"Sie werden Romero zu einem Heiligen 'light' machen"

files/Bilder/Laender/El Salvador/jaime_con_jovenes.jpgAm 23. Mai 2015 feiert El Salvador in einer offiziellen Zeremonie, zu der zahlreiche Staatsgäste erwartet werden, die Seligsprechung des ehemaligen Erzbischofs der Metropolregion San Salvador, Oscar Arnulfo Romero.
Romero wurde am 24. März 1980 während einer Messe von einem Scharfschützen ermordet. Weder der materielle Täter noch seine Hintermänner wurden jemals für ihre Tat belangt. Weggefährten wie Jaime García von der Organisation Convergencia Monseñor Oscar Romero kritisieren nun heftig, dass die Haltung der Kirchenoberen und der Regierung El Salvadors Romero zu einem "Heiligen ohne Gerechtigkeit" zu machen droht.


Jaime García, Sie sind Teil der Convergencia Monseñor Oscar Romero, eines Zusammenschlusses verschiedener Menschenrechtsgruppen. Worin besteht die Arbeit Ihrer Organisation?
Wir kämpfen seit sieben Jahren für die juristische Aufarbeitung des Falls der Ermordung von Oscar Romero. Dabei ist unsere Hauptforderung die Umsetzung der Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser hatte bereits am 15. April 2000 die Verantwortung des Staates El Salvador für die Ermordung von Monseñor Romero festgestellt. Der Gerichtshof hat ausdrücklich die Pflicht des Staates erwähnt, den Fall vollständig aufzuklären, die Täter zu bestrafen und die Opfer zu entschädigen.
Was bedeutet Oscar Romero für El Salvador?

Für uns ist Oscar Romero das Antlitz Gottes in jedem von uns, der für die Menschenrechte und in den Basisgemeinden für die Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts arbeitet. Monseñor Romero ist unser beständiger Schutzpatron, der uns durch seine Botschaften in unserer Arbeit leitet.

 

1992 wurde der zwölfjährige Bürgerkrieg in El Salvador beendet. Wie hat sich das Land seither verändert? Welche Dinge haben sich verbessert, und welche Probleme bleiben bis heute bestehen? Wieso ist die Frage der Straffreiheit von so großer Bedeutung?
Heute haben wir eine gewisse Freiheit, unsere Meinung auszudrücken. Wir können Forderungen stellen und Anzeigen erstatten. Was aber weiterhin blockiert wird, ist die juristische Aufarbeitung der Verbrechen und die Wiedergutmachung gegenüber den Opfern. Denn die Justiz arbeitet immer noch im Interesse der wirtschaftlichen und politischen Elite des Landes.
Wir haben weiterhin ein hohes Niveau an Gewalt. Jeden Tag werden hier zwischen 18 und 20 Menschen getötet. Das Niveau der Gewalt ist vergleichbar wie zu Zeiten des Krieges. Lediglich mit dem Unterschied, dass wir damals gegen ein militärisches Regime und gegen die Macht der Großgrundbesitzer ankämpften.

 

Welchen Einfluss hat diese militärische und ökonomische Elite heute?
Durch die Friedensverträge wurden Teile der Armee aufgelöst, und der Rest blieb in den Kasernen. Aber heute, mit dem Anstieg der Gewalt, hat die Regierung von Mauricio Funes, also die Vorgängerin der jetzigen Regierung, die Armee wieder auf die Straße geschickt. Und die aktuelle Regierung von Salvador Sánchez Cerén hat nun drei Bataillone aufgestellt, um, wie es heißt, gegen die Gewalt zu kämpfen.

 

Lange hat die Kirche Oscar Romero die Ehre der Seligsprechung verweigert. Wieso hat sich die Meinung der Kirche geändert?
Seit dem Tod des Nachfolgers von Monseñor Romero, Erzbischof Arturo Rivera y Damas, im Jahr 1994 hat sich die katholische Kirche in El Salvador immer mehr vom Dienst an der Bevölkerung abgewendet und sich der wirtschaftlichen Macht angeschlossen.
Sie haben ja auch in Deutschland gehört, dass im Zuge dieser Entwicklung das Archiv des Erzbistums, das ehemalige Rechtshilfebüro für Menschenrechte, durch den derzeitigen Erzbischof von San Salvador, José Luis Escobar Alas, geschlossen wurde. Dort hatten ehedem Persönlichkeiten wie David Morales gearbeitet, der heute der Menschenrechtsombudsmann El Salvadors ist und sich weiter für die juristische Aufarbeitung des Falls einsetzt. Die Kirche hingegen hat schon längst kein Interesse mehr, im Fall Romero, der einer der bedeutendsten für El Salvador ist, Gerechtigkeit walten zu lassen.
Innerhalb der Kirche selbst gab es viel Widerstand gegen die Seligsprechung von Oscar Romero. Eigentlich wollte die Kirche die Figur Monseñor Romeros allmählich aus El Salvador verschwinden lassen. Aber der neue Papst hat die Seligsprechung vorangetrieben, denn er verfolgt einen anderen Ansatz. Franziskus stammt aus Lateinamerika und kennt die Bedürfnisse der armen Bevölkerung. Er hat den Weg für die Seligsprechung geebnet. Aber etlichen Leuten hier in El Salvador hat das überhaupt nicht gepasst. Wir, also das gemeine Volk, das seit der Ermordung von Romero am 24. März 1980 für Gerechtigkeit kämpft, wir freuen uns. Seit damals war Oscar Romero unser Heiliger und gleichzeitig Symbol für unsere Arbeit mit den Menschen. Und wir sind nun mal gegen die Macht der Wirtschaftselite.
Es ist ja bekannt, dass Roberto D'Aubuisson der unmittelbar Verantwortliche für die Ermordung Monseñor Romeros war. Und selbstverständlich trifft die Schuld auch alle diejenigen, die damals die Todesschwadronen finanziert haben, die den Mord dann schließlich durchgeführt haben.

 

Meinen Sie, die Seligsprechung kann etwas an der Situation der Bevölkerung von El Salvador verbessern?
Ich selbst war Sekretär von Oscar Romero. Ich kannte ihn seit 1977. Für die Bevölkerung wird er weiterhin große Bedeutung haben. Es ist für uns eine große Herausforderung, ihn als Heiligen zu haben, um weiterhin für Wahrheit und Gerechtigkeit zu kämpfen.
Denn wir haben Tausende von Opfern, die unsichtbar gemacht werden, Tausende von Müttern, die bei den Gedenkveranstaltungen jedes Jahr wieder anfangen zu weinen. Aber wir sehen die Gefahr, dass die Kirche aus Monseñor Romero ökonomischen Nutzen ziehen will. Denn mit diesem Heiligen kann die Kirche große Mengen Almosen einnehmen, selbst von den Armen. Sie kann T-Shirts, Hüte, Briefmarken etc. verkaufen. Also wird Romero ein großes Geschäft sein, und sie werden ihn zu einem Heiligen "light" machen. Denn die wahre Botschaft von Monseñor Romero wollen sie gar nicht hören.
Aber alles, wofür Romero gekämpft hat, ist noch heute von großer Bedeutung. Und sein Glaube und seine Hoffnung sind weiterhin sehr wichtig für unsere Arbeit. Denn immer noch werden die Menschenrechte verletzt. Immer noch werden die Arbeiter in den Fabriken, wie zum Beispiel die Frauen in den Weltmarkenfabriken, ausgebeutet.

 

Uns erscheint es seltsam, dass auf der einen Seite die Seligsprechung Oscar Romeros gefeiert wird, während auf der anderen Seite die Schuldigen für die Ermordung von Oscar Romero nicht bestraft werden. Wir hören, dass selbst die Mitglieder der rechten Partei Arena mit den T-Shirts des Erzbischofs Romero herumlaufen. Wie kann man diesen Widerspruch verstehen?
Früher konnten wir nicht riskieren zu sagen, dass wir Teil der politisch-militärischen Organisation des Volkes, der Guerilla, waren. Und heute reklamieren viele Leute, die niemals auf den Schlachtfeldern gekämpft haben, das Gesicht von Monseñor Romero für sich. Ein Paradebeispiel für die Vereinnahmung Romeros ist Enrique Altamirano, der Inhaber der Tageszeitung "El Diario de Hoy" und gleichzeitig Mitglied der Führungsebene der rechtsextremen Partei Arena. Altamirano hatte seit 1977 eine Schmutzkampagne gegen Monseñor Romero geführt. Und er ist einer derjenigen, die den Mord an ihm finanziert haben. Und jetzt ist Altamirano, wie andere Unternehmer auch, voll mit dabei beim Medienrummel um die Seligsprechung. Und diese Leute missbrauchen und misshandeln gleichzeitig die Bevölkerung weiterhin in den Fabriken, indem sie ihnen Hungerlöhne zahlen.
Gerade vor Kurzem kam in den Nachrichten, dass viele Unternehmer der Oligarchie dem Staat keine Steuern entrichten und auch nicht in die Sozialversicherung einzahlen. Und andererseits kritisieren sie die Regierung, dass diese nicht für Sicherheit sorgt, während sie der Regierung 200 Millionen US-Dollar schulden.
Die wahre Realität in unserem Land wird verschleiert. Wir haben eine ökonomische Elite, welche eine der stärksten und repressivsten von ganz Lateinamerika ist. In diesem Zusammenhang verliert es an Bedeutung, ob das T-Shirt von Oscar Romero von dieser oder jener Person getragen wird.

 

Meinen Sie, die Seligsprechung von Oscar Romero kann dazu führen, das Problem der Straffreiheit anzugehen? Oder wird sie eher dazu missbraucht, dieses Kapitel zu schließen und nicht mehr über die Verbrechen zur Zeit des Bürgerkriegs zu sprechen? Kann das dazu führen, dass Romero zu einem "Heiligen ohne Gerechtigkeit" gemacht wird?
Das ist das, was die katholische Kirche versucht. Sie war immer gegen Oscar Romero. Führende Kirchenmitglieder standen auf der Seite der Armee. Sie haben Romero als Terroristen und Guerillero beschimpft.
Aber wir als Volk starten zwei große Mobilisierungen. Eine am 21. Mai, die in der Nähe der US-amerikanischen Botschaft beginnt und bei der Oberstaatsanwaltschaft der Republik endet. Dort fordern wir, den Fall von Oscar Romero wiederaufzunehmen und die Auftraggeber und Finanziers des Mordes zu bestrafen.
Und wir, die Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften, haben auch zahlreiche Jugendorganisationen eingeladen. Denn sehr viele Jugendliche haben ein Wissen und ein Bewusstsein zu Oscar Romero, das viel ausgeprägter ist als das vieler Erwachsener. Das ist eine große Hoffnung. Dieses Engagement der Jugendlichen müssen wir Erwachsene unterstützen.
Am 22. Mai haben wir eine weitere Mobilisierung. Dort werden wir eine ganze Nacht mit den Menschen zusammen sein und am nächsten Tag die Seligsprechung feiern. Weil bei den offiziellen Veranstaltungen das arme Volk ausgeschlossen ist, wollen wir der Bevölkerung die Möglichkeit geben, ihre eigenen Interpretationen der Seligsprechung zum Ausdruck zu bringen.

 

Jaime García, danke für das Gespräch. Gibt es noch etwas, was Sie hinzufügen möchten?
Der Interamerikanische Gerichtshof hat den Staat El Salvador aufgefordert, den Fall von Oscar Romero vollständig aufzuklären und die Täter sowie deren Auftraggeber und Finanziers zu bestrafen. Im Falle von Oscar Romero geht es nicht nur darum, den Flughafen oder einige Straßen nach Monseñor Romero zu benennen, wie es der ehemalige Präsident Funes getan hat. Der Gesetzgeber muss das verfassungswidrige Amnestiegesetz aufheben. Und die Gerichte müssen die notwendige juristische Aufarbeitung leisten und die Täter zur Rechenschaft ziehen.

Das Gespräch führte Samuel Weber vom Ökumenischen Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V.

Link zum Originalbeitrag auf Amerkia21.de

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