Maquiladoras und Weltmarkt
In den meisten Veröffentlichungen zu den Maquiladoras Mittelamerikas steht die konkrete Situation der Betroffenen, die Entlohnung weit unter dem offiziellen Existenzminimum, die Verletzung grundlegender Arbeits- und Menschenrechte im Mittelpunkt. Die Vertreter der bestehenden Weltwirtschaftsordnung und die Verfechter dieser Industrieansiedlungen antworten darauf in der Regel mit dem Verweis, daß es den Beschäftigten mit Arbeitsplatz immer noch besser gehe als ohne einen solchen. Außerdem wird angeführt, daß dieAnsiedlung von Fabriken in freien Produktionszonen ein Sprungbrett zur Industrialisierung sei, eine bessere Zukunft verhieße und die einzige Möglichkeit der Eingliederung in den kapitalistischen Weltmarkt jenseits einer Existenz als Rohstoff- und Cash-Croplieferant sei. Drei Aspekte des Weltmarktes für Textilien und Bekleidung sollen diese Argumente widerlegen:
Weltweit sinkende Produktivität
Die allgemeine, sich mit zuspitzender Dynamik entwickelnde Krise der Kapitalverwertungsmöglichkeiten hat die Produkte der Textil- und Bekleidungsindustrie seit Jahrzehnten entwertet. Die Meßlatte der Kapitalverwertungsmöglichkeiten wird von den am meisten technisierten und daher produktivsten Branchen diktiert. Die Möglichkeiten der Rationalisierung und Automatisierung der Bekleidungsindustrie, besonders des Nähens als Teilschritt der Bekleidungsherstellung, sind sehr begrenzt und verharren seit Jahrzehnten auf demselben Niveau. Es ist beim Nähen weder ein Prozeßverbund noch eine Automatisierung möglich. Dies läßt die Produktivität der Branche seit Jahrzehnten sinken. Ein minimaler Ausgleich dafür kann lediglich durch immer billigere Arbeitskräfte geschaffen werden. Dieses Phänomen der rasanten Entwertung von Produktionslinien ist auch bei der landwirtschaftlicher Produktion von Drittweltländern durch drastisch sinkende Terms of Trade zu beobachten. Dazu kommt eine rückläufige Bekleidungsproduktion pro Kopf seit 1987, die den Konkurrenzdruck der Hersteller weiter verschärft.
Goldenes Zeitalter für alle
Die Verfasstheit der Welttextilproduktion und die Stellung der einzelnen Nationalstaaten in ihr veranschaulichen einige britische neoliberale Autoren mit ihrem Modell der sechs Entwicklungsstufen nationaler Textilproduktion:
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Embryonale Stufe: Keine Produktion für den Weltmarkt; mechanische Werkstätten produzieren für den Binnenmarkt. Beispiele: viele afrikanische Länder.
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Erste Exportstufe: Billige Arbeitskräfte erzeugen einzelne isolierte Produktionsschritte für den Export; Beispiele sind u.a. die Länder Mittelamerikas.
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Höherwertige Exportproduktion: Mehrere Produktionsschritte sind möglich;, eigene Faserindustrie; Beispiel:VR China.
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Das goldene Zeitalter: Sämtliche Produktionsschritte; Handelsbilanzüberschüsse; Beispiele: Südkorea, Taiwan.
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Reifestufe: Hohe Kapitalintensität; abnehmende Beschäftigung;Beispiele: USA, Japan.
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Rückgang: Handelsbilanzdefizite; rapide sinkende Beschäftigung;Phänomen der passiven Lohnveredelung; Beispiele: alle Länder der EU außer Italien.
Die Verfechter dieses Weltwirtschaftssystems behaupten nun den zwangsweisen Durchlauf aller Länder durch diese Entwicklungsstufen. Neben der ökologischen Unmöglichkeit dieses Vorgangs und der Idiotie des Aufenthalts aller Länder in Stufen sechs ist für die Länder der Stufe zwei, also auch alle Länder Mittelamerikas, ein Aufstieg nahezu unmöglich. Die Kapazitäten der freien Produktionszonen, der typischen Produktionsstätten der Stufe zwei, liegen weit über dem Bedarf (in Schwarzafrika liegen ca. 80% der Kapazitäten brach). Dazu kommt die starke Auslagerungstendenz in den informellen Sektor, weil der Konkurrenzkampf um möglichst billige Arbeitskräfte durch immer mehr Akteure und das Diktat der global agierenden Auftraggeber angeheizt wird. Vorübergehende Gewinner waren nur die ersten Länder mit freien Produktionszonen (Südkorea), wo unter unvorstellbaren Arbeitsbedingungen und knallharter staatlicher Steuerung Kapital abgeschöpft werden konnte.
Textilindustrie in Mittelamerika: Nicht ausbaubar
Die Globalisierung der Produktion der Bekleidungsindustrie schuf eine stark nach Marktsegmenten ausdifferenzierte Struktur der Standorte, wo grob nach drei Segmenten unterschieden werden kann:
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Vollständig globalisiert und flexibisiert ist das Billigmarktsegment. Hier sind die Lohnkosten das alles entscheidende. Auftraggeber sind die großen Handelskonzerne, die die Preise festlegen und die billigsten Anbieter produzieren lassen.
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Das mittlere Preissegment wird typischerweise von Bekleidungsherstellern der Industrieländer in passiver Lohnveredelung hergestellt. So bildeten sich um die Triadenblöcke Gürtel von Veredelungsstandorten, an denen einzelne Arbeitsschritte von billigen Arbeitskräften gefertigt werden, um die bearbeiteten Produkte dann zu reimportieren.
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Die hochwertige Bekleidungsproduktion, bei der Lohnkosten nur eine Nebenrolle spielen, verblieb weitgehend in den Industrieländern.
In den Maquiladoras finden sich Produzenten des ersten Segments, meist Firmen aus asiatischen Ländern, die in Mittelamerika produzieren lassen, weil sie ihre Exportquoten in die Industrieländer, die im Welttextilabkommen festgelegt sind, bereits ausgeschöpft haben und weitere Exporte, beispielsweise in die USA, als mittelamerikanische Exporte erscheinen lassen. Mit dem ersatzlosen Auslaufen des Welttextilabkommens im Jahre 2005 werden 30 bis 50% der Maquiladoraproduktion dieses Segmentes wegfallen, da die Löhne vieler asiatischer Produktionsländer mit denen Mittelamerikas vergleichbar sind und somit jeder Grund für ein weiteres Engagement dieser Firmen in den Maquiladoras wegfällt. Auch die passive Lohnveredelung, die einen weiteren Segmenttypus der Maquiladoraproduktion repräsentiert, scheint nicht ausbaubar, da es eine Rückverlagerungstendenz in die USA gibt (sweat shops, wo meist illegale Einwanderer auf Drittweltlohnniveau arbeiten) und die Karibik auf Grund ihrer Nähe zur USA eine gewissen Standortvorteil besitzt.
Diese kurzen Ausführungen zeigen, daß die Stellung der Maquiladoraproduktion in Mittelamerika offenbar eine vorübergehende Erscheinung istdie weder eine weitergehende Industrialisierung noch eine naturwüchsige Verbesserung der Arbeitsbedingungen verspricht.
September´99