Honduras

Länderteil

Aktivitäten zu Honduras 2023

Die Mitte-Links-Regierung der Partei Libre von Xiomara Castro war Ende Januar 2022 angetreten, um die Strukturen des seit dem Putsch 2009 errichteten korrupten Narcostaates zu demontieren und Grundlagen für eine Neugründung von Honduras zu schaffen. Zur Mitte ihrer Amtszeit Ende 2023 fällt die Bilanz nach Auffassung der meisten Analyst*innen allenfalls gemischt aus. (1) Für Verteidiger*innen von Menschenrechten auf dem Land, Umweltaktivist*innen und Journalist­*innen war 2023 in Honduras sogar ein besonders schwieriges und für mindestens 17 von ihnen tödliches Jahr.

Nach einer Sitzung des Nationalrates für Verteidigung und Sicherheit kündigte Präsidentin Castro Anfang Juni 2023 die Schaffung einer Kommission für Sicherheit im Agrarsektor und Zugang zu Land an.
Nach einer Sitzung des Nationalrates für Verteidigung und Sicherheit kündigte Präsidentin Castro Anfang Juni 2023 die Schaffung einer Kommission für Sicherheit im Agrarsektor und Zugang zu Land an. Resultat waren im Laufe des Jahres mehr Räumungen zugunsten von Agrarunternehmen und Großgrundbesitzenden. Quelle: SEDESOL Honduras

Neben der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik China hob Castro in mehreren Reden zu Beginn des Jahres 2024 vor allem innenpolitische Erfolge ihrer bisherigen Amtszeit hervor,(2) darunter die Auflösung privater Treuhandgesellschaften, die Milliarden an öffentlichen Geldern verwaltet hatten, den Wiederaufbau der ausgeplünderten staatlichen Energiegesellschaft, staatliche Investitionen und Transferleistungen etwa in Landwirtschaft, Infrastruktur und Armutsbekämpfung.(3)

Wirtschaftliche Entwicklung

Nach Angaben der Regierung waren im Jahr 2021 73,6 Prozent der honduranischen Bevölkerung arm. 2023 sei es gelungen, diese Rate um fast 10 Prozent auf 64,1 Prozent zu senken. Die extreme Armut sei von 53,7 Prozent im Jahr 2021 auf 41,5 Prozent im Jahr 2023 gesunken und die Ungleichheit im Land sei deutlich reduziert worden.(4)

Im April 2023 legte die Regierung ein Projekt für eine große Steuerreform vor. Die enormen Steuerermäßigungen für große Unternehmen, die zwischen 2009 und 2021 per Dekret erlassen worden waren, sollten in Zukunft wegfallen und Steuerschlupflöcher geschlossen werden.(5) Doch das Projekt kam das Jahr über nicht voran, eine Generaldebatte im Kongress war nicht möglich. Der 2023 gebildete Oppositionsblock BOC, dem auch der ehemalige LIBRE-Koalitionspartner PSH (Partido Salvador de Honduras) angehört, verhinderte mit seiner Mehrheit und schließlich einer kompletten Blockade zunehmend wichtige Entscheidungen im Parlament, darunter auch die endgültige Abschaffung der Sonderzonen für Beschäftigung und Entwicklung (ZEDE).

Allgemeine Mordrate sinkt, mehr Femizide

Zum positiven Saldo ihrer Regierungsbilanz 2023 rechnete Xiomara Castro den Rückgang der allgemeinen Mordrate im Jahr 2023 um gut zehn Prozent auf 31 Fälle pro 100.000 Einwohner*innen. Allerdings folgt dieser Rückgang einem Trend, der seit 2013 anhält. Damals lag die Mordrate bei über 77 pro 100.000. Seither ist sie kontinuierlich gesunken. Analyst*innen, die zum Beispiel ein Stadtviertel der Wirtschaftsmetropole San Pedro Sula untersuchten, vermuten, dass dies vor allem mit Abkommen verschiedener Banden untereinander zusammen hängt.(6)

Die Tötungsdelikte gegen Frauen folgten dem Trend nicht, im Gegenteil: Mindestens 380 Frauen verloren in Honduras im Jahr 2023 ihr Leben durch Gewalt. Die Rate der Femizide stieg damit um fast ein Viertel im Vergleich zu 2022. Mit Ausnahme der Legalisierung der PAE („Pille danach“) war auch der von Xiomara Castro versprochene Kampf für Frauen-Rechte auf der Agenda der Regierung 2023 kaum präsent.

Situation der LGBTIQ*-Community

Die Datenbank der Organisation Red Lésbica Cattrachas verzeichnet für 2023 50 Morde an Lesben, Schwulen und Transgender und einen Fall von gewaltsamem Verschwindenlassen einer trans Frau.(7) Die Maßnahmen, die der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte im bahnbrechenden Urteil „Vicky Hernández“ 2021 angeordnet hatte (darunter die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität von trans* Personen und Verfahrensrichtlinien für die Strafverfolgung von Hassverbrechen) wurden auch 2023 nicht umgesetzt.

Strukturelle Herausforderungen

Räumung zugunsten der Zuckerindustrie: Im Departement Yoro wurden im August 2023 etwa 700 Familien vertrieben, 350 Hektar Mais wurden vernichtet.
Räumung zugunsten der Zuckerindustrie: Im Departement Yoro wurden im August 2023 etwa 700 Familien vertrieben, 350 Hektar Mais wurden vernichtet. Quelle: Radio Progreso Honduras

Neben der legislativen Krise stellten vier strukturelle Problembereiche Staat und Regierung auch 2023 vor enorme Herausforderungen, so der honduranische Thinktank Cespad: Autoritarismus und Militarisierung, die Privatisierung der Gemeingüter, das extraktivistische Wirtschaftsmodell sowie Korruption und Straflosigkeit.(8)

Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit gab es 2023 erste Erfolge, die sich allerdings noch in der Praxis bewähren müssen. Dazu gehörte die Neuwahl der Mitglieder des Obersten Gerichtshofs. Erstmals wurden Leistung und Kompetenz der Kandidat*innen in einem einigermaßen transparenten Prozedere berücksichtigt. Ein wichtiger Schritt war auch die Wahl eines neuen Interims-Generalstaatsanwaltes und seines Stellvertreters.(9) Der frühere Generalstaatsanwalt Oscar Chinchilla scheint seit dem Tag seiner Amtsenthebung untergetaucht zu sein.

Zudem wurden einige Gesetze des so genannten "Paktes für Straflosigkeit" aufgehoben, die unter anderem die Strafverfolgung von Korruption behinderten. Im Alltag der Honduraner*innen hat dies offensichtlich noch keine Auswirkungen, nicht zuletzt weil der Staatsanwaltschaft weiterhin Mittel, Personal und Ausstattung fehlen. Die Verhandlungen mit den Vereinten Nationen für eine Internationale Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit, eine der Hauptforderungen der Zivilgesellschaft seit 2015, kamen nur schleppend voran. Nun wird die Zeit für die Vorbereitung und Einsetzung der Kommission bis zu den Wahlen im November 2025 sehr knapp.

Militarisierung und Ausnahmezustand

Schwerwiegende Defizite wurden der Regierung Castro 2023 vor allem in den Bereichen Sicherheit und Menschenrechte attestiert. Die angekündigte Entmilitarisierung hat weder auf den Straßen noch institutionell stattgefunden. Die Militärpolizei besteht weiter. Nach einem Gefängnismassaker, dem im Juni 2023 46 Frauen zum Opfer fielen, übergab die Präsidentin die Kontrolle der Haftanstalten erneut dem Militär. Das Internetmedium Reporteros de Investigación fand Indizien für einen erzwungenen "Pakt mit der in der Armee fest verwurzelten Drogenmafia".(10)

Nach dem Massaker im Frauengefängnis präsentierte das honduranische Verteidigungsministerium zahlreiche in Haftanstalten eingesammelte Waffen.
Nach dem Massaker im Frauengefängnis präsentierte das honduranische Verteidigungsministerium zahlreiche in Haftanstalten eingesammelte Waffen. Quelle: Secretaría de Defensa Nacional Honduras

Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Honduras äußerte sich besorgt über die wiederholte Anwendung des seit Dezember 2022 für verschiedene Regionen verhängten und 2023 auf das ganze Land ausgeweiteten Ausnahmezustandes ohne eine umfassende menschenrechtsbasierte Politik der öffentlichen Sicherheit.(11)

Eine Kopie des Modells Bukele?

Nach Besuchen von Xiomara Castros Ehemann Mel Zelaya (offiziell nur Berater der Präsidentin) und ihrem Sohn und Privatsekretär Hector Zelaya in El Salvador berichteten die Medien beider Länder viel von einer möglichen Kopie des „punitiven Populismus“ nach dem Vorbild des autokratischen Präsidenten Nayib Bukele. In Honduras wurden während des Ausnahmezustandes zahlreiche Menschen wegen vermeintlicher Tätigkeit für die Banden MS13 oder Barrio 18 für kurze Zeit verhaftet und gegen Geldzahlungen mangels Beweisen wieder freigelassen. Der Ausnahmezustand habe sich in ein Geschäftsmodell verwandelt, befand die regierungskritische honduranische Journalistin Jennifer Ávila.(12)

Auswirkungen auf die meist mit Todesdrohungen verbundenen Schutzgelderpressungen hatten die Maßnahmen des Ausnahmezustandes offenbar nicht. Die Anzeigen wegen Erpressung nahmen 2023 zwar stark ab, Expert*innen führen dies aber nicht auf eine geringere Fallzahl, sondern auf das fehlende Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz zurück. Die Menschen machten die Erfahrung, dass nicht die Hintermänner, sondern nur die Handlanger festgenommen würden und „für jeden Kassierer zwei neue nachkommen“.(13)

Für 2024 kündigte die Regierung den Bau eines Hochsicherheitsgefängnisses für das Führungspersonal der Banden auf einer der entlegenen Schwaneninseln (Islas del Cisne) in der Karibik an. Die Baukosten werden wegen der schwierigen Logistik auf umgerechnet 800 Millionen US-Dollar geschätzt. Umweltschutzorganisationen befürchten irreparable Schäden an der einzigartigen Flora und Fauna auf der Insel.(14)

Kritische Menschenrechtssituation

Trauerzug für die ermordeten Umweltschützer Aly Dominguez und Jairo Bonilla aus Guapinol im Januar 2023. Im Juni wurde Oqueli Dominguez im Haus seiner Mutter erschossen. Nahezu die ganze Familie musste ins Ausland fliehen.
Trauerzug für die ermordeten Umweltschützer Aly Dominguez und Jairo Bonilla aus Guapinol im Januar 2023. Im Juni wurde Oqueli Dominguez im Haus seiner Mutter erschossen. Nahezu die ganze Familie musste ins Ausland fliehen. Quelle: Guapinol Resiste

Honduras blieb auch 2023 eines der weltweit gefährlichsten Länder für Menschenrechtsverteidiger*innen. Ein Großteil der attackierten und fast alle getöteten Aktivist*innen waren Umweltschützer*innen und Verteidiger*innen von Territorien und Landrechten.(15) Das UN-Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Honduras dokumentierte 15 Morde an Menschenrechtsverteidiger*innen und zwei an Journalist*innen. Von diesen 17 Todesopfern waren 13 an der Verteidigung von Land, Territorien und Umwelt beteiligt. 2023 war das Jahr mit der zweithöchsten Anzahl von Morden an Menschenrechtsverteidiger*innen in Honduras seit dem Beginn der Arbeit des Hochkommissariats im Jahr 2015.(16)

Besonders in Regionen, die von Mafias im Verbund mit Politiker*innen und Unternehmer*innen dominiert werden, etwa das von großen Ölpalmplantagen geprägte Aguán-Tal oder an der Karibikküste, verbesserte sich die Menschenrechtslage nicht und die Straflosigkeit hielt an. Von der angekündigten Neuordnung des Agrarsektors zugunsten von Kleinbäuer*innen(17) war 2023 noch ebenso wenig zu sehen, wie von einer Lösung des Konfliktes um die Eisenerztagebaue im Nationalpark oberhalb der Gemeinde Guapinol. Auch die bereits 2015 vom Inter­amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verfügte Rückgabe von Gemeindeland an Garífuna-Gemeinden fand nicht statt.

Emissionshandel ohne Konsultation

Garífuna von der Karibikküste wehren sich gegen den Verlust von Mangrovenwäldern, die unter anderem die Auswirkungen der Klimakrise abmildern und Kohlendioxid spei­chern.
Garífuna von der Karibikküste wehren sich gegen den Verlust von Mangrovenwäldern, die unter anderem die Auswirkungen der Klimakrise abmildern und Kohlendioxid spei­chern. Für den Plan, diese Speicherleistung zu Geld zu machen und dem Globalen Norden weitere Verschmutzung zu ermöglichen, wurden sie nicht konsultiert. Quelle: Instituto Nacional de Conservación y Desarrollo Forestal Honduras

Sorgen machte besonders indigenen und Garífuna-Organisationen auch ein 2023 verabschiedetes Sondergesetz „für Klimagerechtigkeit“, mit dem Honduras in den weltweiten CO2-Emissionshandel einsteigen und seine klamme Staatskasse aufbessern will. Die betroffenen Gemeinden, in denen große Wald- und Mangrovengebiete liegen, wurden gar nicht (18) oder unter höchst umstrittenen Umständen (19) konsultiert, obwohl der honduranische Staat durch die Konvention 169 der Weltarbeitsorganisation dazu verpflichtet ist.(20)

Auch die Arbeit des Menschenrechtsministeriums und die Ineffizienz des Schutzmechanismus für Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen standen 2023 wie schon 2022 in der Kritik und konnten sich weder personell noch strukturell konsolidieren.(21)

Dieser Text ist die erweiterte und ergänzte Fassung eines Artikels für die Online-Plattform amerika21: https://amerika21.de/2024/02/268091/zwei-jahre-regierung-castro-honduras

(1) https://criterio.hn/xiomara-castro-dos-anos-de-promesas-cumplidas-incumplidas-y-a-medias/
(2) https://www.youtube.com/watch?v=0Yo3TfkHqVc
(3) https://nuevanicaraguaymas.blogspot.com/2024/01/dos-anos-de-xiomara.html
(4) https://oacnudh.hn/wp-content/uploads/2024/03/Informe-OACNUDH-2023_19.03.2024.pdf Die Weltbank spricht bei einem Tageseinkommen von weniger als 2,25 US_Dollar von extremer Armut.
(5) https://www.nodal.am/2023/02/honduras-xiomara-castro-anuncia-una-reforma-tributaria-al-cumplir-un-ano-de-gobierno/
(6) https://contracorriente.red/2024/01/30/informes-de-los-poderes-del-estado-opacidad-y-mas-promesas-que-logros/
(7) https://www.cattrachas.org/sistemas?lightbox=dataItem-lt7bvxio
(8) https://cespad.org.hn/que-tanto-ha-avanzado-el-gobierno-de-la-refundacion-en-desmontar-la-terrible-herencia-de-juan-orlando-hernandez/
(9) https://contracorriente.red/2024/01/30/informes-de-los-poderes-del-estado-opacidad-y-mas-promesas-que-logros/
(10) https://reporterosdeinvestigacion.com/2023/12/11/los-narcomilitares-nunca-se-fueron-de-honduras-elias-melgar-un-complot-y-el-ascenso-de-los-militares-en-el-gobierno-de-xiomara-castro/
(11) https://www.hrw.org/es/world-report/2024/country-chapters/honduras
(12) https://especiales.elfaro.net/es/democracia/materiales/27117/Bukelismo-a-la-hondure%C3%B1a.htm
(13) https://criterio.hn/2023-un-ano-de-estado-de-excepcion-en-honduras-con-escasas-denuncias-por-extorsion/
(14) https://www.bnamericas.com/es/noticias/honduras-insiste-con-proyecto-de-prision-en-el-mar
(15) https://criterio.hn/garantia-de-los-derechos-humanos-en-honduras-una-ilusion-sembrada-por-xiomara-castro/
(16) https://oacnudh.hn/wp-content/uploads/2024/03/Informe-OACNUDH-2023_19.03.2024.pdf
(17) https://amerika21.de/2023/06/264516/honduras-agrarreform-repression
(18) https://ofraneh.wordpress.com/2023/07/31/la-aprobacion-de-la-ley-de-carbono-colonialismo-y-la-falta-de-consulta-a-los-pueblos-indigenas-en-honduras/?fbclid=IwAR1Ew4vtL0cpwVsBelNAM-oB5G00iGvYpuhUwkzj3pJiuQ6_-2lUL-50_54
(19) https://contracorriente.red/2024/04/03/el-inconsulto-proyecto-de-carbono-en-los-manglares-de-la-moskitia-hondurena/
(20) https://criterio.hn/venta-de-creditos-de-carbono-en-honduras-se-mantiene-en-mora-y-opacidad/
(21) https://www.ohchr.org/es/press-releases/2023/10/honduras-national-protection-mechanism-must-address-violence-smear-campaign

Aktivitäten zu Honduras

Honduras, ein Jahr nach dem Regierungswechsel: 
Eine Zwischenbilanz
Das Jahr 2023 war geprägt von Desillusionierung über die Möglichkeiten der Regierung Castro, die Strukturen des korrupten Narco-Staates Honduras aus den Angeln zu heben, und einer weiterhin sehr kritischen Lage für Menschenrechtsverteidiger*innen. Wir beleuchteten diese komplexe Situation im Mai gemeinsam mit der BundesKoordination Internationalismus (BuKo) in einer Online-Diskussion mit Referent*innen zweier indigener Basisorganisationen, denen wir seit langem eng verbunden sind: Bertha Zúniga (Koordinatorin des Zivilgesellschaftlichen Rates der Volks- und indigenen Organisationen von Honduras, COPINH) und Dr. Dr. Ronny Castillo von der Schwarzen Geschwisterlichen Organisation von Honduras (OFRANEH), die Garífuna-Gemeinden an der Nordküste von Honduras organisiert.

Causa Berta Cáceres

„Berta fehlt uns sehr. Ihre Fröhlichkeit, ihre Kraft. Trotzdem spüren wir ihre Gegenwart stärker denn je.“ Gustavo Castro von der NGO Otros Mundos aus Chiapas überlebte verletzt die Nacht des Attentats auf Berta Cáceres.
„Berta fehlt uns sehr. Ihre Fröhlichkeit, ihre Kraft. Trotzdem spüren wir ihre Gegenwart stärker denn je.“ Gustavo Castro von der NGO Otros Mundos aus Chiapas überlebte verletzt die Nacht des Attentats auf Berta Cáceres. Quelle: COPINH

Trotz einiger Reformen und Neubesetzungen des Obersten Gerichtshofs und an der Spitze der Staatsanwaltschaft mahlten die Mühlen der Justiz in Honduras auch 2023 sehr langsam oder gar nicht. Während die Gerichtsurteile gegen die unmittelbaren Täter in der emblematischen Causa Berta Cáceres immer noch keinen festen Bestand hatten, gab es gegen Jahresende einen kleinen Fortschritt in Bezug auf die mutmaßlichen Auftraggeber des Mordes an der Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin. Berta war wegen ihres Engagements gegen das von europäischen Entwicklungsbanken finanzierte Wasserkraftwerk Agua Zarca in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2016 in ihrem Haus von Auftragsmördern erschossen worden. Am 1. Dezember 2023 erließ die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen den ehemalige Finanzchef des Wasserkraft-Unternehmens Desa (Desarrollos Energéticos), Daniel Atala Midence, wegen seiner mutmaßlichen Verwicklung in den Mordfall: Wir berichteten darüber:

https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/mord-an-berta-caceres-haftbefehl-gegen-maechtigen-unternehmer.html. Atala Midence ist flüchtig und zur Fahndung ausgeschrieben.

Städte ohne Staat – und ohne Demokratie: 
Veranstaltung und Speakerstour zu den ZEDE

Venessa Cárdenas und Christopher Castillo auf dem Weg von Leipzig nach Döbeln zum Austausch über den Widerstand gegen die ZEDE.  In Sachsen planen Anhänger:innen der Privatstadtidee ein genossenschaftliches Projekt.
Venessa Cárdenas und Christopher Castillo auf dem Weg von Leipzig nach Döbeln zum Austausch über den Widerstand gegen die ZEDE. In Sachsen planen Anhänger:innen der Privatstadtidee ein genossenschaftliches Projekt. Quelle: Ökubüro

Honduras ist der erste Staat weltweit, der von Unternehmer*innen geführte Privatstädte als Enklaven auf dem eigenen Staatsgebiet zuließ. Im Jahr 2013 erließ die Regierung unter Ex-Präsident Juan Orlando Hernandez das Gesetz über die „Sonderzonen für Beschäftigung und Entwicklung“ (ZEDE). Ab 2019 wurden in Honduras tatsächlich erste ZEDE umgesetzt, zuerst Próspera auf der Karibikinsel Roatán, dann Morazán City in der Nähe von San Pedro Sula und Orquídea im Süden des Landes. Hinter dem Konzept der von Unternehmen regierten Enklaven stehen internationale marktradikale („libertäre“) Netzwerke, die Demokratie und Sozialstaat in weiten Teilen ablehnen. Deshalb verstehen wir unsere Arbeit zu den ZEDE seit 2012, als in Honduras erste Proteste gegen die Planungen aufkamen, immer auch als Verteidigung demokratischer Grundwerte und Regeln weltweit.

Die ZEDE in Honduras durften sich ihre eigenen Gesetze geben, eigene Gerichte und Sicherheitsdienste einsetzen und – wie es Próspera vormacht – eine eigene Citizenship vergeben. Soziale Bewegungen hatten sich von Anbeginn gegen die Pläne gestellt, Land an unternehmensgeführte Privatstädte abzutreten, sie fürchten auch die Vertreibung insbesondere indigener Gemeinden und armer Bevölkerungsschichten. Mit dem Bekanntwerden der ersten realen Projekte wuchs eine breite Protestbewegung gegen die ZEDE in Honduras und so gehörte die Rückabwicklung der Privatstädte zu den wichtigsten Vorhaben der Regierung Castro. Doch obwohl das Gesetz über die ZEDEs im April 2022 vom Parlament annulliert wurde, treibt vor allem Próspera weiter seine Projekte voran; auf Roatán werden trotz fehlender Umweltgenehmigung Hochhäuser errichtet. Dort war Ende 2023 eine sogenannte „Pop up“-City namens Vitalia, als temporäres Zentrum für anderswo nicht erlaubte gentechnische Experimente an Menschen in Vorbereitung. Im Dezember 2022 hatten die Betreiberfirmen von Próspera eine Milliardenklage gegen Honduras vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten mit Sitz in Washington DC eingereicht.

Christopher und die Milpa (die Mais- und Bohnenpflanzung) des Allerweltshauses in Köln
Christopher und die Milpa (die Mais- und Bohnenpflanzung) des Allerweltshauses in Köln Quelle: Ökubüro

2023 organisierten wir erneut zahlreiche Aktivitäten zu den ZEDE. Den Auftakt machte eine mit 86 Besucher*innen außerordentlich gut besuchte Veranstaltung zur Lateinamerika-Woche in Nürnberg. Christopher Castillo, Koordinator der Umwelt- und Gemeindebewegung ARCAH referierte und diskutierte online am 24. Januar zum Thema „Privatstädte – Kein Modell für die Zukunft!“ mit dem Publikum.

Im Oktober beobachteten wir den „Liberty in Our Lifetime“-Kongress der Free Cities Foundation und trafen letzte Vorbereitungen für unsere deutschlandweite Speakerstour „Städte ohne Staat – und ohne Demokratie“. Anfang November war es soweit und wir begrüßten Christopher Castillo und die stellvertretende Vorsitzende des indigenen Gemeinderates von Crawfish Rock auf der Insel Roatán, Venessa Cárdenas Woods in München. Unsere gemeinsame Tour führte durch sieben Städte: München, Halle/S., Leipzig, Döbeln, Rostock, Berlin und Köln. Das Programm gestaltete sich dicht gedrängt mit Abend- bzw. Nachmittagsveranstaltungen, sechs Medien- und sieben Fachgesprächen, sowie einer Schuldoppelstunde. Kooperationspartner*innen waren u.a. das Konzeptwerk Neue Ökonomie, Treibhaus e.V. Soziokultur in Döbeln, der Politische Donnerstag im Peter-Weiss-Haus Rostock, fdcl und Cadeho in Berlin, die Zeitschrift ILA, der Dachverband kritische Aktionär*innen und das AllerWeltshaus in Köln.

Venessa Cárdenas berichtete, wie sich das traditionell geprägte Leben in Crawfish Rock seit der Ankunft der Privatstadt Prospéra in der unmittelbaren Nachbarschaft verändert hat.
Venessa Cárdenas berichtete, wie sich das traditionell geprägte Leben in Crawfish Rock seit der Ankunft der Privatstadt Prospéra in der unmittelbaren Nachbarschaft verändert hat. Quelle: Ökubüro

In einem ganztägigen Seminar mit zwei zusätzlichen Referent:innen: Thomas Fritz (Powershift) zum Thema Internationale Schiedsgerichte und der US-amerikanischen Anthropologin Beth Geglia, loteten wir die Probleme der aktuellen Regierung aus, die ZEDEs wieder loszuwerden, erfuhren, welche juristischen Fallstricke mit dem Verfassungsrang der ZEDE verbunden sind und diskutierten über Strategien des 2023 wiederauflebenden Widerstands sozialer Bewegungen gegen die ZEDE. Außerdem sahen wir uns das System der internationalen Schiedsgerichte und der Klagen von Investor*innen gegen Staaten genauer an und diskutieren über Lösungsstrategien und Unterstützungsmöglichkeiten für die betroffenen Gemeinden in Honduras.

Die vielfältigen Erkenntnisse und Ergebnisse der Rundreise (zur komplexen politischen und juristischen Situation, zum Verfahren vor einem Schiedsgericht der Weltbank, zu den konkreten Problemen und Vorstellungen der Bewohner*innen einer Gemeinde englischsprachiger  Schwarzer Inselkarib*innen, zu notwendigen Recherchen in Bezug auf Vorhaben und Investor:innen der Unternehmen, die die ZEDE konstituierten, zu internationalen anti-demokratischen, libertär kapitalistischen Netzwerken und zur prekären Sicherheitssituation von Men­schenrechtsverteidiger*innen in Honduras) gehen in unsere weitere Arbeit ein. Der lokale und landesweite Widerstand, der sich aus der Kraft von Communities und sozialen Bewegungen speist, geht große Risiken ein und sollte von Regierungen und Zivilgesellschaft hierzulande intensiv begleitet werden.

MdB Max Lucks mit Christopher Castillo und Venessa Cardenas
MdB Max Lucks mit Christopher Castillo und Venessa Cardenas Quelle: Ökubüro

Dies zeigte sich auch in Gesprächen während der Speakerstour im Auswärtigen Amt und mit Bundestagsabgeordneten bzw. deren Mitarbeiter*innen. Dort war die prekäre Sicherheitssituation von Menschenrechtsverteidiger*innen eines der Hauptthemen. Wenige Wochen nach ihrer Rückkehr wurde Venessa Cárdenas von einer ehemaligen Angestellten von Próspera am 8. Dezember 2023 angegriffen und verletzt. Die Abgeordneten hielten ihr Versprechen und forderten in einem Offenen Brief an die honduranische Regierung wirksamen Schutz. https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/deutsche-abgeordnete-fordern-schutz-fuer-honduranische-aktivist-innen.html

Auch 2024 wurde uns nichts von einer Reaktion der honduranischen Regierung oder staatlicher Stellen bekannt. ARCAH beklagte, dass Maßnahmen, zu denen die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte den honduranischen Staat verpflichtet hat, nicht umgesetzt und den Mitgliedern der Organisation sogar die minimalen bestehenden Maßnahmen entzogen wurden.

Garífuna & Gewaltsames Verschwindenlassen

Die Situation der von Auslöschung bedrohten afroindigenen Garífuna-Gemeinden im Norden von Honduras beschäftigte uns auch 2023.

Zwei Episoden unseres Podcasts „Gibt es Elefanten in Abya Yala?“ https://www.oeku-buero.de/veroeffentlichungen/podcast.html erzählten, jeweils in einer deutschen und einer spanischen Fassung, über die Gemeinde Triunfo de la Cruz, die sich gegen Landraub durch Tourismusunternehmen, Palmölplantagen und Drogenkartelle zur Wehr setzt. Ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte hatte bereits 2015 den Garífuna ihr Gemeindeland zugesprochen, die Restitution der Grundstücke durch den Staat kam aber auch 2023 keinen Zentimeter voran. Stattdessen ging die Repression weiter: Zwei Landverteidiger aus Triunfo de la Cruz wurden 2023 an der gleichen Stelle tot aufgefunden: Arnaúl Montero und Martín Morales. Wir berichteten über die Hintergründe des zweiten mutmaßlichen Mordes. https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-aufklaerung-nach-gewaltsamen-tod-eines-landverteidigers-gefordert.html

„An unserer Wand bis zu ihrer Rückkehr“

Vier Garifuna aus Triunfo de la Cruz – seit 2023 auf dem großen Wandbild mit gewaltsam Verschwundenen aus aller Welt (Haus Schwarzenberg, Berlin-Mitte)
Vier Garifuna aus Triunfo de la Cruz – seit 2023 auf dem großen Wandbild mit gewaltsam Verschwundenen aus aller Welt (Haus Schwarzenberg, Berlin-Mitte) Quelle: Ökubüro

Am 30. August, dem Internationalen Tag der Opfer des Verschwindenlassens, malten wir gemeinsam mit Mitgliedern des Kollektivs CADEHO, unterstützt von der Berliner Galerie Neurotitan und der Koalition gegen Verschwindenlassen, vier Porträts an die große Wand der Verschwundenen in Berlin-Mitte (Haus Schwarzenberg Rosenthaler Straße 39): Wir erinnerten auch mit Informationstafeln und einer Postkarte, an Sneider Centeno, Miltón Martínez, Suami Mejía und Gerardo Tróchez, die am frühen Morgen des 17. Juli 2020 von Schwerbewaffneten in Polizeiwesten mit mutmaßlichen Polizeifahrzeugen verschleppt wurden. Der honduranische Staat leugnet seither seine Zuständigkeit für die Suche und von den vier fehlt jegliche Spur. Die Aktion war Teil unseres seit 2023 verstärkten Engagements in der Koalition gegen Verschwindenlassen. Ein Video ist auf der Website der Koalition zu sehen: https://gewaltsames-verschwindenlassen.de/feature/honduras-wo-sind-die-verschwundenen

Angriff auf Miriam Miranda in Vallecito

In den frühen Morgenstunden des 19. September 2023 drangen mindestens vier unbekannte und schwer bewaffnete Männer in die Garifuna-Gemeinde Vallecito ein, die wir 2022 besucht hatten, und umstellten das Haus von Miriam Miranda, der Koordinatorin von OFRANEH. Wir schlossen uns dem internationalen Aufschrei der Besorgnis an und forderten die zuständigen staatlichen Institutionen auf, unverzüglich für einen angemessenen, wirksamen und mit den Garífuna abgestimmten Schutz von Miriam Miranda und den durch Landraub und fortgesetzten Terror bedrohten Garífuna-Gemeinden in Honduras zu sorgen. https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-angriff-und-drohungen-gegen-das-leben-von-miriam-miranda-menschenrechtsverteidigerin-der-garifuna-und-koordinatorin-von-ofraneh.html

Morde an Umweltschützern in Guapinol

In dem Ort Guapinol am Eingang des Aguán-Tals wehren sich Einwohner:innen seit Jahren gegen Eisenerztagebaue in einem Trinkwassereinzugsgebiet im Nationalpark oberhalb der Gemeinde. Später kamen noch eine Pelletierfabrik neben der Gemeinde und ein Wasserkraftprojekt hinzu.

Der Vertreter des Wasserkomitees von Guapinol und Umweltaktivist Reynaldo Domínguez wies im Dezember 2022 bei einer Speakerstour in Europa, die ihn auch nach Berlin führte, wo wir ihn begleiteten, ausdrücklich auf die Lebensgefahr für die Familienangehörigen und die weniger bekannten Mitglieder des Widerstandes gegen die Projekte des Unternehmerehepaares Lenir Pérez und Ana Facussé hin. 2019 und 2020 waren bereits drei Umweltaktivisten aus Guapinol erschossen worden. Die Taten blieben straflos. Am 7. Januar 2023 wurden Reynaldos Bruder Aly und dessen Kollege Jairo Bonilla erschossen.

Fragen an die Bundesregierung

Eigentümer von Inversiones Los Pinares https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/erneuter-mord-mit-bezuegen-zu-einer-eisenerzmine-in-honduras.htm und Ecotek ist das honduranische Unternehmerpaar Lenir Pérez und Ana Facussé. Im April 2023 sorgte die Durchsuchung ihres Anwesens in Florida, USA durch das FBI für Schlagzeilen. Nach Aussagen seines Anwalts wurde Pérez als Präsident der Unternehmensgruppe EMCO Holding im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen den US-Stahlkonzern Nucor befragt, der jahrelang mit Inversiones Los Pinares zusammengearbeitet hatte. Pérez ist auch Geschäftspartner einer Tochtergesellschaft der Flughafen München GmbH. Soweit wir wissen, laufen gegen Pérez Ermittlungen und er darf die USA nicht verlassen.

MdB Kathrin Vogler mit  Esly Banegas aus dem Bajo Aguán in Honduras. Esly gehört auch dem Comitee der Verteidigung der Gemeingüter aus Tocoa an, das Flüsse Guapinol und San Pedro verteidigt.
MdB Kathrin Vogler mit Esly Banegas aus dem Bajo Aguán in Honduras. Esly gehört auch dem Comitee der Verteidigung der Gemeingüter aus Tocoa an, das Flüsse Guapinol und San Pedro verteidigt. Quelle: Ökubüro

Die Bundesregierung, als zweitgrößte Anteilseignerin des Münchner Flughafens, antwortete am 24. Mai 2023 auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Kathrin Vogler und Kolleg*innen, die wir gemeinsam mit anderen Organisationen angeregt hatten: "Der Bundesregierung sind die öffentlich verfügbaren Informationen über Vorwürfe gegen Lenir Pérez bekannt. Erkenntnisse, dass Lenir Pérez im Zusammenhang mit diesen Vorwürfen rechtskräftig verurteilt worden wäre, liegen der Bundesregierung bislang nicht vor“. Ein Tweet des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte verurteile die Ermordung der beiden Aktivisten, stelle allerdings keine direkte Verbindung zwischen ihrer Tätigkeit und dem Mordmotiv her. Bei der Ermordung von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern und angesichts der hohen Straflosigkeit in Honduras liege allerdings in diesen Fällen „regelmäßig der Verdacht nahe, dass zwischen ihrer Arbeit und der Ermordung ein Zusammenhang besteht".

Im Juni 2023 drangen Bewaffnete in das Haus der Familie Dominguez ein, töteten Reynaldos jüngeren Bruder Oquelí und verletzten seine Mutter. Reynaldo und zwei Dutzend weitere Familienmitglieder mussten das Land verlassen. Ihr Aufenthaltsort wird streng geheim gehalten nachdem sie auch im Exil bedroht worden sind. Trotz der Lebensgefahr und permanenter Bedrohungen und Schikanen setzten sich die Gemeinden an den Flüssen Guapinol und Rio San Pedro das ganze Jahr über weiter für das Ende der Tagebau-Konzessionen ein und erreichten das Veto einer Bürger*innenversammlung gegen ein neues Energieprojekt auf dem Betriebsgelände der vorläufig stillgelegten Pelletieranlage , das mit hochgiftigem Koks arbeiten sollte. Wir beobachten die Situation weiter, informieren und versuchen den Widerstand aus der Ferne zu begleiten.

Landfragen, Palmöl und ein Mordkomplott

Am 6. Juni 2023 wurden alle Radio- und Fernsehsender in Honduras verpflichtet, sich zu einer sogenannten "cadena nacional" zusammenzuschalten. Begleitet von Mitgliedern des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrates trat Präsidentin Xiomara Castro vor die Mikrofone. Sie verkündete einschneidende Maßnahmen im Agrarsektor: Eine Kommission, in der ausschließlich staatliche Institutionen vertreten sind, solle Rechtssicherheit für Agrarunternehmen und Zugangsmöglichkeiten zu Land für Kleinbauern und -bäuerinnen herstellen. Eigentumstitel für landwirtschaftliche Grundstücke sollten überprüft werden. Wir fragten: „Agrarreform oder Repression gegen Kleinbauern?“ https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/agrarreform-oder-repression-gegen-kleinbauern-in-honduras.html. Leider bewahrheitete sich im Laufe des Jahres die Befürchtung, es werde Räumungen geben aber keinerlei Reformansätze.

Esly Banegas mit Mitgliedern des Netzwerks HondurasDelegation
Esly Banegas mit Mitgliedern des Netzwerks HondurasDelegation Quelle: Ökubüro

Im September 2023 besuchte uns Esly Banegas aus dem Bajo Aguán, einem fruchtbaren großen Fluß-Tal im Norden von Honduras. Sie leitet die Coordinadora de Organizaciones Populares del Aguán (COPA), einen Dachverband lokaler Basisorganisationen, darunter Gewerkschaften, kleinbäuerliche Organisationen, ehrenamtliche Gemeinderäte, Bürgerinitiativen, Wasserkomitees, ländliche Kredit­genossenschaften, Umwelt-, Jugend- und Frauengruppen. Wir begleiteten Esly bei der Tagung des Runden Tisches Zentralamerika, die alle zwei Jahre stattfindet, und unterstützten die Moderation bei einer Round-Table-Diskussion zu Honduras, an der Esly teilnahm. Wir sprachen mit der Vorsitzenden und Mitgliedern der deutsch-mittelamerikanischen Parlamentariergruppe und hatten einen Termin im Auswärtigen Amtes und mit zwei Mitgliedern des Stadtrates in München.

Gemeinsam mit FIAN München zeigten wir im Zukunftssalon einen kurzen Film aus dem Aguán und diskutierten mit Esly über die aktuelle Situation und Möglichkeiten, zum Beispiel über das neue Lieferkettengesetz oder über das RSPO-Zertifizierungsverfahren Verbesserungen zu erreichen. Einige der Fragen sind in einem Interview, das wir mit Esly führten nachzulesen. https://www.oeku-buero.de/perspectivas-diversas/articles/12-september-2023-la-palma-mortal-die-toedliche-palme.html

Mord und Repression in den Lieferketten

Eslys Deutschlandreise stieß neue Initiativen zur Verfolgung bisher kaum beachteter Palmöllieferketten auch aus Honduras an, die wir in den kommenden Jahren weiterverfolgen möchten. Den Anfang machte 2023 die gemeinsame Arbeit mit dem Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (fdcl) an einem Bericht für eine Publikation der Initiative Romero: https://www.ci-romero.de/produkt/report-im-schatten-der-oelpalme/

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission berichtete nach einem Besuch im April 2023 von 'besorgniserregenden Informationen über die Zunahme von Gewalt und Kriminalisierung gegen bäuerliche Gemeinschaften, die Land, Territorium und die Umwelt im Bajo Aguán verteidigen'. Während des Besuchs seien Informationen über außergerichtliche Räumungen, Drohungen, Einschüchterung und Stigmatisierung von Mitgliedern von Kooperativen bekannt geworden. Im Juni 2023 äußerte sich der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für außergerichtliche Hinrichtungen, Morris Timball Binz, ähnlich. Er betonte seine Besorgnis über die Beteiligung von privaten Wachleuten und Vertretern privater Sicherheitsunternehmen an Angriffen, die straffrei bleiben.

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