DIE VERTEIDIGUNG DER BERGFEUCHTGEBIETE IN CHIAPAS, ZWISCHEN KRIMINELLEM KAPITALISMUS UND BUEN VIVIR (GUT LEBEN)(*)

Feuchtgebiet in San Cristobal de las Casas 2021
Feuchtgebiet in San Cristobal de las Casas 2021. Foto: Leon Avila

Von Leon Enrique Avila

Die treibende Kraft des kapitalistischen Systems sind Profit und Gewinn. In diesem Sinne muss es auf wirtschaftlicher Ebene seine Reproduktion gewährleisten, und wenn dies vermittels der Welt des Lebens (Moore, 2020) und der konsequenten Vernichtung der biologischen Vielfalt im gegenwärtigen Zeitalter des Anthropozäns (Rull, 2018) geschieht.

Naturschutzgebiete, ökologische Reservate, Wälder und Feuchtgebiete sind nicht mehr nur Zufluchtsorte für die indigene Bevölkerung und wild lebende Tiere, sondern besitzen einen neuen Wert, der sich aus der Wiederaneignung von Lebensräumen ergibt (Harvey 2004).

Wir leben derzeit in einer nekropolitischen Ära, in der die Sphäre des Todes die Räume des Lebens erobert hat, so dass Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger heftig verfolgt werden. Die Organisation Global Witness hat den Verlust des Lebens von Umweltschützern dokumentiert, im Zeitraum von 2012 bis 2019 sind in Mexiko 83 Menschen gestorben (Gómez, 2020). Im Jahr 2020 war Mexiko weltweit das Land mit der zweithöchsten Zahl von Morden an Wildhütern.

Die Verteidigung der Bergfeuchtgebiete in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, hat dazu geführt, dass im Jahre 2021 sechs Vorstände aus verschiedenen Stadtvierteln von verbrecherischen Gruppen und Kriminellen mit dem Tode bedroht werden und dass derzeit Mitglieder des Allgemeinen Rates der Südzone der Feuchtgebiete in den Mechanismus zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten des Innenministeriums der mexikanischen Regierung aufgenommen werden sollen.

DIE BERGFEUCHTGEBIETE IN SAN CRISTOBAL DE LAS CASAS, CHIAPAS.

Im Valle de Jovel gibt es zwei ökologische Reservate, die zu den Bergfeuchtgebieten gehören: a) La Kisst und b) María Eugenia, die 2008 erstmals ausgewiesen und 2011 durch ein Dekret der Regierung des Bundesstaates Chiapas bestätigt wurden. Im Jahr 2012 erklärte die Nationale Kommission für Naturschutzgebiete (CONANP) der Bundesregierung die Feuchtgebiete zu RAMSAR-Gebieten, das heißt als einer internationalen Konvention zum Schutz dieser einzigartigen Ökosysteme zugehörig.

Bergfeuchtgebiete sind Gewässer, die weniger als 5 Meter tief sind (Espiritu, 2013). Sie sind weltweit ernsthaft vom Verschwinden bedroht, ein sehr kleiner Prozentsatz ist noch vorhanden und stark durch anthropogene Aktivitäten bedroht. Das derzeit 115 Hektar große Feuchtgebietsreservat in den Bergen von María Eugenia verfügt über einen bedeutenden biologischen Reichtum mit mehreren endemischen Arten, darunter der endemische Popoyote-Fisch (Profundulus hildebrandi), der Laubfrosch (Plectrohyla pycnochila) und der Raubfrosch (Eleutherodactylus glaucus) (Chediack et.al, 2018).

Bergfeuchtgebiete erfüllen mehrere ökosystemische Funktionen, tragen zur Abschwächung von Überschwemmungen bei und sind als wasserkörperführende Bereiche eine wichtige Quelle für die Versorgung der umliegenden Bevölkerung mit wertvollem Wasser.

Das Handeln von Bund, Ländern und Gemeinden zum Schutz der Feuchtgebiete in den Bergen war begrenzt, da sie unter dem Druck der so genannten "Umweltverbände im Aufbruch" standen.

UMWELTVEREINIGUNGEN IN BEWEGUNG IN RICHTUNG BUEN VIVIR

Gesellschaften in Bewegung ist ein Konzept von Raúl Zibechi (2003), das er in seinem Buch „Die Genealogie der Revolte: Argentinische Gesellschaften in Bewegung" postuliert, in dem er feststellt, dass die neuen sozialen Bewegungen auf Horizontalität, Autonomie und direkter Demokratie beruhen und eine Gegenmacht schaffen, eine neue soziale Macht, in der die solidarische Volksökonomie und das Entstehen einer gesellschaftlichen Alternative als neuer zivilisatorischer Horizont angesehen werden (Ávila 2018, Toledo 2018).

Die Ausweisung der Naturschutzgebiete (Áreas Naturales Protegidas) Kisst und María Eugenia als Bergfeuchtgebiete wurde durch die aktive Beteiligung der so genannten Umweltverbände ermöglicht (Cantú & Fenner 2021).

Im Jahr 2005 begann das Bauunternehmen Peje de Oro im Zuge der angestrebten Urbanisierung der Umgebung der UNICH mit der Abholzung des Waldes, was zu Protesten der Bewohner der Wohnsiedlungen Real del Monte und Kaltik führte. Damals fesselte sich eine Umweltschützerin an einen Manzanillabaum, um die Abholzung und Zerstörung des Feuchtgebiets zu verhindern. Diese Aktion veranlasste die Bürger dazu, sich für die Schaffung von ökologischen Reserven der Bergfeuchtgebiete einzusetzen, es wurden Diskussionsforen zu diesem Thema abgehalten und die Landesregierung gab im Jahre 2008 eine entsprechende Erklärung ab (Luna & Fenner, 2020).

Im Dezember 2014 versuchte das Bauunternehmen Peje de Oro erneut, eine Wohnsiedlung in der Nähe der UNICH zu errichten. Es wurde eine Beschwerde bei der PROFEPA eingereicht, und dank der Beteiligung von Nachbarn aus verschiedenen Vierteln und nach einem langen Kampf, an dem sich in herausragender Weise Frauen beteiligten, die sich einer Eingreiftruppe von Seiten des Bauunternehmens widersetzten, führte dies zu einem internationalen Skandal und zwang die Regierung, die Arbeiten auszusetzen. Im Mai (5 Monate nach Baubeginn) stellte die PROFEPA die Arbeiten der Baufirma Peje de Oro (Avila, 2021) ein.

Im Jahr 2016 wurde an der Universidad de la Tierra das Netzwerk für die Achtsamkeit gegenüber dem Leben und der Mutter Erde im Valle de Jovel (Red fpor el cuidado de la vida y la Madre Tierra en el Valle de Jovel) unter Beteiligung von mehr als 50 Siedlungen, Nachbarn, Nichtregierungsorganisationen und unter begeisterter Mitwirkung der kirchlichen Basisgemeinschaften (CEBs), der Sozialpastoralen und der Pastorale der Erde gegründet. Das Netzwerk des Valle de Jovel konnte sich mit der 2016 gegründeten Nationalen Kampagne zur Verteidigung von Mutter Erde und des Territoriums (Campaña Nacional en Defensa de la Madre Tierra y el territorio) vernetzen, der es gelang, die wichtigsten Kämpfe in Mexiko zur Verteidigung von Wasser, Natur und Gebietsbereichen zusammenzuführen (Ávila, 2021).

Im Jahre 2016 wurde an der Universidad de la Tierra unter Mitwirkung von mehr als 50 Siedlungsbezirken, Nachbarn, Nichtregierungsorganisationen und unter enthusiastischer Beteiligung der kirchlichen Basisgemeinschaften (CEBs), der Sozialpastorale und der Erdpastorale im Valle de Jovel das Netzwerk für die Pflege des Lebens und der Mutter Erde gegründet. Das Netzwerk des Valle de Jovel vermochte es, sich mit der 2016 gegründeten Nationalen Kampagne zur Verteidigung von Mutter Erde und des Gebietes zu vernetzen, der es gelang, die in Mexiko wichtigsten Kämpfe zur Verteidigung von Wasser, Natur und Territorien zusammenzuführen (Ávila, 2021).

Wallfahrt zum heiligen Ort María Eugenia 2015
Wallfahrt zum heiligen Ort María Eugenia 2015. Foto: Leon Avila

Im Jahr 2017 geht die Zerstörung der Feuchtgebiete in den Bergen weiter, weshalb die Initiative Expoecocidio ins Leben gerufen wird, bei der eine Grafik- und Fotoausstellung die Zerstörung dieser Feuchtgebiete dokumentiert und mitten im Stadtzentrum von San Cristóbal de las Casas ausgestellt wurde. Im Jahr 2020 kommt es zeitgleich mit dem Auftreten der SARS-Covid19-Krankheit unter Nutzung der Demobilisierung und der Kampagne "bleib zu Hause" zu einer "Pandemie der Invasionen" im Gebiet des Bergfeuchtgebietes María Eugenia.

Am 14. September 2020 beschließen die Bewohner der südlichen Siedlungsgebiete, gegen die Zerstörung der Feuchtgebiete vorzugehen, und Umweltschützer bauen Versickerungsgräben, um das Wasser aufzufangen und das Eindringen von Füll- und Baumaterialen zu verhindern.

Am 29. Dezember 2020 kommt es zu einer Konfrontation zwischen Umweltschützern und Mitgliedern eines Stoßtrupps von Personen, die zum dritten Mal den Versickerungsgraben an der Straße zum FSTSE 2001 auffüllen wollten. Aufgrund der Aggressionen, denen die Umweltschützer ausgesetzt waren, wurden sie vom Sekretariat des Bundesinnenministeriums in den Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger und Journalisten aufgenommen.

Die Umweltbewegung ruft für den 6. Februar 2021, aus Anlass des Welttages der Feuchtgebiete (2. Februar), zu einer großen Mobilisierung mit mehr als 1000 Teilnehmern auf, um die Behörden auf verschiedenen Ebenen aufzufordern, der Zerstörung der Umwelt Einhalt zu gebieten.

Am 22. März 2021 wurden in Begehung des Weltwassertages verschiedene Kommissionen und Vertreter der südlichen Siedlungsgebiete zu einer Blockade aufgerufen, um die Durchfahrt von Materialien zu verhindern, die zum Auffüllen der Feuchtgebiete in der Nähe des UNICH verwendet werden sollten; mit dieser Aktion wurde die Zerstörung mehr als acht Stunden lang aufgehalten. Ein mit Holz beladener Lastwagen wurde angehalten und den städtischen Behörden übergeben, die ihn später wieder freigaben.

Am 24. April 2021 werden im Rahmen des Welttages der Erde, die Kandidaten für das Gemeindepräsidium aufgerufen, die Erklärung zur Verteidigung der Bergfeuchtgebiete zu unterzeichnen.

Am 16. Juli 2021 werden Gruppen von Kleinmotorradfahrern(1) von Mitgliedern des Generalrats der Südzone und der Feuchtgebiete abgewehrt, als sie in eine Siedlung eindringen und mit großkalibrigen Waffen schießen, um zu versuchen, die Ratsmitglieder einzuschüchtern.

Die kirchlichen Basisgemeinden (Comunidades Eclesiales de Base - CEBs) / Die Sozialpastorale der Diözese von San Cristóbal de las Casas.

Die Diözese San Cristóbal de las Casas ist ein wichtiger Akteur bei der Verteidigung von Feuchtgebieten und ökologischen Reservaten in den Bergen. Unter dem Vikariat für Gerechtigkeit und Frieden, das von Gonzalo Ituarte geleitet wird (2015-2019), wurden Überlegungs- und Begleitprozesse zu Umweltfragen gefördert. Dabei waren die kirchlichen Basisgemeinschaften (CEBs) ein sehr wichtiger Akteur, die auf Initiative von Bischof Samuel Ruiz García entstanden, der die Diözese von 1940 bis 2000 leitete.

Mit dem Amtsantritt von Papst Franziskus im Jahr 2013, der aus dem Orden der Jesuiten stammt, und der Verkündigung der Enzyklika Laudato Si über das gemeinsame Haus und die Verteidigung der Natur versöhnt sich die katholische Kirche mit den Volksgruppen, und so werden zwei Prozesse verstärkt wieder aufgenommen: a) die Sozialpastorale und b) die Pastorale der Erde.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Der kriminelle Kapitalismus besitzt in der Stadt San Cristóbal de las Casas in Chiapas eine starke Präsenz, und die territoriale Auseinandersetzung zwischen den Umweltverbänden in Bewegung und den Stoßtrupps/paramilitärischen Gruppen verschärft sich, was zu einer starken Auseinandersetzung zwischen der Welt des Lebens und der Sphäre des Todes führt.

Der Schutz des Wassers im Valle de Jovel ist zu einer komplizierten, komplexen und schwierigen Angelegenheit geworden, bei der das Leben von Umweltschützern auf dem Spiel steht und bei der die mexikanische Regierung sich gezwungen sah, Mitglieder verschiedener Verwaltungsräte der südlichen Siedlungsgebiete in den Mechanismus zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern einzubeziehen.

Das Aufkommen bewaffneter Zusammenstöße, die in den Jahren 2020 und 2021 im Osten, Norden und Süden der Stadt von kriminellen Gruppen am helllichten Tag ausgetragen wurden, sind ein Hinweis auf die sich abzeichnenden Anzeichen eines Staates, der von der Makrokriminalität erfasst wurde ("Vázquez", 2020). Makrokriminelle Netze haben eine kriminelle Struktur, eine geschäftliche und eine politische Ebene. Wir befinden uns in einem Prozess der kriminellen Regierungsführung, in dem kriminelle Gruppen ein Gebiet auf der Grundlage ihrer eigenen Interessen regieren. In diesem Sinne wird der Kampf um die Feuchtgebiete in den Bergen zu einer zivilisatorischen Schlacht (Toledo, 2019), die durch die Schaffung von Prozessen der territorialen Verteidigung und des Kampfes für das Buen Vivir zum Aufbau neuer Identitäten beiträgt.

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(*) Buen Vivir Das südamerikanische Konzept des „guten Lebens“ („buen vivir“) verfolgt ein Gleichgewicht mit der Natur, die Reduktion von sozialer Ungleichheit, eine solidarische Wirtschaft und eine pluralistische Demokratie mit neuen Räumen zivilgesellschaftlicher Partizipation und ist eine systemkritische Antwort auf das westliche Entwicklungsdenken der letzten Jahrzehnte. Ein neues Entwicklungskonzept, das sich vom westlichen Wohlstandsparadigma verabschieden will.

(1) Gruppen junger Leute, die auf Kleinmotorrädern unterwegs sind und sich an der organisierten Kriminalität beteiligen, bilden Stoßtrupps, die während der Gemeinderegierung von Marco Cancino (2015-2018) gefördert wurden, mit dem Ziel, ihre Gegner einzuschüchtern.

Übersetzung Klaus E. Lehmann (Grundsätzlich ist es dem Öku-Büro wichtig, dass die von uns veröffentlichten Texte gendersensible Sprache benutzen. Üblicherweise gendern wir deshalb Texte, die aus dem Spanischen übersetzt werden, mit *. Auf ausdrücklichen Wunsch des Übersetzers ist dies hier nicht der Fall.)

 

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