Kolumbien

Länderbericht

Aktivitäten zu Kolumbien 2019

Enorme Widersprüche kennzeichneten die gesellschaftliche Dynamik Kolumbiens 2019. Einerseits verzeichnete das Land das größteWirtschaftswachstum in der ganzen Region, andererseits waren viele Bürger*innen unzufrieden mit Maßnahmen der Regierung, die sie als ungerecht anprangerten. Außerdem gab es große Rückschritte in Bezug auf Frieden und Konfliktlösung. Im Laufe des Jahres eskalierten Konflikte mit neuen Akteur*innen, vergangen geglaubte Staatsverbrechen kehrten wieder. Die Regierung erlebte eine Welle der Ablehnung, die Popularitätswerte von Präsident Duque sanken erheblich.

Friedensabkommen

Einer der heikelsten Punkte in der politischen und sozialen Szene Kolumbiens hat mit dem Friedensabkommen mit der FARC-EP (ehemalaige linke Guerrila) zu tun. Zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Regierung von Juan Manuel Santos und der Guerilla der FARC-EP hat sich der Konflikt in den Regionen gewandelt. Es sind neue Konfliktszenarien und neue Akteur*innen aufgetreten. Dennoch hat der kolumbianische Präsident Duque angekündigt, das Gesetz, welches die Arbeit der Sonderrechtsprechung für den Frieden („Justicia Especial para la Paz“ – JEP) regelt, nicht in Kraft zu setzen. Der kolumbianische Präsident argumentierte mit verschiedenen Problemen des Gesetzestextes.(1) Das Friedensabkommen hätte bis 2019 umgesetzt werden sollen. Das ist aber nicht geschehen. Die Verantwortung der staatlichen Institutionen für den Frieden wird nun in Frage gestellt und die Opfer des Konflikts werden in einem Zustand der Angst zurückgelassen.

Die umstrittensten Punkte für die derzeitige Regierung sind die Garantien für die Opfer, die politische Beteiligung der Ex-Kombattant*innen, die entsprechenden Maßnahmen zur Landrückgabe, die integrale Agrarreform und die Bekämpfung der illegalen Plantagen. Darüber hinaus wurden die Pläne für die Zonen zur Wiedereingliederung ehemaliger FARC-EP-Kämpfer*innen nicht erfüllt, da die territorialen Ausbildungs- und Wiedereingliederungsräume (Espacios Territoriales de Capacitación y Reincorporación - ETCR) beendet wurden. Nur in zwei der 24 ETCRs, die in Betrieb blieben, wurden kollektive Wirtschaftsprojekte erfolgreich durchgeführt. All diese Hindernisse, zusammen mit der Verfolgung, der politischen Stigmatisierung und der Ermordung ehemaliger Kämpfer*innen, dienten drei Anführern der ehemaligen Guerrilla als Argumente für die Rückkehr zu den Waffen und die Schaffung der „neuen FARC-EP“(2). Oppositionspolitiker sind der Meinung, die Regierung habe diese Fraktion der FARC zum Krieg gedrängt.(3)

Anfang des Jahres zog die ELN (Armee zur nationalen Befreiung) die internationale Aufmerksamkeit mit einem Angriff auf die Polizeischule in Bogotá auf sich.(4) Der Preis für den Angriff war das Ende der Verhandlungen mit der ELN und bedeutete einen großen Rückschritt für den Friedensprozess im Land. Der Leiter des Verhandlungsteams der ELN äußerte in verschiedenen Medien, dass sie trotz des brutalen Angriffs, bei dem 20 Polizist*innen in Bogotá getötet wurden, die Verhandlungen über ein Friedensabkommen mit dem kolumbianischen Staat nicht aufgeben möchten.(5) Die Regierung hatte ohnehin kein Interesse mit ihnen zu verhandeln.

Es gibt aber auch Positives zu berichten. Die Friedensabkommen sowohl mit den FARC-EP als auch mit der AUC (Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens) haben bisher einen großen Beitrag zur Klärung der Wahrheit und zum Aufbau des historischen Gedächtnisses des Konflikts geleistet. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen beiden
Abkommen. Die bereitgestellten Informationen der in Ralito mit den paramilitärischen Gruppen unterzeichneten Abkommen wurden nicht veröffentlicht. Der Friedensprozess, die Verhandlungen und die Übergabe der Waffen lag von Anfang an in den Händen der Regierung. Im Gegensatz dazu hat der FARC-EP eine sehr positive Bilanz in Bezug auf das Abkommen über den Prozess der Wahrheitsfindung gezogen. Vielleicht liegt das daran, dass der Prozess nicht auf die amtierende Verwaltung beschränkt ist, sondern von der JEP, der Wahrheitskommision (CEV – Comisión para el Esclarecimiento de la Verdad ) und der Suchstelle für Vermisste (Unidad para la Búsqueda de Personas Desaparecidas - UBPD) betrieben wird. Sowohl die Zeug*innenaussagen als auch die Informationen, die das JEP erhält, werden überprüft, bestätigt und möglicherweise veröffentlicht.

Einen wichtigen Beitrag auf der Suche nach Wahrheit hat die Wahrheitskommission geleistet. Ihre Arbeit fand nicht nur in Kolumbien, sondern auch weltweit statt. Die CEV (Wahrheitskommision) hat sich zum Ziel gesetzt, dass auch die Opfer, die in der Diaspora und im Exil leben, ihre Aussagen bei der CEV machen können. Um dies zu unterstützen, haben sich in vielen Ländern, unter anderem in Deutschland Arbeitsgruppen gegründet, die dieses Anliegen unterstützen. Im Jahr 2019 bildete die CEV selbst Personen in Europa aus, die die Aussagen entgegennehmen und diese mit der entsprechenden Anonymität und Sicherheit an die CEV übermitteln.(6) Die Arbeitsgruppe in Deutschland nahm schon im vorherigen Jahr die ersten Aussagen auf und führte verschiedenen Veranstaltungen durch.(7)

Die Ermordung von Anführer*innen und Aktivist*innen sozialer und indigener Organisationen

Der kolumbianischen Regierung nach wurden zwischen Januar 2016 und Juli 2019 289 soziale Anführer*innen und Menschenrechts-aktivist*innen ermordet.(8) Allein zwischen Januar und Juli 2019 erscheinen 30 Fälle im Bericht. Unseren Beobachtungen nach wurden schon Mitte März 30 Aktivist*innen und soziale Anführer*innen ermordet, was mit den Zahlen der Regierung nicht übereinstimmt. Das Büro des Ombudsmanns zählte 482 Opfer zwischen November 2016 und Juli 2019, die Generalstaatsanwaltschaft zählte 302 nach Berichten der Vereinten Nationen.(9) Auf der anderen Seite berichtete die Nichtregierungsorganisation INDEPAZ über 250 Mordfälle im Jahr 2019, davon 23 allein im Dezember.(10) Im Jahr 2018 wurden laut INDEPAZ 282 Personen ermordet, seit November 2016 zählen sie 777 Opfer.

Die tiefe Entrüstung wegen der gravierenden Menschenrechtssituation und der systematischen Ermordung von Aktivist*innen weckte die Aufmerksamkeit nicht nur der Bevölkerung sondern auch der internationalen Medien und Organisationen.(11) Bei den Zahlen werden die Opfer politischer, sozialer, indigener und Umweltaktivist*innen sowie ehemaliger Kämpfer*innen der FARC(12) mitgezählt. Ebenso tauchen immer mehr Drohpamphlete paramilitärischer Strukturen gegen Homosexuelle, Prostituierte und venezolanische Migrant*innen auf.(13) Darüber hinaus steigen wieder die Zahlen Asylsuchender in Deutschland.(14) Im Jahr 2019 hatten wir Kontakt mit Kolumbianer*innen, die in Flüchtlingsunterkünften leben. Sie haben über 200 Asylsuchende aus Kolumbien gezählt.

Die Ermordung von Aktivist*innen und Indigenen zeigt auch die Wiederkehr der staatlichen Verbrechen und die Kooperationen zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und illegalen Gruppen. Am 23. November wurden zwei sozial engagierten Jungen in der Nähe von El Bordo/Patía (Departement Cauca, Kolumbien) von drei kolumbianischen Polizisten in ein Privatauto gezerrt und an einen unbekannten Ort gebracht. Die beiden lokal bekannten Gemeindeaktivisten sind bis heute spurlos verschwunden. Einer der drei Polizisten soll sich in der dortigen Polizeistation das Leben genommen haben. Es war der zweite angebliche Selbstmord eines Polizisten in diesem Ort im Jahr 2019. Die beiden Kollegen des Toten wurden am 7. Dezember verhaftet und sitzen seitdem im Gefängnis in Popayán.(15) Einige Tage danach wurde dank Aussagen von Militärs vor der JEP ein Massengrab im Dorf Dabeiba im Departement Antioquia gefunden. Am 14. Dezember begann die Exhumierung von ungefähr 50 Leichen, Mordopfern des Militärs.(16) Die Opfer sind vermutlich Zivilist*innen, die vom kolumbianischen Militär hingerichtet und danach als im Kampf gefallene Gegner*innen präsentiert worden waren. Diese Fälle wurden im Land “Falsos Positivos” genannt.

Wegen der Ermordung von Führungskräften, scheint der internationale Druck nicht ausreichend gewesen zu sein. Im vergangenen Jahr haben sowohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) als auch der UN-Sicherheitsrat die kolumbianische Regierung aufgefordert, auf einen Dialog mit den bewaffneten Gruppen zu bestehen. Die Ermordung von Anführer*innen und Aktivist*innen sozialer und indigener Organisationen geht weiter.

Erdöl, Bergbau und (illegale) Monokulturen

Die Arbeit des JEP, der CEV und der UBPD sowie das Machtvakuum, das die FARC-EP in den Gebieten hinterließ, geben einen Einblick in die Komplexität des Szenarios. Einerseits geht die Belästigung der Zivilbevölkerung durch alle Akteur*innen wie paramilitärische Gruppen, die heute als kriminelle Banden oder BACRIM bezeichnet werden, die Guerillas ELN und EPL, die Dissidenten der FARC-EP, die kolumbianischen Streitkräfte und viele andere Gruppen, die sich im Land etabliert haben, weiter. Die Dynamik des Konflikts ist jetzt viel deutlicher beziehungsweise beweisbar.(17) Diese Gruppen, egal ob sie illegal oder legal sind, profitieren von illegalen Monokultur-Plantagen, von der Bearbeitung dieser Produkte, von legalem und illegalem Bergbau, der Viehzucht sowie von der Ölförderung. Einige Unternehmen schaffen und/oder nutzen diese Gruppen zu ihrem Vorteil, andere sind gezwungen, für ihre Sicherheit zu zahlen, und diejenigen, die dies nicht tun, werden von bewaffneten Gruppen angegriffen.(18) Erneut werden Beamt*innen ermordet. Entführungen und Erpressung verschiedener Unternehmen oder Organisationen, einschließlich sozialer Stiftungen, nehmen zu.(19)

Der bewaffnete Konflikt verschärfte sich vor allem an der Pazifikküste. Die am stärksten betroffenen Regionen sind das Bajo Atrato im Departement Chocó, Tumaco in Nariño und verschiedene Regionen des Departements Cauca. Diese Regionen leben hauptsächlich von legalen und illegalen extraktiven Geschäften wie Erdölförderung, Bergbau und Drogenplantagen. Andere Departements mit einer Zunahme sowohl der Rohstoffproduktion(20) als auch der Präsenz bewaffneter Gruppen waren Córdoba, Antioquia, La Guajira und El Cesar. Darüber hinaus haben auch die Umweltprobleme in diesen Regionen zugenommen, was für die Unternehmen auch zu spüren war. Als Beispiel können wir den Bergbaukonzern El Cerrejón nehmen. Seine Lizenz wurde letztes Jahr unter die Lupe genommen.(21)

An einigen Orten in diesen Regionen wurden Lizenzen für den Anbau und die Verarbeitung von Marihuana für medizinische Zwecke erteilt. Die Lizenzen wurden an internationale Unternehmen oder große nationale Unternehmen vergeben, wobei die Indigene- und Bauernverbände außen vor blieben.(22) Diese Situation könnte zu einer Zunahme der Ungleichheit im Land führen, wegen des Mangels an kommerziellen Möglichkeiten für die Indigenen und Bäuerinnen und Bauern, aber auch wegen des Drucks, dass sie aus ihren Gebieten entfernt werden sollen. Im Jahr 2019 kam es erneut zu massiven gewaltsamen Vertreibungen.(23) Neben Marihuana stellen auch Koka und Mohn ein sehr hohes soziales Risiko dar.

Weltweit größter Kokainproduzent

2019 war Kolumbien größter Koka- und Kokainproduzent: Laut United Nations Office on Drugs and Crime lag der Anbaufläche 2017 bei 171.000 Hektar(24) und 169.000 Hektar im Jahr 2018. In diesem Jahr wurden circa 887 Tonnen Kokain erzeugt.(25) Laut US-Regierung waren aber 208.000 Hektar im Jahr 2018 mit Coca bepflanzt und 209.000 Hektar im Jahr 2017.(26) 70 Prozent des Kokain weltweit wird in Kolumbien produziert, was circa 2 Prozent des BIP entspricht.(27) Die illegalen Plantagen stehen in Zusammenhang mit drei weiteren Phänomenen. Kolumbien bleibt weltweit nach Syrien das Land mit zweithöchsten Zahlen von Binnenflüchtlingen.(28) In Lateinamerika ist es das Land mit den höchsten Zahlen von Gewaltsamen-Verschwindenlassen. Zwischen Januar und Juli 2019 wurden 3.800 Personen als gewaltsam verschwunden gemeldet.(29) Das Land ist außerdem nach GINI-Methode das zweitungleichste Land Lateinamerikas.(30)

Bürger*innenbewusstsein und Mobilisierung

Aufgrund der oben genannten Fakten initiierte ein Komitee aus Gewerkschafter*innen, Lehrer*innen und Student*innen eine soziale Protestbewegung, die mit einem Streik am 21. und 27. November begann. Im Rahmen der Proteste haben viele andere Treffen, Konzerte, Märsche und Veranstaltungen stattgefunden. Der Protest hat fast das gesamte Staatsgebiet erreicht und obwohl die Zahlen zwischen den Angaben der Regierung und den Angaben der Demonstrant*innen variierten, handelte es sich um beispiellose Demonstrationen. Den Koordinator*innen der Bewegung ist es gelungen einen Dialogtisch mit dem Staat zu erreichen, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft zu erlangen und vor allem das Recht, friedlichen und organisierten Protest auszuüben. Es kam zwar vereinzelt zu Vandalismus, der jedoch von den Organisator*innen des Streiks verurteilt wurde. Es gab auch Fälle, in denen staatliche Kräfte den Protest unterwandert und versucht haben, falsch zu informieren und Unruhe zu stiften, wie im Fall des Brandes des Gebäudes des kolumbianischen Instituts für Bildungskredite und technische Studien im Ausland (ICETEX). Als Ergebnis all dieser Aktionen können wir feststellen, dass Kolumbien, wie auch andere lateinamerikanische Länder, ein Erwachen des Bürger*innenbewusstsein erlebt haben, eine Art friedliche Revolution, um die Probleme vieler Kolumbianer*innen zu lösen, die unter den Folgen des wirtschaftlichen und politischen Modells des Landes leiden. Die Märsche zeigen auch das Potenzial für die Student*innenorganisation in Kolumbien.

Die Proteste zeigen, dass das Volk von denjenigen, die politische Macht ausüben, nicht angemessen vertreten wird. Es gibt willkürliche und undemokratische Maßnahmen, Privatisierungen, Arbeits- und Steuerreformen zum Nachteil der Arbeiterklasse. Die Protestierenden forderten unter anderem den Schutz der Menschenrechte, ein sofortiges Ende der Gewalt, die wirksame Umsetzung des Friedensvertrages von Regierung und FARC und eine bessere Gesundheitsversorgung. Zudem forderten sie die Einhaltung der vereinbarten Abmachungen, freie Meinungsäußerung und legitime soziale Proteste, Schutz der Landwirte, Kinder und Indigenen, Einsatz für den Umweltschutz, eine kostenfreie Bildung und eine gewaltfreie Gesellschaft, basierend auf Dialog. Ihre Forderungen richten sich gegen die vorgesehenen Reformen, die 80 Prozent der Bevölkerung negativ beeinträchtigen, gegen Korruption und Privatisierung und gegen die Kriminalisierung und Instrumentalisierung der sozialen Proteste.

Obwohl die Regierung sagt, dass sie das Budget für Bildung erhöht hat, haben die öffentlichen Universitäten ein Defizit von vier Millionen Euro. Das Budget, über das sie verfügen, wird oft ausgegeben für unnötige oder persönliche Ausgaben, für Korruption, wie im Fall der Distriktuniversität, wo der Rektor entlassen wurde, oder wie im Fall der Universität Medellin, wo der Rektor sein Amt niederlegen musste.

In den Tagen des Protestes wurde die übermäßige Anwendung von staatlicher Gewalt deutlich. Es gab jedoch auch Fälle von Vandalismus und Gewalt gegen die öffentlichen Kräfte. Der erste Streik führte zu festgenommenen Demonstrant*innen, ehemals loyale Mitarbeiter*innen der Polizei, durch exzessiven Gewalteinsatz von den Einheiten der Bereitschaftspolizei, sowie zu Menschen, die von den staatlichen Sicherheitskräften getötet worden waren.(1) Die Gegner*innen der Märsche, insbesondere die Partei des Demokratischen Zentrums, versuchten mit verschiedenen Mitteln, die Proteste zu kriminalisieren und zu stigmatisieren. Kurz gesagt, die Reaktion auf die Proteste und Mobilisierungen war Gewalt, Repression und Kriminalisierung und die Delegitimierung des Protests durch den Staat.

Ein erwähnenswerter Punkt ist die Beteiligung der feministischen Bewegung an den Protestaktionen, die international unter dem Motto „Du bist der Vergewaltiger“ stattfanden. Sexuelle Gewalt hört nicht auf. Alle drei Tage wird in Kolumbien eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner vergewaltigt. 87 Prozent von ihnen sind Mädchen oder Jugendliche. Die Ohnmacht des Staates hat dazu geführt, dass diese Fälle auf ungewöhnliche Weise der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) vorgelegt wurden.

Die Proteste waren auch die Folge anderer Ereignisse, die im vergangenen Jahr stark kritisiert wurden. Zum Beispiel die Genehmigung des Verteidigungsministeriums für den Bombenangriff der Armee in Caquetá, bei dem 18 Minderjährige starben. Darüber hinaus wurde auch eine indigene Gemeinde von der Nationalen Armee bombardiert. Laut New York Times hatte die kolumbianische Militärführung offenbar im Januar 2019 ihre Einheiten angewiesen, die Zahlen von „Kriminellen“ zu verdoppeln, die sie in Kampfhandlungen töten, gefangen nehmen oder zur Aufgabe zwingen sollen. Dazu mussten sich sämtliche hochrangige Militärs bei einer entsprechenden Versammlung auch schriftlich verpflichten.(31) Ein weiteres Beispiel war der Versuch des Finanzministers für eine Rentenreform sowie die Privatisierung der öffentlichen Rentenfonds. Der Senat stimmte der umstrittenen Reform zu. Das dritte Beispiel ist Dario Acevedo, Direktor des Nationalen Zentrums für
Historisches Gedächtnis (CNMH), der darauf bestand, den bewaffneten Konflikt zu leugnen.

Der Präsident der Republik löste auch eine große Kontroverse aus, indem er der UNO Fotos und falsche Anschuldigungen gegen die Regierung von Nicolás Maduro in Venezuela vorlegte. Angesichts der Wirtschaftskrise in Venezuela kam es 2019 zu einer massiven Migration venezolanischer Bürger*innen auf dem gesamten Kontinent. In Kolumbien wurde dieses Phänomen als Gelegenheit zur Propaganda gegen politische und soziale Bewegungen sozialistischer und kommunistischer Tendenzen genutzt. Die kolumbianischen Medien verbreiteten eine Propaganda, die auch die Venezolaner*innen kriminalisiert und stigmatisiert. Die diplomatischen Spannungen eines möglichen militärischen Einmarsches war ebenfalls sehr groß. Die Unterstützung der kolumbianischen Regierung und der Einsatz kolumbianischer Flugzeuge zur Mobilisierung des Putschisten Juan Guaidó führte zu einer starken Spaltung der Kolumbianer*innen. Es sei daran erinnert, dass es sieben US-Militärstützpunkte in Kolumbien gibt.

Umwelt

Kolumbien hat auch in Umweltfragen Rekorde aufgestellt. Die Waldverluste werden für 2018 auf 197.159 Hektar geschätzt, insbesondere im Amazonasgebiet. In den letzten sechs Jahren wurde in Kolumbien fast 220.000 Hektar Wald abgeholzt, was 926.000 Fußballfeldern entspricht. Das Land verbraucht derzeit 2,8 Mal mehr Rohstoffe als der Durchschnitt der OECD-Länder. 88 Prozent der Katastrophen, die sich im Land ereignet haben, wie Überschwemmungen, Erdrutsche, Dürren und Schlammlawinen, stehen daher in engem Zusammenhang mit
illegaler Waldrodung und illegalem Bergbau. Letzterer hat laut IDEAM (Regierungsbehörde des kolumbianischen Ministeriums für Umwelt und nachhaltige Entwicklung) mindestens 1150 Flüsse und Bäche betroffen. Die Verantwortlichen für die Maßnahmen zum Schutz des Amazonas sind die Richter des Hohen Gerichtshofs von Cundinamarca. Leider gibt es keine Berichte über Maßnahmen, die ergriffen wurden. Es gibt auch keine konkreten Maßnahmen zum Schutz der Moore und anderer
gefährdeter Ökosysteme, im Gegenteil, es besteht immer noch die Sorge, dass diese Ökosysteme der Ausbeutung durch den Bergbau überlassen werden.

Wahlkampf

2019 wurden bei den Wahlen von Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen mehrere Kandidaten bedroht oder getötet. Dennoch gibt es bei den Wahlergebnissen auch Positives zu berichten. Einerseits wurde die LGBTI*-Gemeinschaft gestärkt. Claudia Lopez, die unter anderem eine Führungspersönlichkeit der LGBTI-Gemeinschaft ist, gelang es, den Posten der Bürgermeisterin von Bogotá zu gewinnen. Auf der anderen Seite verlor das Demokratische Zentrum an Stärke und es entstanden unabhängige Kandidat*innen, die erfolgreich waren, wie im Fall von Daniel Quintero, dem neuen Bürgermeister von Medellin. Wie in ganz Lateinamerika nutzen evangelikale Gruppen ihre Kirchen weiterhin, um in die Politik einzugreifen und die Menschen zu manipulieren und falsch zu informieren.

Unter den politischen Schritten müssen wir auch die neuen Ernennungen von Präsident Duque hervorheben. Einige beispielhafte Fälle waren die Beamten, die den Anforderungen der Position nicht entsprachen, ein Direktor des CNMH, der den Konflikt und die Beförderungen von Militärpersonal, die von False Positives untersucht wurden, leugnete.

Abschließend ist zu erwähnen, dass zum ersten Mal in der Geschichte Kolumbiens ein ehemaliger Präsident vor dem Obersten Gerichtshof aussagen musste. Bei dem mutmaßlichen Fall handelt es sich angeblich um eine Manipulation von Zeug*innen. Álvaro Uribe, Senator und ehemaliger Präsident Kolumbiens zwischen 2002 und 2010, wurde von der höchsten Justizbehörde des Landes vorgeladen, „um bei einer Vernehmung im Rahmen von Ermittlungen angehört zu werden“. Es wurde noch keine Entscheidung getroffen.

Was erwarten wir für 2020?

Im Jahr 2020 werden in Kolumbien neue Häfen in Betrieb genommen, vor allem in Regionen, in denen bereits Bergbaulizenzen erteilt wurden, die aber aufgrund der fehlenden Infrastruktur für Transport und Export noch nicht in Betrieb sind. Darüber hinaus könnte die verzweifelte Suche nach mehr Öl, Kupfer und anderen Mineralien zu neuen Eskalationen des Konflikts führen. Die Neuausrichtung der Kräfte im Drogenhandel und der Druck, Gebiete auch für legale Plantagen zu gewinnen, stellen ebenfalls ein mögliches Risiko für das Jahr 2020 dar.

Die Regierung konzentriert sich darauf, das Wirtschaftswachstum zu erhalten, damit dem bewaffneten Konflikt nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt wird oder dass es dem Militär überlassen wird, eine neue Welle von Verbrechen zu begehen. Die möglichen Szenarien sind schwer vorhersehbar. Dasselbe gilt für den sozialen Protest. Irgendwann könnte einer der Akteur*innen nachgeben oder, falls keine Ergebnisse erzielt werden, könnte der Protest radikaler werden. Im Umweltbereich könnten natürliche Phänomene durch Abholzung und die Veränderung von Flüssen auftreten.

Es ist auch zu hoffen, dass mit den Fortschritten des CEV und der UBPD die Zusammenarbeit zwischen bewaffneten Gruppen und Unternehmen, insbesondere den Rohstoffunternehmen, besser geklärt werden kann, um eine Wiederholung der Geschichte zu vermeiden. Auf internationaler Ebene wird der Druck auf die Regierungen von Kolumbien weiter zunehmen, Veränderungen durchzuführen.

(1) www.eltiempo.com/politica/proceso-de-paz/acusan-a-duque-...-acuerdo-de-paz-336178 und www.semana.com/nacion/articulo/seis-objeciones-...-a-profundidad/604981
(2) https://amerika21.de/dokument/231112/kolumbien-manifest-farc-ep
(3) https://twitter.com/GustavoBolivar/status/1166992347848171520
(4) https://es.wikipedia.org/wiki/Atentado_contra_la_escuela_de_polic%C3%ADa_General_Santander
(5) www.elespectador.com/noticias/politica/no-pueden-pedir-...-articulo-835313
(6) www.kolko.net/aktuelles/beitraege-zur-...-verdad-desde-alemania/
(7) www.kolko.net/krieg-und-frieden/berlin-14-06-...-con-comisionado-carlos-beristain/
(8) www.derechoshumanos.gov.co/Prensa/2019/Documents/INFORME%20LDDH%20ACTUALIZADO%2017%20DE%20JULIO_V2.pdf
(9) www.elcolombiano.com/colombia/paz-y-derechos-humanos/lideres-sociales-asesinados-...-indepaz-PH11611439
(10) www.eltiempo.com/colombia/otras-ciudades/cifra-de-lideres-sociales-asesinados-en-el-2019-447954
(11) mailchi.mp/dist/cidh-culmina-visita-...-defensoras-de-ddhh?e=fc8d808c65?e=fc8d808c65
(12) https://amerika21.de/2019/09/231328/morde-farc-kolumbien
(13) https://amerika21.de/2019/09/231449/leichen-slums-bogota-kolumbienbogota-na
(14) Für 2018 siehe: https://www.laenderdaten.info/Amerika/Kolumbien/fluechtlinge.php
(15) https://www.oeku-buero.de/nachricht-508/staatliches-gewaltsames-verschwindenlassen-Kolumbien.htm
(16) www.jep.gov.co/Sala-de-Prensa/Paginas/Diligencia-de-...-parte-de-la-JEP.aspx
(17) Siehe die Berichte und Publikationen des Erinnerungszentrums Kolumbiens: centrodememoriahistorica.gov.co und der CEV: comisiondelaverdad.co
(18) https://amerika21.de/2020/01/236752/kolumbien-paramilitarismus-konzerne
(19) www.eltiempo.com/colombia/cali/quienes-eran-los-ingenieros-asesinados-en-el-cauca-429578; https://www.wradio.com.co/noticias/regionales/tres-ingenieros-de-la-continental-gold-fueron-asesinados-en-antioquia/20180920/nota/3801616.aspx; www.elcolombiano.com/colombia/paz-y-derechos-humanos/secuestro-empleados-maquinaria-en-ituango-por-las-disidencias-de-las-farc-JD11746384 ; www.eltiempo.com/colombia/medellin/dos-ingenieros-fueron-asesinados-en-urrao-suroeste-de-antioquia-366878
(20) https://www.elespectador.com/economia/colombia-busca-la-ruta-del-cobre-articulo-901892
(21) www.misereor.de/fileadmin/publikationen/publikation-menschenrechtsverletzungen-durch-den-kohleabbau-in-el-cerrejon.pdf
(22) www.hispaweed.com/enelmundo/33-licencias-de-cannabis-en-colombia www.semana.com/economia/articulo/marihuana-en-colombia-...-cannabis-medicinal/553403
(23) Ein Beispiel: www.elespectador.com/noticias/nacional/en-tumaco-declaran-...-3000-personas-articulo-900628
(24) www.unodc.org/documents/crop-monitoring/Colombia/Colombia_Monitoreo_..._ilicitos_2017_Resumen.pdf
(25) https://de.statista.com/infografik/20020/geschaetzte-produktionsmenge-reinen-kokains
(26) www.cnnespanol.cnn.com/2018/06/25/colombia-coca-cocaina-record-niveles-altos-estados-unidos-ondcp
(27) www.eltiempo.com/economia/sectores/efectos-del-regreso-de-las-fumigaciones-con-glifosato-448932
(28) www.unhcr.org/ua/en/15810-unhcr-annual-...-in-the-world.html und www.internal-displacement.org/global-report/grid2019/downloads/report/2019-IDMC-GRID-summary.pdf
(29) www.rcnradio.com/judicial/segun-medicinal-legal-...-3800-personas-en-colombia und https://co.boell.org/sites/default/files/cartografia_desaparicion_forzada_en_colombia.pdf
(30) https://www.semana.com/nacion/articulo/informe-de-desarrollo-humano-2019/643072 und https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G19/229/25/PDF/G1922925.pdf?OpenElement
(31) https://www.nytimes.com/2019/05/18/world/americas/colombian-army-killings.html

Aktivitäten zu Kolumbien 2019

Im Jahr 2019 hat sich die Arbeit der Kolumbienstelle etabliert und konsolidiert. Unser Kolumbien-Referent verfügt inzwischen über die gleichen Arbeitszeiten wie unsere anderen Referent*innen. Im vergangenen Jahr nahmen wir an 30 Aktivitäten teil und konnten damit über 900 Personen mit unseren Inhalten direkt erreichen. 18 dieser Aktivitäten wurden direkt von uns organisiert, bei denen wir über 600 Teilnehmer*innen begrüßen durften. Wir nahmen an den Hauptversammlungen von SIEMENS und Munich Re sowie an einem Projekttag im Thomas-Mann-Gymnasium teil, unterstützten vier Kundgebungen und ein Konzert, veranstalteten neun Vorträge beziehungsweise Diskussionsrunden sowie einen Workshop. Außerdem trugen wir zur Sendung „En la Línea“ des Ökumenischen Büros bei Radio Lora eine Sendereihe über Kolumbien bei und waren an weiteren Radioprogrammen beteiligt. Des weiteren wurden über Social-Media-Kanäle mehrere tausend Menschen erreicht. Die wichtigsten Themen waren Unternehmensverantwortung, die Auswirkungen von großen Wasserkraftwerken,
Menschenrechtsverletzungen als Folge der Klimakrise, Erinnerungskultur, indigene Gemeinden, der Mord beziehungsweise das gewaltsame Verschwindenlassen von Aktivist*innen, die neue Eskalation des Konfliktes in Kolumbien, die Unterstützung von landesweiten Streiks, die Legalisierung von Cocablättern, die Drogenökonomie sowie die
politischen Gefangenen im Land.

Ein Schlüsselthema für die Kolumbienstelle war die Plattform klimasolidaritaet.de. Dafür gewannen wir neue Sponsoren wie Protect The Planet und das Referat für Gesundheit und Umwelt sowie neue Partnerschaften, zum Beispiel mit der Christlichen Initiative Romero und der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK). (siehe Kapitel Klima Menschenrechte Unternehmen). Dazu kamen Tätigkeiten wie die kontinuierliche Pflege unserer Internetseite und unserer Social-Media-Kanäle sowie die Aufbereitung der Informationen für den Newsletter. Über diese Kanäle machen wir nicht nur unsere Aktivitäten bekannt, sondern informieren auch über die aktuellsten Neuigkeiten zu Kolumbien.

Unternehmensverantwortung

Die Auswirkungen von Wasserkraftwerken waren 2019 ein sehr wichtiges Thema in Kolumbien. Als Vorbereitung der themenbezogenen Veranstaltungen und der Teilnahme an den Hauptversammlungen von SIEMENS und Munich Re, sowie für die Unterstützung der Rios-Vivos-Bewegung in Kolumbien recherchierten wir die Auswirkungen großer Kraftwerke in Kolumbien und die Beteiligung deutscher Unternehmen daran.

Unser Kolumbien-Referent war Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Profit statt Umwelt und Menschenrechte. (Klima-)-Un-Verantwortung Münchener Unternehmen“ im Vorfeld der Munich Re Versammlung. Sowohl SIEMENS als auch Munich Re sind Lieferanten des Wasserkraftwerksprojekt Hidroituango im Norden des Departement Antioquia. An dem Damm wird seit 2011 gebaut, das fertige Kraftwerk wird 2.400 Megawatt Strom liefern und somit das größte in Kolumbien sein. Das Projekt war von Anfang an von Korruption geprägt und wird mit Menschenrechtsverletzungen, Behinderung der Übergangsjustiz und mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt in Zusammenhang gebracht. (siehe Länderbericht).

Deswegen traf unser Kolumbien-Referent in Frankfurt zwei Vertreter*innen des Kollektivs Rios Vivos Colombia, Milena Flórez und Genaro Graciano. Beide lebten gerade aufgrund von Drohungen im temporären Asyl in Spanien und reisten durch Europa, um auf die Situation in ihrer Heimatgemeinde aufmerksam zu machen. Auch das Ökumenische Büro lud Milena Flórez nach München ein. Über ihre Erfahrungen, die Auswirkungen von Hidroituango, die Lage ihrer Bewegung und die Forderungen an die internationale Gesellschaft berichtete sie am 4. November 2019 erst an der Hochschule für Philosophie und abends im Café Barrio Olga Benario. Bei der Abendveranstaltung teilte Milena das Podium mit Gladys Calderon Segura, Vertreterin von Rios Vivos in Europa, Marcela Rodrigues aus Brasilien und Christian Russeau von FDCL-Berlin und vom Dachverband der Kritischen Aktionär*innen. Marcela Rodrigues berichtete über den Dammbruch des Rückhaltebeckens einer Eisenerzmine in Brasilien, Christian Russeauder analysierte die Verantwortung deutscher Banken und Großunternehmen wie die KfW IPEX-Bank, Siemens, Kaeser Kompressoren, Münchner Rück und Hannover Rück.

Mit Milena waren wir bei der Fraktion der Grünen im Bayerischen Landtag, bei SIEMENS und bei einem offenen Plenum im Öku-Büro. Wir trafen einen Vertreter von Protect The Planet, mit dem wir uns über das Thema Klimaklagen ausgetauscht haben. Die Auswirkungen von Grosswasserkraftwerken werden im Jahr 2020 auf der Plattform klimasolidaritaet.de vorgestellt.

Zum Thema Unternehmensverantwortung hielt der Kolumbien-Referent einen Vortrag mit dem Titel „Lobbytätigkeit von Unternehmen am Beispiel Kohle“ bei dem Tagesseminar „Klimawandel: Ursachen und Lösungsansätze in El Salvador und Nicaragua. Entwicklung jenseits von Wachstum und Weltmarkt“. Dort wurde analysiert, wie die Unternehmen Einfluss auf politische Entscheidungsträger ausüben, um trotz Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch ihre Wertschöpfungsketten mehr Gewinn machen zu können.

Alternativen für die Friedens- und Erinnerungskultur

Ein zweiter Tätigkeitsbereich der Kolumbienstelle kann unter dem Begriff Erinnerungsarbeit zusammengefasst werden. 2016 wurde in Kolumbien ein Friedensvertrag mit der FARC, der größten Guerilla Lateinamerikas, abgeschlossen. Der Vertrag umfasst einen Mechanismus für eine Übergangsjustiz (Justicia Especial para la Paz – JEP). Die JEP umfasst, unter anderem, die Wahrheitskommission (Comisión para el Esclarecimiento de la Verdad – CEV) und die Einheit für die Suche nach Verschwundenen (Unidad de Busqueda de Personas Desaparecidas – UBPD). Auch von Europa aus können Betroffene ihre Aussagen bei der Wahrheitskommission machen. In Deutschland ist der Kontakt für die Arbeit der Wahrheitskommission eine Gruppe, die von hier die Arbeit der Kommission unterstützt (Nodo Alemania). Am 14. Juni fand in Berlin die Veranstaltung „Die Arbeit der kolumbianischen Wahrheitskommission in Deutschland“ zusammen mit dem Kollektiv Aluna Minga statt, durchgeführt von Nodo Alemania. Gast war Carlos Martín Beristain, einer der elf Kommissar*innen, die für die CEV tätig sind. Die Veranstaltung wurde live übertragen.

Die CEV arbeitet auch sehr eng mit indigenen Gemeinden zusammen, denn diese Gemeinden haben wegen des Drogenhandels und des Anbaus illegaler Pflanzen stark unter dem bewaffneten Konflikt gelitten. Bisher haben nur wenige Gemeinden mit Erinnerungsarbeit begonnen, nur wenige stellen sich der Aufarbeitung des Geschehenen und suchen nach Wegen der Versöhnung und der Pflege ihrer Traditionen und Kulturen. Eine dieser Gemeinden sind die Inga aus Aponte, Nariño, im Süden Kolumbiens. Im Juli luden wir einen Vertreter der Gemeinde ein, Leandro Janamejoy. Am 22. Juli hielt er den Vortrag “Alternative Friedens- und Erinnerungsarbeit: Erfahrungen und Interpretationen aus der Inga-Gemeinde” bei einer Veranstaltung des Zentralinstituts für Lateinamerikastudien ZILAS der Universität Eichstätt. Am 23. Juli war Leandro Gast bei einem Projekttag am Thomas-Mann-Gymnasium in München zum Thema Indigene Gemeinden in Kolumbien. Am selben Tag fand abends die Veranstaltung „Erinnerungskultur und Frieden in den indigenen Gemeinden“ mit Leandro und Caleb Cabello Chirisente, einem Vertreter der Asháninka-Gemeinde in Satipo, Perú, statt. Leandro hielt am 24. Juli am Institut für Ethnologie der Universität LMU München den Vortrag „Erinnerungskultur in Kolumbien“. Leandro berichtete, dass das Friedensabkommen für die Inga-Gemeinde sehr wichtig war. Die Gemeinde befreite ihre Territorien von bewaffneten Gruppen dadurch, dass sie die Plantagen mit illegalen Pflanzen manuell und auf freiwilliger Basis zerstörten. Als ihnen bewusst wurde, dass sie viele ihrer Traditionen verloren hatten, beschlossen sie, Arbeitsgruppen zu bilden, um ihre Kultur, ihre Traditionen und ihr überliefertes Wissen zu retten.

In Kolumbien ist jede indigene Gemeinschaft nach wie vor mit sehr spezifischen Problemen und Herausforderungen konfrontiert. Die Ingas leiden im Moment an den Folgen der massiven Abholzung, die für die Monokultur der Drogenplantagen nötig war. Deswegen wurde dieses Problem auf der Plattform klimasolidaritaet.de unter Monokultur thematisiert. Andere Gemeinden leiden an Problemen wie dem Verlust der Legitimität ihrer Territorien, der Aufhebung verschiedener Gesetze zum Umweltschutz oder Regelungen zum Rohstoffabbau. Ein Beispiel sind die Gemeinden der Region Montes de María, auch Serranía de San Jacinto genannt, die sehr stark durch verschiedene Eskalationen des Konflikts gelitten haben. Wir luden zwei Musiker*innen aus dieser Region nach München ein. Am 10. August fand das Konzert „Kolumbianische Musik für die Erinnerung und den Frieden“ mit Manuel de la Rosa und Tatiana Guprad statt. Ihre afro-karibischen Fusion-Songs erzählen von Montes de María und von den Erfahrungen im Bürgerkrieg. Zwischen den einzelnen Liedern schilderten die beiden, wie sie junge Menschen ermutigen, mit Musik für den Frieden zu kämpfen. Das Konzert wurde mit der Bilderausstellung „Gegen das Vergessen | Sin Olvido“ der kolumbianischen Künstlerin Lina Hernandez ergänzt. Leider mussten Manuel und Tatiana Ende des Jahres ihre Gemeinden aus Sicherheitsgründen verlassen und in die Stadt Cartagena umziehen.

Neue Eskalation des Konflikts und politischer Widerstand

Die Regierung, die seit August 2018 im Amt ist, behindert den Friedensprozess. Deswegen fanden während des ganzen Jahres verschiedene Aktionen weltweit statt. In München organisierten dort lebende Kolumbianer*innen vier Kundgebungen. Wir unterstützten diese demokratischen und solidarischen Friedensaktionen logistisch sowie mit Materialien und Informationen. Bei den ersten zwei Kundgebungen ging es um den Mord an Aktivist*innen und politischen Führungspersönlichkeiten. Am 5. April fand auf dem Odeonsplatz die „Kundgebung für das Leben von Aktivist*innen in Kolumbien“ als Unterstützung eines internationalen Marsches nach Den Haag statt. Kolumbianer*innen und Organisationen aus verschiedenen europäischen Ländern forderten den Internationalen Strafgerichtshof auf, ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kolumbien einzuleiten. Die Teilnehmer*innen des Marsches legten dem Gericht eine Liste von 400 Aktivist*innen vor, die zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 28. Februar 2019 in Kolumbien getötet worden waren.(20) Am Tag der Aktion waren die Zahlen auf circa 700 ermordete Aktivist*innen und mehr als 75 ehemalige Kämpfer*innen der FARC gestiegen, die seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages ermordet worden sind.

Die anderen zwei Kundgebungen griffen den Nationalstreik auf, der ab dem 21. November von Gewerkschaften, Student*innen und Dozent*innen einberufen wurde. Am 21. und 27. November verschafften sich jeweils rund 100 Menschen am Max-Joseph-Platz und am Odeonsplatz sehr laut mit Pfannen und Instrumenten Gehör. Die wichtigsten Forderungen der Streikenden (es finden weiterhin Kundgebungen in Kolumbien statt) waren die Einhaltung des vereinbarten Friedensvertrags mit der FARC-EP, kostenfreie Bildung, das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf legitime soziale Proteste, Gesetzesänderungen zugunsten der Landwirte, Kinder, Indigenen und der Umwelt. Außerdem richtete sich der Streik gegen neue Steuerpläne, gegen Korruption und weitere Privatisierungen sowie gegen die Kriminalisierung und Instrumentalisierung der sozialen Proteste. Mit Liveübertragungen verbreiteten wir die Botschaft der Kundgebungen weltweit.

Über die Situation der Aktivist*innen und über die Situation der politischen Gefangenen in Kolumbien informierten wir ebenfalls in München. Im Mai besuchte uns Verónica López Estrada, Mitglied des Komitees für Solidarität mit politischen Gefangenen (Comité de Solidaridad con los Presos Políticos) und des Volkskongresses (Congreso de los Pueblos) in Kolumbien. Die Politikwissenschaftlerin ist außerdem Redakteurin der Zeitschrift „Echos der Freiheit“ (Ecos de Libertad), die von Gefangenen im Gefängnis „Bellavista“ in Medellín herausgegeben wird. Aufgrund ihrer Gefährdung war Verónica López während ihrer Zeit in Europa Mitglied im Schutzprogramm für Menschenrechtsverteidiger*innen des Baskenlandes. Bei einem Foodsharing-Brunch, mit Vorträgen und Diskussion, erläuterte sie uns die Lage der politischen Gefangenen und Aktivist*innen im Land. “Die Kriminalisierung des sozialen Protests, der Meinungsfreiheit und der Verteidigung der Menschenrechte ist eine Geißel, die weltweit nicht aufhört”, äußerte Veronika bei der Veranstaltung. Sie stellte auch die Kampagne „Freiheit geht uns alle an“ (La Libertad un asunto de todos - defenderlalibertad.com) vor, die gegen willkürliche Inhaftierung, gerichtliche Verfolgung und Kriminalisierung geht. Unsere Honduras-Referentin hielt ebenfalls einen kurzen Vortrag zur Situation der politischen Gefangenen in Honduras. Schließlich wurde über internationale und solidarische Gegenstrategien diskutiert.

Darüber hinaus nahm unser Kolumbien-Referent an verschiedenen Terminen mit Aktivist*innen teil. Ein Beispiel war ein Tag in Frankfurt mit Carlos Yamil Páez, Führungsperson bei der Rückgabe von Land unter anderem in Urabá und Bajo Atrato, und mit Milena und Genaro von Rios Vivos. An dem Treffen nahmen weitere Aktivist*innen und Politiker*innen aus der Region Rhein-Main teil. Wir analysierten gemeinsam die aktuelle Lage in Kolumbien und in ihren Gemeinden und diskutierten über internationale und solidarische Gegenstrategien.

Die drei Aktivist*innen waren während ihrer Monate in Europa in einem Schutzprogramm für Menschenrechtsverteidiger*innen, da sie in Kolumbien mit dem Tod bedroht werden.

Urgent Actions und Asyl: Kolumbien ist ein politisch stabiles Land, sagt die deutsche Regierung

Im vergangenen Jahr erhielten wir die ersten Anfragen für Urgent Actions. Zuerst bekamen wir eine Anfrage einer Fahrradaktivistin aus Cali, die sich für den Ausbau der Fahrradwege in der Stadt einsetzt und die Veranstaltungen wie Critical Mass organisiert. Sie war für einige Monate verreist, musste aber aus finanziellen Gründen zurückkehren. Sie wurde von einer Gruppe bedroht, die sich „gute Bürger“ (Ciudadanos de Bien) nannte. Diese Gruppe sah durch die Aktionen der Fahrradaktivist*innen ihre Mobilität mit dem Auto in der Stadt beeinträchtigt.

Schließlich halfen wir zwei Kolumbianer*innen, die in Deutschland Asyl beantragt hatten. Wir vermittelten Kontakte, gaben ihnen Orientierung im Asylverfahren und im deutschen Alltag. Bei einem der Fälle handelt es sich um einen Jungen, der bereits den Flüchtlingsstatus zugestanden bekommen hatte, der andere Fall betrifft eine Familie, die im Moment Integrations- und Sprachkurse besucht, während ihr Aufenthaltsstatus geklärt wird. Sie erzählten uns, dass die Zahl der kolumbianischen Asylbewerber*innen in Deutschland wohl bei mehr als 200 liegt. In den Flüchtlingsunterkünften waren sie auf viele andere Personen getroffen, darunter Philosophieprofessor*innen und einige Personen, die mit demobilisierten Kämpfer*innen der FARC gearbeitet beziehungsweise ihnen geholfen hatten. Sie erzählten außerdem, dass es nicht einfach sei, Asyl gewährt zu bekommen, da die deutsche Regierung Kolumbien als politisch stabiles Land ansehe. Von Anfang an wurden sie gefragt: “Was machen Sie hier, wenn es in Ihrem Land doch einen Friedensvertrag gegeben hat?”

Der vierte Fall der Urgent Actions überraschte uns ziemlich: Zwei Jungen, die eine politische Kampagne koordiniert hatten, waren verschwunden. Sie waren von drei Polizisten verschleppt worden, von denen einer in der Folge offenbar Selbstmord beging, obgleich im Dorf davon gesprochen wird, dass er umgebracht wurde, weil er die Wahrheit erzählen wollte. Die beiden Jungen waren zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts weiterhin verschwunden.

Mehr als Narconovelas

Die Eskalation des Konflikts hat viel mit dem Drogenhandel zu tun. Die Drogenökonomie und die Narcokultur sind Aspekte, die zum kolumbianischen vergangenen und gegenwärtigen Panorama gehören (siehe Länderbericht). Am 11. November hielten unser Kolumbien-Referent und unsere Mexiko-Referentin den Workshop „Narcokultur und -ökonomie“. Eine enge Beziehung zwischen dem globalen Süden und Norden“ auf dem Campus Westend der Goethe-Universität in Frankfurt. Am Beispiel Mexikos und Kolumbiens wurde über die Netzwerke für den Anbau, Transport und Handel von illegalen Pflanzen und Drogen sowie über die unsichtbaren Geschäfte, die die illegale Drogenwirtschaft ergänzen, diskutiert. Die Teilnehmenden waren sich einig: Es ist es notwendig, weiter an diesem Thema zu arbeiten. Das Bild des Drogenhandels ist geprägt von verkürzten Zuspitzungen in Fernsehserien. Welche Auswirkungen der Drogenhandel auf das Leben der Menschen tatsächlich hat, muss sowohl in Deutschland als auch in Lateinamerika den Menschen stärker bewusst werden.

Die Auswirkungen sind vor allem für die indigenen Gemeinden und Kleinbauern und Kleinbäuerinnen spürbar. Einerseits leiden sie unter dem Konflikt, unter Landraub und schlechten Arbeitsbedingungen, andererseits unter dem Mangel an wirtschaftlichen Alternativen.Grund dafür ist, dass sie ihre Coca- oder Marihuanablätter nicht kommerzialisieren dürfen, weil sie keine Lizenzen besitzen. Die Lizenzen zum Beispiel für den Cannabisanbau und für Cannabisprodukte wurden nur an große Unternehmen vergeben (siehe Länderbericht). Deswegen wurde eine Recherche zu den positiven und negativen Folgen der Legalisierung von Cocablättern und der Weiterverarbeitung von aus Cocablättern hergestellten Produkten bei den indigenen Gemeinden durchgeführt.

Besser vernetzt

Die Öffentlichkeitsarbeit war für die Konsolidierung der Kolumbienstelle sehr wichtig. Im Jahr 2019 nahm unser Kolumbien-Referent an zwei Sitzungen der Deutschen Menschenrechtskoordination Kolumbien, sowie in München, Berlin oder online an verschiedenen Arbeitstreffen des Arbeitskreises zur Unterstützung des Widerstands gegen das Staudammprojekt Hidroituango teil. Am 8. Mai besuchte er das Fachgespräch „Verschwundene suchen und finden – Erfahrungen aus der Praxis für die Praxis“ im Auswärtigen Amt in Berlin. Am 10. Mai traf er eine Delegation der UBPD und am nächsten Tag die Unterstützungsgruppe der CEV in Deutschland. Auch an lokalen Terminen nahm er teil, wie bei dem Arbeitskreis Lateinamerika des Nord-Süd Forums.

Als Referent wurde unser Kolumbien-Referent nach Bonn und München eingeladen. In Bonn referierte er bei der Jahrestagung des Fördervereins 180 zu den “Auswirkungen (Externalitäten) unseres Lebensstils am Beispiel Kolumbien“. In München hielt er zwei Vorträge zu den Themen „Lobbyismus in der Kohleindustrie“ und “Indigene Gemeinden in Kolumbien”.

Weitermachen

Im Jahr 2019 lernten wir, dass Gewalt und gewalttätige Reaktionen in der kolumbianischen Gesellschaft tief verwurzelt sind. Gleichzeitig gibt es eine soziale gewaltfreie Aufbruchsstimmung, wie in anderen Ländern Lateinamerikas, die nicht aufzuhalten ist. Und es gibt weitere positive Fälle von gewaltfreien Alternativen beim Aufbau von Erinnerungskultur, Frieden und Gemeinschaft. Eine weitere wichtige Erfahrung war, dass die meistens Kolumbianer*innen, die nach München kommen, nicht wollen, dass über ihr Land schlecht gesprochen wird. Im Gegenteil, sie wollen nur die positiven Aspekte ihres Landes hervorheben. Nach München kommen in der Regel Menschen, die studieren, die sich um gute Noten und einen guten Job sorgen und die aus Familien von Unternehmer*innen oder Politiker*innen kommen. Nur sehr wenige von ihnen nehmen aktiv an kulturellen oder sozialen Aktivitäten teil. Das macht es für unseren Arbeitskreis Kolumbien schwierig, weitere Unterstützung der Community zu bekommen und wird für uns zu einer großen Herausforderung. Dennoch gibt es Menschen, die sich sehr für die Solidarität mit Kolumbien einsetzen, und wir können bereits auf mindestens vier Personen zählen, die die Arbeit der Kolumbienstelle ehrenamtlich unterstützen.

Im Jahr 2020 werden die Themen Drogenhandel und die Fortsetzung des Friedensprozesses beziehungsweise die Umsetzung des Friedensvertrages wieder auf der Agenda stehen. Darüber hinaus werden wir zu den Themen Friedenskultur und Verantwortung verschiedener Wirtschaftssektoren für die Klimakrise arbeiten. Wir werden aufmerksam auf Bitten für Urgent Actions und Anfragen zur Unterstützung von Aktivist*innen reagieren. Ein weiteres Ziel ist, die Diskussionen, die hier stattfinden, auch mit den Diskussionen in den Gemeinden, Schulen und Universitäten Kolumbiens zu vernetzen und einen Wissensaustausch zu generieren.


(1) https://caracol.com.co/radio/2019/03/28/internacional/1553777069_438855.html

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