbst noch einmal
erleben“, berichtet der Filmemacher. Zudem stellt der persönliche
Bezug für die Angestellten eine schwere Last dar. Irgendwann stehen
sie mit Karteikarten von ihren eigenen Familienangehörigen da,
erfahren die Uhrzeit ihres Todes und auf welche Weise sie ermordet
wurden.
„Ich hielt plötzlich Fotos der Leiche meines Vaters in
der Hand“, erzählt ein junger Mann mit getrübtem Blick, dem eben
jenes Schicksal widerfuhr. Seine innere Zerrissenheit ist deutlich zu
spüren, auch wenn er sie hinter lapidar klingenden Worten zu
verbergen sucht.
Zum Ende macht der Film eine unerwartete Wendung
als einer der Protagonisten unerwartet die Rolle wechselt und zum
handelnden Subjekt wird: Lucio Yaxón nimmt den Mundschutz und die
Schutzkleidung ab, die er im Archiv trägt, setzt seine Kopfhörer
auf und beginnt zu rappen, auf Spanisch und in der Mayasprache
Kakchikel. Mit seinem Rap schafft die Verbindung von den
konservierten Aktenbergen zu der jungen Generation, der seit
frühester Kindheit ein versteinertes Schweigen von den Verbrechen an
ihren Familien und den indigenen Dörfern im Hochland erzählt hat.
Text: Kathrin Zeiske /LateinamerikaNachrichten