Verdrängtes ans Licht bringen. Ein Filmfestival in Guatemala hat sich zum Forum für Aufarbeitung entwickelt
Der dunkle Saal im alteingesessenen Kino Capitol in der Fußgängerzone von Guatemala-Stadt ist bis auf den letzten seiner 300 Plätze belegt. Über die Leinwand flimmert ein Schwarz-Weiß-Film. Eine bulgarische Berglandschaft mimt mit einigen Kunstpalmen eine mittelamerikanische Kulisse. »Mit Männern wie Ihnen werden wir in null Komma nichts Guatemala befreien«, tönt es in deutscher Sprache. Nur manchmal fallen ein paar spanische Kraftausdrücke, die in den Untertiteln nicht übersetzt werden müssen. In »Das Grüne Ungeheuer«, einem DDR-Klassiker von 1962 nach dem Roman von Wolfgang Schreyer, gerät der deutsche Hauptdarsteller an die vorderste Front des Kalten Krieges in Mittelamerika. Mit ihm erlebt das Publikum im Kino Capitol nun den CIA-gesteuerten Sturz des guatemaltekischen Präsidenten Arbenz mit. Dieser hatte mit seinen beherzten Landreformen »das grüne Ungeheuer« – die allmächtige United Fruit Company – gegen sich aufgebracht.
»Guatemala sieht sich im Spiegel«, urteilt Kolumnist Raúl de la Horra, einer der Podiumsgäste beim Festival. »Die Reflexion der eigenen Geschichte ist es, was wir in diesem Land so dringend brauchen.« Zwei Tage später wird ein Dokumentarfilm die BRD-Perspektive der 60er Jahre auf Guatemala zeigen. In »Jungfrau, Marx und Huracán« gehen die Filmemacher der Frage nach, »ob Moskaus Saat nun auch in Guatemala wächst«.
Filme brechen das Schweigen
In der NDR-Reportage preisen Angehörige der guatemaltekischen Elite und deutsche Kaffeeplantagenbesitzer den Putsch gegen Arbenz als Befreiungsschlag. Ein 36 Jahre anhaltender Bürgerkrieg und der Genozid an der Mayabevölkerung werden folgen. 200 000 Menschen wurden dabei umgebracht, weitere 50 000 verschwanden gewaltsam. Der Bericht der UNO-Wahrheitskommission stellte Ende der 90er Jahre fest, dass 83 Prozent der Opfer Indigene waren und 93 Prozent der Gräueltaten von der Armee verübt wurden.
»16 Jahre nach Abschluss der Friedensverträge herrscht vielerorts noch immer Schweigen über die blutige Vergangenheit«, konstatiert Uli Stelzner, ein deutscher Filmemacher, der das Internationale Filmfestival in Guatemala initiierte. »Im letzten Jahr wurden die ersten Strafverfahren gegen Militärs eröffnet. Die guatemaltekische Justiz hat angefangen sich zu bewegen. Nun ist es von fundamentaler Bedeutung, Druck in der Öffentlichkeit aufzubauen, damit dieser Prozess nicht zum Erliegen kommt.«
Uli Stelzner dreht seit fast zwanzig Jahren sozialkritische Filme in Guatemala. Eine enge Kooperation zwischen deutschen und guatemaltekischen Filmschaffenden ist entstanden. Diese gehen der »unbedingten Notwendigkeit« nach, mit Dokumentarfilmen ein nichtkommerzielles Kino in dem kleinen mittelamerikanischen Land zu schaffen. Für Uli Stelzner war es dabei stets wichtig, als Filmemacher in Dialog mit der Bevölkerung zu treten. Mobile Vorführungen führten ihn in entlegenste Dörfer, um Diskussionen in die kriegsgeschädigten Gemeinden zu tragen.
In seinem aufwendigsten Film »La Isla – Archive einer Tragödie« werden die Zuschauer in die fensterlosen Räume der gefürchteten Folterstätte der Polizei geführt. Das Gebäude in der Peripherie von Guatemala-Stadt konnte nie verortet werden. Bis es 2005 überraschend durch eine Explosion der Öffentlichkeit zugänglich wurde – und damit auch das geheime Polizeiarchiv. Dort lagerten vergilbte Aktenberge, insgesamt 80 000 Dokumente. »Nun gab es auf einmal minutiös geführte Aufzeichnungen über politische Morde, extralegale Festnahmen und Folter während des Krieges«, berichtet Stelzner. Die kommerziellen Medien hätten jedoch kein Interesse daran, die Menschen darüber zu informieren. Die heutige Regierung von Ex-General Otto Pérez Molina, der als junger Offizier in Massaker im Nebaj-Ixil-Dreieck verstrickt war, noch viel weniger. »Mit dem Dokumentarfilm haben viele erst erfahren, dass sie nun die Möglichkeit haben, nach verschwundenen Familienangehörigen zu forschen.«
»La Isla« gab 2010 den Auftakt zum ersten Internationalen Filmfestival in Guatemala. Trotz Bombendrohung und Sabotage strömten 6000 Menschen in den Kulturpalast, Symbol der vergangenen Militärdiktaturen. »Bilder wurden gezeigt, die lange verdrängt wurden.«
Drei Jahre später hat sich das Filmfestival vergrößert. Zehn Tage lang werden 17 Filme aus Lateinamerika und Europa gezeigt. Ihre Auswahl hat sich aus der Diskussion der letzten Jahre ergeben: Denn neben der ausstehenden Aufarbeitung der Vergangenheit ist die indigene Mehrheitsbevölkerung in Guatemala heute erneut Repression und Verfolgung ausgesetzt. Diesmal sind es multinationale Unternehmen, die mit Industrie-, Minen- und Staudammprojekten in die Gemeinden eindringen und dabei vom Militär geschützt werden. Filme aus Peru, Kolumbien und Österreich drehen sich um den weltweiten Ressourcenboom, der immer wieder auch indigene Territorien betrifft.
Eine Frau aus dem Publikum erhebt sich, um eine Wortmeldung zu machen. Ihre bestickte Bluse und der gewebte Rock weisen sie als Bewohnerin des Departments in der Mitte des Landes aus. »Die Realität holt uns im Kinosaal ein. Bilder, wie wir sie hier auf der Leinwand sehen, waren heute auf den Titelseiten der Zeitungen.« Sie verweist auf den Konflikt in Santa Cruz Barillas im Hochland Westguatemalas. Dort sprachen sich in einer Volksbefragung 50 000 Indigene gegen wirtschaftliche Großprojekte aus. Der Bau eines Hydroelektrizitätswerkes wurde trotzdem weiterverfolgt; der aufwallende Protest mit dem Einsatz des Militärs und der Festnahme von Aktivisten beantwortet.
Auch in der Vorführung am nächsten Morgen, die in Kooperation mit verschiedenen Oberstufenschulen der Hauptstadt läuft, haben die Schüler von dem Konflikt gehört. Die kanadische Filmemacherin Stephanie Boyd ermuntert die Schüler, selbst zur Digitalkamera oder zum Handy zu greifen und ihr Leben und die Realität in ihrem Land zu dokumentieren. Die Jugendlichen in Schuluniform grinsen verlegen und rutschen auf den roten Kinosesseln herum.
Doch Stephanie Boyd lässt nicht locker: »Werdet wie Chasquis, die Laufboten der Inkas, und tragt Informationen von der Küste ins Hochland und zurück.« Sie erzählt den 17-Jährigen, wie sie und ihr Kameramann sich autodidaktisch die Filmproduktion beibrachten. Die in Peru lebende junge Frau ist mit ihrer Doku »Operation Teufel – ein Bergbaukonzern greift an« seit zwei Jahren weltweit auf Filmfestivals präsent. Mehr jedoch als die eigene Filmproduktion liegt ihr die Weitergabe von technischem Know-how an Aktivisten am Herzen. »Ein Land ohne Dokumentarfilme ist wie eine Familie ohne Fotoalbum«, zitiert sie Patricio Guzmán, der den Aufstieg Salvador Allendes in Chile und den Putsch des Militärs filmte.
Geschichte aus Sicht der Opfer erzählen
Auch am Abend strömen interessierte Kinobesucher wieder die Treppen des Filmpalasts hinauf: Studenten, Angehörige indigener Organisationen, Rentner, Journalisten. Der international renommierte Journalist Hollman Morris stellt seinen Film »Impunity – Straflosigkeit für Massenmorde in Kolumbien« vor. Für seine kontinuierliche investigative Berichterstattung im Drogenkrieg bekam er im letzten Jahr den Nürnberger Menschenrechtspreis. Morris ist überzeugt: »Die Geschichte muss aus Sicht der Opfer erzählt werden, nicht der Täter.« Der Dokumentarfilm gebe in Lateinamerika den zum Schweigen Gebrachten eine Stimme. Das Festival neigt sich seinem Ende zu. Menschen strömen aus dem Kino. Währenddessen steckt die Vergangenheitsaufarbeitung in Guatemala weiter in den Kinderschuhen.
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