Honduras: "Das Land der Pandemien"
Steigende Infektionszahlen. Tränengas gegen Hungerrevolten. Mehrheit der Bevölkerung wegen Ausnahmezustand ohne Einkommen. Forderung nach Freilassung politischer Gefangener
Von HondurasDelegation
amerika21
Tegucigalpa. Am Donnerstag ist in Honduras der erste Tote, verursacht durch das Coronavirus SARS-CoV-2 in einem Krankenhaus in der nördlichen Handelsmetropole San Pedro Sula gemeldet worden. Bisher wurden 67 Menschen positiv auf das Virus getestet. Die meisten nachweislich Infizierten leben in der Hauptstadt Tegucigalpa und im Departamento Cortés.
Die Infektiologin und ehemalige Gesundheitsministerin Elsa Palou geht davon aus, dass bereits mehr als 5.000 Menschen infiziert sind. Es fehlten jedoch ausreichend Tests im Land. Im Gegensatz zum medizinischen Personal seien Polizei und Militärpolizei mit Schutzkleidung gegen die Ansteckung ausgerüstet.
Der Mitte März ausgerufene Ausnahmezustand und die Verhängung von Ausgangssperren in einigen Städten treffen ein Land "mit der größten Ungleichheit, Elend und Ausgrenzung Lateinamerikas", äußert der Soziologe Eugenio Sosa. Die Mehrheit der Bevölkerung sei dem hilflos ausgesetzt. Es seien Familien, die von informeller, prekärer Arbeit leben und es kaum schaffen, sich den täglichen Lebensunterhalt zu sichern. Laut einer Studie der Weltbank sind 58 Prozent der Beschäftigungen im informellen Sektor.
In den letzten Tagen protestierten trotz der verhängten Ausgangssperre Tausende Menschen in der Hauptstadt Tegucigalpa und an anderen Orten und forderten Lebensmittel und Wasser. Die Polizei ging mit Tränengas gegen sie vor und nahm über 500 Personen fest. Bei der Bevölkerung sorgte vor allem die Festnahme mehrerer Frauen für Unmut, die ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Tortillas verdienen. Auch Kinder, die eine Suppenküche der Frauenorganisation "Red de Defensoras" nutzen wollten, wurden festgenommen. In der Hauptstadt gibt es eine Wasserkrise, viele Stadtteile haben täglich höchstens zwei Stunden Wasser, oft in sehr mäßiger Qualität.
Die Regierung von Präsident Juan Orlando Hernández erlaubte am Montag, Mittwoch und Freitag die Öffnung der Banken. Es wurde berichtet, dass sich schnell lange Schlangen von Wartenden mit oder ohne Schutzmasken bildeten. Ärzte befürchten, dass dadurch die Ausbreitung der Infektion beschleunigt wird. Die zeitweilige Öffnung käme dem Bankensektor zugute, jedoch müssten auch Maßnahmen ergriffen werden, um dem Lebensmittelsektor, den Kleinverkäufern und Landwirten zu helfen, so Wirtschaftsexperten.
Angesichts der drohenden Gefahr durch das Coronavirus stellten Mitglieder der internationalen Plattform "Grupo de Litigantes Contra la Tortura de América Latina", zu der auch die Weltorganisation gegen Folter gehört, am 24. März einen Eilantrag für die sofortige Freilassung von politischen Gefangenen, die zu Unrecht in U-Haft gehalten werden, obwohl sie sich nach internationalem und nationalem Recht in Freiheit verteidigen können müssten. Zu diesen politischen Gefangenen gehören auch acht Umweltschützer aus Guapinol und dem Sektor San Pedro in Tocoa, Colón, die sich gegen die Umweltfolgen von zwei Eisenerzminen in einem Naturschutzgebiet gewehrt hatten.
Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, forderte angesichts der Corona-Pandemie von den Staaten Maßnahmen, um Leben und Gesundheit von Menschen, die auf engstem Raum zusammenleben müssen, zu schützen und besonders die Freilassung bestimmter Gruppen von Inhaftierten zu veranlassen.
Der Arzt und ehemalige Rektor der staatlichen Universität UNAH, Juan Almendares, nennt Honduras das "Land der Pandemien". Es gebe eine Hunger-, eine Wasser-, eine Dengue-, eine Korruptions- und die Corona-Pandemie gleichzeitig. Nur ein integraler Ansatz könne aus der Krise helfen. Einige Wissenschaftler und Politiker fordern deshalb, das Krisenmanagement einem Sachverständigenrat aus Mitgliedern der Ärztekammer, des Antikorruptionsgerichtshofs und des örtlichen Hochkommissariats für Menschenrechte zu übergeben.