antifaschistischer und antimilitaristischer RATSCHLAG in München
In Mittenwald in Oberbayern finden seit 1952 alljährlich
Gedenkfeiern für die in den zwei Weltkriegen gefallenen Gebirgsjäger
statt. Seit 2002 organisierte der Arbeitskreis "Angreifbare
Traditionspflege" dagegen Proteste. Auf das Konto der
SoldatInnen-Truppe, die heute – so Ex-Kriegsminister Struck - "unsere
Freiheit am Hindukusch verteidigt", gehen zahlreiche Kriegsverbrechen
und etliche Massaker während der Naziherrschaft in Europa. Am Beginn
unserer Intervention waren wir mit der Tatsache konfrontiert, dass
keiner der Mörder in Uniform für diese Massaker verurteilt worden war,
sondern sie stattdessen als Helden gefeiert wurden. Von der Gemeinde
Mittenwald wurde diese Traditionspflege offensiv verteidigt.
Mit Zeitzeugenveranstaltungen, Demonstrationen, (versuchten) Blockaden
und einer ganzen Reihe von anderen Aktionen konnte diese
Heldenverehrung, die vor Ort als normal etabliert war, skandalisiert
werden. Zusätzlich skandalös war dabei die Tatsache, dass vom AK
„Angreifbare Traditionspflege“ nach Mittenwald eingeladene Überlebende
des Nationalsozialismus nicht einmal empfangen wurden.
Dem AK "Angreifbare Traditionspflege" ist es gelungen, die Gemeinde
Mittenwald dazu zu zwingen, sich mit der bis dahin offensiv verdrängten
und geleugneten Schuld der Gebirgstruppe auseinanderzusetzen. Eine
stetig wachsende Öffentlichkeit in Mittenwald musste zur Kenntnis
nehmen, welche Kriegsverbrechen Gebirgsjäger zu verantworten hatten und
aktuell begehen.
Der politische Druck der Kampagne trug entscheidend dazu bei, dass sich
das Mitglied des Kameradenkreises der Gebirgstruppe, Josef
Scheungraber, 2009 in München vor Gericht verantworten musste und wegen
Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Seine Einheit hatte im
August 1944 als "Vergeltung" gegen Partisanenangriffe 15 Zivilisten in
Falzano di Cortona ermordet. In Italien war er deshalb bereits 2006
verurteilt, aber nicht ausgeliefert worden. Mit dem Münchener
Gerichtsurteil wurde erstmals offiziell anerkannt, dass es sich in
Falzano um ein Kriegsverbrechen gehandelt hat. Dieses Urteil hatte auch
in der Marktgemeinde Mittenwald Konsequenzen. Pfingsten 2009 hatte der
AK "Angreifbare Traditionspflege" vor dem Mittenwalder Bahnhof ein
antifaschistisches Denkmal aufgestellt, das im Schwerpunkt aus Steinen
besteht, die von der Gemeinde Cortona zur Verfügung gestellt wurden.
Enthüllt wurde das Denkmal von Max Tzwangue, ehemaliger
Widerstandskämpfer der FTP-MOI, und Maurice Cling,
Auschwitzüberlebender, der nach einem Todesmarsch aus Dachau in
Mittenwald befreit wurde. Hatte die Gemeinde Mittenwald damals
schleunigst das Denkmal entfernt, so dringend suchte sie nach dem
Urteilsspruch gegen Scheungraber und Protesten eine Lösung: Und siehe
da: Direkt vor dem Eingang der Grund- und Hauptschule in Mittenwald
findet sich nun ein würdiger Ort zur Wiederaufstellung des Denkmales.
Die dazu gehörige Einweihungsfeier wird am Sonntag, den 21. März 2010
stattfinden. Eingeladen sind erneut die beiden Zeitzeugen Max
Tzwangueund Maurice Cling.
Mit der Denkmalaufstellung 2009 wurde von einem Teil des AK
„Angreifbare Traditionspflege“ die Kampagne in Mittenwald beendet. Auch
wenn sich in Mittenwald selbst einiges bewegt haben mag, für den Umgang
mit Entschädigungsforderungen und der militaristischen Traditionspflege
gilt das sicherlich nicht. Allein seit Pfingsten 2009 sind neue
Verfahren gegen deutsche Kriegsverbrecher in Italien aufgerollt worden.
Die Täter bleiben in der BRD unbehelligt. Ehemalige italienische
Militärinternierte streiten immer noch um Entschädigung für Haft und
Zwangsarbeit, und das Entschädigungsverfahren der Überlebenden und
Angehörigen des Massakers im griechischen Distomo hat im Verfahren vor
dem Internationalen Gerichtshof eine neue politische Dimension erreicht.
Die militaristische Traditionspflege und die Frage der Entschädigung
der Opfer von Kriegsverbrechen und deren Angehöriger ist nicht nur
geschichtspolitisch von Belang. Auch wenn sich Vergleiche mit der
NS-Massenvernichtung verbieten, so ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die
Bundesregierung Entschädigungsansprüche der Opfer von
NS-Kriegsverbrechen nicht zuletzt mit Blick auf die aktuellen
Kriegseinsätze der Bundeswehr ablehnt. Denn auch den Opfern des
verbrecherischen Angriffs auf den Tanklastzug von Kundus mit mindestens
120 Toten will die Bundesregierung keine Klagemöglichkeit gewähren. Der
aktuelle Skandal um die Sauf- und Kotzrituale der
Bundeswehrgebirgsjäger in Mittenwald zeigt, wie tief verankert die
militaristische Traditionspflege in der Truppe bis heute ist. In
Afghanistan soll diese Elitetruppe der Bundeswehr mit dem ideologischen
Rüstzeug der Wehrmacht im Marschgepäck nun angeblich für Freiheit und
Menschenrechte kämpfen.
Deshalb wollen wir das Wochenende der Wiederaufstellung des Denkmals in
Mittenwald nutzen, um die Kampagne "Angreifbare Traditionspflege"
auszuwerten und gemeinsam aktuelle Fragen der antifaschistischen und
antimilitaristischen Bewegung zu diskutieren.