Vorläufiger Bericht des europäischen solidarischen Netzwerks von Menschenrechtsverteidiger*innen Honduras Delegation 2016
Vom 21. November bis zum 8. Dezember fand eine Delegationsreise des unabhängigen europäischen Solidaritäts-Netzwerks HondurasDelegation statt. Das Netzwerk bildete sich ein Jahr nach dem Staatsstreich von 2009. Im Mittelpunkt der 5. Delegationsreise der HondurasDelegation standen die Auswirkungen der globalen neoliberalen Ökonomie auf indigene Gemeinden und soziale Bewegungen.
Ziel dieser Delegation ist es, die Menschenrechtssituation in Honduras über verschiedene Medien bekannt zu machen und vor dem Europäischen Parlament und anderen nationalen wie internationalen Institutionen zu präsentieren. Wir haben im Zentrum und im Norden des Landes 18 verschiedene Organisationen besucht, darunter Casa Alianza, Asociación ARCOIRIS, COFADEH (Komitee der Familienangehörigen von Verhaftet-Verschwundenen von Honduras), um die aktuelle gesellschaftlich-politische Lage sowie die Herausforderungen, denen die einzelnen Organisationen gegenüber stehen, kennenzulernen.
Im Verlauf der Reise haben wir uns im Department Colón mit in OFRANEH organisierten Garífuna-Gemeinden getroffen, mit Tolupan-Gemeinden im Department Yoro, die sich in der MADJ (Breite Bewegung für Würde und Gerechtigkeit) koordinieren und mit Lenca-Gemeinden, die der Organisation COPINH (Ziviler Rat für indigene und Basisbewegungen Honduras) im Department Intibucá angehören.
Während unserer Reise identifizierten wir zwei Faktoren, von denen der überwiegende Teil der von uns besuchten Organisationen betroffen sind und die zu einer Begrenzung der gesellschaftlichen und politischen Handlungsspielräume führen.
Lokale Auswirkungen der globalen neoliberalen Ökonomie durch multinationale Investitionen
Die emblematischsten Fälle, denen die indigenen Gemeinden in der Bucht von Trujillo gegenüberstehen, sind von Investitionen im Bereich Tourismus und Immobilien (hauptsächlich mit kanadischem Kapital) sowie vom Aufbau einer Erdölraffinerie auf dem Territorium der Garífuna und der Einführung von "Zonen der Beschäftigung und ökonomischen Entwicklung" (ZEDE), besser bekannt als "Modellstädte" oder "Charter Cities" betroffen. Die direkte Auswirkung dieser Projekte ist die widerrechtliche Aneignung von Gemeindeland der Garífuna, was auf gewaltsame Vertreibung und das Verschwinden ihrer Gemeinden hinausläuft.
Im Department Yoro leiden die Gemeinden der Tolupanes in San Francisco de Locomapa unter der illegalen Ausbeutung ihrer Wälder durch Holzunternehmen sowie unter dem heimlichen Abbau von Antimon-Vorkommen durch Bergbauunternehmen. 17 Indigene wurden aufgrund ihres Widerstandes dagegen ermordet.
Der Bau des Wasserkraftwerkes Agua Zarca durch das Unternehmen DESA (Desarrollo Energéticos S.A.) würde fruchtbare Böden vernichten und würde den Zugang zum Fluss einschränken und damit das Überleben der Gemeinden Rio Blancos bedrohen. Das Projekt ist finanziert durch die niederländische Entwicklungsbank (FMO), die finnische Finanzinstitution FINNFUND und die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftliche Integration (BCIE). Das deutsche Unternehmen Voith-Hydro, dessen größter Aktionär SIEMENS ist, wird die Turbinen für dieses Projekt liefern. Die Durchsetzung Agua Zarcas ohne freie, vorherige und informierte Konsultation hat den sozialen Zusammenhalt der Gemeinden gebrochen, wobei es zu steigender Gewalt von Seiten der Polizei, des Militärs, der privaten Sicherheitsfirmen und Auftragsmördern geführt. Die Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich dem Projekt entgegen stellen, und ihre Familien in den betroffenen Gemeinden, leiden unter Verfolgung, Mordversuchen und Todesdrohungen. Mehrere Angehörige der Lenca wie das führende Gemeindemitglied Tomás García (2013) und die Koordinatorin COPINH´s Berta Cáceres (2016) wurden ermordet. Die Mehrzahl dieser Taten bleibt straffrei.
Systematische Diffamierung und Kriminalisierung von Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen
Vertreter*innen der besuchten Organisationen berichteten von permanenter Einschüchterung und Kriminalisierung aufgrund ihrer Arbeit. In der Ausübung der Verteidigung der Menschenrechte gehen sie ernsthafte Risiken ein, die ihr tägliches Leben beeinflussen. Viele von ihnen sehen sich verpflichtet, verborgen zu leben, ihren Wohnort öfters zu wechseln und wegen der Gefahr entführt zu werden, die täglichen Wege zu ändern. Sie befürchten Einbruch und selektiven Diebstahl in ihren Büros sowie direkte Attentate und Folter.
Es wird ein feindliches Klima geschaffen, in dem Angst herrscht, sich öffentlich zu äußern. Verschiedene Medien und Erklärungen von Funktionären der Regierung sind Teil von Diffamierungskampagnen gegen Organisationen und Einzelpersonen.
Wir haben Zeugenaussagen über Kriminalisierung gegen indigene und Garifuna-Gemeinden gehört, die in Prozessen der Wiedererlangung und Verteidigung ihrer ihnen per Landtitel zustehenden Territorien teilnehmen.
Während unserer Reise sind wir einer organisierten Zivilgesellschaft begegnet, die den vulnerablen Teilen der Bevölkerung in ihren Kämpfen beisteht und für eine Schaffung einer gerechten, demokratischen, offenen und transparenten Gesellschaft eintritt. Wir teilen ihre Sichtweise einer pluralen inklusiven Gesellschaft, in der alle Akteure der Zivilgesellschaft frei handeln und sich frei ausdrücken können - eine Gesellschaft frei von Gewalt, die Interkulturalität lebt, in der ein Dialog voran getrieben wird und es kreative, offene Räume gibt.
Insofern fordern wir vom honduranischen Staat:
- Die vollständige Umsetzung der ILO-Konvention 169, die 1995 von Honduras ratifiziert wurde, unter Berücksichtigung der Forderungen der indigenen Gemeinschaften in Bezug auf die Anerkennung ihrer traditionellen Landtitel und der bedingungslosen Anerkennung ihrer Autonomie hin zu einer ihrer Kosmovision und ihren eigenen Vorstellungen von der Entwicklung entsprechenden nachhaltigen Wirtschaft.
- Ein Ende der permanenten Diffamierung und Kriminalisierung von sozialen Bewegungen und indigenen Völker von Seiten der staatlichen Institutionen und Funktionäre. Die sofortige Beendigung der Verfolgung von organisierten Gemeinden, welche mit Aktionen der territorialen Rückgewinnung, ihre Existenz sichern wollen.
- Die vollständige Umsetzung der Schutzmaßnahmen für Menschenrechtsverteidiger*innen, die von der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte angeordnet wurden und zwar im Einklang mit den speziellen Bedürfnissen der Personen, welchen diese Maßnahmen zugesprochen wurden.
- Die Umsetzung des kürzlich verabschiedeten Gesetzes zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Sozialkommunikator*innen und Mitarbeiter*innen im Justizsystem (2015).
- Die Nicht-Verabschiedung des Artikels Nr. 20 des neuen Strafgesetzes, wodurch der Straftatbestand der „Widerrechtlichen Aneignung von Wasser“ entstehen würde, der Gemeinden und Personen, die Flüsse verteidigen, kriminalisiert.
- Die Bereitschaft zur Einsetzung einer unabhängigen internationalen Kommission, die den Mord an Berta Cáceres untersucht, um die Auftraggeber des Verbrechens zu finden und zu bestrafen.
Außerdem fordern wir von internationalen Institutionen:
- Die Beendigung der ausländischen Investitionen, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen stehen, die Umwelt zerstören und internationale Konventionen missachten.
- Die Überprüfung der internationalen Zusammenarbeit seitens der Europäischen Union, zugunsten einer kohärenten Menschenrechtspolitik.
- Ein Ende der Finanzierung von Institutionen des honduranischen Staates, die schon lange für Pflichtverletzung und Straflosigkeit bekannt sind. Wie etwa das EU-Programm EUROJUSTICIA, das einem höchst umstrittenen Justizsystem große finanzielle Mittel zur Verfügung stellt.
- Die Schaffung von Räumen zur Förderung eines landesweiten inter-institutionellen Dialogs zwischen staatlichen Sektoren und der honduranischen Zivilgesellschaft.
Unser großer Dank gilt allen Organisationen und Gemeinden, die uns empfangen und auf unserer Reise begrüßt haben.
HondurasDelegation Tegucigalpa (Honduras), 9. Dezember 2016