"Wir schaffen Projekte für das Leben und dem Staat ist das scheißegal"

Garífuna-Bevölkerung wehrt sich gegen Verfolgung und Bedrohung

Von Giorgio Trucchi, LINyM / Kaos en la Red (dt. Übersetzung Ökubüro, München)

(15. August 2019). Die Garífuna-Bevölkerung in Honduras steht unter Beschuss: Da sind die Ausbeutung von Rohstoffen, Energieprojekte, Agrarexportindustrie, Tourismus und Erdölförderung. Hinzu kommen die Präsenz des organisierten Verbrechens und der Drogenhandel samt der Ineffizienz und Komplizenschaft des Staates. All dies zusammen bedeutet eine ernsthafte Gefahr für die Zukunft dutzender Gemeinden, die sich gegen die drohende zweite Vertreibung der Garífuna zur Wehr setzen.(1)

1997 vergab das Nationale Agrarinstitut INA für die 980 Hektar des Territoriums von Vallecito im Departement Colón im Norden von Honduras Landtitel zugunsten der Garífuna. Ein Jahr später besetzte der, inzwischen verstorbene, Großgrundbesitzer und Palmölproduzent Miguel Facussé Barjum einen Teil des Gebietes, um dort afrikanische Ölpalmen anpflanzen zu lassen.

Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs bewirkte, dass der Oligarch von seinem Vorhaben abließ. Dafür rissen sich einige Monate später mit den organisierten Verbrechen verbündete Personen nahezu 80 Prozent des Garífuna-Territoriums in Vallecito unter den Nagel. Und sie bauten dort eine geheime Landpiste für den Drogentransport.

2013 wurden die Grundstücke in Vallecito neu vermessen und die Garifuna-Gemeinschaft, die der Organisation OFRANEH angehört, beschloss ihr Recht auf kollektiven Besitz dort wahrzunehmen. Trotz der Schikanen, Drohungen, Sabotageakte und der permanenten Belagerung, startete OFRANEH Projekte für Ernährungssouveränitat, durch die später tausende Familien eine Zukunft haben sollten. Die Drohungen hörten jedoch nie auf, so dass die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte Schutzmaßnahmen für die Gemeinde anordnete. Ebenso wie die Garífuna-Leitungsperson Miriam Miranda, die ebenfalls Schutzmaßnahmen zugesprochen bekam, lebt Vallecito dennoch weiter unter permanenter Beunruhigung und Bedrohung.

Der Polizeischutz, den der Staat 2014 und 2015 bereit stellte, wurde ohne jede Erklärung plötzlich abgezogen.
„In den letzten Monaten hat die Präsenz schwer bewaffneter Leute zugenommen“, erklärt Miriam Miranda: „Sie durchbrechen den Zaun oder kommen mit Motorrädern und Autos auf das Gebiet von Vallecito. Die Gemeinde ist sehr in Sorge.“ Die Koordinatorin von OFRANEH berichtet auch, dass tätliche Angriffe sich vervielfacht haben: „ Am 2. August haben Bewaffnete auf einige Mitglieder von OFRANEH geschossen, die sich zwischen der Lagune und dem Strand aufhielten. Zum Glück erreichten die Kugeln sie nicht und sie konnten fliehen und sich verstecken. Gestern haben wir dann erneut Fahrzeuge mit Bewaffneten entdeckt.“

Und der Staat? Alles ok, danke...

Miranda beklagt die Untätigkeit der staatlichen Behörden: „Die Polizei selbst hat uns wiederholt gesagt, wir sollten uns keine Sorgen machen. Sie würden diese Personen kennen. Ja, es seien ‚ihre Freunde’. Wir sind also total schutzlos“, betont die Garifuna-Leiterin. Im Februar 2019 wurde eine Vereinbarung mit dem staatlichen Schutzmechanismus(2) unterschrieben, um die Sicherheit von Vallecito zu garantieren. Bis heute gab es keinerlei Reaktion. „Ich bin mehrfach nach Tegucigalpa gefahren, um zu fordern, dass die Vereinbarung umgesetzt wird. Leider müssen wir feststellen, dass es seitens des Staates keinerlei politischen Willen gibt, unsere Projekte und unser Leben zu schützen. In Wahrheit wollen sie, dass wir gehen. Hier kann es jeden Moment zu einem Massaker kommen“, äußert Miranda sehr besorgt.

Projekte für das Leben

Die Einwohnerinnen und Einwohner von Vallecito legen mit Unterstützung von OFRANEH Baumschulen für Kokospalmen an. Kokosprodukte sind eine wichtige Grundlage für den Fortbestand der Garífuna-Kultur. Geplant ist auch ein Projekt für die Produktion von Casabe(3). Es soll von einer Frauenkooperative betrieben werden.

„Wir werden an die 107 Hektar mit Kokospalmen bepflanzen. Hier geht es um Ernährungssouveränität. Es geht um ein Projekt, das Hoffnung macht, das Leben schafft, die Armut reduziert und verhindern hilft, dass ganze Familien das Land verlassen. Wie kann es sein, dass es den Staat kein bisschen interessiert, ein Territorium und eine Bevölkerung zu schützen, die Lebensgrundlagen für die Jugend und die Garífuna schaffen?“, fragt sich Miriam Miranda. Dies scheint umso absurder, wenn man bedenkt, dass Honduras derzeit die höchsten Raten an Armut und extremer Armut in ganz Zentralamerika aufweist und dass etwa 300 Menschen täglich auf der Flucht vor Gewalt, Not und Mangel an Möglichkeiten das Land verlassen. „Es sind die Territorien unserer Vorfahren und wir sind der Zukunft unserer Leute verpflichtet, ihrem Wohlergehen, ihren Rechten. Leider treibt der Staat im Gegensatz dazu anscheinend insgeheim einen Plan voran, der unsere Territorien menschenleer macht. Aber in Vallecito werden wir das nicht zulassen“, beschließt die Garífuna-Leiterin das Gespräch.

(1) Die erste Vertreibung fand Ende des 18. Jahrhunderts von der Antilleninsel San Vicente an die Karibikküste des heutigen Belize, Guatemala und Honduras statt. (Anmerk. d.Ü.)
(2) Der Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Medienschaffende in Sozialen Medien und Justizangestellte ist ein vorbeugendes Instrument, das unverzügliche Ermittlungen ergänzen soll. Es soll Täter abschrecken, Risiken für Menschenrechtsverteidiger mindern und die angezeigten Diffamierungs- und Kriminalisierungskampagnen sowie Drohungen aufdecken helfen.
(3) Fladenbrot aus Maniokmehl, traditionelles Grundnahrungssmittel an der Nordküste von Honduras

Fotos: OFRANEH

Quelle: https://kaosenlared.net/honduras-generamos-proyectos-de-vida-y-al-estado-le-importa-un-carajo/

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