El Salvador: Maikundgebung in angespannter Atmosphäre
Massive Personenkontrollen durch Sicherheitskräfte. Arbeitsminister bezeichnete Demonstrierende als "kriminelle Gruppe". Mehr als 18.000 Verhaftete in den ersten 30 Tagen Ausnahmezustand
Von Chris Klänie
amerika21
San Salvador. Wie auch in anderen Jahren hat am 1. Mai eine Demonstration und Kundgebung zum Tag der Arbeit in der Hauptstadt San Salvador stattgefunden. Im Vorfeld hatte Arbeitsminister Rolando Castro diejenigen, die daran teilnehmen wollten, als "kriminelle Gruppe" bezeichnet und gedroht sie verhaften zu lassen, was erneut Proteste auslöste.
Kardinal Gregorio Rosa Chavez äußerte sich sehr besorgt über den Ausnahmezustand. Es gebe viele unmenschliche Handlungen, viele der Verhafteten seien unschuldig. Er forderte die Einhaltung des Rechtes auf friedliche Versammlung und Meinungsäußerung am Tag der Arbeit.
Erwartungsgemäß haben die Sicherheitskräfte an zahlreichen Orten Busse auf dem Weg zur Demonstration angehalten, die Personalien der Menschen aufgenommen und so ihre Anreise be- und verhindert. Mit drei Zügen aus unterschiedlichen Richtungen zogen Teilnehmende zur zentralen Kundgebung im Centro Histórico. Allerdings kamen nicht so viele Menschen wie sonst, weil die Drohungen mit Verhaftung ihre Wirkung zeigten. Die befürchteten Übergriffe der Sicherheitskräfte auf die Demonstrierenden blieben indes aus.
Zeitgleich zur Kundgebung auf der Plaza Cívica fand im Hotel Real Intercontinental eine Veranstaltung der Regierung mit ihr nahestehenden Gewerkschaften statt. Dort wurden einige Reformen des Arbeitsrechts vorgestellt, die am Montag dem Parlament vorgelegt wurden.
Der 1. Mai ist nicht nur Tag der Arbeit, sondern auch der 1. Jahrestag der aktuellen Legislaturperiode und des Staatsstreichs, mit dem das neue Parlament vor einem Jahr die Arbeit aufgenommen und die Gewaltenteilung im Land aufgehoben hat.
Ergebnis der ersten 30 Tage des Ausnahmezustandes: Mehr als 18.000 Personen wurden beschuldigt, zu einer Bande zu gehören. Die meisten wurden ohne vorherige Untersuchungen verhaftet. 90 Prozent davon sind Männer, mindestens sieben von zehn Verhafteten sind unter 25 Jahren. Bis dato sind mindestens 7.000 Personen im Schnellverfahren in Untersuchungshaft genommen worden. Die Menschenrechtsorganisation Cristosal hat 147 Fälle von willkürlichen Verhaftungen dokumentiert.
Die USA haben am 28. April eine "Sicherheitswarnung" für ihre Staatsbürger:innen in El Salvador ausgesprochen.
Währenddessen sind Medienberichten immer weitere Beispiele für Menschenrechtsverletzungen und die Verfolgung von Regierungskritiker:innen zu entnehmen. So gab es am 23. April erneut Warnungen von Apple gegenüber iOS-Nutzer:innen, dass ihre Geräte möglicherweise von der Spionagesoftware Pegasus infiziert worden sein könnten. Auch Frauenorganisationen sind betroffen.
Die Menschenrechtsverteidigerin Celia Medrano beschreibt die gegenwärtige Situation: "Das Narrativ der Abgeordneten auf Seiten der Regierung ist klar: Wenn du nicht damit einverstanden bist, wie wir regieren, dann geh doch, du bist nicht nötig. In den ersten drei Monaten des Jahres haben sich 22.300 Salvadorianerinnen und Salvadorianer für die Auswanderung in die USA entschieden."
Berichten zufolge gibt es eine Liste derjenigen, die die Regierung beispielsweise in den sozialen Medien kritisieren, um sie zu verhaften.
Nach Angaben der Rechtshilfeorganisation Fespad schränkt die gegenwärtige Situation die Arbeit der Menschenrechtsorganisationen im Land extrem ein, weil sie ständig befürchten müssen, unter dem Vorwand, Unterstützer:innen von kriminellen Banden zu sein, selbst verhaftet zu werden.
Die Asociación de Proyectos Comunales (Procomes) berichtet über eine Polizeirazzia ohne Durchsuchungsbefehl in ihrem Büro am 20. April, bei der die Personalien der 17 Anwesenden aufgenommen wurden.
Ein Vertreter der Polizeigewerkschaft sagte gegenüber der BBC, dass Polizisten eine Verhaftungsquote erfüllen müssten, die von oben vorgegeben ist, andernfalls werden sie in entlegene Landesteile zwangsversetzt.
Unterdessen haben Recherchen des Magazins Focos ergeben, dass vier Anführer der Mara Salvatrucha (MS-13), deren Auslieferung die USA beantragt hatten, zwischen Juni 2021 und Januar 2022 freigelassen wurden. Es ist nicht bekannt, ob sie jetzt noch in Freiheit sind. Gegenüber BBC bestätigte ein Bandenführer, dass es bei den letzten Parlamentswahlen im Februar 2021 Vereinbarungen zwischen den Sicherheitskräften und ihren "Territorien" für Wohlverhalten gegeben habe.
Der Ausnahmezustand betrifft die gesamte Bevölkerung, nicht nur die Verhafteten: Familien werden auseinandergerissen, die Last bleibt an den Frauen hängen, die nun alleine die Kinder versorgen und durchbringen müssen, wenn ein Einkommen wegfällt und selbst nach der Freilassung der Arbeitsplatz verloren ist.
Die Armut im Land nimmt drastisch zu. Vor dem Gefängnis von Izalco spielen sich dramatische Szenen ab, seitdem bekannt wurde, dass es Freilassungen gibt. Aus dem ganzen Land strömen Angehörige herbei und warten stunden- und tagelang darauf, dass ihre Familienmitglieder das Gefängnis verlassen können.