„Wir kennen die Verbindungen zwischen Unternehmen und bewaffneten Gruppen, aber es gibt keine Ermittlungen“
Gespräch mit der honduranischen Menschenrechtsverteidigerin Esly Banegas über Landkonflikte in Anbaugebieten von Ölpalmen und mögliche Lösungen
Honduras gehört zu den zehn größten Produzent:innen von Palmöl weltweit. Im Tal des Aguán-Flusses beanspruchen wenige große Unternehmen die Ländereien für Ölpalm-Plantagen für sich. Die lokalen kleinbäuerlichen Genossenschaften werden immer wieder vertrieben. Über 150 ihrer Mitglieder wurden seit 2010 ermordet. Während seit dem Amtsantritt der Regierung von Xiomara Castro zunächst illegale bewaffnete Gruppen die Kooperativen und sozialen Organisationen terrorisierten, ist seit Oktober 2023 auch die Gewalt staatlicher Repressionsorgane zurückgekehrt. 800 Polizisten räumten am 2. Oktober die kleinbäuerliche Empresa Asociativa Campesina Isletas (EACI) gewaltsam. Beim Versuch der Bewohner:innen von EACI auf ihr Land zurückzukehren, wurde zwei Wochen später der 24-jährige Kevin Meza erschossen. Mutmaßlich von Polizisten, die in der Dunkelheit auf die Rückkehrer:innen feuerten. Am 12. September 2023 sprachen wir mit Esly Banegas, der Koordinatorin der sozialen Organisation COPA aus dem Aguán-Tal, über die Hintergründe des Konfliktes und den bisher vergeblichen Versuch ein Abkommen mit der Regierung umzusetzen.
ESLY BANEGAS: Dieses Tal (des Agúan-Flusses d. Red.) war einmal eines der fruchtbarsten in Lateinamerika. Heute ist es vielleicht nur noch eines der fruchtbarsten Zentralamerikas. Denn die Entwaldung ist enorm und 60 Prozent des Aguán-Tal sind in zwischen mit Ölpalmen bepflanzt. Die Fruchtbarkeit hat viele agroindustrielle Unternehmen angezogen und das wiederum bedeutete Repression und den Verlust von Menschenleben für die kleinbäuerlichen Familien.
FRAGE: Wie kam es dazu, dass sich im Aguán Tal Kleinbauern und -bäuerinnen ansiedelten und warum haben sie dann ausgerechnet Ölpalmen angepflanzt?
ESLY BANEGAS: Das Aguán-Tal war Teil der Agrarreform der 1970er Jahre. Durch das Gesetz über die Agrarreform 1974 konnten sich dort kleinbäuerliche Familien und Kooperativen ansiedeln, die von dem Gesetz profitieren sollten. Menschen aus verschiedenen Gegenden des Landes, aus dem Süden, Westen und Osten, kamen ins Aguán-Tal. Das war eine vom Nationalen Agrarinstitut veranlasste Migration. Das Institut hat ganze Familien, Gruppen, sehr viele Menschen, umgesiedelt. Sie kommen im Agúan an und da zwingt man sie, afrikanische Ölpalmen zu pflanzen. Dabei hatten sie doch immer Mais angebaut, Bohnen und Reis. Die Grundnahrungsmittel der kleinbäuerlichen Familien und eigentlich von ganz Honduras.
„Die Kämpfe im Aguán-Tal gingen von Anfang an um den Zugang zu Land, aber auch um das Recht auf Nahrung.“
Man hat ihnen auferlegt, afrikanische Ölpalmen anzupflanzen, die sie überhaupt nicht kannten. Dagegen formierte sich Widerstand und es kamen Techniker des Nationalen Agrarinstituts zu Tode. Die Kämpfe im Aguán-Tal gingen von Anfang an um den Zugang zu Land, aber auch um das legitime Recht zu überleben, das Recht auf Nahrung. Und dagegen standen immer Repression und Militarisierung. Anfangs war es zumindest möglich, dass die kleinbäuerlichen Familien sich legal organisierten. Mehr aber auch nicht. Alle weiteren Rechte, mussten sie sich erkämpfen. Später verschlossen sich alle Möglichkeiten: In den 90er Jahren wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das die Konzentration von Land in den Händen weniger begünstigte. Und die machten sich prompt im Aguán breit. Da waren auch Unternehmen von ausländischen Personen dabei, die in keinem Fall Begünstigte des Agrarreform-Gesetzes waren. Es begannen viele Drohungen, Verfolgung, Entführungen und Morde an Kleinbauern. Auf diese Weise haben sie sich des Landes bemächtigt, den kleinbäuerlichen Familien wurde das Land entrissen. Und dann kam der Staatsstreich. Die Militarisierung und die strafrechtliche Verfolgung gegen die Führungspersonen der Campesinos wurde noch brutaler. Und es kam zu 150 Morden an Kleinbauern - vom Putsch 2009 bis zum Amtsantritt der Regierung von Xiomara Castro. Und zu einer Welle der Verfolgung gegen diejenigen, die ihre Rechte verteidigen wollten. Gleichzeitig wurden bewaffnete Gruppen gegründet, die sich sogar in die bäuerlichen Organisationen infiltrierten. Dadurch konnte in die Erzählung in die Welt gesetzt werden, dass sich die Campesinos gegenseitig umbringen.
FRAGE: Was hat sich unter der neuen Regierung von Xiomara Castro verändert?
ESLY BANEGAS: Der Amtsantritt von Xiomara machte den Familien große Hoffnung. Die Hoffnung gründete sich darauf, dass wir mit ihr gemeinsam Widerstand geleistet hatten (gegen den Putsch 2009, d. Red.). Die Bevölkerung und die Organisationen hatten eine lange Geschichte des Kampfes hinter sich, denn die Konflikte haben tiefe historische Wurzeln und niemals wurde wirklich eine Lösung gesucht. Mit der neuen Regierung haben wir am 22. Februar 2022 ein Abkommen unterschrieben. Xiomara war da gerade mal einen Monat im Amt und sie hatte sich dafür eingesetzt, einen Ausweg aus der Problematik zu finden. Jedenfalls hatten wir gedacht, dass es die politische Entschlossenheit gab, Lösungen zu finden. Aber bisher hat das Abkommen nur dazu geführt, dass die Morde an unseren Compañeros campesinos weitergehen.
Heute kommt noch die Verteidigung des Nationalparks hinzu, gegen die Tagebaue von Lenir Pérez und seiner Ehefrau Ana Facussé. Die Familie Facussé ist im Agrarsektor tätig, also im Landraub gegen Kleinbauern, und inzwischen eben auch noch im Bergbau, was wiederum Gefängnis und Tod für unsere compañeros bedeutet, die die Umwelt und den Zugang zu Land verteidigen.
„Die Agrarkommission hat bereits einen Bericht vorgelegt, in dem die Illegalität der Landnahme klar dargelegt wird.“
Wir haben also ein Abkommen unterschrieben, aber es geht nichts voran. Wir wollen, dass alle vereinbarten Kommissionen anfangen, zu arbeiten. Die Agrarkommission hat bereits einen Bericht vorgelegt, in dem die Illegalität der Landnahme klar dargelegt wird. Nicht einmal diejenigen Gesetze (zu Gunsten der Palmölbarone und Agrarkonzerne d.Red), die gemacht wurden, um Landraub und Landkonzentration zu ermöglichen, wurden eingehalten. Und jetzt gibt es wieder Verfolgung und es wird versucht, alles zu boykottieren.
Wir meinen, dass das Problem tief in der Narcodiktatur verwurzelt ist, in den Beziehungen zum organisierten Verbrechen. Die Drogenkartelle haben sich in unserer Region stark ausgebreitet und seit bestimmte Mitglieder der Kartelle an die USA ausgeliefert wurden, fangen sie an, in New York über ihre Verbündeten, ihre Komplizen bei den illegalen Aktivitäten zu reden.
FRAGE: Was steht denn noch in dem Abkommen der Kooperativen und kleinbäuerlichen Betriebe aus dem Aguán-Tal mit der honduranischen Regierung?
ESLY BANEGAS: Das Abkommen vom 22. Februar 2022 sieht auch die Einrichtung einer Drei-Parteien-Kommission vor. Sie soll all die Menschenrechtsverletzungen untersuchen, die Morde, die straflos blieben, sowohl die aus früheren Zeiten, als auch die aktuellen in der Regierungszeit von Xiomara Castro. Außerdem sollen Reparationen für die Opfer geleistet und dafür gesorgt werden, dass die Geschehnisse sich nicht wiederholen. Und schließlich sollen die Verantwortlichen für die Verbrechen bestraft werden. Ein für alle Mal soll der Zugang zur Justiz und zu Land geregelt werden. Es müssen endlich die Rechte derer anerkannt werden, die Landtitel haben, die ihre Dokumente haben, zum Beispiel über die Freiheit von Hypotheken für die Kooperativen. Und die Verfolgung der Kleinbauern muß endlich aufhören.
Aber, was soll ich sagen? Wir versuchen seit Februar, dass die Dreier-Kommission endlich eingesetzt wird. Seit neun Monaten sind wir in einer Besprechung nach der nächsten und warten auf ein Resultat. Wir haben die Arbeitsrichtlinien für die Kommission ausgearbeitet, wir haben die Kommissionsmitglieder von unserer Seite bestimmt. Denn es soll ja Mitglieder von uns als Opferorganisationen geben, von Regierungsseite und vom Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte. Deshalb sprechen wir von einer Dreier-Kommission. Eine Arbeitssitzung nach der nächsten seit Februar und jetzt behauptet die Regierung, es gebe keine Haushaltsmittel. Am 22. Februar 2022 haben wir das Abkommen unterzeichnet. Im September hätten sie Haushaltsmittel dafür bereitstellen können. Haben sie nicht gemacht. Jetzt wird wieder der Haushalt diskutiert und sie rechtfertigen sich wieder damit, dass es keine Mittel gebe.
„Kürzlich warteten Schwerbewaffnete vor der Tür unseres Büros. Diese Leute sind bereit zu töten.“
Wir haben versucht, Druck zu machen. Demonstrationen in Tegucigalpa. Versammlungen, Kundgebungen, verschiedene Aktionen, damit endlich diese Kommission eingerichtet wird. Denn solange das nicht der Fall ist, geht die Verfolgung weiter. Kürzlich warteten Schwerbewaffnete vor der Tür unseres Büros. Diese Leute sind bereit zu töten. Wir sind verzweifelt und fordern, dass endlich etwas getan wird. Wir haben Anzeigen erstattet über die Verfolgung mit Autos und Motorrädern. Die Farbe, die Marke, alles haben wir angegeben. Aber sie wechseln ihre Fahrzeuge ständig und machen dann eben mit einem anderen weiter. Unsere Häuser überwachen sie regelmäßig mit Drohnen. Wir wissen, dass die Agrarindustrie-Unternehmen dahinter stecken. Wir wissen, dass die Chefs ihrer privaten Sicherheitsunternehmen sich mit bewaffneten Gruppen verbündet haben, die uns bedrohen. Dass es Todeslisten gibt.
Am 11. Januar haben wir deshalb Miguel Mauricio Facussé angezeigt. Er ist der Eigentümer des Unternehmens DINANT. Wir haben bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gestellt und eine Woche später wurde einer unserer compañeros ermordet: Omar Cruz, der Vorsitzende der Kooperative Los Laureles. Wir haben am 11.Januar die Anzeige eingereicht, am 18. wurde er ermordet. Wir kennen die Verbindungen zwischen Unternehmen und bewaffneten Gruppen, aber es gibt keine Ermittlungen in dem Fall, gar nichts. Sie versuchen stattdessen, den friedlichen und gewaltfreien Kampf von Organisationen wie COPA, der Agrarplattform und anderer zu delegitimieren.
FRAGE: Wir haben in den letzten Tagen viel über das deutsche Lieferkettengesetz gesprochen. Könnte dieses Gesetz etwas an der Situation ändern, wenn es zum Beispiel auf Palmöl angewendet würde?
ESLY BANEGAS: Nun ja, es gibt offenbar hier gesetzliche Regelungen, wie das Lieferkettengesetz, durch die in bestimmten Fällen manche deutschen Unternehmen sanktioniert oder bestraft werden könnten, wenn Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette nachgewiesen werden. Das könnte Unternehmen in Deutschland betreffen, die Menschenrechte verletzen in dem sie Produkte wie etwa Palmöl aus Honduras oder generell aus Zentralamerika importieren. Aber leider trifft das nicht den Kern des Problems. Man hat uns gesagt, dass hierzulande Palmöl benutzt und konsumiert wird, aber es wird nicht direkt nach Deutschland geliefert. Die Strategie ist, dass es über dritte Länder hierher kommt. Und in dem Fall greift das Gesetz nicht. Für mich ist das schon strategisch: Handelsbeziehungen über mehrere Länder herstellen, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden – nicht in einem Land wie dem unseren, wo permanent Menschenrechte verletzt werden und hier auch nicht. Ich fürchte also auf diesem Weg gibt es wenig Hoffnung. Ich sage nicht, keine Hoffnung, denn wir können schon weiter Informationen sammeln und es gibt eine Instanz, um Beschwerden einzureichen, aber wir denken, dass auf diesem Weg doch eher wenig möglich ist.
Wir haben wenig Erwartungen, dass das zu etwas führt.Anders ist das mit der internationalen Solidarität. Hier sehen und spüren wir dass diese Solidarität real ist, und nicht erst seit heute, sondern seit vielen Jahren gibt es diese Vernetzung und Solidarität. Sie hält sich und mit der Zeit gibt es weitere Verbindungen zu compañeras und compañeras.
„Wir müssen versuchen, mehr Einfluss zu gewinnen, mehr Räume, in denen wirklich Entscheidungen getroffen werden können.“
Bei der Politik hier haben wir eher eine Tendenz gesehen, die Macht der Unternehmen zu verteidigen, so wie wir es im Fall des Unternehmens sehen, dass mit dem Flughafen Palmerola verbunden ist. Man sagt uns, dieses Unternehmen sei eben autonom und fälle eigenständige Entscheidungen – auch wenn es eigentlich dem Staat oder einem Bundesland gehört. Einerseits unterstützt man Aktivitäten gegen Menschenrechtsverletzungen, und andererseits die Investitionen derer, die Menschenrechte verletzten. Was bleibt uns da zu tun? Wir müssen versuchen, mehr Einfluss zu gewinnen, mehr Räume, in denen wirklich sichtbar wird, was passiert und echte Entscheidungen getroffen werden können. Damit sich etwas bessert, an dieser Lage die der honduranische Bevölkerung nicht nützt. Womöglich soll es mit Unternehmen die das Leben der Menschen verletzen immer so weitergehen. Wir bräuchten in dieser Situation viel mehr Einflussmöglichkeiten.
FRAGE: Wie sieht das denn auf der Ebene des Konsums aus? Es gibt Studien, die sagen, dass in der Hälfte aller Produkte in den Supermarktregalen in Deutschland Palmöl enthalten ist. Nützt es etwas, wenn wir keine Produkte mit Palmöl mehr kaufen?
ESLY BANEGAS: Ich denke, das ist eine Idee, die einen großen Beitrag leisten könnte. Denn es ist schwierig, sich die Situation bewusst zu machen. Die Mehrheit der Bevölkerung hat keine Ahnung davon und manchmal auch keine Zeit, sich für unsere Kämpfe zu interessieren. Aber ich habe auch den Eindruck, dass es das Engagement hierzulande schwächen kann. Die Gruppen mit stärkerem Bewusstsein können geschwächt werden. Deshalb denke ich, dass eine Kampagne gegen den Konsum dieser Produkte einen Beitrag leisten könnte, aber schwer umzusetzen ist. Möglich und interessant wäre sie. Und sie könnte positive Effekte haben.
Ein anderer Ansatzpunkt sind die Versuche, z.B. des Unternehmens DINANT, eine Zertifizierung nach RSPO zu bekommen. Das heißt, ihre Produktion wäre als nachhaltig und sozial verantwortlich anerkannt. Hier, denke ich, können Organisationen mit ihrer Expertise eingreifen, damit das nicht passiert. Wir wissen, dass die Palmölunternehmen versuchen, sich jeglicher Initiative anzuschließen die ihnen Nutzen bringt. Und da gerade das Thema „Unternehmen und Menschenrechte“ en vogue ist, richten sie eben in ihren Fabriken oder Gebäude ein Büro ein, das sie „Menschenrechtsbüro“ nennen. Damit haben sie dann dem Gesetz über Unternehmen und Menschenrechte Genüge getan. In Wirklichkeit machen sie sich damit über ein Gesetz lustig, das sehr wohl etwas bringen könnte, gerade auch für die Arbeitenden in den Unternehmen.