Parlament in El Salvador beschließt Massenprozesse gegen bis zu 900 Gefangene
Von Chris Klänie
San Salvador. Eine weitere Verschärfung des Strafrechts im Zusammenhang mit dem seit März 2022 geltenden Ausnahmezustand gibt der Regierung in El Salvador die Möglichkeit, eine schnellere Aburteilung der mehr als 71.000 Verhafteten zu erreichen.
In den nun erlaubten Massenverhandlungen mit bis zu 900 Verhafteten werden kriminelle Strukturen als Ganzes verfolgt, anstatt die Angeklagten einem Einzelverfahren zu unterziehen und individuelle Verantwortlichkeiten für Straftaten festzustellen. Außerdem wurden die Strafen für Bandenführer weiter erhöht.
Die Entscheidung des Parlaments hat in einer Situation, in der nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen mindestens 5.490 "direkte, unschuldige Opfer" willkürlich inhaftiert sind, für Aufregung gesorgt.
Mit der Reform wird eine Praxis formalisiert, die die Justiz faktisch bereits praktiziert: Massenprozesse, die nach Ansicht der Vereinten Nationen (UN) "gegen die Garantien eines ordentlichen Verfahrens verstoßen". Eine UN-Expertengruppe warnte im Mai, dass erste Anhörungen, bei denen Richter die Rechtmäßigkeit einer Festnahme prüfen und über Anklage und Untersuchungshaft entscheiden, in Gruppen von bis zu 500 Personen abgehalten werden.
"Den Pflichtverteidigern wurden drei bis vier Minuten Zeit gegeben, um die Fälle von 400 bis 500 Gefangenen auf einmal vorzutragen. Es wurde auch von Massenprozessen berichtet. Diese Verfahren werden oft virtuell durchgeführt, was die Ausübung des Rechts auf Verteidigung und die Unschuldsvermutung der Inhaftierten untergräbt", so die Experten. "Die übermäßige Anwendung von Untersuchungshaft, das Verbot alternativer Maßnahmen, Prozesse in Abwesenheit und die Möglichkeit, auf Praktiken wie 'gesichtslose Richter' und Referenzzeugen zurückzugreifen, untergraben die Garantien eines ordnungsgemäßen Verfahrens".
Die Notstandsregelung wurde im März 2022 für die Dauer eines Monats beschlossen und von den Abgeordneten seitdem wiederholt verlängert.
Während diese aggressive Politik die kriminellen Banden (Maras) weitgehend neutralisiert und die Popularität von Präsident Nayib Bukele gestärkt hat, haben Menschenrechtsorganisationen eine Reihe von Misshandlungen dokumentiert.
So berichtete Amnesty International im Mai, dass 132 Menschen in staatlichem Gewahrsam gestorben sind und es zu eklatanten Verstößen gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren und zum Verschwindenlassen von Personen gekommen ist.
Die salvadorianische Menschenrechtsorganisation Cristosal belegte in einem Bericht Ende Mai 2023 die Praxis von Folter und Misshandlungen in den Gefängnissen. Es gibt zahlreiche Berichte über willkürliche Verhaftungen, Verschwinden von Personen und jüngst sogar von Polizisten, die nun anstelle von Banden die Einwohner erpressen.
Die jüngste Strafrechtsänderung hat Richter Antonio Durán, ein Kritiker des Notstandsregimes, abgelehnt. Er sagte, sie ziele auf "massive und schnelle Verurteilungen" ab. "Der Massenprozess widerspricht einem Prinzip, nämlich dem der Verantwortung, und Verantwortung ist individuell", sagte Durán. Er musste bereits seit 2021 Disziplinarmaßnahmen hinnehmen und steht nun erneut vor der Ethikkommission des Obersten Gerichtshofes.
Laut Cristosal werde mit dem Dekret versucht, eine ganze Reihe von Prozessen abzuschließen, denen es an Beweiskraft fehle.
Der Parlamentsbeschluss rief sowohl innerhalb als auch außerhalb El Salvadors viel Kritik hervor. Es wird ein klarer Bezug zu den kommenden Wahlen im Jahr 2024 gesehen, bei denen Bukele entgegen der Verfassung eine Wiederwahl anstrebt.