Die Fallstricke von Verhaltenskodizes der Unternehmen

(rw) In chinesischen Zulieferbetrieben produzieren Arbeiterinnen für das Versandhaus Otto, ohne für ihre Überstunden bezahlt zu werden. Der Nike-Konzern läßt in Weltmarktfabriken in Südostasien weniger als den gesetzlichen Mindeslohn zahlen. In El Salvador werden in einer Maquila, die für Adidas Trikos herstellt, Arbeiterinnen bei Schwangerschaft fristlos gekündigt und in der hondureanischen Freihandelszone Continantal, in der für die us-amerikanischen Kleiderhersteller Gap und J.C. Penny produziert wird, wird sich gewerkschaftlich organisieren durch Entlassung hintertrieben ... Ganz normale Phänomene. Die Globalisierung verlangt schließlich dort zu produzieren, wo die Bedingungen am günstigsten sind, und Sozialdumping bei Arbeitsbedingungen verschafft einem eben Wettbewerbsvorteile.

In das Regelwerk des Welthandels der WTO (Welthandelsorganisation) haben Arbeitsrechte bisher keinen Eingang gefunden. Es wird auf die Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO, Sonderorganisation der UN) verwiesen, die im Prinzip völkerrechtlich verbindlichen sind. Es ist den Staaten jedoch freigestellt, ob sie sich anzuschließen, außerdemgibt es keinerlei Sanktionen, mit denen Verstöße geahndet werden könnten. Deshalb gibt es unterschiedliche Bestrebungen, international produzierende Firmen zur Annahme von individuellen Verhaltenskodizes zu bewegen. Diese schriftlich niedergelegte Richtlinien sollen das Verhalten solcher transnationalen Konzerne gegenüber ihrer Belegschaft, staatlichen Behörden und der Umwelt in allen Ländern regeln und auch für alle Zulieferbetrieben gelten, zu denen der Konzern Geschäftsbeziehungen unterhält.

Laut einer Studie der ILO haben in den letzten Jahren haben 215 transnationale Konzerne (beispielsweise C&A, Otto, Nike, Adidas) und Branchenverbände (wie der Europäische Dachverband der Spielwarenhersteller) einen eigenen Verhaltenskodex entwickelt. Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen und entwicklungspolitische Vereine sind federfürend an der Verbreitung von Verhaltenskodizes beteiligt. So entwickelte die europäische Gewerkschaft der Textil- und Bekleidungsindustrie mit dem Arbeitgeberverband EURATEX einen Verhaltenskodex, der für beinah 70% der Unternehmen dieser Branche gilt. Der Internationale Bund Freier Gewerkschaften versucht mit einem eigenen Verhaltenskodex, die transnationalen Konzerne für die Arbeitsbedingungen in ihren Zulieferbetrieben verantwortlich zu machen und die ILO (statt der WTO) als Überwachungs- und Kontrollinstrument hervorzuheben. Die deutsche Sektion der Clean Clothes Campain (vgl. Interview zur Adidas-Kampagne auf S. 3), in der mittlerweile 46 Organisationen aus dem kirchlichen, gewerkschaftlichen und entwicklungspolitischem Spektrum vertreten sind, versucht mit Öffentlichkeits- und KonsumentInnenkampagnen international operierende Kleidungshersteller zur Unterzeichung der 'Sozialcharta für den Handel mit Kleidung' zu bewegen. Und auch in den Ländern der sogenannten Dritten Welt gibt es Ansätze, mit Verhaltenskodizes die Arbeitsbedingungen zu verbessern; beispielsweise mittels des 'Ethikcodes' des zentralamerikanischen Frauen-Netzwerks von Arbeiterinnen in der Maquila (vgl. Maquila-Bulletin Sept. 99).

So unterschiedlich die Ansätze und Ausgestaltungen der Verhaltenskodizes auch sein mögen, eines ist ihnen allen gemeinsam: Es wird immer ein elementares Minimum an ArbeitnehmerInnenrechten festgeschrieben. Die nationalen Arbeitsgesetze des jeweiligen Landes gewähren den ArbeiterInnen zumeist weitergehende Rechte, die allerdings nicht eingehalten werden. In der Regel finden sich folgende ILO-Kernarbeitsrechte in den Verhaltenskodizes: Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, Verbot von Diskriminierung, gleicher Lohn für Männer und Frauen, Bezahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Problematisch ist weniger der Inhalt der Kodizes, sondern die konkrete Umsetzung.

Die unternehmenseigenen Verhaltenskodizes enthalten meistens keine Bestimmungen, wie die Beschäftigten über die Existenz des Kodex und dessen Inhalt erfahren. Sie beziehen in der Regel ihre Zulieferbetriebe nicht mit ein, sondern gelten nur für Tochterunternehmen. Alle Verhaltenskodizes beruhen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, womit sich das Problem stellt, wie die Einhaltung überwacht und Verstöße sanktioniert werden sollen. Dazu gibt es verschiedene Versionen: es gibt unternehmensinternes Monitoring, solches unter Einbeziehung der ArbeiterInnen oder durch Externe, wie (vom Unternehmen bezahlte) Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder Nichtregierungsorganisationen z.B. internationale Gewerkschaftssektretariate und Menschenrechtsorganisationen.

Wie die Studie der ILO dokumentiert, zeigt die Erfahrung, daß viele unternehmenseigene Verhaltenskodizes, die in den Industrienationen mit viel Aufwand der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden und mit denen zwecks Abschöpfung des sozialen Marktsegments auch geworben wird, in den Zulieferbetrieben des Mutterkonzerns zumeist unbekannt, nicht erhältlich oder nicht in die Landessprache übersetzt sind. Außerdem beschränken sich viele Konzerne auf firmennahes Monitoring (z.B. C&A, Levi Strauss), weshalb eine unabhängige Überwachung nicht gewährleistet ist.

Die von den Unternehmen Nike und Otto beauftragten Überprüfungsgesellschaften gaben sich beispielsweise mit einer einmaligen Besichtigung der Zulieferfabriken zufrieden und hielten es nicht für nötig, mit örtlichen GewerkschafterInnen zu sprechen. Das positive Ergebnis dieser "Überprüfungen" wurde selbstverständlich mit Aufwand vermarktet. Menschenrechtsorganisationen gelang es in beiden Fällen - allerdings erst Monate später - nachzuweisen, daß die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben gegen nationales Arbeitsrecht und den unternehmenseigenen Verhaltenskodex verstießen. Nike sah sich schließlich aufgrund des öffentlichen Drucks in den USA gezwungen, Nichtregierungsorganisationen am Monitoring zu beteiligen und hat angekündigt, das Mindestalter für die Beschäftigung anzuheben. Otto ließ verlautbaren, das Monitoring unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu übertragen.

Die auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhenden Verhaltenskodizes sind ein schwaches Instrument zur Verbesserung der Arbeitsrechte, schließlich hat sich bisher kein Unternehmen wirklich freiwillig einem Verhaltenskodex unterworfen. Die Unternehmen halten ihre eigenen Selbstverpflichtungen solange ein, wie soziale Bewegungen und politische Einflußnahme sie dazu zwingen, die ökonomische Situation genügend Spielraum (= genügend Gewinn) für die Einhaltung läßt und das Image des Unternehmens dadurch aufpoliert werden kann. Die Unternehmen reagieren nur auf öffentlichen Druck, bei dem fraglich ist, wie lange er aufrecht erhalten werden kann. Denn die moralische Entrüstung der KäuferInnen mag zwar bei Kinderarbeit allgemein hoch sein, jedoch löst die Verneinung des Rechts auf Tarifverhandlungen weit weniger Empörung aus, vor allem da auch hier immer weniger Menschen von diesem Recht Gebrauch machen.

Damit die Kampagnen gut funktionieren, werden Stereotypen über die 'frühkapitalistischen Zustände', 'Ausbeutung' und 'Frauen als Opfer der Globalisierung' bemüht, die die Realität der Arbeitsbedingungen nur zum Teil erfassen und schnell für Sozialprotektionismus intrumentalisiert werden können. Außerdem fehlt den Nichtregierungsorganisationen, die für bessere Arbeitsbedingungen in den Weltmarktfabriken eintreten, das Geld und die Kapazität um von den Firmen behauptete Aussagen über gute Arbeitsbedingungen kontinuierlich zu überprüfen. Wie die Beispiele von Nike und Otto zwigen, ist es besonders in geheimgehaltenen und komplexen Zulieferketten sehr schwierig nachzuweisen, daß ein bestimmter Konzern gegen seinen eigenen Verhaltenskodex verstößt. Besonders, da die Praktiken der anderen Unternehmen nicht viel besser sind. Eine unmittelbare Wirkung solcher Kodizes auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist selten gegeben und abhängig von einer permanenten Kampagne von Solidaritätsnetzwerken in den Konsumländern.

Anders sind die Erfahrungen mit Verhaltenskodizes, die eine unmittelbare und unabhängige Überwachung vorsehen. In der in El Salvdor produzierenden taiwanesischen Maquila Mandarin, die vor allem für die Firma Gap arbeitet, gibt es seit 1996 ein unabhängiges Monitoring, das von der damals gegründeten Gruppe für unabhängiges Monitoring in El Salvador (GMIES) durchgeführt wird, an der auch salvadorenischen Menschenrechtsorganisationen beteiligt sind (vgl. Interview auf Seite 3). Wegen der Entlassung von 300 GewerkschaftsaktivistInnen in dieser Maquila sah sich Gap aufgrund des öffentlichen Drucks in den USA gezwungen, seinerseits Druck auf seinen Zulieferer auszuüben und von ihm die Unterzeichnung eines Kodex mit unabhängigen Monitoring zu verlangen. Die Monitoringgruppe überwacht durch regelmäßige Besuche die Einhaltung der Standards und ist als Vermittlungsinstanz mit Vorschlagscharakter in Konfliktfällen zwischen Gewerkschaften und Maquila-Leitung zugelassen. Die Arbeitsbedingungen hinsichtlich Trinkwasserversorgung, Zugang zu Toiletten, Belüftung und des Verhaltens von Vorgesetzen konnten dadurch deutlich verbessert werden. Das Ziel, alle entlassenen GewerkschafterInnen wieder einzustellen, wurde indes nicht erreicht. Nach wie vor gibt es regelmäßig Konflikte über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Entlohnung von Überstunden und die Akkordfestsetzung. Aufgrund des scharfen Wettbewerbs um Aufträge von den großen Konzernen war es nicht möglich, die allgemeinen Arbeitsbedingungen entscheidend zu verbessern. Deshalb und weil das unabhängige Monitoring von der Maquilaleitung und zum Teil auch von den Beschäftigten als Substitut für Gewerkschaften gesehen wird, gibt es Reibungen zwischen der Monitoringgruppe und den Gewerkschaften.

Der Vorteil bei diesem unabhängigen und direkten Monitoring besteht darin, daß die ArbeiterInnen und die Gewerkschaften regelmäßig Kontakt zur Überwachungsinstanz haben. Die Monitoringgruppe hat jedoch keine Sanktionsmöglichkeiten. Wird eine Verletzung des Kodex festgestellt, gibt es lediglich freiwillige Verhandlungen mit dem koreanischen Maquilabetreiber, der auch durch öffentlichen Druck nicht zu Zugeständnissen zu bewegen ist, denn er hat (im Gegensatz zu Gap) keinen Ruf zu verlieren. Der strategische Charakter des Kodex zeigt seine Wirkung nur im Norden, d.h. die Maquila Mandarin ist nur durch Druck des Auftraggebers Gap zu Zugeständnissen zu bewegen und die unabhängige Monitoringgruppe schöpft daraus ihre Verhandlungsmacht.

In den USA beteiligt sich mittlerweile die Regierung an der Entwicklung von Verhaltenskodizes. Der im April 1997 mit Unterstützung des Arbeitsministeriums zwischen den Unternehmen der Bekleidungsindustrie, Gewerkschaften sowie Verbraucher- und Menschenrechtsorganisationen ausgehandelte Verhaltenskodex zerbrach ein Jahr später an der Frage der Kontrolle. Weil die Unternehmen ein zu große Macht bei der Überwachung zugesprochen bekamen, sind die Gewerkschaften und ein großer Teil der Menschenrechtsorganisationen aus weiteren Verhandlungen ausgestiegen. Trotzdem soll das Siegel der Fair Labour Association vergeben werden, ohne daß jedoch wirklich sichergestellt wäre, daß die Erzeugnisse nicht in Sweatshops hergestellt wurden.

Auf diese Initiative der US-Regierung reagierten die Betreiber von Weltmarktfabriken in Mittelamerika. DieVerbände der salvadorenischen und guatemaltekischen Maquilabetreiber haben jeweils einen eigenen Verhaltenskodex verabschiedet, der den betroffenen ArbeiterInnen allerdings unbekannt ist. Das verstärkt den Eindruck, daß diese Kodizes lediglich das taktische Ziel verfolgen, der Zertifizierung nach dem US-Kodex zu begegnen und Arbeitsbedingungen nicht verändern zu müssen.

März 2000

 

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