Editorial
Während Nicaragua immer weiter den Weg zum repressiven Einparteienstaat geht, El Salvador sich seit dem vergangenen März im Ausnahmezustand befindet und sich in Honduras nach dem Wahlsieg von Xiomara Castro 2021 inzwischen Ernüchterung eingestellt hat, entstanden 2022 neue Hoffnungen in Kolumbien. Der Wahlsieg von Gustavo Petro ermutigt sehr. Wie auch immer es dort weiter geht, dass mit Francia Márquez eine afrokolumbianische Aktivistin Vizepräsidentin ist, wird in die Geschichte eingehen. Unsere diversen Einschätzungen und wie unsere Partner*innen, auch in Mexiko und aus der Perspektive Geflüchteter in Deutschland, die Situation sehen, das möchten wir Ihnen/Euch, liebe Leser*innen, auf den folgenden Seiten zeigen.
Mexiko
Das Jahr 2022 schloss mit einer Bilanz, die uns aufrütteln muss: Mexiko ist für Umweltaktivist*innen und Journalist*innen das gefährlichste Land Lateinamerikas geworden. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden mehr als 150 Journalist*innen ermordet. Die Ermittlungen zur Aufklärung der Fälle kommen nicht voran oder finden gar nicht erst statt. Das vierte Jahr der Regierung von Manuel Andrés López Obrador (AMLO) hinterlässt ein Gefühl der Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit angesichts des langen Wartens auf Wahrheit und Gerechtigkeit und des Mangels an echten Fortschritten im Kampf gegen die Straflosigkeit. Die Bemühungen der Regierung AMLO um die Stärkung von Sozialprogrammen, werden von der grausamen Realität relativiert, mit der Mexiko in Bezug auf Menschenrechte und Gerechtigkeit konfrontiert ist. Im ganzen Land werden zudem weiterhin Megaprojekte und eine wirtschaftliche Entwicklung durchgesetzt, die aufgrund ihres umwelt- und gemeinschaftsfeindlichen Charakters nicht nachhaltig sind.
Honduras
Das erste Halbjahr 2022 in Honduras war gekennzeichnet durch ein gewisses Maß an Aufbruchstimmung: Nach zwölf Jahren Post-Putsch-Regierungen, mehrfachem Wahlbetrug und der Korrumpierung sämtlicher staatlicher Institutionen durch das organisierte Verbrechen schien es Hoffnung auf einen Wandel zu geben. Mit Xiomara Castro regiert seit Ende Januar eine mit deutlichem Stimmenvorsprung demokratisch gewählte progressive Präsidentin, wenn gleich ohne Mehrheit im Parlament und mit einer nahezu leeren Staatskasse. Der ehemalige Präsident, Juan Orlando Hernández, wurde im Februar an die USA ausgeliefert und erwartet dort einen Prozess wegen Drogenhandels im großen Stil. Die faktischen Mächte im Land benötigten folglich einige Monate, um sich zu reorganisieren und verschafften so den sozialen Bewegungen eine Atempause. Im zweiten Halbjahr wurde umso deutlicher: An den realen und lokal wirksamen Machtverhältnissen im Land hat sich noch nichts geändert.
El Salvador
Seit dem 27. März 2022 herrscht in ganz El Salvador Ausnahmezustand. Er war ursprünglich auf 30 Tage begrenzt, ist aber immer wieder verlängert worden. Begründet wurde die Verhängung des Ausnahmezustands mit der extrem Verbrechenssituation, vor allem der hohen Mordrate. Seither sind zehntausende Personen – zum Teil ohne Anklage und Prozess – in die sowieso schon überfüllten Gefängnisse gesperrt worden. Betroffen waren neben mutmaßlichen Mitgliedern krimineller Banden auch Aktivist*innen aus den sozialen Bewegungen. Trotz der nicht abreißenden Kritik an den Folgen des Ausnahmezustandes sind die Zustimmungswerte für Präsident Nayib Bukele im Land sehr hoch. Bukele wird wohl bei den kommenden Wahlen erneut als – aussichtsreichster – Kandidat antreten.
Nicaragua
Die Regierung Ortega-Murillo hat im vergangenen Jahr die Repression noch einmal verschärft. All diejenigen aus Politik, Medien und dem Unternehmerverband, die vor der Präsidentschaftswahl 2021 verhaftet worden waren, wurden zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Nachdem damit die politische Opposition ausgeschaltet worden war, richtete sich 2022 die Repression gegen die Zivilgesellschaft. Inzwischen wurde der Hälfte aller Nichtregierungsorganisationen die Rechtspersönlichkeit entzogen. Neu im Jahr 2022 war die Repression gegen die katholische Kirche. Im Zentrum stand der Bischof von Matagalpa, Rolando Álvarez, der sich seit August unter Hausarrest befindet. Parallel zu dieser allgegenwärtigen Repression wuchs die Zahl der nicaraguanischen Emigrant*innen dramatisch an.
Kolumbien
Das Jahr 2022 in Kolumbien war zweigeteilt: die Zeit vor und die Zeit nach den Präsidentschaftswahlen. Seit August 2022 hat Kolumbien die erste progressive Regierung und die erste afro-kolumbianische Vizepräsidentin in der Geschichte des Landes. Vor den Wahlen berichteten die Nachrichten täglich von Massakern, gewaltsamem Verschwindenlassen und Vertreibungen, über Ermordungen und Drohungen gegen Führungspersönlichkeiten besonders in ländlichen Gebieten. Staatliche und polizeiliche Repressionen waren ebenfalls Teil der kolumbianischen Landschaft, die von Märschen, Protesten, Streiks und Demonstrationen geprägt war. Seit den Wahlen ist eine gespannte Ruhe eingetreten. Während es in einigen Regionen des Landes weiterhin zu bewaffneten Zusammenstößen, Drohungen und gewaltsamen Vertreibungen kommt, strebt die Regierung einen „totalen Frieden“ an. Die Opposition, angeführt von der extremen Rechten, tut ihr Bestes, um die von der neuen Regierung geplanten Änderungen zu diskreditieren.
Aktivitäten des Ökumenischen Büros
Wir haben es sehr genossen, dass wir nach zwei Pandemie-Jahren unsere Arbeit fast wieder normal gestalten konnten. Vor allem der persönliche Kontakt zu unseren Partnerorganisationen war wieder uneingeschränkt möglich. So konnten alle hauptamtlichen Mitarbeiter*innen Dienstreisen nach Mexiko, Honduras, El Salvador, Nicaragua und erstmals auch nach Kolumbien unternehmen. Auch Gegenbesuche fanden statt und ermöglichten zwei sehr gelungene Rundreisen. Besonders hinweisen möchten wir dabei auf die Deutschlandtournee mit dem Titel „Abya Yala RapToure – Frauen, die kämpfen. Frauenrechte in Lateinamerika und kreativer Widerstand aus der Hip-Hop Szene“, die im Rahmen unseres Querschnittthemas „Widerstand gegen das Patriarchat“ entstand. Auf unsere weiteren, vielfältigen Aktivitäten gehen wir in den Kapiteln dieses Jahresberichtes näher ein.
Neben allem Positiven hatte das Jahr 2022 auch zwei negative Aspekte für uns bereit: Wir erfuhren, dass wir 2023 mit deutlich weniger Finanzmitteln und mit einer hauptamtlichen Kraft weniger auskommen müssen. Zum einen fiel die langjährige Förderung einer Teilzeitstelle weg, zum anderen verließ uns unser El Salvador- und Nicaragua-Referent Samuel Weber Ende Januar 2023. Wir danken Samuel herzlich für seinen langjährigen Einsatz für das Ökubüro und wünschen ihm ganz viel Glück und Erfolg bei seinen neuen Aufgaben in der Wissenschaft auf dem lateinamerikanischen Kontinent.
Dafür, dass unsere Arbeit möglich war und im 40. Jahr unseres Bestehens 2023 weiter möglich ist, sind wir vielen zu Dank verpflichtet. An erster Stelle danken wir allen Hauptamtlichen ganz herzlich für ihren Einsatz. Das gilt auch für all die anderen, die auf unterschiedlichste Art zum Gelingen unserer Arbeit beigetragen haben: die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, die Kooperationspartner*innen sowie unsere treuen und neuen Spender*innen. Und schließlich möchten wir den Organisationen, die unsere Arbeit im Jahr 2022 finanziell unterstützt haben, herzlich danken. In alphabetischer Reihenfolge waren dies: Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, Engagement Global, Katholischer Fonds, Kulturreferat der Landeshauptstadt München, Misereor, Missionszentrale der Franziskaner.
Allen, denen wir zu Dank verpflichtet sind und denen, die sich uns freundschaftlich verbunden fühlen, wünschen wir das, was wir uns wünschen – nämlich, dass 2023 trotz allem noch zu einem Jahr wird, in dem Frieden und Vernunft ihren Platz finden.