Das Zentralamerikanische Frauennetzwerk

Wenn Sandra Ramos über die Seminare mit den Frauen erzählt, kommt sie richtig in Schwärmen. Verhandlungstechniken, in die Schuhe von anderen Leuten schlüpfen - das alles sind Sachen, die die Frauen für die Verhandlungen mit den Maquilabetreibern brauchen. Sandra Ramos hat nach ihrem Rausschmiß aus der sandinistischen Gewerkschaftszentrale CST die Frauenorganisation Maria Elena Cuadra (MEC) gegründet, die mit Arbeiterinnen und arbeitslosen Frauen Projekte durchführt. Unter anderem arbeitet das MEC mit Arbeiterinnen aus der Maquila und ist Gründungsmitglied des "Zentralamerikanischen Netzes von Frauen in Solidarität mit den Arbeiterinnen in der Maquila" (RED).

Das RED hat sich im September 1996 in El Salvador gegründet. Die Frauengruppen aus Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua sahen damals die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses auf zentralamerikanischer Ebene, um gemeinsame Forderungen zu stellen und damit dem ständigen Druck der Maquila-Betreiber ("dann gehen wir eben ins Nachbarland") etwas entgegenzusetzen. Allerdings war von Anfang an klar, daß auf zentralamerikanischer Ebene Erfahrungen ausgetauscht und Aktionen koordiniert werden können, daß aber jedem Land die Autonomie überlassen bleibt, der jeweiligen Situation entsprechend vorzugehen, ohne daß andere Mitglieder des Red darauf Einfluß nehmen könnten. Natürlich muß diese Vorgehen mit den Zielen des Red übereinstimmen.

Bei einem zweiten Treffen im Dezember 1996 in Guatemala steckten die Frauen den Inhalt und die Vorgehensweise für die Kampagne ab. Ziel ist es, einerseits die Öffentlichkeit in den jeweiligen Ländern, aber auch international für das Thema "Maquila" zu sensibilisieren. Das heißt konkret, mit Flugblättern, Plakaten, Radiospots und bezahlten Zeitungsanzeigen auf die Arbeitsbedingungen in den Maquilas aufmerksam zu machen. So soll eine Basis für die Unterstützung der Arbeit des RED geschaffen werden.

Die Frauen wollen in Verhandlungen die Maquila-Betreibern dazu bringen, einen Verhaltenskodex (Código de ética, siehe Kasten) zu unterschreiben. Dazu existiert eine Version des RED und für jedes Land eine Extra-Ausführung, die zwar die gleichen Forderungen formuliert, in einem Einleitungspassus aber die jeweiligen gesetzlichen Besonderheiten des Landes enthalten sind.

Verhaltenskodex

Das zentralamerikanische Frauennetz in Solidarität mit den Arbeiterinnen in den Maquilas schlägt den Maquila-Betreibern vor, daß sie sich unter dem Schutz der Verfassungen und der Arbeitsgesetzgebung in jeder Republik Zentralamerikas dazu verpflichten, folgenden Verhaltenskodex zu respektieren, einzuhalten und zu fördern. Dieser Kodex schützt die Mindestrechte der Arbeiterinnen.

  1. Schwangere Arbeiterinnen in den Maquilas können ihren Arbeitsplatz behalten, ohne mißhandelt oder in ihren Arbeitsrecheten beschnitten zu werden. 

  2. Die Arbeiterinnen in den Maquilas bekommen die geleisteten Überstunden nach gesetzlichen Maßstäben Bezahlt. 

  3. Die Arbeiterinnen in der Maquila dürfen keine psychische, physische und sexuelle Gewalt erleiden und/oder in ihren Arbeitsrechten verletzt werden. 

  4. Die Maquila-BetreiberInnen müssen die Arbeiterinnen bei der Sozialversicherung anmelden und dafür sorgen, daß die Arbeiterinnen die von der Sozialversicherung angebotenen Leistungen auch in Anspruch nehmen können.

  5. Die Maquila-BetreiberInnen verpflichten sich, den Minderjährigen kostenlose soziale Unterstützung anzubieten.

Die Maquila-BetreiberInnen erlauben Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, die Umsetzung dieser Verpflichtung, die die Unternehmen unterschrieben haben, zu überprüfen.


"Es war nicht einfach, sich auf genau diese Punkte zu einigen", erinnert sich Sandra. Bei ihrem Treffen in Guatemala haben die Frauen erst einmal alle Forderungen zusammengetragen, die sie stellen könnten. Durch das Sieb der Realisierbarkeit sind dann nur die vier Punkte durchgerutscht. "Wir müssen mit den Füßen auf dem Boden bleiben und solche Aspekte fordern, deren Umsetzung auch machbar erscheinen", argumentiert Sandra. Organisationsfreiheit ist in dem Kodex nicht enthalten. "Wir wollten uns nicht von vorneherein alle Verhandlungsmöglichkeiten verbauen", erklärt sie. Wäre die Organisationsfreiheit in den Kodex aufgenommen worden, würden die Verhandlungen ihrer Einschätzung nach wesentlich schwerer zustandekommen und somit auch die Durchsetzung der absoluten Mindestanforderungen erschweren. Und: Auch wenn die Organisationsfreiheit nicht explizit in dem Kodex enthalten ist, findet durch die tägliche Arbeit der Promotorinnen faktisch eine Organisierung statt.

Zum ersten Mal wurde der Kodex beim Treffen des RED Ende April 1997 in Managua der Öffentlichkeit präsentiert. Nach ihren Seminaren zum Thema "Verhandlungstaktiken" machten sich die Frauen aus Honduras, Guatemala und Nicaragua auf, um ihr Wissen gegen den Feind zu nutzen. Es fanden Gespräche mit dem Arbeitsminister und dem Verwalter der Zona Franca statt und das Ergebnis, so Sandra, war nicht schlecht: Sie rechnet damit, daß bis Ende des Jahres ein bis zwei Betreiber in Nicaragua den Kodex unterschrieben haben. Ähnlich zuversichtlich ist auch Rosa Escobar von "Mujeres en Solidaridad" in Guatemala. Auch sie ist davon überzeugt, daß sie bis Ende des Jahres drei Betreiber dazu bewegen könnten, den Verhaltenskondex zu signieren.

Wenn der Ethikcode erst einmal unterschrieben ist, stellt sich die Frage der Kontrolle über die Einhaltung weniger als die Frage nach Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung. Da alle Frauenorganisationen mit den Arbeiterinnen selbst arbeiten, ist klar, daß sie von Verstößen über die Frauen sofort erfahren. Das Problem beginnt genau dann, wenn Druck auf die Betreiber ausgeübt werden soll, damit sie sich zur Einhaltung gezwungen sehen. Dafür - so die Strategie des RED - ist die Sensibilisierungskampagne in den jeweiligen Ländern ausschlaggebend, damit viele Organisationen an einem Strang ziehen. Dabei sollen sich natürlich auch internationale Organisationen und Solidaritätsgruppen angesprochen fühlen, die bei Verstößen beispielsweise mit Protestbriefen reagieren können.

In Nicaragua sind gute Möglichkeiten bezüglich einer breit angelegten Zusammenarbeit mit den örtlichen Gruppen und Institutionen vorhanden: Bei dem Treffen in Managua organisierten die Frauen von Maria Elena Cuadra eine Pressekonferenz, um die Kampagne vorzustellen. Es erschienen 13 MedienvertreterInnen, die sich dazu verpflichten ließen, in den folgenden drei Wochen täglich über die Situation in den Maquilas zu berichten. Dies ist nur ein Beispiel dafür, daß die sandinistischen Kontakte auch heute noch gut funktionieren. Die Befürchtung scheint aber nicht unbegründet, daß derartige Aktionen in keinem der anderen Länder so funktionieren würden.

Anfang diesen Jahres hat der nicaraguanische Arbeitsminister Wilfredo Navarro vor 500 Arbeiterinnen der Freihandelszone einen „Ministerbeschluß zur Arbeit in den Freihandelszonen“, d.h. den Código de ética, unterzeichnet; dieser Beschluß hat Gesetzeskraft für den genannten Sektor. Mittlerweile haben den Code auch die Geschäftsführer von 20 in der Freihandelszone tätigen Unternehmen unterzeichnet. „Maria Elena Cuadra“ wird neben anderen angesehenen Institutionen über die Einhaltung des Ethikcodes wachen.

Trotz aller Motivation, die die Frauen für ihre vielversprechende Arbeit an den Tag legen, werden sie doch auch ab und an in ihrem Enthusiasmus gebremst. Die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften verläuft besonders in Nicaragua, aber auch in Guatemala, sehr schlecht. Der Ethikcode wird von der sandinistischen Gewerkschaftszentrale nicht unterstützt. Das CST fordert, daß das Arbeitsrecht in den Zonas Francas umgesetzt wird. Diese Forderung ist zwar weiterreichend als der Ethikcode des Red, ihre Realisierung jedoch um ein Vielfaches utopischer.

Problem: Fehlende Alternativen

Die Handlungsmöglichkeiten für diese Frauenorganisationen sind sehr begrenzt. Neben der Bewußtseinsarbeit geht es vor allem darum, in Konfliktfällen da zu sein und die ArbeiterInnen zu unterstützen. Doch mehr ist angesichts der wirtschaftlichen Situation und dem daraus resultierenden Fehlen von Alternativen zur Existenzsicherung kaum möglich.

Durch die Bewußtseinsarbeit der Frauenorganisationen in Verbindung mit der internationalen Unterstützung sind mittlerweile auch die Unternehmer auf die Idee gekommen, daß besonders krasse Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen ihrem Ruf und damit dem Absatz schaden können. Deswegen bemühen sich einige Maquila-Betreiber, als „gutes“ Beispiel innerhalb der Zona Franca dazustehen. Europäische Einzelhandelskonzerne (wie Otto) unterwerfen sich öffentlich ihrem eigenen Verhaltenskodex: Wenn einer ihrer Zulieferer kritisiert wird, ziehen sie sich auf diesen Kodex zurück und drohen damit, die Geschäftsbeziehungen zu beenden.

Vor den gleichen Beschränkungen wie die Frauengruppen in Mittelamerika steht auch die Unterstützungsarbeit hier. Soziale Mindeststandards werden gefordert, sowohl für innerhalb der WTO als auch als Verhaltenskodex für Einzelhandelsunternehmen. Am Beispiel der Maquila Ronaco in Nicaragua wird deutlich, was sich dahinter verbirgt: die Frauen verdienen dreimal soviel wie LehrerInnen, sie haben Zugang zur Sozialversicherung und bekommen ihre Überstunden gezahlt - die Forderer von sozialen Mindeststandards könnten sich gemütlich zurück- lehnen. Doch ist es wirklich befriedigend, daß eine Frau in Nicaragua einen Monatslohn erhält, der ein bißchen höher ist als der Ladenpreis von zwei der vielen Hosen, die sie täglich produziert? Ist es wirklich als Erfolg zu werten, wenn eine Frau 150 Dollar im Monat verdient und damit gerade das Überleben ihrer Familie sichern kann?

Anliegen aus dem Süden: Wir brauchen soziale Bewegung im Norden

Während man sich in Europa darüber Gedanken macht, wie durch Sozialklauseln oder Codes of Conduct (Verhaltenskodices, A. d. R.) die Arbeitsbedingungen in den Maquilas verbessert werden können, lautet das Anliegen aus dem Süden anders. Immer wieder ist von der Notwendigkeit die Rede, den Widerstand zu globalisieren. Eine Forderung, die sicherlich als utopisch bezeichnet werden kann. Doch in ihrem Kern steckt etwas sehr Wesentliches, das auch das bislang vorherrschende Solidaritätskonzept ein wenig in Frage stellt. Der Aufruf der ZapatistInnen nach internationaler Solidarität beispielsweise meinte nicht das Sammeln von Geld für Waffen. Er meinte die Notwendigkeit, in den Ländern des Nordens soziale Bewegungen zu schaffen, die auch die eigenen Probleme in Angriff nehmen. Der Traum der ZapatistInnen besteht darin, die verschiedenen sozialen Bewegungen miteinander zu verknüpfen.

Es muß hier nicht extra betont werden, daß dies ein sehr schwieriger Weg ist. Dennoch scheint gerade die Maquila-Problematik geeignet, die sozialen Bewegungen in Mittelamerika mit einer potentiellen hier zu verbinden. Die Globalisierung hat ihre Auswirkungen auch in Deutschland. Auch hier werden Arbeitsrechte immer weiter beschnitten. Es ist notwendig, sich mit dieser Entwicklung hier zu beschäftigen, die Maquila-Problematik, ihre Widersprüche und die Folgen dieses Phänomens für uns in die Diskussion einzubringen und sich aktiv an dem politischen Kampf in der Bundesrepublik zu beteiligen, statt sich auf einer minimalen Verbesserung der Arbeitsbedingungen auszuruhen.

 

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