Die Botschaft der Gerechtigkeit

Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen in Mexiko

Eine Mutter fordert Gerechtigkeit für den Feminizid ihrer Tochter. Foto: Red TDT

Obwohl sich nur eine kleine Gruppe von Mexikaner*innen beruflich der Verteidigung der Menschenrechte widmet, vereint dieser Kampf viele Menschen. Da ist die Frau mit ihrer Einkaufstüte; sie sucht ihre seit 2010 verschwundene Tochter. Der Junge auf dem Skateboard prangert in den sozialen Medien die willkürlichen Verhaftungen seiner Freunde an. Die Freundinnen, die die Straße überqueren, nehmen an den Märschen gegen Feminizid (Frauenmord) in Mexiko teil. Der Mann mit dem Hut ist Journalist und deckt Korruptionsfälle auf. Es gibt so viele Gründe, das alles zu tun, wie es Leute gibt, die durch die Straßen laufen.

Cristina Valdivia Caballero

Alle, die sich individuell oder kollektiv der friedlichen Verbreitung und Verteidigung der Rechte von Personen einsetzen, sind Menschenrechtsverteidiger*innen, unabhängig von Alter, Beruf, Nationalität, Schulbildung oder Gender. Empörung und Empathie sind oft der erste Grund, um sich für Gerechtigkeit, Gleichheit und Reparation zu mobilisieren.

Der Staat trägt die Verantwortung dafür, die Menschenrechte der Bürger*innen zu schützen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Dennoch sind Menschenrechtsverletzungen in Mexiko üblich. Insbesondere deren Verteidiger*innen und Journalist*innen leiden unter Folter, gewaltsamem Verschwindenlassen, willkürlichen Festnahmen, außergerichtlichen Exekutionen, Cyberattacken und -überwachung, Kriminalisierung ihrer Aktivitäten durch haltlose Beschuldigungen und sogar Ermordung. Diese Tatsachen haben eine kollektive Wirkung: Sie schwächen soziale Bewegungen, Organisationen sowie das Vertrauen zwischen den Menschen und schaffen ein Gefühl von Machtlosigkeit gegenüber den anhaltenden Verstößen.

In Mexiko zählt das Verteidigen von Menschenrechten zu einer Beschäftigung mit hohem Risiko. Nur bei zwei von hundert angezeigten Straftaten kommt es zu Ermittlungen, was dazu führt, dass die Zahl von Verbrechen gegen die Menschlichkeit immer weiter steigt und sie überall im Land vorkommen. In vielen Fällen verzichten die Opfer auf eine Anzeige, weil sie Vergeltung fürchten. Da aber auch in den angezeigten Fällen fast nie ermittelt wird, werden die Verantwortlichen nicht bestraft. All dies ermutigt die Täter, wissen sie doch, dass sie nichts zu befürchten haben. Die Straflosigkeit ist zugleich Ursache und Konsequenz der Menschenrechtsverletzungen in Mexiko.

Die Kultur des Machismus, die Normalisierung der Gewalt und die Tendenz, Frauen doppelt zum Opfer zu machen, indem sie für die Aggressionen gegen sie selbst verantwortlich gemacht werden, sind der Grund dafür, dass in Mexiko sieben Frauen pro Tag ermordet werden. Nur 25 Prozent dieser Delikte werden laut der Beobachtungsstelle Observatorio Ciudadano Nacional de Feminicidio als Feminizide angesehen. Frauen, die Patriarchat und die Frauenfeindlichkeit anfechten, laufen umso mehr Gefahr, Opfer von Gewalt, sexueller Belästigung, Stigmatisierung und Diskriminierung zu werden. Häufig sind auch Familien und Freundeskreise betroffen. Viele Aktivistinnen und Journalistinnen sind daher aufgrund der psychischen und sozialen Wirkung der Schikanen, die ihnen aufgrund ihres Engagements entgegengebracht werden, Schuldgefühlen und Stress ausgesetzt und isolieren sich teilweise sogar von ihren Freundeskreisen. Auch diejenigen, die sich für den Schutz der Rechte von LGBTI einsetzen, werden angegriffen und zu Opfern des Machismus. Verbrechen gegen diese Personen werden in Ermittlungen als Privatsache gehandelt, statt anzuerkennen, dass sexuelle Orientierung und Genderidentität der Grund hierfür sind.

Mexiko ist zu einem Transit- und Zielland für Migrant*innen aus Zentralamerika geworden, die ihre Lebensqualität verbessern möchten, vor Gewaltsituationen in ihren Ländern fliehen und die USA erreichen möchten. Wer versucht, die Menschenrechte von Migrant*innen zu schützen, wird häufig eingeschüchtert und dem Vorwurf ausgesetzt, Kriminellen zu helfen. Obwohl wir alle das Recht auf Migration haben, werden Migrant*innen in Mexiko zu Opfern von Erpressung, Vergewaltigung, Entführung, Verschwindenlassen und Tötung, begangen größtenteils von kriminellen Gruppen entlang der Transitstrecke. Dies geschieht in Kollaboration, mit Zustimmung oder unter Stillschweigen der staatlichen Behörden.

Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ wurden in Mexiko 2017 zwölf Journalist*innen ermordet. Nach Syrien ist Mexiko das zweitgefährlichste Land für diese Berufsgruppe, insbesondere in den Bundesstaaten Chihuahua, Guerrero, Oaxaca, Tamaulipas und Veracruz. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit und führt dazu, dass Journalist*innen Selbstzensur ausüben, den Investigativjournalismus und ihre Anklagen gegen Korruption und Zusammenarbeit zwischen dem organisierten Verbrechen und staatlichen Behörden aufgeben.

Personen, die die Menschenrechte verteidigen, sind in diversen Bereichen aktiv und setzen sich für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ein. Im Kontext von Bergbau, Energie und Infrastruktur werden Umweltschützer*innen und indigene Gemeinden von Staat und Unternehmen angegriffen, die daran interessiert sind, auf indigenem Territorium Megaprojekte durchzuführen. Oft sind diese Projekte bereits genehmigt, obwohl keine vorherige Konsultation gemäß der ILO-Konvention 169 durchgeführt wurde. Eine Strategie, an Land zu kommen, ist zudem, innerhalb betroffener Gemeinden Konflikte zu schüren. Die Gemeinden werden mit dem Vorwurf diffamiert und diskriminiert, sie seien gegen Entwicklung oder Teil von kriminellen Gruppen.

Mehr als 32 000 Personen sind in Mexiko seit 2006 verschwunden. Die Familien und Angehörigen müssen selbst und aus eigener Initiative nach ihnen suchen und die sterblichen Überreste identifizieren. In vielen Fällen zeigt sich, dass es eine Zusammenarbeit zwischen staatlichen Sicherheitskräften auf verschiedenen Ebenen und dem organisierten Verbrechen gibt. Dies ist der Fall bei den 43 Studierenden der Escuela Normal Rural de Ayotzinapa, deren Verschwinden seit 2014 nicht aufgeklärt wurde.

Was hat der mexikanische Staat gemacht, um diese Situation in den Griff zu bekommen? Es wurden neun internationale Menschenrechtsabkommen ratifiziert. 2012 wurde das Gesetz für den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen verabschiedet, gemeinsam mit einem Schutzmechanismus, der Sicherheit, Freiheit und Integrität auf nationaler Ebene garantieren soll. Anfang 2017 waren in diesem Programm 386 Menschenrechtsverteidiger*innen und 260 Journalist*innen registriert. Dennoch ist der Mechanismus unzureichend, um eine sichere und geeignete Umgebung zu schaffen. Es werden keine umfassenden Analysen des tatsächlichen Risikos durchgeführt, die Kontext und Vorgeschichte berücksichtigen. Nötig wäre eine direkte Kooperation mit einer unabhängigen, nationalen Staatsanwaltschaft, die es jedoch nicht gibt. Außerdem müsste der Fokus auf Prävention gelegt werden, um einen effektiven, personalisierten und dauerhaften Schutz zu schaffen.

2013 ist das allgemeine Opferschutzgesetz (Ley General de Víctimas) in Kraft getreten und die Kommission für Opferbetreuung (Comisión Ejecutiva para la Atención de Víctimas – CEAV) wurde geschaffen. Die Umsetzung dieses Gesetzes wurde von Opfern kritisiert, da die Betreuung langsam abliefe und eine Vielzahl bürokratischer Hürden zu bewältigen seien, um als Opfer anerkannt zu werden und so die Rechte in Anspruch nehmen zu können. Ein Jahr später wurde das Militärstrafgesetz so geändert, dass Verletzungen der Menschenrechte an Zivilist*innen von Zivilbehörden aufgeklärt werden. Doch diese Änderung ist begrenzt. So sind Fälle von Menschenrechtsverbrechen, die von Militärs begangen werden, der Militärjustiz vorbehalten, Zivilist*innen haben keinen Zugang zu den Prozessen. Dieses Panorama verschärft sich mit dem Gesetz für innere Sicherheit vom 21. Dezember 2017, das den Einsatz der Armee im Bereich der öffentlichen Sicherheit zur Norm macht, was große Besorgnis bei nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen und mexikanischen Bürger*innen ausgelöst hat.

Das Engagement von Personen und Journalist*innen, die sich für Menschenrechte einsetzen, entsteht dort, wo Verletzungen dieser Rechte begangen werden. Paradoxerweise aber werden sie eingeschüchtert, ihre Arbeit wird extrem geschwächt und ihr Recht, Menschenrechte zu verteidigen, angegriffen. Wie Zeid al-Hussein, Hochkommissar für Menschenrechte der UNO, einmal sagte: „Statt den Boten zu töten, sollten wir uns um seine Botschaft kümmern.“1 Hoffnung und Widerstand der Menschenrechtsverteidiger*innen gilt es, sichtbar zu machen, zu reproduzieren und hochzuhalten, bis ihre Bedeutung verstanden wird und sie das politische Handeln und den politischen Willen Mexikos bestimmten und die Realität in diesem Land verändert. Die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte muss wiederhergestellt werden, damit diese in ganz Mexiko und auf der ganzen Welt anerkannt, garantiert und respektiert werden.

  • 1. Oficina en México del Alto Comisionado de las Naciones Unidas para los Derechos Humanos (2016): Recomendaciones a México del Alto Comisionado de la ONU para los Derechos Humanos, Sr. Zedi Ra‘ad al Hussein y respuesta del Estado mexicano. p. 7

Mehr unter ila

Zurück zur Newsübersicht