Update 2: Gespannte Ruhe in Nicaragua
Von Öku-Büro, München 3.5.2018
Rund zwei Wochen nach der landesweiten Protestwelle, ausgelöst durch die Reform des Rentensystems und der gewaltsamen Repression, herrscht, laut Einschätzungen von Kommentatoren des Kanals 100%Noticias in Nicaragua eine angespannte Ruhe. Seit der Großdemonstration vom 23. April gab es keine Berichtet mehr über größere gewaltsame Auseinandersetzungen.
Gesicherte Zahlen über Opfer liegen noch nicht vor. So bestätigt das Nicaraguanische Menschenrechtszentrum (CENIDH), stand 28. April, 38 Tote und 46 Verschwundene. Die Permanente Menschenrechtskommission hingegen korrigiert diese Zahlen und spricht von 63 Toten und 15 verschwundenen Personen. Aufgrund der vielen Verletzten ist es darüber hinaus gut möglich, dass die Opferzahlen in den kommenden Tagen noch einmal nach oben korrigiert werden müssen.
Heute stellen sich die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen die Frage, wie es in Nicaragua nun weiter gehen soll, bzw. weitergehen kann. Klar ist mittlerweile, dass die Probleme des Landes und der daraus resultierende Unmut die Frage der Rentenreform bei weitem übersteigt. Folglich soll der zunächst vorgeschlagene Dialog zwischen der Regierung und des Unternehmerverbandes unter Aufsicht der Bischofskonferenz der katholischen Kirche um weitere relevante gesellschaftliche Gruppen erweitert werden. Unklarheit besteht jedoch darin, wer denn letztendlich an den Gesprächen teilnehmen sollte, wann diese stattfinden, bzw. welche Resultate dabei erzielt werden könnten.
Aus dem rechts-konservativen Lager kommen Stimmen, welche dem Präsidenten die Möglichkeit eröffnen wollen, über Neuwahlen einen geordneten und gesichtswahrenden Rückzug von der Macht antreten zu können. Über einen politischen Neuanfang sollte dann wieder eine funktionierende Gewaltenteilung mit unabhängiger Justiz und freien Medien etabliert werden.
Problematisch an diesem Vorhaben erscheint jedoch, dass die verbleibenden rechten Oppositionsparteien in sich zerstritten und auch von ihrer Unterstützeranzahl her marginalisiert sind. Ein schlüssiges Programm zum Überwinden der schweren gesellschaftlichen Krise ist bei diesen nur schwer zu erkennen. Ob und inwiefern sich innerhalb der FSLN mögliche Brüche ergeben bzw. ob aus den eigenen Reihen eine glaubwürdige und überzeugende Alternative zu Daniel Ortega gefunden werden kann, bleibt abzuwarten.
Monica Baltodano, ehemalige sandinistische Mitstreiterin und scharfe Kritikerin am System Daniel Ortegas, weist jedoch darauf hin, dass die Bevölkerung jegliches Vertrauen in die etablierten Parteien verloren habe. So hätten sich diese in der Vergangenheit immer wieder den Interessen der Vereinigten Staaten unterworfen. Stattdessen plädiert Baltodano für eine Politik, bei welcher die Bevölkerung ihrer Interessen auf Basis der Landkreise und Regionen selbstbestimmt und demokratisch in die eigenen Hände nimmt, jedoch ohne Einmischung der Parteien. Ein solcher Ansatz müsse endlich Schluss machen mit einem Modell was sich auf Kapitalismus, Extraktivismus sowie dem Ausverkauf des Landes stützt. Allerdings fehle es den sozialen Bewegungen noch an Organisation und Koordination, um eine solche Alternative Realität werden zu lassen. Darüber hinaus befürchtet Baltodano, dass das derzeitige Regime versuchen wird, sich mit noch mehr Repression an der Macht zu halten.
Von unserer Partnerorganisation, dem Movimiento Comunal Nicaragüense (MCN) erreichen uns in diesem Zusammenhang sehr besorgte Töne. Dort zeigt man sich entsetzt über das erlebte Ausmaß der Gewalt in dem mittelamerikanischen Land. In einer am 26. April veröffentlichten Stellungnahme plädiert man dort, trotz aller Schwierigkeiten, für einen breit angelegten gesellschaftlichen Dialog.
Angesichts der vielen Opfer der Proteste ist es für manche Gruppen sehr schwer vorstellbar, jetzt mit der dafür verantwortlichen Regierung in einen Dialog zu treten. Während der Präsident des Landes von einem für Verhandlungen vorbereiteten Tisch spricht, sind von Seiten der sozialen Bewegungen Aussagen zu hören, wie „Tote können nicht verhandeln“ oder „der Tisch ist getränkt in Blut“.
Wie tief das Misstrauen gegenüber der Regierung sitzt, zeigt auch die Reaktion der protestierenden Student*innen. So weigert sich eine Gruppe von Ihnen immer noch, die Gebäude der polytechnischen Universität zu verlassen, weil sie Angst haben draußen von Handlangern der Sandinisten umgebracht zu werden. Für die Aufnahme eines Dialoges werden handfeste Sicherheitsgarantien verlangt.
Folgerichtig mehren sich auch die Stimmen, welche einen Dialog mit dem jetzigen Präsidenten Ortega ablehnen und dessen Rücktritt fordern. Auch gibt es Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung der gewaltsamen Vorfälle durch eine internationale Kommission. Ortega selbst hingegen hat das Einberufen einer Wahrheitskommission in Aussicht gestellt.
Angesichts dieser unklaren Gemengelage ist die Straße weiterhin das Spielfeld der politischen Auseinandersetzungen. So folgten vergangenen Samstag Tausende dem Aufruf der katholischen Kirche zur Teilnahme an der „Pilgerfahrt für den Frieden“. Der Marsch in der Hauptstadt Managua zum Gedenken der Opfer erinnerte jedoch auch gleichzeitig mit Transparenten wie „Du sollst nicht Töten“ an die Verantwortung Ortegas und seiner Frau, der Vizepräsidentin.
Die Regierungspartei FSLN wiederum mobilisierte für den 1. Mai tausende ihrer Anhänger nach Managua um ihrerseits Stärke nach außen und Unterstützung für der Präsidenten zum Ausdruck zu bringen.
Dazwischen erreichten uns auch Meldungen von verschiedenen Demonstration bzw. Straßenblockaden im Land. Diese richten sich gegen die Repression und fordern die Freilassung von im Zuge der Proteste verhafteten Personen.
Dass die neugewonnene Demonstrationsfreiheit jedoch auch ihre Grenzen hat, zeigen dabei die Ereignisse von gestern. So wurde ein Demonstrationszug, welcher seinen Anfang an der jesuitischen Universität UCA nahm, von Einheiten der Polizei am Erreichen des Parlamentsgebäudes gehindert. Berichten über gewaltsame Zusammenstößen liegen uns nicht vor. Dennoch zeigt dieses Ereignis, das das System Ortega immer noch gewillt und in der Lage ist seinen Machtanspruch durchzusetzen.