Nicaragua
Länderbericht
Zwei Themen beherrschten das Jahr 2020 in Nicaragua: Die Folgen der Pandemie COVID-19 und der beiden Hurrikane ETA und IOTA sowie die Wahlen im November 2021. Die Regierung bereitete sich auf diese Wahlen vor, indem sie die seit den Protesten 2018 ausgeübte Repression weiter verstärkte. Mit einer Reihe neuer Gesetze hofft sie, Kritik endgültig zum Verstummen zu bringen. Die politische Opposition setzt darauf, dass internationaler Druck die Regierung zu Wahlreformen zwingen wird und hofft dann, mit einer nationalen Koalition, die Regierung Ortega-Murillo besiegen zu können. Bisher sieht es aber so aus, als ob eine Vereinigung aller oppositionellen Kräfte kläglich scheitern wird.
Die Regierung Ortega und die Corona-Krise
Wie die Regierung Ortega im vergangenen Jahr versuchte, die Corona-Pandemie zu bewältigen, ist mehr als dubios. Am 9. März beschäftigte sich die Vizepräsidentin Rosario Murillo in ihrer täglichen Nachrichtensendung erstmals mit dem Thema Corona. Sie informierte die Nicaraguaner*innen, dass die WHO weltweit schon über 100.000 Fälle registriert habe, dass es aber in Nicaragua, Gott sei Dank, noch keinen Fall gegeben habe. Vier Tage später rief sie für Samstag, den 14. März zu landesweiten Märschen auf, die unter dem Motto standen „Liebe in der Zeit von Covid-19“.(1) Im Fernsehen konnte man sehen, dass dem Aufruf viele gefolgt waren, dicht gedrängt und ohne Masken. Sicher waren auch wieder Staatsangestellte dabei, für die solche „freiwilligen“ Aktionen Pflicht sind, wenn sie nicht ihre Stelle riskieren wollen. In der Woche darauf verkündete Rosario Murillo, dass der erste Fall Covid-19 in Nicaragua aufgetreten sei.
Seither veröffentlicht das Gesundheitsministerium MINSA regelmäßig Zahlen zu Covid-19, die aber immer so niedrig ausfallen, dass sie allgemein angezweifelt werden. Ansonsten blieb die Regierung bei ihrer Verharmlosung der Gefahr der aufziehenden Pandemie, hat bis heute nicht auf Massenversammlungen verzichtet, und achtete vor allem darauf, dass sie die Kontrolle über die Zahlen behielt. Diese Politik erregte großen Widerstand in Teilen des Medizinsektors. Dort bemühte man sich unabhängig vom Gesundheitsministerium Zahlen von an Covid-19 Erkrankten und Gestorbenen zu bekommen. Es bildete sich die Organisation Observatorio Ciudadano COVID-19, die eigene Untersuchungen anstellte und dabei auf viel höhere Werte kam.(2) Zum Beispiel veröffentlichte die Organisation in der letzten Dezemberwoche, dass sie bisher 11.993 Krankheits- und 2.867 Todesfälle gezählt hätten. Dem gegenüber waren die Zahlen des MINSA 6.046 Kranke und 165 Tote – beides sehr viel geringere Werte als die in den Nachbarländern. Die Werte vom Observatorio Ciudadano sind aber nur Schätzwerte, die Zahlen stützen sich nicht auf „Labortests oder klinische Diagnosen“, wie die Organisation betont. Außerdem passen die Zahlen für Erkrankungen und Todesfälle nicht gut zusammen. Die „Verdachtsfälle“ auf Covid-19 sind in der Größenordnung wie sie auch in den Nachbarländern gemeldet werden. Hingegen ist die Zahl der Toten vergleichsweise sehr viel höher. Wenn man die Zahlen der Johns Hopkins University für die Nachbarländer den Zahlen des Observatorio Ciudadano für Nicaragua gegenüber stellt, so liegt die Todesrate in den Nachbarländern zwischen 1 und 4 %. Observatorio Ciudadano kommt aber auf einen Wert von fast 24 %(3). Abgesehen davon ist aber offensichtlich, dass die Zahlen des Gesundheitsministeriums zu niedrig sind. Dies ist wohl auch die Wahrnehmung der WHO, die mehrfach die nicaraguanische Regierung um genauere Informationen gebeten hat.
Viele Organisationen der Zivilgesellschaft haben Aufklärungsarbeit über Corona geleistet und die Bevölkerung zu Vorsorge und Selbstschutz animiert. Was nicht immer überzeugend gelang. So lief über soziale Medien die Kampagne “quédate en casa” (bleib zu Hause). Dies ist jedoch keine allgemein praktikable Strategie in einem Land, in dem 80 % der Bevölkerung im informellen Sektor arbeitet und nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt, um zuhause bleiben zu können. Die Reaktion der Regierung auf die Kampagne war harsch. Der Präsident selbst hat die Kampagne in einer Fernsehansprache zurückgewiesen mit der Unterstellung, sie hätte die Zerstörung des Landes zum Ziel und würde von den gleichen Leuten betrieben, die dies schon einmal im April 2018 versucht hätten.(4) Dies ist typisch für die Art und Weise, wie die Regierung auf Kritik reagiert. Und es passt zu den verschiedenen Fällen im Lauf der Corona-Krise, in denen Angestellte des Gesundheitswesens entlassen wurden, weil sie sich kritisch zur Gesundheitspolitik der Regierung geäußert hatten.(5)
Repression und ihre gesetzliche Verankerung
Die Repression wurde auch sonst im Jahr 2020 systematisch ausgebaut. Jeder Versuch einer Demonstration wurde von der Polizei im Keim erstickt. Sowohl politische Opposition als auch die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und kritischen Medien wurde im vergangenen Jahr noch schwerer, als es sowieso schon war. Aber es wird wohl noch schlimmer werden.
Es wurden im vergangenen Jahr einige Gesetze verabschiedet, die Kritik in Zukunft noch riskanter machen werden. Im Oktober 2020 verabschiedete die Nationalversammlung zwei Gesetze, die ganz offensichtlich der Regierung weitere „legale“ Mittel in die Hand geben sollen, um gegen missliebige Personen vorzugehen. Am 15. Oktober wurde das „Gesetz zur Regulierung ausländischer Agenten“(6) verabschiedet. Es hat angeblich zum Ziel, die Finanzierung von Personen und Organisationen durch ausländische Quellen zu regulieren. Ein durchaus legitimes Ziel. Aber schon der Name „ausländische Agenten“ für alle, die Geld aus dem Ausland erhalten, zeigt, dass ein bestimmtes Ziel verfolgt wird. Da in Nicaragua viele Menschen Geld aus dem Ausland erhalten, gibt es eine lange Liste von Ausnahmen, die keine „ausländischen Agenten“ sind: Empfänger*innen von Remesas, Wirtschaftsunternehmen, Niederlassungen ausländischer Unternehmen, humanitäre und kirchliche Organisationen usw. Übrig bleiben vor allem NGOs, Medien und ihre Mitarbeiter*innen. Sie müssen sich in ein beim Innenministerium angesiedeltes Register einschreiben lassen, damit ihre Aktivitäten monatlich (!) analysiert und beurteilt werden können. Die damit verbundene Bürokratie, die nicht unbedingt funktionieren muss, gestattet es den Behörden bestimmt bei jeder Person, die das Missfallen der Regierung erregt hat, Verfehlungen zu finden.
Das zweite Gesetz, das „Gesetz zur Cyberkriminalität“(7), das am 27. Oktober verabschiedet wurde, ist ähnlich strukturiert. Es gibt vor, die digitale Kommunikation regulieren zu wollen. Es wird aber sicher ein Mittel mehr sein, um Kritik an der Regierung zu erschweren. Die entscheidenden Passagen findet man im Artikel 30. Hier werden Strafen von mindestens einem Jahr vorgesehen für diejenigen, die "unter Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien falsche und/oder verzerrte Informationen veröffentlichen oder verbreiten, ...“. Was falsche oder verzerrte Informationen sind, ist im Gesetz nicht definiert, wird also im Ermessen der Gerichte stehen, und die werden sicher im Sinne der Regierung entscheiden. Dieses Gesetz wurde flankiert von einem Präsidialdekret zur Nationalen Cybersicherheitsstrategie. Dessen Ziel ist es, die staatliche Kontrolle über das Internet zu intensivieren.
Im Dezember wurde dann noch das „Gesetz zur Verteidigung der Rechte des Volkes auf Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung für den Frieden“(8) verabschiedet. Es besteht praktisch aus einem Artikel und der spricht für sich selbst: „Nicaraguaner*innen, die einen Staatsstreich anführen oder finanzieren, die die verfassungsmäßige Ordnung verändern, die zu terroristischen Handlungen auffordern oder anstiften,“ ... usw. …“ die die Verhängung von Sanktionen gegen den Staat Nicaragua und seine Bürger fordern, verherrlichen und beklatschen, sowie all diejenigen, die den höchsten Interessen der Nation, die in der Rechtsordnung vorgesehen sind, schaden, sind "Vaterlandsverräter" und können daher nicht gewählt werden.“ … Wie gesagt, das Gesetz hat nur einen Artikel und in dem ist keiner der verwendeten Begriffe definiert. Natürlich denkt man sofort daran, dass die Regierung denjenigen, die an den Protesten 2018 teilgenommen haben, immer wieder vorwirft, sie seien „golpistas“, also auf einen „Staatsstreich“ aus gewesen. Es ist ganz offensichtlich, dass sich die Regierung damit auf die kommenden Wahlen vorbereitet und ein Mittel geschaffen hat, mit dem sie notfalls ihr unangenehme Kandidat*innen der Opposition verhindern kann. Dabei kann sie sich, genauso wie bei den anderen Gesetzen, auf die Justiz verlassen, die sie inzwischen vollständig kontrolliert.
Außerdem hat die Regierungsmehrheit eine Verfassungsänderung beschlossen und lebenslänglich als maximale Haftstrafe eingeführt. Dieses Strafmaß kann in Zukunft bei „Hassverbrechen“ verhängt werden.(9)
Die Situation der Presse
Die Arbeitsbedingungen für kritische Medien ist seit den Protesten im Jahr 2018 unverändert schwierig. Die Zeitung Confidencial und der Fernsehsender 100% Noticias sind weiter geschlossen. Sie versuchen als Internetportale weiterzuarbeiten. Am 11. September 2020 wurde die Einrichtung des Fernsehsenders Canal 12 beschlagnahmt.(10) Die Steuerbehörde DGI macht eine Steuerschuld von 21 Millionen Cordoba (US$ 600.000) aus den Jahren 2011 bis 2013 geltend. Canal 12 ist neben dem Sender Canal 10 der einzige Sender in Nicaragua, der noch nicht von der Regierung kontrolliert wird. Dieses Vorgehen ähnelt sehr den Schikanen staatlicher Institutionen gegenüber der Zeitung La Prensa. 75 Wochen hatte der Zoll das Zeitungspapier, das La Prensa importieren wollte, festgehalten, am 7. Februar wurde das Material plötzlich freigegeben.(11) Ganz offensichtlich sollte die Zeitung ausgehungert werden. Sie hat aber überlebt, indem sie die Seitenzahl verringerte, Personal entließ und mit Internetabonnements neue Geldquellen erschloss.
Situation der Menschenrechte
Dass unter solchen Bedingungen immer wieder Menschenrechtsverletzungen gemeldet werden, kann nicht überraschen. Obwohl die Regierung bestreitet, dass es in Nicaragua politische Gefangene gibt, gehen Menschenrechtsorganisationen davon aus, dass Ende 2020 noch 110 Personen als solche angesehen werden mussten.(12) Die Informationen, die von der Organisation El Mecanismo dazu veröffentlicht wurden, sind nicht sehr detailliert, sodass es schwer fällt zu beurteilen, ob man wirklich in allen der 110 Fälle von politischen Gefangenen sprechen kann. Aber es existieren klare Indizien dafür, dass es seit den Protesten 2018 in Nicaragua immer noch politische Gefangene gibt. Zum Jahreswechsel 2019/2020 waren nach Vermittlungen des Vatikans und des Internationalen Roten Kreuzes 91 Regimegegner*innen in den Hausarrest entlassen worden(13) – ein nicht zu übersehendes Eingeständnis der Regierung, dass es politische Gefangene gab. Menschenrechtsorganisationen machten gleichzeitig darauf aufmerksam, dass immer noch 65 Regimegegner*innen in Gefangenschaft wären. Dass diese Zahl inzwischen auf 110 gestiegen ist, zeigt, dass die politische Situation im Land immer noch weit von der Normalität entfernt ist, die die Regierung fast täglich beschwört.
2020 ereigneten sich die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen bei der indigenen Bevölkerung an der Atlantikküste. Besonders die Zahl der Übergriffe auf Siedlungen der Mayangna im Biosphärenreservat Bosawás ist gestiegen. Die Ursachen sind älter und tieferliegender. Es geht dabei um schon lang andauernde Landkonflikte. Die indigene Urbevölkerung wird schon seit langem von der aus der Pazifikregion nach Osten strömenden mestizischen Bevölkerung mit allen Mitteln verdrängt. Dieser Konflikt hat sich im vergangenen Jahr verschärft und gezeigt, dass sich die nicaraguanische Regierung nicht genügend um den Schutz der Indigenen kümmert. 2020 wurden mehrfach Überfälle von Kolonisten auf Gemeinden der Mayangna und Miskito gemeldet.(14) Der blutigste Überfall ereignete sich am 29. Januar auf die Mayangna-Gemeinde Alal im Biosphärenreservat Bosawás. Nach Aussagen der Angegriffenen überfielen 80 Angreifer das Dorf, vier Menschen wurden ermordet. Über das Verbrechen wurde weltweit berichtet. Vermutlich war dies die Ursache dafür, dass auch staatliche nicaraguanische Medien darüber berichteten und die Polizei aktiv wurde. Nach knapp zwei Wochen präsentierte die Polizei einen Schuldigen, sieben weitere seien identifiziert worden, wären aber flüchtig.(15)
Weitere Personen wurden bisher nicht gefasst. Am 8. Juni meldeten Mitglieder der Gemeinde Alal, der einzige Inhaftierte befinde sich wieder auf freiem Fuß.(16) Die Menschenrechtsorganisation CALPI berichtete von weiteren Überfällen im Jahr 2020, bei denen acht weitere Personen ermordet wurden. In den staatlichen Medien wurde darüber nicht berichtet.
Weitere internationale Sanktionen
Die hier geschilderten anhaltenden Repressionen und Menschenrechtsverletzungen sind die Begründung für Sanktionen, die auch im Jahr 2020 wieder gegenüber Nicaragua verhängt wurden. Neben Einzelpersonen wie hohe Repräsentanten der Polizei, dem Finanzminister, dem Armeechef und Berater aus dem Umkreis Ortegas und einem weiteren Sohn sanktionierten die USA auch wieder Institutionen. Auch die EU und die Schweiz verhängten Sanktionen gegen Personen aus dem Kreis der von den USA Sanktionierten.
Die Wirtschaft schrumpft im dritten Jahr nacheinander
Die Folgen der Proteste im Jahr 2018 und der Corona-Pandemie sowie der beiden Hurrikane ETA und IOTA Ende 2020 haben gravierende wirtschaftliche Folgen für das Land. Diese lassen sich aber nicht einfach beziffern, da die Zentralbank neuerdings verschiedene Veröffentlichungen, zu denen sie per Gesetz verpflichtet ist, zurückhält. Daher können hier nur Zahlen des Wirtschaftswissenschaftlers Néstor Avendaño genannt werden, die teilweise auf Schätzungen beruhen.(17) Aus einigen dieser Zahlen kann man schließen, wie stark die Menschen in Nicaragua betroffen und geschädigt sind. Die Zahl der Menschen, die im formellen Sektor (mit Sozialversicherung) arbeiten, fiel von 2017 bis 2020, jeweils zum Ende des dritten Quartals, um 21.8%. Die Ausgaben der privaten Haushalte fiel im gleichen Zeitraum um 9 %, die Importe sanken um 19.6%. Alles deutet darauf hin, dass es vielen Nicaraguaner*innen heute wesentlich schlechter geht als vor drei Jahren. Die Regierung verweist lieber auf die gesamtwirtschaftlichen Zahlen, die tatsächlich besser aussehen, weil der Export in der Zeit sogar um 11 % gestiegen ist. Das hat aber einen einzigen makaberen Grund – der Goldpreis ist in der Zeit um 36 % gestiegen. Seit diesem Jahr ist Gold das Hauptausfuhrprodukt Nicaraguas.(18)
Neue humanitäre Kredite
Seitdem Ende 2018 in den USA der sogenannte Nica Act in Kraft getreten war, hatte Nicaragua kaum noch Zugang zu internationalen Krediten. Mit der Coronakrise und den Schäden durch die Hurrikane ETA und IOTA änderte sich das, erleichtert dadurch, dass in den USA der Wechsel von Trump zu Biden anstand. Am 20. November 2020 genehmigte der Internationale Währungsfonds(19) Nicaragua einen Kredit von US$185,32 Millionen, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Nur ein paar Tage später, am 23. November 2020, gab die Interamerikanische Entwicklungsbank (BID) bekannt, dass die von den Hurrikanen ETA und IOTA am schwersten betroffenen zentralamerikanischen Länder mit US$1.200 Millionen beim Wiederaufbau unterstützt würden.(20) Das sind gute Voraussetzungen dafür, dass die Wirtschaft wieder Tritt fassen kann.
Die Opposition taumelt der Wahl entgegen
Was in diesem Bericht bisher zur aktuellen Situation in Nicaragua gesagt wurde, macht ganz klar, dass es im Augenblick wirklich nicht leicht ist, den Wähler*innen eine überzeugende politische Opposition anzubieten. Die Regierung versucht das mit allen, teilweise sehr repressiven Mitteln zu verhindern. Und es ist völlig klar, dass unter diesen Bedingungen eine erfolgversprechende Strategie nur die Bildung eines möglichst breiten Bündnisses sein kann. Das Ziel einer solchen Strategie ist auch unumstritten: bei den nächsten Wahlen Daniel Ortega und die FSLN besiegen. Diese Strategie wurde versucht umzusetzen. Das führte am 25. Februar 2020 zur Gründung einer neuen politischen Organisation, der Coalición Nacional, der Nationalen Koalition. Sieben Organisationen schlossen sich zusammen: die beiden Organisationen Alianza Cívica und Unidad Nacional Azul y Blanco (UNAB), die aus den Protesten 2018 hervor gegangen sind, die Bauernbewegung Movimiento Campesino und vier politische Parteien(21). Aber es stellte sich schnell heraus, dass der Name der Organisation – Nationale Koalition – nicht mehr als die Bezeichnung eines Zieles war, von dem die Beteiligten sehr unterschiedliche Vorstellungen hatten. Am 25. Juni unterzeichneten die Mitglieder dann zwar eine gemeinsame Satzung. Aber schon dies war ein Kraftakt, der gerade noch gelang, und fast schon übertönt wurde von den immer lauteren Streitereien. Schon zu diesem Zeitpunkt war die Begeisterung der nicaraguanischen Wähler*innen sehr verhalten. Die Zeitung Confidencial veröffentlichte am 19. Juni Umfragewerte des Institutes CID-Gallup.(22) Die Antworten auf die Frage, wen die Befragten im Augenblick wählen würden, war für die Nationale Koalition bestimmt ernüchternd: FSLN 23%, UNAB 10%, Alianza Cívica 5%, PLC 3% und CxL 2%, „keine der Parteien“ 41%. 13% der Befragten antworteten nicht.
Heute zu Beginn des Jahres 2021 existiert die Nationale Koalition zwar noch, ist aber völlig zerstritten und im Begriff zu zerfallen. Auch bei der Alianza Cívica bröckelt es gefährlich. Die größte Gemeinsamkeit der Protagonist*innen ist, dass sich sehr viele Personen für geeignete Präsidentschaftskandidat*innen halten und dass die Parteien, die eine Rechtspersönlichkeit haben, sich sehr gut vorstellen können, dass im November die Nationale Koalition unter ihrem Namen antritt. Die traditionellen politischen Parteien – PLC, CxL, PRD und FDN – machen einfach so weiter wie bisher, pflegen ihre Partikularinteressen und wechselseitigen Feindschaften und im übrigen ist Daniel Ortega an allem Schuld. Die neuen politischen Organisationen haben nicht genügend Kraft, um einen fundamentalen Politikwechsel zu erzwingen. Wobei anzumerken ist, dass viele der tonangebenden Personen in der Alianza Cívica und der UNAB auch aus dem traditionellen politischen Spektrum stammen. Bisher ist auch nirgends zu erkennen, wofür dieses geplante Wahlbündnis politisch eigentlich steht, außer natürlich für freie, transparente Wahlen.
Wahlen 2021
Inzwischen steht der 7. November 2021 als Termin für die nächste Präsidentschaftswahl und die Wahl zur Nationalversammlung fest. Im Augenblick dreht sich die Diskussion dazu hauptsächlich um die Frage, unter welchen Bedingungen diese Wahlen stattfinden werden. Mit dem Thema der anstehenden Wahlen in Nicaragua hat sich auch die Generalversammlung der OAS im Oktober 2020 beschäftigt. Das Ergebnis ist eine Resolution, die sehr klare Forderungen stellt.(23) Die nicaraguanische Regierung wird unter anderem aufgefordert, bei den Wahlen eine unabhängige, internationale Wahlbeobachtung zu garantieren. Außerdem werden konkrete Zusagen für eine Wahlreform, vor allem durch eine Umstrukturierung des Obersten Wahlrats, angemahnt. Dazu ist ganz konkret Mai 2021 als spätester Termin festgelegt. Bisher ist aber nicht abzusehen, welche Konsequenzen diese Forderungen haben werden. Eine gewisse Hoffnung besteht aber, dass der politische Wille der Nicaraguaner*innen bei den Wahlen im November zweifelsfreier zum Ausdruck kommt als in den vergangenen Jahren.
Wir sind gespannt und hoffen mit den Nicaraguaner*innen.
(1) Nicaragua realizará caminata "Amor en tiempos del Covid-19", 13. März 2020 https://www.el19digital.com/articulos/ver/titulo:101226-nicaragua-realizara-caminata-amor-en-tiempos-del-covid-19
(2) Observatorio Ciudadano COVID-19 https://observatorioni.org/, Wochenbericht 24. bis 3012.2020 https://observatorioni.org/wp-content/uploads/2021/01/24-al-30-diciembre-OCC-10-Semanal.pdf
(3) Johns Hopkins University (eigene Berechnungen für verschiedene Zeitpunkte) nach https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 Diese Werte stimmen gut überein mit den Werten, die im Infobrief Nov. 2020 des Nicaragua Vereins Hamburg (S. 4) veröffentlicht wurden https://www.nicaragua-verein.de/wp-content/uploads/2020/11/Infobrief_2020_final_web.pdf
(4) https://www.infobae.com/america/america-latina/2020/05/01/daniel-ortega-en-contra-de-la-cuarentena-por-coronavirus-en-nicaragua-el-quedate-en-casa-destruye-al-pais/
(5) https://confidencial.com.ni/nacion/doctora-luz-indiana-talavera-confirma-despido-por-pensar-diferente/
(6) LEY N°. 1040, Ley de Regulación de Agentes Extranjeros Lunes 19 de Octubre de 2020 http://digesto.asamblea.gob.ni/consultas/util/pdf.php?type=rdd&rdd=7QlKEw6xPqI%3D
(7) Ley Nº. 1042, Ley Especial de Ciberdelitos, La Gaceta, Managua, Viernes 30 de Octubre de 2020 http://digesto.asamblea.gob.ni/consultas/util/pdf.php?type=rdd&rdd=SN1tt24fk8U%3D
(8) Ley Nº. 1055, Ley de Defensa de los Derechos del Pueblo a la Independencia, la Soberanía y Autodeterminación para la Paz http://digesto.asamblea.gob.ni/consultas/util/pdf.php?type=rdd&rdd=94OTnl0sPuw%3D
(9) https://www.el19digital.com/articulos/ver/titulo:107337-companera-rosario-murillo-en-multinoticias-14-09-20
(10) https://www.despacho505.com/canal-12-confirma-embargo-de-sus-instalaciones-y-bienes-personales-de-su-propietario/
(11) https://www.laprensa.com.ni/2020/02/06/politica/2637068-direccion-de-aduanas-autoriza-entrega-de-insumos-retenidos-a-la-prensa-por-mas-de-500-dias
(12) Mecanismo para el reconocimiento de personas presas políticas https://presasypresospoliticosnicaragua.org/
(13) https://www.dw.com/es/gobierno-de-nicaragua-excarcela-a-91-opositores/a-51840958
(14) CALPI | Centro de Asistencia Legal a Pueblos Indígenas, Graves Violaciones a los Derechos Humanos de los Pueblos Indígenas Mískitu y Mayangna en la Región Autónoma de la Costa Caribe Norte (RACCN) de Nicaragua, https://www.calpi-nicaragua.com/wp-content/uploads/2020/09/Graves-Violaciones-a-los-DDHH-de-los-PIA-de-Nicaragua-130920.pdf
(15) Capturan a integrante de la banda "Chabelo" autor de los delitos en perjuicio en la Comunidad Alal, https://www.el19digital.com/articulos/ver/titulo:99994-capturan-a-integrante-de-la-banda-chabelo-autor-de-los-delitos-en-perjuicio-en-la-comunidad-alal
(16) https://www.facebook.com/calpinicaragua/posts/4166665220018116/
(17) https://nestoravendano.wordpress.com/
(18) Centro de Trámites de las Exportaciones (CETREX) Estadísticas https://www.cetrex.gob.ni/website/servicios/estadisticas.jsp
(19) https://www.imf.org/en/News/Articles/2020/11/20/pr20349-nicaragua-imf-executive-board-approves-us-185-3m-emergency-support-to-address-covid19
(20) https://www.iadb.org/es/noticias/bid-banco-mundial-y-bcie-amplian-su-apoyo-centroamerica-tras-el-segundo-huracan Eine Gemeinschaftsaktion von BID, Weltbank und Zentralamerikanischer Bank für Wirtschaftsintegration (BCIE)
(21) Partido Restauración Democrática (PRD) – evangelikale Partei, Fuerza Democrática Nicaragüense (FDN) – eine Partei, die aus der ehemaligen Contra hervorgegangen ist, Yatama – indigene Partei von der Atlantikküste, und Partido Liberal Constitucionalista (PLC) – liberale Partei, von Arnoldo Aleman beherrscht.
(22) https://confidencial.com.ni/politica/cid-gallup-fsln-en-caida-pero-ganaria-si-la-oposicion-no-se-une/
(23) Resolución restablecimiento de las instituciones democráticas y el respeto de los derechos humanos en Nicaragua mediante elecciones libres y justas, 22 de octubre de 2020 http://scm.oas.org/doc_public/SPANISH/HIST_20/AG08237S03.docx
Aktivitäten zu Nicaragua
1. März: Beitrag für Amerika21: Opposition in Nicaragua schließt sich zu Nationaler Koalition zusammen
Die Proteste im Jahre 2018 gegen die Regierung in Nicaragua wurden von Menschen und Organisationen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Ansätzen getragen. Anfang des Jahres 2020 erfolgte mit der Gründung der Coalición Nacional (Nationale Koalition) der erste Versuch, ein breites Oppositionsbündnis auf die Beine zu stellen. In unserem Beitrag gaben wir einen Überblick über die wichtigsten Gruppen in diesem Zusammenschluss.
https://amerika21.de/2020/03/237790/nicaragua-opposition-nationale-koalition
26, Mai: Onlineveranstaltung: CORONA-Pandemie in Nicaragua und die Bedeutung präventiver Gesundheit, mit Enrique Picado, Movimiento Comunal Nicaragüense
Auf der Veranstaltung berichtete Enrique Picado über die aktuelle Lage in Nicaragua aufgrund der Corona-Pandemie und die daraus resultierenden Herausforderungen. Neben Informationen über das auf Prävention ausgelegte nicaraguanische Gesundheitssystem lag der Schwerpunkt der Veranstaltung auf den Aktivitäten des Movimiento Comunal Nicaragüense. Diese zielen darauf ab, die Bevölkerung bestmöglich zu informieren und ein Ausbreiten des Virus in den Gemeinden zu verhindern.
Im Anschluss der Veranstaltung veröffentlichten wir ein Interview mit dem Referenten auf unserer Website, in dem die wichtigsten Gedanken der Veranstaltung zusammengefasst sind.
22. Oktober: Online- und Präsenzveranstaltung: Klimawandel in Nicaragua - Anpassung und Gegenstrategien, Cynthia Rodriguez und Nardely Hernandez, Movimiento Comunal Nicaragüense
Am 22. Oktober sprachen wir mit Nardely Hernández und Cynthia Rodriguez vom Movimiento Comunal Nicaragüense (MCN) über die Auswirkungen des Klimawandels in Nicaragua sowie über deren Aktivitäten zur Anpassung an den Klimawandel. Im Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels setzt das MCN zum einen auf die Organisation und die Sensibilisierung der Bevölkerung. Mittelfristig geht es dem MCN jedoch darum, weg von einem ständigen Reagieren auf Katastrophen hin zu einer Kultur der Prävention zu gelangen. Diese hat zum Ziel, die Auswirkungen möglicher extremer Wetterphänomene durch Maßnahmen im Vorfeld zu verringern und den Menschen auch unter den Bedingungen des Klimawandels ein Leben und Überleben in Würde zu ermöglichen.
Eine Zusammenfassung der Inhalte der Veranstaltung findet sich auf unserer Website.
Thesen des Öku-Büros zur Nicaraguadebatte
Als Ökumenisches Büro blicken wir auf eine lange Geschichte der Solidarität mit Nicaragua zurück. Insofern haben auch wir den Konflikt, der 2018 seinen gewalttätigen Höhepunkt hatte, intensiv verfolgt. Nach und nach sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass die Situation dort so komplex ist, dass wir weder einseitige Schuldzuweisungen noch das Unterstützen der einen oder der anderen Seite in diesem Konflikt für zielführend halten. Diese Position wurde von außen zum Teil missinterpretiert.
Aus diesem Grund haben wir uns nach intensiven Diskussionen entschieden, unsere Gedanken in Form von Thesen der Öffentlichkeit zur präsentieren. Wir hoffen, dass es uns damit gelingt, die Debatte um Nicaragua zu bereichern.
Nachzulesen sind die Thesen auf unserer Website unter:
27. November: Artikel auf unserer Website: Nicaraguanische Justiz setzt Straffreiheit fort
Am Donnerstag, 19. November 2020, wurde der Regierungsanhänger und Gemeindeangestellte der Stadt Estelí, Abner Pineda, nach einem mehr als umstrittenen Richterspruch aus dem Gefängnis entlassen. Pineda war beschuldigt worden, im Juli dieses Jahres den Regierungsgegner Jorge Rugama Rizo nach einem Streit erschossen zu haben und nach der Tat an der Brandstiftung am Haus von dessen Familie beteiligt gewesen zu sein.
Wir berichteten über den Fall und die Problematik der Straffreiheit in Nicaragua auf unserer Webseite.
https://www.oeku-buero.de/nachricht-502/titel-nicaraguanische-justiz-setzt-straffreiheit-fort.html