Filmvorführung: "La Isla – Archive einer Tragödie"

Film, Deutschland/Guatemala 2009 (85 Min.)

Eine Veranstaltung des Ökumenischen Büros in Kooperation mit peace brigades international (pbi) und dem Werkstattkino München (Fraunhoferstraße 9, 80469 München).

Eintritt: 5,00 Euro

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Archive einer Tragödie

Ein neuer Dokumentarfilm über die Vergangenheit Guatemalas lässt Archive im Namen von Verschwundenen sprechen

Uli Stelzners neuestes Werk „La Isla. Archive einer Tragödie“ dokumentiert wie Armee und Polizei in Guatemala Ende des 20. Jahrhunderts hunderttausende Menschen verschleppten und ermordeten. Nach dem zufälligen Fund eines geheimen Archivs 2005 tauchten Millionen neuer Dokumente auf. Der Regisseur drehte seinen Film in diesem Archiv und mittels visueller und emotionaler Interaktion wird die Geschichte der Tragödie nachgezeichnet. Ein gelungenes Portrait der jungen Generation von MitarbeiterInnen, die sich vom Würgegriff der unaufgearbeiteten Geschichte befreien will.

Der neue Dokumentarfilm von Uli Stelzner hatte Ende April im Nationaltheater von Guatemala-Stadt vor 6.000 ZuschauerInnen Premiere – trotz Bombendrohung und Sabotage der Stromversorgung. Wenige Tage zuvor hatte es noch Auseinandersetzungen zwischen Regierung, Diplomatie und rechter Opposition um die Erstaufführung des Films gegeben. Diesen Film am Ort des Geschehens zu zeigen war also kein leichtes Unterfangen. Ermöglicht wurde Stelzners Werk erst durch den überraschenden Fund eines immer wieder verleugneten Polizeiarchivs, welches sich in der Zone 6 der Hauptstadt befand und durch eine Explosion freigelegt wurde. Auf dem Gelände der heutigen Polizeischule lag früher die Insel, ein geheimes Gefängnis gefürchteter Kommandos der Bundespolizei. Auf 80.000 Schriftstücken sind dort die Verbrechen des 36 Jahre andauernden bewaffneten Konflikts akribisch von den TäterInnen verzeichnet worden. Schwarz auf weiß existiert nun, worüber vorher niemand zu sprechen wagte; in einem Land, das noch keinen Frieden gefunden hat.
„Dies ist der schwierigste Film gewesen, den ich je gemacht habe“, sagt Uli Stelzner im Gespräch mit den LN. Der Filmemacher lebt und arbeitet seit mehreren Jahren zwischen Berlin und Guatemala-Stadt. „Das dramaturgische Konzept hat sich aus den Beschränkungen ergeben, die mir von der Verwaltung des Archivs und auch durch das Material selbst auferlegt wurden. Trotzdem wollte ich zu einer reichhaltigen visuellen Sprache finden.” Stelzner konstruierte aus Zeugenaussagen, Archivmaterial schweizer und US-amerikanischer Kriegsreportagen und nachgestellten Sequenzen einen Dokumentarfilm, der seine ZuschauerInnen langsam, aber stetig in den Bann zu ziehen weiß.
Der Film trägt durch die vergilbten Aktenstapel des Polizeiarchivs; alles ist in abstrakten Tönen gehalten, die Kälte der Farben geht einher mit der Kälte der Kellerräume. Das Cello der Filmmusik erscheint plötzlich im Bild und wird von einem alten Mann in den kahlen Gängen oder auf einem verlassenen Schrottplatz hinter dem Gebäude gespielt. Guatemaltekische Geschichte wird in Projektionen auf die weißgetünchten Archivwände lebendig. „Wir wollten erreichen, dass der Ort selbst zu sprechen anfängt”, kommentiert der Autor. Und das Archiv spricht: von den ersten Verschwundenen in den 60er Jahren, von der zunehmenden Repression der 70er bis hin zu den Massakern der 80er Jahre. Rückblickend geht der Film auch auf den Sturz des ersten sozialdemokratischen Präsidenten Arbenz 1954 ein, welcher auf Drängen der United Fruit Company und mit Hilfe der CIA durchgeführt wurde und so den Anfang einer gewaltvollen Geschichte der Mächtigen in Guatemala einleitete.
Die politische und wirtschaftliche Elite des Landes zog Polizei und Militär zu Hilfe und bildete mit Hilfe der USA Todesschwadrone aus, um den Status Quo der ungleichen Besitzverhältnisse gegenüber der armen indigenen Mehrheit aufrecht zu erhalten. 45.000 Personen gelten heute als verschwunden – schätzungsweise 250.000 Menschen wurden in zumeist von Militär und Paramilitärs verübten Massakern ums Leben gebracht.
Langsam entwickelt der Film „La Isla“ die Geschichte eines Geschwisterpaars, das nach dem Verbleib von insgesamt 16 Familienmitgliedern sucht. In den Akten des Archivs finden sie einige von ihnen wieder. Nach und nach enthüllt sich in den Erzählungen die ganze Tragik der Vergangenheit. „Ich bin danach nie wieder glücklich geworden”, schließt die Schwester die Schilderungen des traumatischen Eindringens einer Polizeieinheit in ihr Elternhaus ab.
„Das Archiv wird Guatemala verändern. Es ist von enormer Wichtigkeit für die Aufarbeitung der Vergangenheit und ganz konkret auch für die Beweisführung gegen die Täter von Verbrechen”, konstatiert Stelzner. „Bisher gab es nur Zeugenaussagen, jetzt halten wir offizielle Akten mit Stempel und Unterschrift in den Händen. Der Staat kann seine Verantwortung für die Verbrechen des bewaffneten Konflikts nicht mehr negieren.” Uli Stelzner hat einen kritischen Umgang mit seiner Rolle als ausländischer Filmemacher. Doch er verweist zugleich darauf, dass guatemaltekische KünstlerInnen bis auf wenige Ausnahmen nicht aus dem Exil zurückgekehrt sind. „In Deutschland hat es nach dem Holocaust ähnliche Erfahrungen gegeben: Geschichtliche und gesellschaftliche Analysen, wie es dazu kommen konnte, kamen in den 50er und 60er Jahren aus dem Ausland. Erst mit der Bewegung der 68er fing die Nachkriegsgeneration in Deutschland an, Fragen zu stellen.” Aus der Nachkriegsgeneration Guatemalas rekrutieren sich auch die HauptprotagonistInnen des Films „La Isla“. Denn es sind zumeist junge Leute, die das Archiv der Nationalpolizei auswerten. Die staatliche Menschenrechtskommission, die die Akten seit der Entdeckung vor fünf Jahren dokumentiert und analysiert, stellt wohlweislich nur Kinder der ehemaligen Opposition ein.
Diese haben ein persönliches Anliegen, dass keine Akte abhanden kommt. So ist gesichert, dass niemand aus politischen Motiven oder gegen Geld Unterlagen verschwinden lässt. Eine Angst, die durchaus berechtigt ist, schließlich bekleiden viele der im Archiv aufgeführten Täter noch immer hohe Posten in der Politik, bei der Polizei oder im Militär. Tag für Tag sind die jungen Archivmitarbeiter mit den Fotos von Hingerichteten konfrontiert, mit der detaillierten Dokumentation von Foltermethoden, mit dem Verzeichnis der Überlebenden, die dann aus Hubschraubern ins offene Meer geworfen wurden. „Es ist, als würden sie den Krieg selbst noch einmal erleben“, berichtet der Filmemacher. Zudem stellt der persönliche Bezug für die Angestellten eine schwere Last dar. Irgendwann stehen sie mit Karteikarten von ihren eigenen Familienangehörigen da, erfahren die Uhrzeit ihres Todes und auf welche Weise sie ermordet wurden.
„Ich hielt plötzlich Fotos der Leiche meines Vaters in der Hand“, erzählt ein junger Mann mit getrübtem Blick, dem eben jenes Schicksal widerfuhr. Seine innere Zerrissenheit ist deutlich zu spüren, auch wenn er sie hinter lapidar klingenden Worten zu verbergen sucht.
Zum Ende macht der Film eine unerwartete Wendung als einer der Protagonisten unerwartet die Rolle wechselt und zum handelnden Subjekt wird: Lucio Yaxón nimmt den Mundschutz und die Schutzkleidung ab, die er im Archiv trägt, setzt seine Kopfhörer auf und beginnt zu rappen, auf Spanisch und in der Mayasprache Kakchikel. Mit seinem Rap schafft die Verbindung von den konservierten Aktenbergen zu der jungen Generation, der seit frühester Kindheit ein versteinertes Schweigen von den Verbrechen an ihren Familien und den indigenen Dörfern im Hochland erzählt hat.

Text: Kathrin Zeiske /LateinamerikaNachrichten

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