Deutsche Rüstungsexporte am Pranger
Ein Dokumentarfilm berichtet Neues und fasst Bekanntes zusammen
Die Vorgeschichte
Am 19. April 2010 erstattete Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, Strafanzeige gegen H&K wegen illegaler Exporte von G36-Sturmgewehren in mexikanische Krisenregionen. Lange Zeit musste die Staatsanwaltschaft Stuttgart "zum Jagen getragen" werden. Erst ein halbes Jahr nach der Strafanzeige -- im Dezember 2010 -- wurden die Büros der Waffenfabrik erstmals durchsucht. Damals vertrat der Rechtsanwalt Holger Rothbauer, der Jürgen Grässlin vertritt, die Ansicht <http://www.juergengraesslin.com/index.php?seite=Pressemit_Hausdurchsuchung_HK_2010-12-22.htm>, dass sich mit den bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Dokumenten der hinreichende Tatverdacht des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz belegen ließe. Deshalb sollte die Staatsanwaltschaft Anklage erheben. Dies ist bis heute nicht geschehen. Andererseits ist das Verfahren auch nicht eingestellt worden.
Bis April 2013 hatte sich immerhin so viel Druck aufgebaut, dass H&K einen Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin fristlos entließ -- zwei Bauernopfer, die angeblich die illegalen Exporte nach Mexiko zu verantworten hätten. Ein Eigentor, denn die beiden klagten gegen ihre Entlassung und der Fall wurde Anfang Dezember 2013 in einem überfüllten Gerichtssaal beim Arbeitsgericht in Villingen-Schwenningen verhandelt. Zu einem Urteil konnte sich das Gericht nicht durchringen. Die Parteien erhielten eine Frist, sich außergerichtlich zu einigen. Doch den Medienrummel anlässlich des Arbeitsgerichtstermins hätte sich das Unternehmen sicher gern erspart.
Der Film -- alte und neue Erkenntnisse
Das Filmteam von Daniel Harrich recherchierte im September 2013 in Mexiko. Schon zuvor waren Unterlagen der mexikanischen Regierung aufgetaucht, die belegen, dass die G36-Gewehre nicht zufällig in jene vier Bundesstaaten geraten waren, die laut Ausfuhrgenehmigung nicht beliefert werden durften. Rund die Hälfte der exportierten Waffen gingen direkt in die verbotenen Bundesstaaten. Dies ging aus einem im Internet zugänglichen Dokument des mexikanischen Verteidigungsministeriums (SEDENA) hervor. Das Dokument existierte zwar schon seit März 2011, aber es bedurfte der Recherchearbei <http://jungle-world.com/artikel/2013/09/47219.html>t des Journalisten Wolf-Dieter Vogel, der es im Herbst 2012 entdeckte, um dies öffentlich zu machen. Dem Dokument ist zu entnehmen, dass von der besagten Lieferung 2113 Sturmgewehre nach Chihuahua, 198 nach Jalisco, 1924 nach Gurrerro und 561 nach Chiapas gelangten.
Davon abgesehen vertreten sowohl W.-D. Vogel als auch Rául Benítez Manaut von der Autonomen Universität in Mexiko-Stadt die Ansicht, dass es völlig realitätsfern sei anzunehmen, man könne derartige Lieferbeschränkungen praktisch umsetzen, insbesondere in einem Land wie Mexiko. Manaut bezeichnete eine solche Beschränkung als Beruhigungspille für die deutsche Öffentlichkeit. In dem anschließenden Interview bestreitet der SEDENA-Vertreter Raul Manzano Vélez rundweg, dass Lieferbeschränkungen für bestimmte Bundesstaaten überhaupt existiert hätten. Die SEDENA habe weder offiziell noch inoffiziell Kenntnis davon erhalten.
Außerdem gibt es eine Diskrepanz bei den Angaben zur Gesamtzahl der exportierten G36-Gewehre. Der Politikwissenschaftler Carlos Perez Ricart von der Gruppe México via Berlín stellte in einer kürzlich erschienenen Publikation <http://mexicoviaberlin.org/wp-content/uploads/2014/02/MVB-AG-2014-002.pdf>die Angaben der deutschen Regierung, dass sie den Export von insgesamt 8.769 G36-Gewehren bewilligt habe, in Kontrast zu einer offiziellen Auskunft der mexikanische Regierung, in der der Import von 10.082 Stück beschrieben wird. In einer anderen, ebenfalls offiziellen Auskunft nennt die mexikanische Regierung für den gleichen Zeitraum 9.652 Stück. Man kann es drehen wie man will -- auf jeden Fall scheinen mehrere Hundert Stück dieses angeblich so strikt kontrollierten Exportguts ohne Registrierung nach Mexiko gekommen zu sein.
Doch "Waffen für die Welt -- Exporte außer Kontrolle" präsentiert nicht nur eine eindrucksvolle Zusammenfassung bereits bekannter Tatsachen. Im Film kommen auch neue Tatsachen ans Licht. Dazu zählt, dass die mexikanische Regierung in den Jahren 2003/2004 an einem Lizenzvertrag mit H&K "interessiert war". Es wird ein Dokument gezeigt, dass Perez Ricart auf der Grundlage des mexikanischen Informationsfreiheitsgesetzes erlangt hat, dem zu entnehmen ist, dass umgerechnet 1,2 Millionen Euro für "Technologietransfer" geflossen sind. Der Politikwissenschaftler verweist darauf, dass das mexikanische Finanzministerium für eine Lizenz von H&K vier Jahre lang Geld auf ein Konto in Deutschland überwiesen hat. Aus unbekannten Gründen kam es jedoch zu keiner Produktion von G36-Gewehren. Ebenso unklar ist, ob die deutschen Behörden jemals die Genehmigung für einen solchen Technologietransfer erteilt haben. Sowohl die deutsche Regierung als auch H&K schweigen sich dazu aus. Mit der Eröffnung
einer neuen Waffenfabrik im Bundesstaat Queretaro im Jahr 2006 begann die Produktion des Schnellfeuergewehrs FX05, das dem G36 verblüffend ähnelt. Mittlerweile wurden davon über 60.000 Stück produziert. Ob und wenn ja, wieviel von dem erwähnten Technologietransfer in die FX05-Produktion eingeflossen ist, wird wohl erst klar werden, wenn es zu einem Strafprozess gegen H&K kommt.
Ein "Low-Profile" Akteur kommt ins Spiel
Die Fertigungstechnik des Werks in Queretaro "stammt zum Teil aus Deutschland", heißt es in dem Film. Der geht anschließend zur Fritz Werner Holding GmbH über, die nicht nur das Werk in Queretaro ausgerüstet hat. Ihre Spuren sind in zahlreichen repressiven bzw. von Krisen geschüttelten Ländern zu finden -- neben Mexiko sind es Kolumbien, Burma (Myanmar), Iran, Irak, Nigeria, Sudan und die Türkei. Der Konfliktforscher Roman Deckert beschreibt, wie die "in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte" Firma Fritz Werner von der Bundesregierung als Schlupfloch benutzt wurde, um zu behaupten, dass sie einen Export von Waffen und Munition in Krisenländer nicht genehmigen würde, wobei sie verschweigt, dass stattdessen gleich ganze Waffen- und Munitionsfabriken dorthin geliefert werden. Laut Wikipedia-Eintrag fungieren die dort errichteten Fabriken als Zweigwerke des Mutterunternehmens. Dabei befand sich das Unternehmen Fritz Werner über viele Jahre mehrheitlich im Bundesbesitz. Im Film
als "Instrument des kalten Krieges" bezeichnet, ist die Firma -- wie das Beispiel Mexiko zeigt -- auch anderthalb Jahrzehnte nach Ende des kalten Krieges noch am Bau von Waffen- und Munitionsfabriken in "befreundeten" Ländern mit zweifelhafter Menschrechtssituation beteiligt.
URL: https://amerika21.de/analyse/97145/ruestungsexporte-am-pranger