Landrechtsbewegung in Costa Rica mobilisiert zum Todestag von indigenem Aktivisten
Indigene Bauern fordern Ende der illegalen Besetzung ihres Territoriums und Gerechtigkeit für Ermordeten. Angeklagter auf freiem Fuß
Von Paul Scheytt
amerika21
Térraba. Zwei Jahre nach der Ermordung des Landaktivisten Jehry Rivera Rivera lädt eine lokale Initiative von Bewohnern der Gemeinde Térraba zu einer Veranstaltungsreihe ein. Zwischen dem 24. und dem 28. Februar werden in diesem Rahmen Seminare und Diskussionen zu Themen wie der Rückgewinnung besetzten indigenen Landes, integrativer Entwicklung und der Bedrohung durch industrielle Großprojekte stattfinden. Im Zentrum stehen außerdem spirituelle Veranstaltungen und das Gedenken an Rivera Rivera.
Der Landrechtsaktivist der Ethnie Brörán (auch Térraba) wurde am 24. Februar 2020 im Zusammenhang mit der Wiedererlangung ("recuperación") illegal besetzten Landes im indigenen Territorium Térraba erschossen. Zuvor hatte eine Gruppe bewaffneter Männer begonnen, ein Haus der indigenen Gemeinde zu umstellen und mit Steinen zu bewerfen. Im Laufe des Konfliktes ist Rivera Rivera von mehreren Männern festgehalten und von einer Person mehrfach in den Rücken geschossen worden.
Die Tat reihte sich in eine Serie von Angriffen auf Landrechts- und Umweltaktivisten sowie indigene Anführer in Costa Rica ein. Ebenfalls im Februar 2020 ist mit Mainor Ortiz Delgado eine indigene Führungspersönlichkeit angeschossen und schwer verletzt worden. Im März 2019 wurde Sergio Rojas Ortiz, wie Ortiz Delgado Angehöriger der Ethnie der Bribri und Indigenenrechtsaktivist, erschossen (amerika21 berichtete). Der Anschlag auf Rojas Ortiz ereignete sich an dem Tag, an dem er geplant hatte, Anzeige gegen die illegale Aneignung indigenen Landes zu erstatten. Das Kollektiv Bloque Verde zählte in den letzten 30 Jahren 25 verübte Attentate auf Landrechts- und Umweltaktivisten mit insgesamt 13 Todesopfern. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die Organisation eine Erklärung von Leonel García Segura, in welcher dieser Morddrohungen gegen sich und seine Familie beklagt. García Segura ist Angehöriger der Cabécar und wurde im vergangenen Dezember Opfer eines Mordanschlags, nachdem er als Mitglied der Verwaltung des indigenen Territoriums Bajo Chirripó von dem derzeit Tatverdächtigen besetztes indigenes Land zurückgefordert hatte.
Kritiker verweisen auf die Verantwortung des costa-ricanischen Staates für die exzessive Gewalt gegen Führungspersönlichkeiten der indigenen Bevölkerung. Zum einen kämen die staatlichen Behörden ihrer Aufgabe, illegal besetztes Land an die indigenen Gemeinden zurückzugeben, nicht nach. Zum anderen stelle der strukturelle Rassismus in Polizei und Justiz für die Gemeinden eine oft unüberwindliche Hürde dar, auf juristischem Weg ihre Rechte einzufordern, sich gegen Gewalt zur Wehr zu setzen und angemessenen Schutz durch die staatlichen Behörden zu erhalten.
José María Villalta Florez-Estrada, Abgeordneter der linksgerichteten Frente Amplio, spricht im Zusammenhang mit dem Mord an Rojas Ortiz von einem "Staatsverbrechen".
"Die Behörden bleiben bei der Verfolgung von Verbrechen gegen indigene Aktivisten untätig. Wenn in Zukunft weitere Aktivisten ermordet werden, dann trägt der Staat dafür Mitschuld. Und wenn auch dieser Fall in Straflosigkeit mündet, dann wird es zu einer weiteren Eskalation der Gewalt kommen. Auf der einen Seite werden die Mörder lernen, dass sie nicht dafür bestraft werden, indigene Aktivisten zu erschießen, und auf der anderen Seite werden sich die indigenen Gemeinden selbst verteidigen müssen ,oder erwarten wir von ihnen, dass sie einfach dabei zusehen, wie man sie ermordet?"
Mit einem im Jahr 1977 erlassenen Indigenengesetz hatte das costa-ricanische Parlament beschlossen, dass indigenes Land nur an Indigene veräußert werden darf, und den Staat dazu verpflichtet, in der Vergangenheit veräußertes Land zurückzukaufen. 45 Jahre später sind einige indigene Territorien nach wie vor fast vollständig illegal von Viehzüchtern besetzt.
Pablo Sibar Sibar, ein weiterer Landrechtsaktiver aus dem Territorium Térraba erklärt: "Der Staat verweist auf Hunderttausende Hektar demarkierten indigenen Landes. Er verschweigt aber, dass große Teile dieser Territorien illegal besetzt gehalten werden."
Im Fall von Térraba nimmt diese besetzte Fläche heute 80 Prozent des Territoriums ein.
Schon seit mehreren Jahren fordern die Vereinten Nationen den costa-ricanischen Staat dazu auf, seiner Pflicht nachzukommen, die Rechte der indigenen Bevölkerung zu schützen und das nationale Indigenengesetz einzuhalten. Der UN-Sonderberichterstatter für die Rechte indigener Völker, Francisco Calí Tzay, besuchte das Territorium Térraba im Dezember 2021 und sprach im Anschluss daran seine Besorgnis darüber aus, "dass der costa-ricanische Staat das Indigenengesetz, das den Staat zur Rückgabe von indigenem Land verpflichtet, seit über 40 Jahren nicht umsetzt".
Weiterhin äußerte sich Calí Tzay beunruhigt über die Versuche, die Morde an den Aktivisten zu Einzelfällen zu erklären: "Es ist besorgniserregend, dass der Staat die Ermordung der beiden indigenen Anführer Sergio Rojas und Jehry Rivera bisher nicht in den Kontext des Konflikts um die Rückgewinnung von indigenem Land gestellt hat, und dass die Gerichtsverfahren in diesen beiden Fällen nicht vorangekommen sind."
Im Falle der Ermordung von Rivera Rivera ist zwei Jahre nach der Tat noch kein Urteil gesprochen worden. Der mutmaßliche Mörder ist auf freiem Fuß. Im vergangenen Oktober ist das Hauptverfahren eröffnet worden. Die Eltern des Aktivisten warten nun gemeinsam mit der Landrechtsbewegung von Térraba auf einen Termin für die Gerichtsverhandlung.
Mit den anstehenden Veranstaltungen soll aber bereits jetzt deutlich gemacht werden, dass man trotz der Morddrohungen, der tödlichen Gewalt und des strukturellen Rassismus in den staatlichen Behörden nicht bereit ist, die Verletzung der gesetzlich verankerten Landrechte auf Dauer zu akzeptieren.