31. Mai 2022 „Lösen wir die autoritären Enklaven auf, die heute noch den Staat kontrollieren und Straflosigkeit und Korruption fördern!“

Herausforderungen der neuen Regierung in Honduras aus der Sicht eines Menschenrechtsanwaltes

Ende Mai war der honduranisch-spanische Verfassungsrechtler und Menschenrechtsanwalt Joaquín A. Mejía Rivera vom progressiven Thinktank Equipo de Investigación, Reflexión y Comunicación (ERIC-SJ) unser Gast in München. Er präsentierte eine teils positive, teils kritische Bilanz der ersten Monate der neuen Mitte-Linksregierung in Honduras.

Unabhängig aus Überzeugung: Joaquín Mejía
Unabhängig aus Überzeugung: Joaquín Mejía. Bildquelle Ökubüro

Joaquín Mejía betonte die hohe Legitimität der Regierung unter Xiomara Castro durch die außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung von fast 70 Prozent und die hohe Beteiligung von jungen Wähler*innen, die so genannten „Kinder des Putsches 2009“, die bis zur Wahl 2021 nur Wahlbetrug und Autoritarismus kennengelernt hatten. Mejía qualifizierte die Amtsübernahme Castros und damit der ersten Frau im Präsidentenamt seit 1981 auch als „historische Zäsur gegen das politische Patriarchat“ in Honduras. Allerdings würden nur fünf von 16 Ministerien von Frauen geleitet und auch im Parlament seien die weiblichen Abgeordneten mit 34 gegenüber 94 männlichen weit unterrepräsentiert. Noch eklatanter ist der Unterschied in den Kommunen: Nur 18 von 298 Bürgermeister*innen sind Frauen.

Mejía würdigte die folgenden acht Maßnahmen der Regierung Castro als positiv im Sinne der Legitimität ihrer Amtsführung in den ersten vier Monaten:

  • Das Gesuch an die Vereinten Nationen eine Internationale Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit einzurichten;
  • Das Amnestiegesetz für Umweltschützer*innen und Verteidiger*innen der Territorien;
  • Die Abschaffung des Gesetzes über die Privatstädte (ZEDE) und des Gesetzes über Staatsgeheimnisse;
  • Die Abschaffung des Gesetzes über stundenweise Beschäftigung und damit die Stärkung der Rechte von Arbeitnehmer*innen;
  • Den Gesetzentwurf zur Wahl von hohen Staatsbeamt*innen auf Grund ihrer Leistungen statt wie bisher ihrer politischen Zugehörigkeit;
  • Die breite Beteiligung von Frauen an einem Gesetzentwurf zur umfassenden Verhinderung von Gewalt an Frauen;
  • Die Anerkennung der Gender-Identität von Trans*Personen;
  • Die Bereitschaft zum Dialog über Menschenrechtsthemen, weniger staatliche Repression bei sozialen Konflikten;
Interview „en la linea“ für Radio Lora München. Joaquín Mejía, Juana Zúniga (Umweltaktivistin aus Guapinol) und Ökubüro-Mitarbeiterin Patricia Rendón
Interview „en la linea“ für Radio Lora München. Joaquín Mejía, Juana Zúniga (Umweltaktivistin aus Guapinol) und Ökubüro-Mitarbeiterin Patricia Rendón. Bildquelle Ökubüro

Als Herausforderungen der Regierung identifizierte der Referent die folgenden Themenkomplexe:

  1. Die Auflösung der kriminellen Strukturen, die den honduranischen Staat gekapert haben. Sie seien zwar durch die Auslieferung es ehemaligen Präsidenten Juan Orlando Hernández an die USA temporär geschwächt, aber dennoch intakt und orientierten sich neu.
  2. Die Schaffung einer mehrere Jahrzehnte übergreifenden Wahrheitskommission zur Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen der 1980er Jahre, der Zeit des Putsches 2009 und danach und des Wahlbetruges und der darauf folgenden Repression 2017. Die Herstellung von Gerechtigkeit durch einen Prozess der Übergangsjustiz.
  3. Einen landesweiten Dialog und eine intensive Auseinandersetzung mit der Rolle der Streitkräfte in Honduras. Bisher seien sie (in den Worten des honduranischen Analysten Victor Meza) „der übelste Albtraum der Demokratie“.

Mejía kritisierte, dass „Sicherheit und Verteidigung“ weiter die größten Posten im Staatshaushalt ausmachen, und dies obendrein ohne jede Säuberung in den Reihen der Polizei und des Militärs.

Sehr kritisch sah er ebenfalls die Rolle des Ehemanns von Präsidentin Castro, Manuel (Mel) Zelaya, der sich zunehmend zum Schattenpräsidenten aufschwinge, was ihm als Berater nicht zustehe. Nepotismus bei der Besetzung von Berater*innenposten sei zwar in Honduras legal, ethisch aber fragwürdig und im Falle von Mel eine Gefahr für die Amtsführung der Präsidentin.

Inkohärent sei die Haltung der Regierung in einigen Menschenrechtsfragen. Als Beispiel nannte Mejía:

  • auf internationaler Ebene das honduranische Votum im UN-Menschenrechtsrat gegen eine Untersuchungskommission der Verbrechen des Ortega-Murillo-Regimes in Nicaragua,
  • auf Landesebene die Ernennung des Bürgermeisters der Stadt Tocoa, Adán Fúnes zum Gouverneur des Departements Colón – obwohl Fúnes in den Drogenhandelsprozessen in New York erwähnt wird und obwohl er einer der Verantwortlichen für die unrechtmäßige Kriminalisierung der Menschenrechtsverteidiger aus Guapinol ist.

Mejías Schlussworte: „Wir feiern zu Recht den Bruch mit zwölf Jahren Autoritarismus, Missbrauch, Machtkonzentration, Korruption und Straflosigkeit. Wir haben das Recht auf Hoffnung und wir haben die historische Chance, erste Schritte zur Umgestaltung unseres Landes einzuleiten. Es ist unser Recht, nicht zu vergessen und Gerechtigkeit für die Verbrechen der Vergangenheit zu fordern. Lösen wir die autoritären Enklaven auf, die heute noch den Staat kontrollieren und Straflosigkeit und Korruption fördern!“

Dazu, so Mejía, müssten auch, private wie staatliche, global agierende Unternehmen in die Pflicht genommen werden. Sie müssten die Risiken von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihren Lieferketten und in der Zusammenarbeit mit Partner*innen ernst nehmen.

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Ein ausführliches Interview mit Joaquín Mejía auf Spanisch zu den auch in München angesprochenen und weitere Themen führte Martin Reischke Anfang Juni für die Deutsche Welle: https://m.dw.com/es/una-fisura-del-patriarcado-pol%C3%ADtico-en-honduras/a-62068251

ZIEL 16 DER AGENDA 2030

Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen

Die Herausforderungen vor denen die Regierung Castro in Honduras steht, stimmen nahezu exemplarisch mit den Unterzielen von SDG 16 überein:

  • 16.1 Alle Formen der Gewalt und die gewaltbedingte Sterblichkeit überall deutlich verringern
  • 16.3 Die Rechtsstaatlichkeit auf nationaler und internationaler Ebene fördern und den gleichberechtigten Zugang aller zur Justiz gewährleisten
  • 16.4 Bis 2030 illegale Finanz- und Waffenströme deutlich verringern, die Wiedererlangung und Rückgabe gestohlener Vermögenswerte verstärken und alle Formen der organisierten Kriminalität bekämpfen
  • 16.5 Korruption und Bestechung in allen ihren Formen erheblich reduzieren
  • 16.6 Leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und transparente Institutionen auf allen Ebenen aufbauen
  • 16.7 Dafür sorgen, dass die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen bedarfsorientiert, inklusiv, partizipatorisch und repräsentativ ist
  • 16.10 Den öffentlichen Zugang zu Informationen gewährleisten und die Grundfreiheiten schützen, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und völkerrechtlichen Übereinkünften

Gefördert durch Engagement Global mit Mitteln des


Für den Inhalt dieser Publikation ist allein das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global oder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.


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