Covid-19: Keine Hafterleichterungen für Aktivist*innen
(Tegucigalpa/Berlin, 21. Juni 2020, npla).- Aufgrund der Corona-Pandemie hat die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet weltweit dazu aufgefordert, besonders gefährdete Inhaftierte und solche mit geringen Haftstrafen vorzeitig zu entlassen. Die honduranischen Behörden haben schon damit begonnen. Doch wer tatsächlich vorzeitig aus dem Gefängnis darf, ist fraglich. Denn Umweltaktivist*innen sitzen in Honduras weiter ohne rechtliche Begründung in U-Haft – und gerade ihre Gegner*innen könnten von den Hafterleichterungen profitieren.
Das Corona-Virus ist eine Gefahr für die ganze Bevölkerung – doch einzelne Gruppen sind besonderen Risiken ausgesetzt, darunter auch die Insass*innen von Gefängnissen. Aufgrund von Platzmangel können sie in vielen Ländern nicht den nötigen Sicherheitsabstand einhalten, außerdem müssen sie häufig unter äußerst prekären hygienischen Bedingungen leben. Bereits im März hatte sich deshalb Michelle Bachelet mit einem dringenden Appell an die Staatschefs dieser Welt gewandt: „Die Regierungen müssen Wege finden, um besonders gefährdete Häftlinge zu entlassen, zum Beispiel wenn sie krank oder besonders alt sind“, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in ihrer Videobotschaft. Auch Inhaftierte mit geringen Haftstrafen und politische Gefangene sollten nach Möglichkeit entlassen werden. Der Appell ist in Honduras zumindest zum Teil auf offene Ohren gestoßen. Doch während Inhaftierte wie Teodoro Bonilla, der wegen Korruption verurteilte frühere Vizepräsident des Nationalen Rats der honduranischen Richterschaft, freigelassen wurden, sitzen Umweltaktivisten, die den Guapinol-Fluss im Norden des Landes verteidigen, noch immer illegal in Untersuchungshaft.
Aktivisten oder Kriminelle?
Denn die honduranischen Behörden sehen die acht Männer als Kriminelle, die die wirtschaftliche Entwicklung des Landes behindern. Ihnen wird schwere Brandstiftung sowie Entführung des Mitarbeiters eines Sicherheitsunternehmens vorgeworfen. Sie selbst weisen die Anschuldigungen zurück. Für ihre Unterstützer*innen sind sie Aktivisten, die kriminalisiert werden, weil sie grundsätzliche Rechte wie das Recht auf Wasser und eine intakte Umwelt verteidigen. Seit Jahren protestieren sie gegen den Bau einer Eisenoxid-Mine nahe der Gemeinde Guapinol, wo es schon während der Vorarbeiten zur Verschmutzung der lokalen Flüsse gekommen sei, so die Aktivisten. Nachdem sie im August vergangenen Jahres freiwillig den Kontakt zu den Justizbehörden gesucht hatten, um die gegen sie erhobenen Vorwürfe aus der Welt zu räumen, wurden sie überraschend in Untersuchungshaft gebracht. Dabei sei es zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekommen, erzählt Edy Tábora, der Anwalt der Aktivisten: „Zum einen wurde der Fall von einem Gericht für organisierte Kriminalität verhandelt, das für solche Straftaten gar nicht zuständig ist. Zum anderen hätte die Richterin schon in der ersten Anhörung erklären müssen, warum sie die Beschuldigten in Untersuchungshaft nimmt, doch das hat sie nicht getan.“
Erfolglose Bemühungen
Alle Bemühungen des Anwalts, die Aktivisten aus der Untersuchungshaft zu befreien, blieben bislang ohne Erfolg. Dabei sei es gerade jetzt in der Corona-Krise besonders wichtig, dass die Behörden schnell handelten und die acht Aktivisten aus der Untersuchungshaft entließen, so Tábora. Schließlich seien deren Haftbedingungen äußerst prekär. „Die Inhaftierten sind auf die Hilfe ihrer Familien angewiesen, wenn es um die Versorgung mit Essen, Medikamenten und Wasser geht“, erklärte der Anwalt. Doch aufgrund des Corona-Virus sind Gefängnisbesuche schon seit einigen Wochen nicht mehr möglich.
In einem Brief haben sich nun auch drei Bundestagsabgeordnete von der Linkspartei und den Grünen an das Menschenrechtssekretariat der honduranischen Regierung sowie den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs und die Mitglieder des Berufungsgerichts gewandt. In dem Schreiben kritisieren sie, die Untersuchungshaft sei eine willkürliche Maßnahme, die weder internationalen Menschenrechtsstandards noch dem Recht auf einen fairen Prozess entspreche. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Gesundheitskrise aufgrund von COVID-19 sind die Aktivisten im Strafvollzug besonderen Risiken ausgesetzt. Daher ist es dringlichst geboten, die Unterbringung in Untersuchungshaft durch alternative Maßnahmen zu ersetzen“, heißt es in dem Schreiben.
Wirkungslose Schutzmechanismen
Im vergangenen Herbst fuhr eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten nach Honduras, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Bei einem Treffen mit Vertreterinnen des honduranischen Menschenrechtssekretariats habe man sie über die Mechanismen zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen informiert, erinnert sich Heike Hänsel von der Linkspartei, eine der Unterzeichner*innen des Briefs. „Aber leider klaffen die Version der Regierung und die Situation und Beschreibung der Menschenrechtsaktivist*innen doch sehr weit auseinander, denn wir haben natürlich auch viele Menschenrechtsverteidiger*innen getroffen, die uns berichten, dass ihre Situation nach wie vor sehr gefährlich ist und dass diese Schutzmechanismen sie auch überhaupt nicht erreichen“, so Hänsel. Kein Wunder, meint die Abgeordnete – schließlich seien staatliche Kräfte wie Polizei und Militär in Honduras oft Teil des Problems. Tatsächlich ist die Lage von Menschenrechtsaktivist*innen in dem Land besonders kritisch. Nach Angaben der internationalen Nichtregierungsorganisation „Global Witness“ wurden allein zwischen 2010 und 2017 mehr als 120 Umweltaktivist*innen ermordet. Die Prominenteste von ihnen war Berta Cáceres, die Gründerin und langjährige Koordinatorin der Indigenen-Organisation COPINH. Als international bekannte Umweltaktivistin hatte sie unter anderem gegen die Errichtung des Wasserkraftwerks Agua Zarca gekämpft, das die Lebensgrundlagen des indigenen Lenca-Volkes bedroht. Wegen ihres Engagements wurde sie im März 2016 ermordet. Erst Ende vergangenen Jahres wurden deshalb sieben Männer zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Forderung von UN-Hochkommissarin Michelle Bachelet nach einer Haftüberprüfung für besondere Härtefälle aufgrund der Corona-Pandemie scheint nun auch bei ihnen neue Hoffnung zu wecken.
Regierungsdekrete gefährden Aktivist*innen
In einer aktuellen Stellungnahme übt die Organisation COPINH scharfe Kritik an möglichen Plänen der honduranischen Behörden, zwei der wegen des Mordes an Cáceres verurteilte Männer aufgrund der Corona-Krise freizulassen. Die Organisation will erfahren haben, dass die Anwälte der beiden Männer deren Freilassung „aus gesundheitlichen Gründen“ gefordert hätten. Inwieweit die honduranischen Behörden diesen Forderungen nachkommen könnten, ist allerdings nicht klar. Doch die Erfahrung der vergangenen Wochen zeigt, dass die Regierung im Windschatten der Corona-Krise zahlreiche Dekrete verabschiedet, die die Sicherheit von Aktivist*innen zusätzlich gefährden. So wurde beispielsweise das Recht auf Unverletzlichkeit des eigenen Wohnraums während der Krise ausgesetzt – staatliche Sicherheitskräfte können nun auch ohne richterlichen Beschluss in Privatwohnungen eindringen. „Es gab schon einen Fall im Süden des Landes, wo genau das passiert ist und eine Aktivistin in ihrem Haus festgenommen wurde“, erzählt Menschenrechtsexperte Joaquín Mejía. „Sie kam dann später zwar wieder frei, aber der Fall zeigt, wie die honduranische Regierung den Ausnahmezustand ausnutzt, um grundlegende Rechte von Aktivistinnen und Aktivisten zu verletzen.“
Zu dem Artikel gibt es einen Podcast, den ihr hier hören könnt.