Pressemitteilung 3. Jahrestag Ayotzinapa
Vertuschung statt Aufklärung
Auch 3 Jahre nach dem Verschwindenlassen der 43 Studenten von Ayotzinapa hält die mexikanische Regierung an ihrer Version der Wahrheit fest
Stuttgart/Berlin/Brüssel, 25. September 2017
In der Nacht zum 27. September 2014 wurden 43 Studenten der Lehramtsuniversität von Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero Opfer des Verschwindenlassens. Weitere sechs Personen starben und 40 wurden schwer verletzt. Der Fall hat international Aufsehen erregt und weltweite Empörung ausgelöst. Bis zum heutigen Tag sind die Täter nicht verurteilt worden und der Verbleib der 43 Studenten ist unbekannt.
Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) forderte nach ihrem Besuch in Mexiko am 30. August 2017 die Regierung dazu auf, ihre Suche nach den 43 Studenten deutlich zu intensivieren. Sie würdigte Anstrengungen der Generalstaatsanwaltschaft (PGR) den Fall zu untersuchen, wies zugleich aber darauf hin, dass mehrere der Hauptermittlungslinien in dem Fall nicht ausreichend und intensiv genug verfolgt würden.
Die interdisziplinäre unabhängige Expertengruppe (GIEI), die ihren zweiten Bericht im April 2016 veröffentlichte, hatte auf gravierende Ermittlungsfehler in dem Fall hingewiesen. Sie reichten von mangelnder Beweissicherung, fehlerhafter Strafverfolgung, der Unterschlagung von Beweismitteln bis hin zur Anwendung von Folter. Die GIEI machte in ihrem Abschlussbericht ebenfalls auf gravierende strukturelle Defizite im mexikanischen Justizsystem aufmerksam. Die auf Basis der Untersuchungsergebnisse der GIEI erstellte und kürzlich öffentlich vorgestellte interaktive „Plattform Ayotzinapa“[1], rekonstruiert und visualisiert das Ausmaß der Gewalt und des Zusammenwirkens von Angehörigen der staatlichen Sicherheitskräfte und der Organisierten Kriminalität in der Nacht zum 27. September 2014 eindrücklich.
Das Festhalten der mexikanischen Regierung an der sogenannten „historischen Wahrheit“, der zufolge die 43 Studenten auf der Müllhalde von Cocula verbrannt worden seien, ist angesichts der Tatsache, dass das argentinische Forensikteam „Equipo Argentino de Antropología Forense (EEAF)“ diese These bereits 2015 als wissenschaftlich unhaltbar widerlegt hat,[2] nicht nur unbegreiflich, sondern verletzt das Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit und die Würde der Opfer. Das Ansehen der Generalstaatsanwaltschaft und der mexikanischen Regierung nimmt dadurch erheblichen Schaden – national wie international.
Angesichts der mehr als 32.000 Verschwundenen in Mexiko empfehlen Gremien wie die Interamerikanische Menschenrechtskommission[3] sowie zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, das Allgemeine Gesetz gegen das Verschwindenlassen in Mexiko sobald wie möglich zu verabschieden. Das Gesetz sollte den Forderungen der Angehörigen der Verschwundenen bezüglich der Nationalen Suchkommission Rechnung tragen und mit den für eine effektive und effiziente Umsetzung erforderlichen finanziellen Mitteln ausgestattet sein.
Der Fall Ayotzinapa ist beispielhaft für das, was Tausende von Familienangehörigen auf der Suche nach den Verschwundenen und im Umgang mit den staatlichen Behörden tagtäglich erleben und erleiden. Ohne staatliche Unterstützung oder Schutz sind sie erheblichen Risiken ausgesetzt und werden wegen ihrer Forderung nach Gerechtigkeit häufig selbst Opfer von Menschenrechtsverletzungen.
Die Aufklärung und strafrechtliche Verfolgung der Täter dieses Verbrechens sowie der Umgang der mexikanischen Regierung mit dem Delikt des Verschwindenlassens sind grundlegend für die Prävention weiterer Verbrechen und hätten eine erhebliche Signalwirkung für die Bekämpfung der Straflosigkeit und Korruption in Mexiko.
Daher appellieren wir an die mexikanische Regierung:
- die „historische Wahrheit“ öffentlich als wissenschaftlich widerlegt zu verwerfen;
- die Suche nach den Verschwundenen deutlich zu intensivieren, die Ermittlungen auf der Grundlage der Empfehlungen der GIEI entschieden voranzutreiben und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen;
- die körperliche und psychische Unversehrtheit der Angehörigen, der Menschenrechtsverteidiger*innen und Begleitorganisationen, die bei der Suche nach den Verschwundenen hohen Risiken ausgesetzt sind, zu gewährleisten;
- das Allgemeine Gesetz gegen das Verschwindenlassen sobald wie möglich zu verabschieden und mit den erforderlichen finanziellen Ressourcen auszustatten sowie den Forderungen der Angehörigen der Verschwundenen bezüglich der Nationalen Suchkommission Rechnung zu tragen;
- die Zuständigkeit des UN-Ausschusses gegen das Verschwindenlassen anzuerkennen, Mitteilungen von oder im Namen der Opfer entgegenzunehmen und zu prüfen;
- strukturelle Defizite im Strafrechtssystem zu beseitigen.
Die deutsche Bundesregierung und die Europäische Union fordern wir auf, diese Anliegen zu unterstützen und darüber hinaus:
- im anstehenden Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Mexiko am 11. Oktober 2017 die strukturellen Defizite im Strafrechtssystem deutlich anzusprechen und Unterstützung zur effektiven Bekämpfung der Straflosigkeit und Korruption anzubieten;
- mittels einer effektiven Menschenrechtsklausel und institutionalisierter zivilgesellschaftlicher Beteiligungsmechanismen im aktuell verhandelten Globalabkommen zwischen der EU und Mexiko dafür Sorge zu tragen, dass Menschenrechte geachtet, geschützt und gewährleistet werden;
- von der mexikanischen Regierung eine umfassende unabhängige Untersuchung der Spionagefälle gegen Mitglieder der GIEI, Anwälte und weitere Betroffene in Menschenrechtsorganisationen sowie Journalist*innen zu verlangen.
Kontakt:
Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko
Carola Hausotter, E-Mail: mexmrkoordination@gmx.de; Tel.: +49 - (0)711 - 57 64 68 79
Solidaritätsaktion der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko, abrufbar unter:
www.facebook.com/DeutscheMenschenrechtskoordinationMexiko
World Organisation Against Torture
Miguel Martín Zumalacárregui, E-Mail: mmz@omct.org, Tel.: (+32) 2 218 37 19 / (+41) 22 809 49 24