Chaos bei der Auszählung und Übermittlung der Wahlergebnisse in El Salvador
Oppositionsparteien fordern Annullierung der Wahlen wegen Unregelmäßigkeiten. Erneute Stimmauszählung durch das Wahltribunal läuft seit Mittwoch
Von Antonia Rodriguez Sanchez
amerika21
San Salvador. Nach etlichen Anläufen hat das Oberste Wahlgericht (TSE) in El Salvador am Mittwochnachmittag mit der endgültigen Auszählung der Stimmen begonnen.
Zuvor waren unter anderem von Wahlbeobachter:innen zahlreiche Beschwerden über massive Unregelmäßigkeiten während des Wahlprozesses publik geworden.
Die Salvadorianerinnen und Salvadorianer hatten am vergangenen Sonntag über einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament abgestimmt.
Die von vielen Organismen so bezeichnete "Wahlkrise" begann schon wenige Stunden nachdem die Stimmabgabe geendet hatte: Der amtierende Präsident und Kandidat für eine zweite Amtszeit, Nayib Bukele, hatte ohne offizielle Zahlen bereits seinen überragenden Sieg verkündet (a21 berichtete).
Später wurden weitere Unregelmäßigkeiten bekannt. So konnten etwa bei der Auszählung der Stimmen die Daten aus den Stimmzetteln nur teilweise und fehlerhaft an das elektronische System des TSE übermittelt werden. Im Departamento Cabañas beispielsweise hatten die Auszählungen noch gar nicht begonnen, als die Internetseite des TSE für die Regierungspartei Nuevas Ideas (Neue Ideen) dort bereits 2.929 Stimmen verzeichnete.
Auch im Ausland kam es am Wahltag zu Problemen. Nachdem sich dutzende Salvadorianer:innen in den USA darüber beschwert hatten, dass ihnen der Zutritt zum Wahllokal aus Zeitgründen verwehrt worden war, hatte der TSE-Magistrat Julio Olivo zunächst verkündet, dass einige Wahllokale in den USA wieder für diejenigen geöffnet werden, die ihre Stimme nicht mehr abgeben konnten. Einige Stunden später widerrief das Wahltribunal diese Zusage.
Des Weiteren waren in mehreren Schulen des mittelamerikanischen Landes, die am Sonntag als Wahlzentren genutzt worden waren, im Laufe der Woche ausgefüllte Wahlzettel aufgefunden worden.
Großes Misstrauen löste zudem ein am Montagabend veröffentlichtes Kommuniqué des TSE aus, in welchem dieses die kommunalen und regionalen Wahlvorstände anwies, sämtliche Wahlurnen samt Inhalt "unverzüglich" an das TSE zu übermitteln, um mit der abschließenden Überprüfung zu beginnen.
Der Wahlvorstand von San Salvador teilte daraufhin dem TSE mit, dass "kein einziges Wahlpaket aus den Wahllokalen in der Hauptstadt San Salvador an dem von der Direktion für Wahlorganisation angegebenen Sitz angekommen ist". Erst rund 36 Stunden später konnte das TSE schließlich Entwarnung geben: die Wahlpakete seien in einer Lagerhalle aufgefunden worden, es habe "Fehler in der Transportkette gegeben". Laut dem Onlinemagazin "La Prensa Grafica" befindet sich die Halle nur etwa 300 Meter entfernt von der San Carlos-Kaserne der Streitkräfte, was zu Spekulationen über die Einmischung der Armee in den Wahlvorgang führte.
Der Internet-Zeitung "El Faro" wurden indes Audio-Aufzeichnungen einer privaten Audienz der Präsidentin des TSE, Dora Martínez, mit Vertreter:innen politischer Parteien am Dienstag zugespielt. Darin vermutet Martínez, dass der Fehler bei der Übermittlung der Ergebnisse und der vorläufigen Auszählung provoziert worden sein könnte. Sie versicherte, dass sie eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft der Republik einreichen werde.
Angesichts der Zweifel über die zeitweise verschwundenen Wahlurnen und der langen Liste von Unregelmäßigkeiten haben einige politische Parteien angekündigt, dass sie die Annullierung der Abstimmung vom vergangenen Sonntag beantragen werden. Zu den Antragsstellern zählen unter anderem die linke FMLN und die rechte Partei Arena. Einer der Richter:innen des Obersten Wahlgerichts, Noel Orellana, versicherte jedoch bereits, dass es keine Gründe für eine Annullierung gebe. "Das sind Situationen, die in jedem Wahlverfahren auf der Welt vorkommen. Ich glaube nicht, dass es einen Grund zur Beunruhigung gibt, ich denke, wir sollten ruhig bleiben", sagte er in einer Pressekonferenz am Mittwoch.
Weiterhin gibt es für die Präsidentschaftswahlen keine offiziellen Ergebnisse, auch wenn die Wiederwahl Bukeles als sicher gilt. Zum ersten Mal nach acht Jahrzehnten wird damit ein Präsident in El Salvador die Präsidentenschärpe an sich selbst weiterreichen.
Für Eduardo Escobar, Direktor von Acción Ciudadana (Bürgeraktion) und Experte für Wahlrecht, ist die Unterstützung der Bevölkerung für Bukele unbestreitbar. Dies sei jedoch "keine Garantie dafür, dass der jüngste Wahlprozess demokratisch verlaufen ist. Vielmehr ist eine eingehende Prüfung erforderlich, ob die Wahlen wettbewerbsorientiert, transparent und gleichberechtigt waren", betonte er gegenüber dem Medium "Revista Factum"
In weniger als einem Jahr hat die Regierungspartei Nuevas Ideas nach Ansicht von Wahlexpert:innen ihre Aussichten mittels Wahlreformen stark begünstigt. Dazu gehört die Verringerung der Anzahl der Sitze im Parlament und den Gemeindeverwaltungen, die Umstellung auf eine Wahlformel, die Mehrheiten zugutekommt, sowie ein Gesetz über die Wahl im Ausland, welches die meisten Stimmen nach San Salvador lenkt, wo mehr Abgeordnete gewählt werden können.