El Salvador
Länderteil
Aktivitäten zu El Salvador 2023
Der seit dem 27. März 2022 verhängte Ausnahmezustand beschneidet elementare Bürgerrechte, während Präsident Nayib Bukele zunehmend autokratisch regiert und hart gegen Regierungskritiker*innen vorgeht. Seither sind über 75.000 Personen, darunter viele ohne Anklage und Prozess, in die sowieso schon überfüllten Gefängnisse gesperrt worden. Insbesondere verarmte Jugendliche leiden unter der Stigmatisierung als angebliche Bandenmitglieder und laufen täglich Gefahr, willkürlich verhaftet zu werden, weshalb viele in die USA migrieren. In den Gefängnissen kommt es zu massiven Menschenrechtsverletzungen, sowie Folter und außergerichtlichen Tötungen.(1) Betroffen sind auch Aktivist*innen aus den sozialen Bewegungen.
Politik der “eisernen Hand” und Aushöhlung der Demokratie
2023 war ein besonders kritisches Jahr für die Verteidigung der Menschenrechte in El Salvador. Die Schwächung der Rechtsstaatlichkeit und die Instrumentalisierung des Systems zugunsten der Interessen derjenigen, die den Staat kontrollieren, war deutlich spürbar. So werden in der derzeit vorherrschenden offiziellen Darstellung alle Bemühungen früherer Regierungen und anderer gesellschaftlicher Akteur*innen, sowie die Friedensabkommen nach dem Bürgerkrieg aus dem Jahr 1993 als “Farce” bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird insbesondere die Sicherheitspolitik Bukeles als Erfolg gefeiert. Entgegen dieser offiziellen Darstellung stellen Menschenrechtsorganisationen die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Maßnahmen in Frage und werden aufgrund ihrer kritischen Haltung systematisch schikaniert und verfolgt.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung war eines der am stärksten eingeschränkten Rechte im Jahr 2023.(2) So wurden neben dem Aktivismus von Menschenrechtsorganisationen auch zunehmend journalistische Tätigkeiten zum Ziel von Attacken und Verfolgung.
Trotz der nicht abreißenden Kritik an den Folgen des Ausnahmezustandes waren die Zustimmungswerte für Präsident Nayib Bukele sehr hoch. Im Oktober 2023 ließ sich Bukele als Kandidat für die Parlamentswahlen 2024 registrieren, obwohl die Verfassung eine sofortige Wiederwahl verbietet.(3) Die Kandidatur folgte auf eine Reihe von gravierenden Reformen, die die Wahlkarte des Landes und das gesamte System der repräsentativen Regierung völlig neu gezeichnet haben. So bestätigte die Legislative im Juni 2023 Bukeles Vorschlag, fast ein Drittel der Sitze im Parlament zu streichen, sowie über 80 Prozent der Gemeindevertretungen des Landes abzuschaffen.
Willkürliche Massenverhaftungen
Mit über 100.000 Gefangenen weist El Salvador derzeit die weltweit höchste Inhaftierungsrate auf.(4) Wie im Vorjahr, kam es auch 2023 zu tausenden willkürlicher Verhaftungen ohne richterliche oder staatsanwaltliche Anordnung oder konkreten Tathinweisen. Im Februar 2023 begannen die Behörden damit, Häftlinge in ein neues Mega-Gefängnis, das so genannte "Terrorism Confinement Centre" (CECOT), zu verlegen,(5) das nach Angaben der Regierung 40.000 Menschen aufnehmen kann.(6) Seit 2023 sind zudem Massenverhandlungen mit bis zu 900 Personen möglich,(7) wodurch der Grundsatz der Unschuldsvermutung missachtet und gegen das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren verstoßen wird. Bis heute wurden mehr als 75.000 Festnahmen im Rahmen des Ausnahmezustands registriert, von denen nach offiziellen Angaben mehr als 7.000 "irrtümlich" geschehen seien und nach den Worten der Sicherheitsbehörden "Kollateralschäden" darstellen.(8) In vielen Fällen gaben die Betroffenen an, dass die Beamt*innen, die sie festgenommen haben, ihnen gegenüber zugegeben haben, dass ihnen befohlen worden war, eine tägliche Quote zu erfüllen.
Ehemalige Häftlinge berichten von überfüllten Zellen, fehlender grundlegender Versorgung und unhygienischen Bedingungen. Auch gibt es Berichte über Misshandlungen, den exzessiven Einsatz von Pfefferspray und starke Einschränkungen bei grundlegenden Bedürfnissen, wie Nahrung, Wasserversorgung, Toilettenbenutzung und fehlendem Zugang zu Außenbereichen.(9) Menschenrechtsorganisationen berichten von mindestens vierhundert Menschen, die seit Beginn des Ausnahmezustandes in den Gefängnissen aufgrund von Folter und/oder mangels rechtzeitiger medizinischer Versorgung ums Leben gekommen sind. (10)
Militarisierung
Die neuen Richtlinien der derzeitigen Regierung zur Eindämmung der Gewalt in El Salvador zielen auf eine verstärkte Militärpräsenz. Und dies, obwohl Soldat*innen laut Verfassung nicht auf der Straße agieren und auch nicht an Aufgaben der öffentlichen Sicherheit teilnehmen dürfen, sondern nur zur Verteidigung der nationalen Souveränität dienen. Verschiedene Menschenrechtsexpert*innen sind sich einig darin, dass die Militarisierung zu Machtmissbrauch führt und der angestrebten Friedenskultur im Lande zuwiderläuft. So wurden Fälle von sexuellem Missbrauch durch die Polizei und von Soldaten gegen Mädchen und Frauen dokumentiert. Dazu gehört beispielshalber die Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens am 31. Oktober 2023 im Viertel Bosques del Rio in der Gemeinde Soyapango.
In einem Interview, das wir mit der Menschenrechtsaktivistin und Präsidentin von ADES, Vidalina Morales führten, erklärte sie, dass die Militarisierung außerdem Traumata aus Zeiten des Bürgerkrieges wieder aufleben lasse.(11)
Der Fall Santa Marta
Am 11. Januar 2023 wurden fünf Umweltschützer und Gemeindeleiter aus der Gemeinde Santa Marta unter dem Vorwurf eines angeblichen Kriegsverbrechens während des Bürgerkrieges (1980-1992) verhaftet. Vom Zeitpunkt der Verhaftung an und während des gesamten Prozesses wurde systematisch gegen die elementarsten Grundsätze eines ordnungsgemäßen Verfahrens verstoßen. So wurde den Verhafteten das Recht auf eine Verteidigung verweigert. Außerdem durften sie keine Besuche empfangen und erhielten keine medizinische Versorgung. Nach einem langwierigen Prozess und starkem Druck seitens der Gemeinde Santa Marta und der internationalen Gemeinschaft und Solidarität gelang es, dass die Inhaftierten schließlich am 5. September 2023 in den Hausarrest entlassen wurden.
Immer wieder kommt es in Santa Marta seit der Verhaftung der Umweltschützer zu Einschüchterungsversuchen durch Polizei und Armee. So marschierten zwischen dem 21. und 22. Mai, sowie am 22. Juli 2023 unverhältnismäßig viele Polizisten und Soldaten in der Gemeinde auf. Hinzu kam die willkürliche Verhaftung von Manuel Gámez Morales, dem Sohn von Vidalina Morales, am 17. Mai 2023, ohne dass die Gründe für die Verhaftung erläutert wurden. Bei seiner Verhaftung wurde Manuel Opfer exzessiver Gewaltanwendung, obwohl er keinen Widerstand leistete. Seine Freilassung, einen Tag nach seiner Verhaftung, zeigt deutlich, dass seine Verhaftung auf einen willkürlichen Akt zurückzuführen ist.(12)
Expert*innen und die Bewohner*innen Santa Martas sind sich indes sicher, dass die Verhaftungen und Militarisierung eine vorsätzliche Einschüchterung gegen die Gemeindeorganisation Santa Marta und der Führung von ADES sind. So ist seit Anfang 2022 die Anwesenheit von Vertreter*innen von Bergbauunternehmen in dem Gebiet bekannt, offenbar mit der Absicht, den Weg für Bergbauprojekte zu öffnen. Da Santa Marta und ADES jedoch ein Hindernis für diese Absichten darstellen, wird nach Wegen gesucht, die Anführer*innen des Widerstands zum Schweigen zu bringen. (Siehe dazu auch unseren Aktivitäten-Bericht)
Zunehmende Vulnerabilität von Kindern und Frauen
Viele Familien haben nach der Inhaftierung der Hauptverdienenden große Mühe über die Runden zu kommen, was ihre durch die steigenden Lebenshaltungskosten ohnehin schon prekäre wirtschaftliche Lage noch verschlimmert. So konnte 2023 die Zunahme von Kinderarbeit, Schulabbrüchen und psychischen Problemen dokumentiert werden.(13) Regionale Menschenrechtsorganisationen wie Cristosal berichteten auch über die Überlastung der Frauen mit Betreuungspflichten.(14) Das Ausnahmeregime hat außerdem dazu geführt, dass viele Kinder mit der Verhaftung ihrer Eltern verlassen und hilflos zurückgelassen werden (Siehe Aktivitätenbericht).
Darüber hinaus informierten Menschenrechtsorganisationen über geschlechtsspezifische Gewalt in den Gefängnissen, wie etwa der fehlenden sexuellen und reproduktiven Gesundheitsfürsorge, fehlender Bereitstellung von Hygieneartikeln, einschließlich Damenbinden, und eine Gefängnisinfrastruktur, die die geschlechtsspezifischen Besonderheiten der weiblichen Gefangenen negiert. Letzteres ist bei schwangeren und stillenden Frauen besonders offensichtlich. Diese miserablen Bedingungen betreffen auch Kinder, die mit ihren Müttern inhaftiert sind, und im Gefängnis geborene Babys.(15)
Schwangerschaftsabbrüche sind in El Salvador weiterhin unter allen Umständen illegal. Frauen und Mädchen, die in Armut leben, sind unverhältnismäßig stark betroffen und werden bei Verdacht auf Abtreibung, aber auch nach Fehlgeburten oder obstetrischen Notfällen, zu Haftstrafen von bis zu 50 Jahren verurteilt. Im März 2023 fand vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IACtHR) eine Anhörung zum Fall von Beatriz statt, der 2013 vom Staat El Salvador eine Abtreibung verweigert wurde, obwohl ihre Schwangerschaft als Hochrisikoschwangerschaft galt. Die Entscheidung des Gerichtshofs steht noch aus.(16)
LGBTQ+- Rechte
LGBTQ+- Personen sind nach wie vor Zielscheibe homophober und transphober Gewalt durch Polizei, Banden oder Einzelpersonen. In vielen Fällen sehen sich die Betroffenen gezwungen, das Land zu verlassen. Im Februar 2022 hatte der Oberste Gerichtshof die Legislative angewiesen, ein Verfahren zu schaffen, mit dem Transgender-Personen ihren gesetzlichen Namen ändern können, um ihre Geschlechtsidentität widerzuspiegeln. Die Abgeordneten ließen die vom Gericht gesetzte Frist von einem Jahr verstreichen und Bukeles aktueller Diskurs lässt für die Zukunft nur massive Rückschritte im Einsatz für die LGBTQ+-Community vermuten.
Wirtschaftliche Lage und Umweltkrise
Neben dem repressiven Ausnahmezustand hatten die Salvadorianer*innen 2023 auch unter der prekären wirtschaftlichen Lage und insbesondere dem Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel gelitten. Die Zentralbank stellte in ihren Erhebungen die Verelendung der Lebensbedingungen der salvadorianischen Bevölkerung fest. Die Verschuldung des Landes übersteigt 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), was zu steigenden Preisen, Arbeitslosigkeit und unzureichenden Löhnen führt. Nachrichten über den Bau einer Bitcoin-Mining-Anlage in El Salvador unterstreichen den volkswirtschaftlichen Kurs der Regierung, weiter auf die extrem schwankende virtuelle Währung zu setzen.(17)
Die seit langem schwelende Umweltkrise verschärfte sich 2023 weiter. Beklagt wurde vor allem die Verschlechterung der Wasserressourcen, die weiter forcierte Verstädterung, die schlechte Abwasserentsorgung und die ineffiziente Müllabfuhr. Eine Reaktivierung des metallischen Bergbaus würde diese Krise noch weiter verschärfen.(18) Aufgrund der Kombination von Umweltproblemen, dem Ausnahmezustand und der wirtschaftlichen Lage, kam es 2023 in vielen, insbesondere ländlichen Gemeinden, vermehrt zu Migration, vor allem in die Vereinigten Staaten.
Internationale Akteur*innen
Im Juli 2023 veröffentlichte das US-Außenministerium einen Bericht über korrupte und undemokratische Akteur*nnen (Corrupt and Undemocratic Actors Report), in dem Sanktionen gegen mehrere ehemalige salvadorianische Regierungsvertreter, darunter zwei ehemalige Präsidenten des Landes, verhängt wurden. Im Oktober reiste der stellvertretende Außenminister der USA, Brian Nichols, nach El Salvador. Unter anderem erörterten Nichols und Bukele die bilaterale Zusammenarbeit im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und die gemeinsamen Bemühungen zur „Bekämpfung der irregulären Migration“.(19) Bukele sucht zunehmend Unterstützung aus dem rechtskonservativen Lager in den Vereinigten Staaten und hat zudem dem Präsidentschaftskandidaten Trump bereits seine volle Unterstützung zugesagt.(20)
(1) https://www.ai-el-salvador.de/files/ai_el_salvador/PDFs/El-Salvador-Bericht-deutsch-final.pdf
(2) https://amerika21.de/2023/01/262216/verhaftungen-soziale-bewegungen-el-salva
(3) https://amerika21.de/2023/11/266638/el-salvador-bukele-meldet-kandidatur
(4) https://www.dplf.org/sites/default/files/contribuciones_a_desapariciones_de_corte_duracion_en_el_salvador.pdf
(5) https://amerika21.de/2023/02/262634/gefaengnisse-el-salvador-ueberbelegt
(6) https://www.hrw.org/es/world-report/2024/country-chapters/el-salvador
(7) https://amerika21.de/2023/08/265152/el-salvador-massenprozesse
(8) https://twitter.com/dialogo21/status/1693980751161639369?s=12&t=MsX970vhNNW0VpbKJM3r4Q
(9) https://www.ai-el-salvador.de/files/ai_el_salvador/PDFs/El-Salvador-Bericht-deutsch-final.pdf
(10) https://amerika21.de/2023/03/263159/el-salvador-tote-gefangene-krankheiten
(11) https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/und-wenn-sie-noch-so-viele-gefaengnisse-bauen/
(12) https://amerika21.de/2023/05/264059/el-salvador-harte-reaktion-auf-uno
(13) https://www.alharaca.sv/actualidad/ninez-sufre-los-efectos-del-regimen-de-excepcion/
(14) https://cristosal.org/ES/informe-un-ano-bajo-el-regimen-de-excepcion-una-medida-permanente-de-represion-y-de-violaciones-a-los-derechos-humanos/
(15) https://www.divergentes.com/mujeres-embarazadas-bebes-en-situacion-critica/
(16) https://www.hrw.org/es/world-report/2024/country-chapters/el-salvador
(17) https://amerika21.de/2023/06/264427/elsalvador-nachhaltiges-schurfen-bitcoin
(18) https://amerika21.de/2023/06/264260/el-salvador-bukele-vier-jahre-im-amt
(19) https://www.hrw.org/es/world-report/2024/country-chapters/el-salvador
(20) https://www.eleconomista.com.mx/opinion/Milei-y-Bukele-buscan-el-apoyo-de-la-ultraderecha-estadounidense-20240227-0147.html
Aktivitäten zu El Salvador
Mujeres libres – Frauen in Freiheit. Über den Kampf für Frauenrechte (nicht nur) in Lateinamerika – Gespräch und Brunch mit der Aktivistin Teodora Vásquez aus El Salvador
Am 12. und 13. März 2023 durften wir die salvadorianische Frauenrechtlerin Teodora del Carmen Vasquez, im Rahmen einer von Amnesty International organisierten Rundreise, bei uns in München begrüßen. Teodora saß fast 11 Jahre im Gefängnis, nachdem sie eine Fehlgeburt erlitten hatte. Warum? In El Salvador gilt einer der weltweit strengsten Abtreibungsgesetze. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter darstellt oder Folge einer Vergewaltigung ist. Selbst Frauen, die Fehl- und Totgeburten erleiden, werden kriminalisiert: Man wirft ihnen vor, heimlich einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen zu haben. Frauen, die wie Teodora, aus armen Verhältnissen stammen, sind besonders betroffen. Sie werden von vornherein als schuldig betrachtet und können sich häufig keinen Rechtsbeistand leisten. 2008 verurteilte ein Gericht Teodora del Carmen Vásquez wegen "Mordes" zu 30 Jahren Gefängnis.
Trotz ihrer hoffnungslosen Lage gelang es Teodora sich im Gefängnis Ilopango, mit 17 weiteren Schicksalsgenossinnen zu verbünden, um sich gemeinsam für ihre Freilassung einzusetzen. Dies war der Beginn der bald weltweit bekannten und unterstützten Kampagne “Libertad para las 17” (Freiheit für die 17). Gleichzeitig zum zunehmenden internationalen Druck auf die Freilassung, entstand der mittlerweile preisgekrönte Dokumentarfilm “Fly so Far” durch die schweizerisch-salvadorianische Regisseurin Celina Escher, in welcher sie Teodoras Werdegang bis zu ihrer Freilassung im Jahr 2018 und ihrem anschließenden Einsatz für die weiterhin inhaftierten Mitstreiterinnen begleitete. Heute leitet Teodora die von ihr gegründete salvadorianische Sektion der Organisation “Mujeres Libres” (Freie Frauen), die es sich zur Aufgabe macht, ehemals inhaftierten Frauen Obdach zu geben und sie in ihrer Resozialisierung zu unterstützen.
Zum Weltfrauentag am 8. März konnten wir bei Radio Lora München ein Interview mit Teodora veröffentlichen, welches unter https://www.npla.de/thema/feminismus-queer/onda-info-559-8m-spezial/ angehört und unter https://www.oeku-buero.de/perspectivas-diversas/articles/12-maerz-2023-kampf-fuer-frauenrechte-nicht-nur-in-zentralamerika.html nachgelesen werden kann.
Am 12. März haben wir schließlich im gut besuchten Ligsalz8 bei einem typisch salvadorianischen Brunch mehr über die Arbeit von “Mujeres Libres” erfahren. Aufgrund des großen Interesses veranstalteten wir am nächsten Tag mit Unterstützung des Queerfeministischen Netzwerks München einen gemeinsamen Filmabend im Farbenladen, wo wir den Dokumentarfilm über Teodoras Freiheitskampf zeigten und anschließend mit Teodora sprachen.
El Salvador im Ausnahmezustand – Vortrag und Diskussion mit Zaira Navas und David Morales von der Menschenrechtsorganisation Cristosal
Gemeinsam mit der Amnesty International-El Salvador-Koordinationsgruppe, waren wir am 19.9.2023 Veranstaltende eines spannenden Online-Vortrags durch die Menschenrechtsanwält*innen Zaira Navas und David Morales von der salvadorianischen Menschenrechtsorganisation Cristosal. Zunächst stellten sie uns den erschütternden Bericht von Cristosal über die während des Ausnahmezustands verübten Menschenrechtsverletzungen vor. Zaira Navas, die sich gerade mit Amnesty International auf Deutschland-Rundreise befand, berichtete insbesondere über die grausamen Bedingungen in den völlig überfüllten salvadorianischen Gefängnissen und dort stattfindenden Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter und außergerichtliche Tötungen. David Morales erörterte mit uns im Anschluss die durch die Bukele-Regierung durchgesetzten Gesetzesreformen, welche unter anderem seine eigentlich verfassungswidrige Wiederwahl vereinfachten und auch der Regierungspartei Nuevas Ideas entscheidende Vorteile in der legislativen Versammlung sicherten.
Zaira und David betonten beim Gespräch mit dem Publikum die reale Bedrohungslage für Menschenrechtsaktivist*innen durch Hetzkampagnen und eine zunehmend repressiven Politik gegenüber kritischen Stimmen. Unter folgenden Link kann der aufgezeichnete Vortrag auf Spanisch angeschaut werden: https://youtu.be/iNkmPB-Z2Ak?si=X9yEkTwP-5O0fUif. Die deutsche Übersetzung haben wir unter https://www.oeku-buero.de/perspectivas-diversas/articles/19-september-2023-el-salvador-im-ausnahmezustand.html dokumentiert. Der Bericht von Cristosal ist abrufbar unter. https://cristosal.org/ES/informe-un-ano-bajo-el-regimen-de-excepcion-una-medida-permanente-de-represion-y-de-violaciones-a-los-derechos-humanos/
Solidarität mit der Gemeinde Santa Marta
Am 11. Januar 2023 wurden in der Gemeinde Santa Marta im Departement Cabañas, El Salvador, Miguel Ángel Gómez, Alejandro Laínez García, Pedro Antonio Rivas Laínez, Antonio Pacheco so wie Saúl Agustín Rivas Ortega verhaftet. Die Generalstaatsanwaltschaft beschuldigt die Ex-Guerillas, 1989 eine Frau gefoltert und ermordet zu haben. Während des Kriegs hatte die Armee Cabañas mit Massakern überzogen; hier war es ihr gelungen, den Widerstand bis auf wenige Inseln zu liquidieren. Zu diesen Inseln gehört Santa Marta, wohin die nach Honduras geflüchteten Bewohner*innen 1987 zurückgekehrt waren. Die Comunidad stand später auch an vorderster Front gegen die Zerstörung und Umweltverschmutzung durch das kanadische Bergbauunternehmen Pacific Rim. 2017 gelang es, den Bergbau landesweit zu verbieten. Die Regierung Bukele strebt offensichtlich die Abschaffung dieses Verbots an. In Santa Marta wurden erneut Erkunder und Propagandisten von Bergbauunternehmen gesichtet. Auch trat die salvadorianische Regierung bereits 2021 dem Zwischenstaatlichen Forum für Bergbau, Mineralien, Metalle und nachhaltige Entwicklung bei.
Da bisher weder Indizien noch Beweise für die Täterschaft der fünf an dem Mord erbracht wurden, liegt der Verdacht nahe, dass die Verhaftung der Aktivisten gegen Bergbau der Abschreckung und Demobilisierung möglichen Widerstands diente. Kurz vor ihrer Festnahme hatten die Verhafteten gerade mit der Organisation ADES eine Sensibilisierungskampagne bezüglich der drohenden Wasserverunreinigung im Falle der reaktivierten Minenausbeutung begonnen.
Ein klarer Fall von Abschreckung zeigte sich auch im Mai 2023, als Polizisten den Sohn von ADES-Präsidentin Vidalina Morales festnahmen. Kurz zuvor hatte Vidalina Morales in einer Radiosendung die Pläne der Regierung, das Bergbauverbot aufzuheben, angeprangert. Nach einem internationalen Aufschrei wurde Manuel Gámez Morales freigelassen.
Organisationen aus der Schweiz und aus Deutschland, darunter auch das Ökubüro, sandten im Januar eine Solidaritätsadresse an die Gemeinde Santa Marta, die hier nachgelesen werden kann: https://www.oeku-buero.de/nachricht-504/el-salvador-solidaritaet-aus-der-schweiz-und-deutschlandmit-der-gemeinde-santa-marta.html#de. Kurz nach der Freilassung von Vidalina Morales Sohn führten wir außerdem für die Lateinamerika-Nachrichten ein Interview mit ihr: https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/und-wenn-sie-noch-so-viele-gefaengnisse-bauen/. Den Aktivisten wurden Medikamente, die sie brauchten und jeglicher Besuch, selbst durch ihre Rechtsanwälte verweigert. Nach monatelangem Bangen um ihre Gesundheit und Unversehrtheit, wurden die fünf am 5. August aufgrund des hohen internationalen Drucks in den Hausarrest entlassen.
Solidarische Vernetzung mit den Gemeinden am Bajo Lempa
Zentralamerika ist weltweit eine der am meisten vom Klimawandel betroffenen Regionen. Trotz der widrigen Umstände setzt sich unsere Partnerorganisation ACUDESBAL seit Anfang der 1990er Jahre für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Region Bajo Lempa in El Salvador ein. Dabei soll ein „gutes Leben“ durch die Kombination einer ökologischen Subsistenzwirtschaft und der Produktion für lokale Märkte ermöglicht werden.
Aufgrund ihrer geografischen Lage ist die Region Bajo Lempa allerdings immer wieder von schweren Überschwemmungen betroffen, wobei die Situation durch den fortschreitenden Klimawandel zunehmend komplizierter wird. Der nach dem Hurrikan Mitch 1998 am Ufer des Lempa-Flusses errichtete Deich wurde über die Jahre unterhöhlt und besonders vom Tropensturm Julia im Jahr 2022 stark beschädigt. Bei der nächsten Flut droht er an zahlreichen Stellen zu brechen. Einige Gemeinden der Region stehen außerdem weiterhin ohne jeglichen Schutz dar. Trotz zahlreicher Appelle versäumte es die Regierung im vergangenen Jahr erneut, das Problem anzugehen. Die Gemeinden befürchten eine Katastrophe, die Ernten, Tiere, Häuser und Menschenleben kosten könnte. Deshalb startete ACUDESBAL eine Kampagne, um die staatlichen Stellen zu den dringendsten Reparaturen noch vor der bald einsetzenden Regenzeit zu bewegen – und um Vorkehrungen für die nötige Nothilfe zu treffen. Das Ökubüro konnte durch Spendengelder dazu beitragen, dass die Menschen der Region zumindest einen Teil des Hochwasserschutzes neu in Stand setzen konnten.
Projekt für Kinder am Bajo Lempa
Seit der Verhängung des Ausnahmezustandes durch die Regierung von Präsident Bukele sind auch in der Region Bajo Lempa viele Menschen unschuldig festgenommen worden. Angehörige verschleppter Personen berichten über Misshandlungen durch Sicherheitskräfte und willkürliche Verhaftungen. Auch Kinder sind Opfer der Repression. Wenn ihre Eltern verhaftet wurden, bleiben sie ohne jegliche Information über ihre Eltern zurück. Sie kommen bei Verwandten oder Bekannten unter oder bleiben schlicht allein zuhause. All das hinterlässt Spuren, wirkt sich auf die emotionale sowie psychosoziale Verfassung aus, erzeugt Traumata. In vielen Fällen fehlt zudem mit der Mutter und/oder dem Vater das (auch zuvor oft knappe) Einkommen.
Die Flüchtlingshilfe Mittelamerika und unter anderem unsere Partnerorganisation ACUDESBAL initiierten Projekte in der Region des Bajo Lempa de Jiquilísco und in Chalatenango, in denen Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen Krisenintervention und psychologische Hilfen für die traumatisierten Kinder und ihre Familien anbieten. Wir haben uns 2023 ausführlich über das Vorhaben informiert und planen, die von der Flüchtlingshilfe Mittelamerika und ACUDESBAL initiierten Projekte https://www.fluehi-ma.org/seite/663118/solosno!.html zum physischen und psychischen Schutz von Kindern, die Opfer des Ausnahmezustandes in El Salvador geworden sind, mit Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen.