LATEINAMERIKA: Homophobe Präsidenten
von Antonio Medina/poonal
(Fortaleza, 17. August 2012, adital).- Rafael Correa hat sich ehrlich gegenüber seinem Volk gezeigt: In der Onlineausgabe der Zeitung El Comercio war der ecuadorianische Präsident von einem Leser als Schwuchtel
beschimpft worden, worauf der Inhaber des höchsten Amts im Staate Ende Juli in einem Programm des Radios La Sabatina sinngemäß mit den Worten „Selber Schwuchtel!“ konterte. Der Präsident gab seinen Lapsus öffentlich zu und ging angesichts der Proteste zivilgesellschaftlicher Organisationen für die sexuelle Vielfalt sogar so weit, sich öffentlich für seine homophobe Äußerung zu entschuldigen – ein für einen lateinamerikanischen Präsidenten recht untypischer Akt.
Wer die Rede des Präsidenten im Internet aufmerksam verfolgt, wird bemerken, dass Correa tatsächlich bemüht ist, seinen Fehltritt zuzugeben und gleichzeitig zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass er in seiner Reaktion auf den verbalen Angriff eines Lesers mit einem Begriff antwortet, dessen diskriminatorische Bedeutung allenthalben bekannt ist: Auch er sei durch seine Sozialisierung nicht frei vom in der ecuadorianischen Kultur verwurzelten homophoben Vorurteil, und obwohl er gegenüber Diskriminierung sensibilisiert sei, bestehe offensichtlich trotzdem auch in seinem Fall die Tendenz, sich gegebenenfalls eines diskriminatorischen Sprachgebrauchs zu bedienen.
Wichtiger Fortschritt für die LGBT-Community
Etwas stockend, aber mit unmissverständlichen Worten erklärte der Präsident, die Gesellschaft sei voller Stigmatisierungen und Vorurteile, die „es zu bekämpfen gilt…. es darf nicht sein, dass sich in meinem Denken auch nur Reste eines Vorurteils gegenüber der LGTB-Community befinden.“
Für den Kampf der LGTB-Gemeinde in Ecuador war diese Rede ein bedeutender Schritt, da sich in ihr eine klare Annäherung an die Ziele der Bewegung ausdrückt. Diese wiederum hatte sich bereits in den letzten Jahren einiges an Medienpräsenz und Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Politik verschafft.
Homophobe Ausrutscher ohne Folgen
Diverse lateinamerikanische Staatsoberhäupter haben sich bereits homophobe Ausrutscher geleistet, ohne dass der zivilgesellschaftliche Druck in Form von Diskussionen und Aktionen irgendetwas in diesem Kontext bewirkt hätte. Als Beispiel sei der bolivianische Präsident Evo Morales genannt, der behauptete, männliche Homosexualität sei eine Folge des Verzehrs von zuviel Hühnerfleisch. Als Reaktion auf die weltweiten wütenden Proteste angesichts solcher Ignoranz antwortete Morales lediglich, man habe seine Worte nicht richtig verstanden, falls die schwule Community sich jedoch beleidigt fühle, so bitte er um Entschuldigung.
Angesichts der massiven Gewalt von Männern gegen Frauen und der beschämenden Untätigkeit der Richter wetterte der ehemalige peruanische Präsident Alan García: „Wie kann es sein, dass diese Horde von Schwuchteln immer weiter ihre Frauen verprügelt?“ García benutzte den Begriff Schwuchtel als Synonym für Feigheit und Macho-Gewalt, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass homophobe Gewalt ebenfalls eine Ausprägung von Feigheit und
Machotum ist; damit folgt er einem Geschlechterbild, dass Homosexuelle eben mit solchen Begriffen stigatisiert.
Auch die führenden Repräsentanten der Partei PAN, die während der letzten zwölf Jahre die Staatsgeschäfte in Mexiko geführt haben, nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn es um den Ausdruck ihrer homophoben Tendenzen geht: Zur Unterstützung des Kampfs gegen Brustkrebs hatte sich Felipe Calderón öffentlich mit einer rosa Schleife gezeigt, um dann scherzhaft zu erklären: „Liebe Freundinnen und Freunde, da dies der erste öffentliche Aktionstag zur Gesundheit im Oktober ist, habe ich mir diese rosa Schleife angesteckt. Bitte denken Sie nicht das Falsche von mir: Die rosa Schleife ist das Symbol des Kampfs gegen Brustkrebs.“ Was hatte Calderón denn wohl angenommen, das die Anwesenden von ihm denken könnten, wenn sie ihn mit einer rosa Schleife sehen? Diese extrem unlustige und von Machodenken inspirierte Äußerung spiegelt die inhärenten homophoben Tendenzen des Regierungschefs. Zwei Tage nach dem missglückten Witz sah sich Calderón aufgrund der breiten Kritik genötigt, in seinem Twitter-Account zu betonen, dass er für sexuelle Vielfalt und gegen Diskriminierung eintrete.
2010 erbrachte Calderón einen weiteren Beweis für seine Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen: Nach intensiven Bemühungen zivilgesellschaftlicher Organisationen erklärte die Regierung den 17. Mai offiziell zum Nationalen Aktionstag gegen Homophobie, um dann doch im letzten Moment umzuschwenken: Auf Betreiben des Präsidenten wurde der Tag umbenannt in „Tag der Toleranz und des Respekts gegenüber der freien Wahl der Lebensweise“. Man
könnte also fast sagen: „Der Gesetzesbeschluss gegen ein Vorurteil, das zu heikel ist, um es zu benennen“.
Kein Problem, zu seiner Homosexuellenfeindlichkeit zu stehen, hatte hingegen der mexikanische Ex-Präsident Vicente Fox. Entgegen aller derzeit bestehenden Regeln der politischen Praxis, einschließlich derer, die Opposition nicht öffentlich zu beleidigen, bezeichnete Fox während des Wahlkampfs im Jahr 2000 seinen Konkurrenten, den PRI-Kandidaten Francisco Labastida Ochoa, als Schwuchtel und nutzte sogar dessen Nachnamen für ein schwulenfeindliches Wortspiel: „Labastida“ änderte er ab in „La Vestida“ – die Kleidchenträgerin.
Präsidenten drücken sich um Verpflichtungen
Es wären noch viele weitere lateinamerikanische Präsidenten zu nennen, die sich schwulenfeindlich positioniert haben oder immer noch positionieren, wenn nicht durch ihre Sprache, dann durch ihre Weigerung, antidiskriminatorische Aspekte in ihre Politik aufzunehmen, oder durch ihre Unzuverlässigkeit, indem sie in Anwesenheit der Medien lächelnd internationale Abkommen unterzeichnen, sich jedoch später um die gesetzliche
Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen herumdrücken.
Dennoch gibt es auch unter den PräsidentInnen löbliche Ausnahmen: die argentinische Präsidentin Cristina Fernández, der brasilianische Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, das aktuelle brasilianische Staatsoberhaupt Dilma Rousseff, der spanische Ex-Präsident José Luis Rodríguez Zapatero sowie der derzeitige Präsident der Vereinigten Staaten Barack Obama, der sich öffentlich als Unterstützer der LGBT-Community gezeigt hat, während in seinem Land so wie in allen anderen spanischsprachigen Staaten, kulturell tief verwurzelte Vorurteile gegenüber der
homosexuellen Bevölkerung an der Tagesordnung sind.
Die RegierungsvertreterInnen der Länder müssen sich bewusst sein über die herrschende Diskriminierung gegenüber allem, was von der heteronormativen Lebensweise abweicht, und sich klarmachen, dass solche Diskriminierung die Gesellschaft in ihren jeweiligen Ländern vergiftet. Es ist in keinem Fall akzeptabel, dass die Regierung selbst gesellschaftliche Vorurteile stärkt, den Hass gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen weiter schürt und so die Spaltung der Bevölkerung weiter vertieft.