Das Wasser abgegraben: Der Konflikt um eine Silbermine im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca eskaliert
Das Wasser abgegraben
Der Konflikt um eine Silbermine im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca eskaliert
Seit das kanadische Unternehmen Fortuna Silver die Explorationsarbeiten an der Silbermine in San José del Progreso aufgenommen hat, herrscht Zwist in der dortigen Gemeinde. Mit tödlichen Folgen. Die Auseinandersetzung um die Mine ist exemplarisch für Großprojekte im Süden Mexikos, bei denen die Regierungen die Interessen der Bevölkerung zugunsten der Investor_innen missachten.
Die Bilanz, die die Bewohner_innen der Gemeinde im
südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca ziehen, ist traurig. „Seit die
Minenfirma ohne das Einverständnis der Bevölkerung ihre Tätigkeit
aufgenommen hat, haben drei Menschen ihr Leben verloren“, berichten die
Aktivist_innen, die gegen die Ausbeutung der örtlichen Silbermine durch
das kanadische Unternehmen Fortuna Silver protestieren. Der letzte große
Gewaltausbruch in dem lange andauernden sozialen und politische
Konflikt in San José del Progreso ereignete sich am 18. Januar. An
diesem Tag wollten die Behörden mit dem Bau einer Wasserleitung für die
Mine auf dem Boden von Minengegner_innen beginnen. Auf die
protestierende Lokalbevölkerung, die sich in dem Bündnis COPUVO
organisert hat, eröffneten lokale Polizist_innen und private Pistoleros
des Bürgermeisters der Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) das
Feuer. Die 25-jährige Abigail Vásquez Sánchez erlitt einen Beinschuss;
den 57-jährigen Bernardo Méndez Vásquez verletzten sie so schwer, dass
er tags darauf verstarb.
Im September 2011 begannen Fortuna Silver und ihr mexikanischer Ableger
Cuzcatlán mit der Ausbeutung der umstrittenen Mine, die 40 km südlich
der Hauptstadt Oaxaca-Stadt in der indigenen zapotekischen Region
Ocotlán liegt. Der Ort San José del Progreso ist seit 2009, als die
Vorbereitungen zur Inbetriebnahme der Mine bereits liefen, in
regelmäßigen Abständen Schauplatz von Auseinandersetzungen von
Befürworter_innen und Gegner_innen, die sich zahlenmäßig die Waage
halten. So blockierten Gegner_innen im Mai 2009 den Bau der neuen
Förderanlage auf dem Gelände des historischen Bergwerks, worauf 800
Polizist_innen die Blockade gewaltsam räumten. Im Juni 2010 eskalierte
dann erstmals die Gewalt unter den Anwohner_innen selbst: Der
PRI-Gemeindevorsitzende und ein Gemeinderatsmitglied kamen dabei ums
Leben. Als Racheakt entführten Minenbefürworter_innen den Priester des
Dorfes, den sie als Verantwortlichen der Gewalt beschuldigten, und
übergaben ihn schwer verletzt der Polizei. Der Protest gegen die Mine
sieht sich zudem Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. So wurden lokale
Minengegner_innen und das Bündnis Kollektiv Oaxacas zur Verteidigung der
Territorien massiv bedroht, als sie im November 2011 ein Forum über die
Folgen der Minentätigkeit organisierten. Das Forum, an dem 200 Personen
aus zahlreichen Gemeinden teilnahmen, musste unter dem Schutz der
Bundespolizei stattfinden. Nur so hielten die Pistoleros des
Bürgermeisters Abstand.
Aufgrund der andauernden Konfrontation fordern diverse soziale
Organisationen Oaxacas, darunter die einflussreiche
Lehrer_innengewerkschaft Sektion 22, die Schließung der Mine. Um dieser
Forderung Nachdruck zu verleihen, demonstrierten Ende Januar auch
Minengegner_innen aus verschiedenen Bundesstaaten vor der kanadischen
Botschaft in Mexiko-Stadt. Diese Protestaktion reiht sich ein in die
zunehmende Opposition gegen die Minentätigkeiten hauptsächlich
kanadischer Firmen in einem guten Dutzend mexikanischer Bundesstaaten.
Die Diplomat_innen Kanadas verweigerten jedoch einen Dialog mit den
Protestierenden. Seit Monaten ist die Botschaft mit Besuchen bei
Regierung und Nicht-Regierungsorganisationen in Oaxaca präsent und
bemüht sich, die Investition von Fortuna Silver in ein günstiges Licht
zu stellen. Mit einigen karitativen Projekten sowie der Instandsetzung
der dörflichen Abwasserreinigungsanlage versuchte das Minenunternehmen
die Zustimmung der indigenen Landbevölkerung zu erkaufen. Eine Befragung
über das Großprojekt fand hingegen nie statt.
Bemerkenswert ist, dass die umstrittene Mine von der ganzen
parteipolitischen Klasse Oaxacas, also sowohl von der PRI als auch von
der Anti-PRI-Koalition des neuen Gouverneurs Gabino Cué, bedingungslos
unterstützt wird. Für Cué zählt die Schaffung von 400 lokalen
Arbeitsplätzen mehr als alles andere.
Anlässlich der neuen Eskalation sah sich die Regierung Cué genötigt, die
Konfrontation umgehend als „internen Machtkampf um die politische
Kontrolle“ des Dorfes zu bezeichnen. Der „tragische Vorfall“ habe
deshalb rein gar nichts mit der Mine zu tun. Dieses Argument nahm die
Fortuna Silver dankend in ihrer Stellungnahme auf, mit der sie auf
kritische Berichte in der kanadischen Presse reagierte. Sie bezeichnete
die Vorfälle vom 18. Januar als „sinnlose Gewalt“, mit der sie nichts zu
tun habe. „Einige lokale Gruppen“ seien „interessiert daran, uns damit
in Verbindung zu bringen“, um sich selbst zu profilieren. Das Bündnis
der Minengegner_innen widerspricht dieser Version vehement. Wasser ist
in der Region eine äußerst knapp bemessene Ressource, und das
Minenunternehmen versucht seit Monaten vergeblich, Wasserleitungen zu
legen. Zwischenzeitlich angezapfte Wasservorräte und Tanklastwagen
scheinen in der Trockenperiode definitiv nicht mehr auszureichen, um die
Produktion aufrechtzuerhalten oder gar auszubauen. Fortuna Silver hatte
laut Anwohner_innen auch schon verschiedene vergebliche Versuche
gestartet, einen der kleinen Staudämme in der trockenen Region zu
kaufen, die der Lokalbevölkerung zur Bewässerung der Felder dienen.
Gleichzeitig preist sich das Unternehmen als für Investor_innen
besonders attraktiv an, da die geringen Produktionskosten eine hohe
Gewinnspanne versprechen. Nach den Angaben von Fortuna Silver erwartet
die Firma einen Gewinn von rund 125 Millionen US-Dollar jährlich. Doch
zur Realisierung dieser versprochenen Gewinne muss Wasser her, koste es,
was es wolle.
In dieser angespannten Situation empfanden die Minengegner_innen die
Grabungsarbeiten als gezielte Provokation von Seiten der Lokalbehörden.
Im Nachhinein behauptete der PRI-Vorsitzende des Dorfes, der Anlass der
Grabungen seien neue Trinkwasserleitungen im Ort gewesen. Seltsamerweise
war das Wasser-Komitee des widerständigen Quartiers darüber aber nicht
informiert worden.
Die Eskalation in San José del Progreso ist nur ein Beispiel für ein
Entwicklungsmodell, welches zunehmend zur sozialen Konfrontation führt.
Auch die Parteilinke Mexikos sieht bisher die Konsultation der
Bevölkerung bei Großprojekten bloß in ihrem Diskurs vor, die
Wirklichkeit der von ihr (mit-)regierten Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca
und Guerrero sieht anders aus. Unter der „progressiven“ und von der UNO
als besonders menschenrechtskonform ausgezeichneten Regierung Cué starb
Ende 2011 eine Person im Konflikt zwischen Befürworter_innen und
Gegner_innen eines Windparkprojekts mit spanischem Kapital im Isthmus
von Oaxaca. Eine andere Gemeinde an der Pazifikküste kämpft um die
Verhinderung eines Windparks, dem der Gemeindevorsitzende ohne Erlaubnis
der Gemeindeversammlung zustimmte.
„Friede und Fortschritt“ versprach Gabino Cué im Wahlkampf 2010, und
schaffte damit nach 80 Jahren PRI-Herrschaft einen historischen
Machtwechsel. Doch die Gemeinden, welche sich gegen die nicht mit ihnen
abgesprochenen Großprojekte wie Minen, Windkraftparks oder Staudämme
organisiert haben, sind nach einem guten Jahr Amtszeit von der neuen
Regierung mehr als enttäuscht. Es scheint, dass unter „Entwicklung“ die
privatwirtschaftliche Ausbeutung der Naturressourcen und unter „Friede“
Investitionssicherheit verstanden wird. Diese Vision von Fortschritt
stößt mit dem Versuch eines großen Teils der indigenen Bevölkerung
zusammen, ihr Territorium gegen diese Zugriffe zu verteidigen.
Es mehren sich die Anzeichen, dass 2012, das im Zeichen der
Präsidentschaftswahlen am 1. Juli steht, die seit dem Volksaufstand von
2006 schwelende soziale Konfliktivität Oaxacas wieder voll ausbricht.
Nur scheint Oaxaca heute, im Gegensatz zum Wahljahr 2006, nicht mehr die
Ausnahme im Lande zu sein. „Unmut und Forderungen nach Gerechtigkeit
blühen in weiten Teilen des Landes“, titelte die Tageszeitung Jornada am
28. Januar. Die offen ausbeuterische Tätigkeit des Bergbausektors, der
von der konservativen Regierung Felipe Calderón ganze 25 Prozent der
gesamten Landfläche Mexikos für bisweilen lächerliche 5 Pesos pro Hektar
lizenziert bekam, ist dabei einer der sichtbarsten Angriffe auf die
Rechte der mexikanischen Bevölkerung. Die Aushöhlung der Arbeitsrechte,
die Privatisierung des Bildungssektors, die Repression gegen soziale
Bewegungen im Schatten des Drogenkriegs oder die Zensurbemühungen im
Internet sind Beispiele für weitere Konflikte, welche das Klima im Land
zunehmend verschärfen.
Kasten:
Fortuna Silver: „Grüne Minen“?
„Wir verschmutzen kein Wasser, im Gegenteil, wir reinigen es“, äußern
die Verantwortlichen der Fortuna Silver in einer
pseudo-wissenschaftlichen Reportage auf der Seite www.mineweb.com. Damit
meinen sie die Abwasserreinigungsanlage der Gemeinde San José del
Progreso, die sie instand gesetzt haben. Politiker_innen und
Unternehmer_innen stimmen in das Loblied auf die „Nachhaltigkeit“ und
das ökologische Verantwortungsbewusstsein der Firma ein. Tatsächlich ist
der in Oaxaca betriebene Unter-Tage-Bau auf den ersten Blick weniger
umweltzerstörerisch als die Minentätigkeit unter freiem Himmel. Die
Beeinträchtigungen und Gefahren für Mensch und Natur sind dennoch
vielfältig. So sind die unterirdischen Dynamit-Explosionen inzwischen
ein ständiger Begleiter der Gemeindebewohner_innen, auch nachts. Von den
Gefahren für das Grundwasser und anderen mittel- und langfristigen
Umweltschäden gar nicht zu reden. Zudem befürchten die Gegner_innen,
dass die Mine sich von unten nach oben durch die Gesteinsschichten
frisst, und letztlich doch ein offener Minenkegel entsteht. Die Mine ist
ein Pilotprojekt in der Region, drei weitere, größere Minen sind in der
näheren Umgebung in der Explorationsphase. Wenig vertrauensstiftend ist
auch das Personal des Minenunternehmens.
Über die „grüne“ Vergangenheit des Aufsichtsratvorsitzenden von Fortuna
Silver, Simon Ridgway, wissen die Bewohner_innen des Valle de Siria in
Honduras Bescheid. Wie das lokale Anti-Minen-Komitee und die
Organisation Rights Action berichten, wird der findige Geschäftsmann,
der aktuell in der Geschäftsleitung von einem halben Dutzend
Bergbauunternehmen sitzt, aufgrund von Umweltverbrechen von den Behörden
in Honduras steckbrieflich gesucht.
Text: // Philipp Gerber / Lateinamerikanachrichten Ausgabe: 453 - März 2012