Honduras
Länderbericht
Die Causa Berta Cáceres 2019
Aktivitäten zu Honduras 2019
Situation der LGBT*Community in Honduras
Zehn Jahre nach dem Putsch in Honduras sind die Masken gefallen. 2019 wurde durch den Prozess und die Verurteilung von Tony Hernández, dem Bruder des amtierenden Präsidenten, von einem US-amerikanischen Gericht bestätigt, was in Honduras viele wussten oder zumindest ahnten: Regierung und staatliche Institutionen sind eng mit dem organisierten Verbrechen verflochten.
Für die Machtverhältnisse im Land hatte der Schuldspruch in New York gegen Tony Hernández im Oktober 2019 keine sichtbaren Konsequenzen. Das illegitime Regime seines Bruders Juan Orlando Hernández (JOH) blieb, trotz eigener Mitwisser- und vielleicht sogar Mittäterschaft weiter im Amt – gestützt von der US-Regierung. Intern wurden indes die Karten neu gemischt: Zeug*innen wurden ermordet. Das Militär weitete seine Macht weiter aus. Die Drogenkartelle stellen sich bereits seit längerem neu auf. Zahlreiche Demonstrationen, die das ganze Jahr über vergeblich den Rücktritt der Regierung forderten, wurden mit Tränengas und Verhaftungen niedergeschlagen. Wie bereits während der Massenproteste nach den Wahlen 2017, schossen Militärs – beispielshalber im Juni 2019 – scharf auf unbewaffnete Demonstrant*innen.(1) Die politische Opposition im Kongress setzte derweil immer deutlicher auf nichts anderes als eine eigene Machtoption bei den Wahlen 2021. Die widerständigen sozialen Bewegungen im Land blieben zersprengt, bedroht, mit dem Rücken zur Wand. Tausende Menschen verließen einzeln oder in Karawanen das Land. Gleichzeitig wurden 2019 mehr Honduraner*innen aus den USA und vor allem aus Mexiko abgeschoben als je zuvor. Honduras selbst gilt den USA nun offiziell als sicheres Land für Flüchtende.
„State sponsored drug trafficking“
Neun Tage Prozess, fünf Kronzeugen, fünf Beweisstücke: Am 18. Oktober 2019 stellte ein New Yorker Gericht fest, dass Juan Antonio “Tony” Hernández, der Bruder des amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández, des Drogenhandels im großen Stil, des Besitzes und Gebrauchs von Waffen und der Falschaussage bei den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden schuldig ist. Seine verbrecherischen Aktivitäten begannen spätestens 2004 und reichten laut US-Ermittler*innen bis ins Jahr 2018 hinein. Zwischen 2010 und 2013 arbeitete Hernández mit dem früheren Boss des Sinaloa-Kartells, Joaquín Archivaldo Guzmán alias „El Chapo“, zusammen. Aus mehreren großen Kokainlieferungen flossen 2013, so die US-Justiz weiter, etwa eine Million US-Dollar in die Wahlkampfkassen der Nationalen Partei seines Bruders Juan Orlando Hernández.(2) Dieser behauptet, von nichts gewusst zu haben. Die Verurteilung seines Bruders basiere einzig und allein auf Aussagen von honduranischen Drogenhändler*innen, die an USA ausgeliefert wurden und aus Rache gegen ihn aussagten. Tony Hernández droht nun eine Haftstrafe von dreimal lebenslänglich.
Der Prozess zeigte, wie honduranisches Militär und Polizei den Bruder des Präsidenten und seine Komplizen vor Strafverfolgung schützten, seinen Handel mit Kokain unterstützten, und selbst als Killer agierten, um Konkurrenz und Feinde aus dem Weg zu räumen. Honduras habe sich, so Staatsanwalt Emil J. Bove, in einen Narco-Staat verwandelt, in dem „state-sponsored drug trafficking“ an der Tagesordnung sei. Dabei gehe es um ein institutionelles Problem, das weit über das Fehlverhalten einiger „schwarzer Schafe“ hinausreiche.(3)
Juan Orlando Hernández wurde im Prozess als „Co-Conspirator“ Nummer 4 (CC4) betitelt, sein Vorgänger im Präsidentenamt, Pepe Lobo, als CC3. Die New Yorker Staatsanwaltschaft deckte auf, dass der von CC3 ernannte frühere Chef der honduranischen Nationalpolizei, Juan Carlos (El Tigre) Bonilla von Tony Hernández den Auftrag bekam, einen Konkurrenten zu ermorden, der den beabsichtigten Drogentransporten durch sein Gebiet im Wege stand. Keine Überraschung für die honduranischen Menschenrechtsorganisationen, die El Tigre Bonilla schon lange mit dem Operieren von Todesschwadronen in Verbindung brachten. Bonilla war als Polizeichef nach dem Mord nicht mehr zu halten gewesen und wurde auf diplomatische Mission nach Kolumbien geschickt. Dort hatte Tony Hernández Fabrikationsstätten für seine mit TH gestempelten Kokainpakete.(4)
Ein Zeuge im Prozess bestätigte erneut, was bereits 2017 teilweise bekannt geworden war, nämlich, dass der amtierende, von CC4 ernannte Sicherheitsminister und starke Mann im Kabinett Hernández, General Julian Pacheco Tinoco Beziehungen zum Drogenhandel unterhalten und Geld von Drogenhändlern erhalten habe. Auch der Abgeordnete der Regierungspartei, Oscar Najéra, einer der Hauptverfechter des Gesetzes zur (de facto Abschaffung der) Konsultation indigener Völker („Ley Nájera“), wurde als einer derjenigen erwähnt, die Drogen- und Waffenlieferungen freies Geleit verschafft haben.
Die Liste beteiligter hochrangiger Namen ließe sich noch fortführen.(5) Der Prozess machte in jedem Fall eindrucksvoll deutlich, wie leicht honduranische staatliche Institutionen für illegale und mörderische Zwecke nutzbar waren (und, so darf man annehmen, noch sind)(6), während Milliarden Dollar seitens der USA, aber auch der Europäischen Union und anderer Staaten, in das Sicherheitssystem CARSI, die „Stärkung“ des Justizsystems, die „Säuberung“ der Polizei (unter der Ägide von General Pacheco) etc. gepumpt wurden. Für Kritiker*innen sind diese „Hilfen“ weit weniger Sand im Getriebe, als Schmierstoff für die Maschinerie des state sponsored drug trafficking.(7)
Politische Morde und Massaker in Gefängnissen
In Honduras kam es nach dem Urteil gegen Tony Hernández zu mehreren spektakulären Morden: Im Hochsicherheitsgefängnis El Pozo wurde Nery López Sanabria alias Magdaleno Meza vor laufenden Überwachungskameras von Mithäftlingen erschossen. Er hatte die so genannten narco libretas verfasst – Notizbücher, die im New Yorker Prozess als Beweismittel gegen Tony Hernández gedient hatten. Und er hatte sich offenbar bereit erklärt, gegenüber US-Ermittler*innen weiter auszupacken, falls er in die USA ausgeliefert würde. Als nächstes trafen tödliche Kugeln seinen Anwalt José Luis Pinto und später auch den wegen der Erschießung von Magdalena Meza entlassenen Gefängnisdirektor.(8) Nach einer Schießerei und Messerstecherei im zweiten so genannten „Hochsicherheits“-Gefängnis („La Tolva“), bei der fünf Gefangene ums Leben kamen, wurde schließlich der Armee und der kombinierten Polizei- und Militäreinheit FUSINA die vollständige Kontrolle über alle 28 Gefängnisse für sechs Monate übergeben. Von den knapp 22.000 Gefangenen in Honduras, sitzen über die Hälfte in Untersuchungshaft. Zuvor hatte die Militärpolizei nur einen Teil der Gefängnisse kontrolliert.
Noch im Dezember fanden dann weitere Massaker in Gefängnissen statt, so dass 2019 insgesamt über 50 Häftlinge in Haftanstalten gewaltsam zu Tode kamen.(9) Die ehemalige Polizeikommissarin und heutige Oppositionspolitikerin Maria Luisa Borjas vermutete, dass die massenhaften Tötungen in den Gefängnissen im Dezember eine „Säuberung“ waren, um Personen zu beseitigen, die weitere Hinweise auf Aktivitäten zum Drogenhandel geben könnten. Zum anderen, so Borjas, leiste die verstärkte Intervention des Militärs der künftigen Privatisierung der Haftanstalten Vorschub.(10) Das Öku-Büro bemühte sich 2019 mit verschiedenen Kampagnen intensiv um die Freilassung politischer Gefangener, die speziell in „La Tolva“ erniedrigender Behandlung, Folter und dem wie sich erneut herausstellte, sehr realem Risiko, getötet zu werden, ausgesetzt waren (siehe das Kapitel „Aktivitäten zu Honduras“).
Die Militarisierung schritt 2019, zehn Jahre nach dem zivil-militärischen Staatsstreich des Jahres 2009, auch in anderen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen fort: Der honduranische Analyst Tomás Andino sprach von einem „schleichenden Militärputsch“, der sich bis 2021 fortsetzen werde.(11)
Der Anfang vom Ende der MACCIH
Die Internationalen Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (Misión de Apoyo Contra la Corrupción y la Impunidad de Honduras – MACCIH) konnte 2019 gemeinsam mit der honduranischen Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruption (Unidad Fiscal Especial Contra la Impunidad de la Corrupción – UFECIC) mehrere wichtige Fälle präsentieren. Zugleich und vermutlich deswegen, stand sie am Jahresende kurz vor dem Aus. Nach Angaben des Washington Office on Latin America (WOLA), wurde gegen mindestens 115 Personen auf Grund der Vorarbeit der MACCIH ermittelt, 70 davon waren Funktionär*innen der Regierung Hernández. Viele Beobachter*innen glaubten im Dezember 2019 dennoch, dass die Mission weiterarbeiten würde. Sie befürchteten allerdings, dass das ohnehin vergleichsweise schwache Mandat der MACCIH weiter verwässert werde und die UFECIC „entschärft“.(12) Zu Beginn des Jahres 2020 stellte sich dann heraus, dass die honduranische Regierung das Mandat gar nicht mehr verlängerte und die Mission ihre Arbeit einstellen musste.(13)
Die MACCIH war 2016 nach massiven Protesten der honduranischen Bevölkerung gegen einen 350-Millionen-Dollar-Betrug mit Geldern aus der Sozialversicherung IHSS gegründet worden. Seither wurde sie immer wieder massiv attackiert, auch aus dem honduranischen Kongress heraus. Die Mission hatte nämlich begonnen, gemeinsam mit der honduranischen Sonderstaatsanwaltschaft ein weitverzweigtes Korruptionsnetz aufzudecken, in das über 60 Abgeordnete, einschließlich des Kongresspräsidenten Mauricio Oliva, verwickelt sind. Die Abgeordneten sollen öffentliche Mittel in die Kassen dubioser Nichtregierungsorganisationen umgeleitet haben.(14) Angesichts der schweren und gut begründeten Vorwürfe erließ die Kongressmehrheit der Nationalen Partei (Partido Nacional, PN) gemeinsam mit einigen Kleinparteien 2018 ein Immunitätsgesetz, das Abgeordnete auch 2019 wirksam vor jeglicher Strafverfolgung schützte. Bereits im März 2019 begann eine gutorchestrierte Medien- und Verleumdungskampagne gegen die MACCIH.(15)
Das „Netz der Abgeordneten“ war einer von vierzehn Fällen, in denen MACCIH und UFECIC erfolgreich ermitteln konnten. Auch wenn sie noch nicht an die Mächtigen im Staat heranreichten, so galten einige Fälle doch als wichtig genug, um zumindest an der Spitze des Eisbergs von Korruption und Straflosigkeit in Honduras zu kratzen. Weitere Beispiele sind: der 2019 präsentierte „Betrug am Gualcarque“(16) über die kriminellen Machenschaften in Bezug auf das Wasserkraftwerk „Agua Zarca“ und das Unternehmen DESA (siehe auch das Kapitel zur Causa Berta Cáceres in diesem Jahresbericht), der Fall „Patuca III“ über die Veruntreuung von Geldern in Zusammenhang mit dem Bau des gleichnamigen Staudamms,(17) oder die illegale Wahlkampffinanzierung zugunsten der Partido Nacional von Präsident Juan Orlando Hernández. Mehrere Fälle von Veruntreuung und Unterschlagung von Staatsgeldern in großem Stil wurden mit vielen Details öffentlich und die ersten Anklagen vorbereitet. Im Juni 2019 kamen zunächst zwei Angeklagte des zwölften MACCIH-UFECIC-Falls namens Narcopolitik vor Gericht. Der ehemalige Bauminister und sein Straßenbaudirektor hatten illegal und ohne Ausschreibungen Millionenaufträge an ein Unternehmen des Drogenkartells Los Cachiros vergeben, die größtenteils nie ausgeführt wurden, dem Unternehmen aber ermöglichten, die nötige Reputation und das Vertrauen bei Banken zu erwerben, um erfolgreich Drogengelder zu waschen.(18)
Gefahr für Menschenrechtsverteidiger*innen
Unter den Bedingungen der Narcopolitik, der nahezu absoluten Herrschaft des zivil-militärischen Sicherheitsrates unter Juan Orlando Hernández und der weitreichenden Zersetzung des Rechtsstaates, war Honduras 2019 wieder eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen, LGBT*, Journalist*innen, Anwält*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen. Die Nichtregierungsorganisation ACI-Participa registrierte 29 Morde an und 499 Attacken auf Menschenrechtsvertei diger*innen zwischen Januar und November 2019.(19) Frontline Defenders verzeichnete im gleichen Zeitraum 31 Morde an Menschenrechtsverteidiger*innen.(20) Im Vergleich zu 2018 hat sich diese Zahl, so ein Bericht des britischen Guardian, vervierfacht. Honduras liege damit weltweit an dritter Stelle nach Kolumbien und den Philippinen, vor Brasilien und Mexiko.(21) Keineswegs verbessert hat sich die Situation auch für die Gruppen, mit denen das Ökubüro und unser Netzwerk HondurasDelegation besonders eng zusammenarbeiten: kleinbäuerliche und indigene Organisationen, die ihre Territorien verteidigen. (Zur Situation der LGBT*-Community siehe das zugehörige Kapitel in diesem Jahresbericht).
Mordserien gegen Tolupanes und Garífuna
Rassismus, Repression und gezielte Morde betrafen die Garífuna-Gemeinden an der Karibikküste von Honduras ebenso wie die Ethnie der Tolupanes, die sich seit vielen Jahren gegen den Holzraubbau auf ihrem Territorium zur Wehr setzen. Im September wurde der Umweltaktivist Milgen Soto aus der Gemeinde San Francisco de Locomapa ermordet, im Februar Salomón und Samael Matute aus der gleichen Gemeinde. Gegenüber amerika21 berichtete Martín Fernández, Koordinator und Anwalt der Menschenrechtsorganisation „Breite Bewegung für Würde und Gerechtigkeit“ (Movimiento Amplio por la Dignidad y la Justicia, MADJ), dass die Täter längst identifiziert seien. Ende des Jahres befanden sie sich weiter auf freiem Fuß.(22)
Bis Oktober 2019 wurden 17 Garífuna aus verschiedenen Küstengemeinden ermordet, darunter sechs Frauen. Die meisten von ihnen waren Mitglieder der Geschwisterlichen Schwarzen Organisation von Honduras (Organización Fraternal Negra Hondureña OFRANEH) in lokalen Führungspositionen, so z.B. die Lehrerin Maria Digna Montera aus dem Dorf Cusuna nahe Iriona. Sie hatte sich besonders für das zweisprachige, interkulturelle Bildungsprogramm der Garífuna eingesetzt.
Die Serie tödlicher Attentate betraf auch die Gemeinde Masca nahe der Grenze zu Guatemala. Ignacia López Martínez aus Masca erlag Anfang Januar den Schussverletzungen, die ihr Unbekannte am 28. Dezember 2019 zugefügt hatten. Auf das Haus ihrer Schwester Amada López Martínez, Mitglied des Leitungsgremiums von OFRANEH und spirituelle Führerin der honduranischen Garífuna, wurde bereits Mitte Dezember zum ersten Mal geschossen. Im Oktober wurde Oscar Guerrero Centeno, im September Mirna Suazo Martínez, beide ebenfalls Mitglieder von OFRANEH aus Masca erschossen. OFRANEH vermutet, dass die Attacken Terror in Zusammenhang mit einer geplanten „Sonderzone für Arbeit und Entwicklung“ (ZEDE) säen sollen. Um das Territorium als „gering besiedelt“ auszuweisen, müssen möglichst viele Bewohner*innen vertrieben werden, vorzugsweise diejenigen, die Landrechte indigener Gemeinden verteidigen.(23)
OFRANEH hatte in jahrelangem Ringen 2015 zwei bedeutende Urteile des Interamerikanischen Gerichthofes für Menschenrechte zur Rückgabe von Gemeindeland in den Garífuna-Gemeinden Punta Piedra und Triunfo de la Cruz erreicht. Der honduranische Staat ist zur Umsetzung dieser Urteile verpflichtet, außer einigen Vermessungsarbeiten passierte jedoch auch 2019 nichts. Hunderte Garífuna verließen stattdessen ihre Gemeinden und schlossen sich den zahlreichen Karawanen an, in der Hoffnung, Schutz und Perspektiven weiter im Norden, vor allem in den großen Communities in den USA, zu finden. Es ist zu befürchten, dass dieser Trend sich noch weiter fortsetzt, sobald das honduranische Parlament ein 2019 eingebrachtes Gesetz zur Reglementierung der „Freien, vorherigen und informierten Konsultation“ der indigenen Gemeinden verabschiedet. Das Gesetz lässt den indigenen Gemeinden de facto keine andere Wahl als industriellen Projekten in ihren Territorien zuzustimmen. Ende 2019 bekam der Gesetzentwurf, gegen den indigene Organisationen Sturm laufen, den Titel „Ley Nájera“, weil er von dem Kongressabgeordneten Oscár Nájera besonders promoted wird, der seinerseits mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ein Komplize des Drogenhandels und organisierten Verbrechens in Honduras ist (siehe oben zur Narcopolitik).
Interne Vertreibung, Flucht, Abschiebungen
Honduras ist inzwischen auf Rang 8 aller Länder weltweit vorgerückt, aus denen Menschen auf der Suche nach Asyl ins Ausland fliehen. Im September unterzeichnete die Regierung ihrerseits ein Abkommen mit der US-Regierung, das Honduras zum sicheren Herkunftsland für Menschen erklärt, die das Staatsgebiet durchqueren. Sie kommen z.B. aus Venezuela oder landen aus afrikanischen Ländern an der Küste südamerikanischer Länder und wandern dann nach Norden. Ähnliche Abkommen hatten zuvor auch Guatemala und El Salvador schließen müssen.
2019 versuchten täglich 650 Honduraner*innen, die Grenze zwischen den USA und Mexiko zu überqueren, etwa dreimal so viele wie im Vorjahr. Die Zahl der Abgeschobenen war so hoch wie nie zuvor, verschob sich aber wegen der Verlagerung des Grenzregimes der USA Richtung Mexiko. Über 70.275 Honduraner*innen wurden 2019 aus Mexiko nach Honduras abgeschoben, 27.000 harrten zum Jahresende noch an der Grenze zu den USA aus.(24) Die Internetplattform aquiyabajo veröffentlichte ein Factsheet(25) zu den Fluchtursachen mit zahlreichen, vor allem auch ökonomischen, Daten: So verdiente eine Arbeiterin einer Weltmarktfabrik in einer honduranischen Freihandelszone 2019 einen Mindestlohn von umgerechnet etwas unter 336 US-Dollar im Monat. Dabei hat sie noch „Glück“, denn nahezu die Hälfte der privatwirtschaftlichen Betriebe in Honduras bezahlt weniger als den Mindestlohn. Und für Landarbeiter*innen beträgt der, oft unterschrittene, Mindestlohn ohnehin nur 272 US-Dollar im Monat beziehungsweise 1,13 US-Dollar pro Stunde. Über 60 Prozent der honduranischen Arbeitskräfte sind überdies unterbeschäftigt. Unter diesen Bedingungen wird es für Tausende immer unmöglicher, das Geld für den monatlichen Mindestwarenkorb aufzubringen, knapp 70 US-Dollar pro Person, ganz zu schweigen von Ausgaben für Miete, Transport (die Benzinpreise entsprechen den sehr hohen Preisen Kaliforniens), stetig steigenden Strompreisen, Kosten für Bildung und Gesundheit. Im systematisch geplünderten staatlichen Gesundheitswesen gibt es so gut wie keine Medikamente mehr, viele Behandlungen müssen aus eigener Tasche bezahlt werden.
Mindestens so wichtige Gründe, das Land zu verlassen, sind die hohe Mordrate (3.992 Tötungsdelikte wurden 2019 bei der Polizei angezeigt), die offenbar wachsende Zahl von Massakern (mit jeweils mehr als drei Toten), Gewalt, Korruption und Erpressung sowie für bestimmte Sektoren der Bevölkerung – wie oben beschrieben — Verfolgung durch staatliche oder paramilitärische Kräfte.(26)
Über die anhaltend hohen Zahlen der Flucht ins Ausland wird oft die interne Vertreibung in dem Acht-Millionen-Einwohnerland vergessen. Zwischen 2004 und 2019 versuchten, offiziellen Zahlen zufolge, 247.000 Menschen sich innerhalb der Landesgrenzen in Sicherheit zu bringen. Expert*innen wie Jaime Flores von der Kinderrechtsorganisation Casa Alianza gehen davon aus, dass die reale Zahl inzwischen eine halbe Million intern Vertriebener beträgt. Die Menschen wechseln auf der Flucht vor Bedrohungen durch organisiertes Verbrechen, Banden und staatliche Sicherheitskräfte oft vier oder fünf Mal den Wohnsitz und verlieren jegliche Existenzgrundlage.(27)
(1) http://oacnudh.hn/wp-content/uploads/2020/01/INFORME-TEM%C3%81TICO-2017-Enero-2020.pdf
(2) https://www.justice.gov/usao-sdny/pr/former-honduran-congressman-tony-hern-ndez-convicted-manhattan-federal-court-conspiring
(3) https://www.insightcrime.org/news/analysis/takeaways-us-trial-honduras-president-brother/
(4) Mehr dazu und informative tägliche Prozessberichte auf Englisch unter: https://www.aquiabajo.com/blog/2020/1/8/united-states-supports-honduran-police-implicated-in-drug-trafficking
(5) https://wp.radioprogresohn.net/droga-con-sello-de-dos-alas-perteneceria-a-militares-hondurenos-segun-agente-de-inteligencia/
(6) https://www.insightcrime.org/news/analysis/criminal-allegations-unravel-honduras-president-crime-fighting-facade/
(7) https://www.aquiabajo.com/blog/2020/1/8/united-states-supports-honduran-police-implicated-in-drug-trafficking
(8) https://amerika21.de/2019/12/235588/honduras-drogenkriminalitaet
(9) Ein guter Überblick, der auch Reaktionen und Analysen behandelt: https://honduras-forum.ch/wordpress/wp-content/uploads/2020/01/1912_AnotherMonthInHonduras.pdf
(10) https://amerika21.de/2019/12/235840/honduras-gefaengnisse-menschenrechte
(11) http://www.pasosdeanimalgrande.com/index.php/de/contexto/item/2649-tomas-andino-las-fuerzas-armadas-estan-llevando-a-cabo-un-golpe-militar-en-camara-lenta-en-honduras
(12) https://honduras-forum.ch/wordpress/wp-content/uploads/2020/01/1912_AnotherMonthInHonduras.pdf
(13) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-wirft-mission-gegen-korruption-aus-dem-land.html
(14) https://cespad.org.hn/2020/01/16/red-de-diputados-el-caso-de-corrupcion-que-evidencio-la-complicidad-de-los-tres-poderes-de-estado-de-honduras/
(15) http://cespad.org.hn/2019/03/11/cronologia-los-falsos-positivos-para-aumentar-el-presupuesto-en-seguridad/
(16) https://cespad.org.hn/2020/01/15/fraude-sobre-gualcarque-el-caso-que-devela-como-operan-desde-el-estado-las-redes-de-corrupcion-en-la-concesion-de-rios-en-honduras/
(17) https://www.oas.org/en/spa/dsdsm/maccih/new/docs/MCH-006.MACCIH-OAS-UFECIC-MP-Team-Presents-Patuca-III-Collusion-and-Corruption-Case.pdf
(18) https://www.oas.org/es/centro_noticias/comunicado_prensa.asp?sCodigo=C-036/19 https://expedientepublico.org/presuntos-complices-de-tony-una-historia-de-beneficios-y-corrupcion-entre-el-gobierno-de-honduras/ Die Internetplattform ConfidencialHN veröffentlichte im April 2019 eine Serie von Artikeln, die auf Recherchen des (nach der Übergabe von Beweisen an die MACCIH) inhaftierten Journalisten David Romero beruhen. Dort werden direkte Bezüge zu Aktivitäten von JOH und seiner Ehefrau Ana Garcia hergestellt. Unter anderem habe JOH die Ermordung seiner ehemaligen Vizepräsidentin Lorena Herrera geplant, als diese sich seinen illegalen Machenschaften widersetzt habe. https://confidencialhn.com/joh-ordeno-matar-a-vicepresidenta-por-no-apoyarlo-en-maniobras-continuistas-y-mafiosas/ Zusammenfassung und weitere links unter https://honduras-forum.ch/wordpress/wp-content/uploads/2019/04/1903_AnotherMonthInHonduras.pdf
(19) Kurzporträts der Ermordeten: Download unter: https://share.mayfirst.org/s/EQdTPyMo7acpHdi#pdfviewer
(20) https://www.frontlinedefenders.org/sites/default/files/global_analysis_2019_web.pdf
(21) https://www.theguardian.com/law/2020/jan/14/300-human-rights-activists-killed-2019-report
(22) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-eskalierende-gewalt-rassismus-und-straflosigkeit.html
(23) https://ofraneh.wordpress.com/2020/01/03/racismo-en-honduras-nuevo-ataque-contra-lideresa-garifuna-en-masca/ https://twitter.com/baraudawaguchu/status/11831492522199367698 http://im-defensoras.org/2019/10/alertadefensoras-honduras-asesinan-a-la-defensora-garifuna-maria-digna-montero-integrante-de-ofraneh/ https://ofraneh.wordpress.com/2019/10/13/pronunciamiento-exterminio-de-las-liderezas-y-miembrxs-de-las-comunidades-garifunas/ https://twitter.com/ONUDDHH/status/118387319223611392211 https://ofraneh.wordpress.com/2019/10/20/nuevo-asesinato-de-defensor-del-territorio-garifuna/
(24) https://www.laprensa.hn/honduras/1343400-410/migracion-2019-ano-retornos-aprehensiones-sueno-americano-estados-unidos
(25) http://www.aquiabajo.com/blog/2020/1/28/why-hondurans-are-forced-to-flee-fact-sheet
(26) https://tiempo.hn/siete-dias-2020-contabilizan-50-homicidios-nivel-nacional/
(27) Mitschrift aus der Sendung „Más que Dos“ Radio Progreso, 30.J anuar 2020 https://www.trtworld.com/opinion/honduras-is-not-a-country-for-people-seeking-safety-32325
Die Causa Berta Cáceres 2019
Auftraggeber*innen des Mordes immer noch frei
Im Dezember 2019 – über ein Jahr nach dem Urteilsspruch – wurde das Strafmaß für die Auftragskiller und zwei Mittelsmänner des Mordes an Berta Cáceres verkündet. Die Auftragsmörder erhielten 50 Jahre Gefängnis: 34 Jahre wegen der Ermordung Bertas in der Nacht vom 2. zum 3. März 2016 und 16 Jahre wegen versuchten Mordes an dem mexikanischen Umweltaktivisten Gustavo Castro, der damals nach einem gemeinsamen Workshop in Bertas Haus übernachtet hatte. Für zwei Mittelsmänner, den ehemaligen Militär und früheren Sicherheitschef des Unternehmens Desarrollos Energéticos (DESA), Douglas Geovanny Bustillo, und den DESA-Manager für Umwelt und Soziales, Sergio Rodriguez, lautete das Strafmaß 30 Jahre und vier Monate. Der ebenfalls in das Mordkomplott verwickelte und zum Tatzeitpunkt aktive Major der honduranischen Armee, Mariano Díaz Chavez, erhielt 30 Jahre. Seine Verteidiger*innen kündigten Berufung an.
In Haft befinden sich mittlerweile auch zwei Ermittler der honduranischen Polizei, die 2016 versucht hatten, die Spurensicherung zu manipulieren. Das honduranische Sicherheitsministerium (zu Minister Pacheco siehe Kapitel Länderbericht) hatte den Mord an Berta zunächst als „Verbrechen aus Leidenschaft“ dargestellt.
Die Prozesseröffnung gegen den Geschäftsführer der DESA, David Castillo, den bisher allein angeklagten mutmaßlichen Auftraggeber des Mordes an Berta, scheiterte im Oktober 2019 zum zweiten Mal an juristischen Manövern seiner Anwälte. Wenn mit der Verhandlung nicht bis März 2020 begonnen wird, müsste Castillo eigentlich aus der U-Haft freikommen. Er soll für den Mord 500.000 Lempira (etwa 18.000 Euro) an den Mittelsmann Bustillo bezahlt(1) und von seinen Auftraggebern eine Summe erhalten haben, die ihm den Kauf einer Luxusvilla in den USA ermöglichte(2). Als Drahtzieher*innen hinter dem Mord sind auf Grund von Telefonmitschnitten und Chat-Aufzeichnungen DESA-Aufsichtsrät*innen und Eigentümer*innen aus der mächtigen honduranischen Unternehmerfamilie Atala Zablah identifiziert.(3)
Weltweit von hunderten Organisationen und Institutionen unterstützt, fordern Bertas Organisation COPINH und ihre Familie die vollständige Aufklärung des Verbrechens und die Verurteilung aller Beteiligten.
Die David-Castillo-Connection
Recherchen US-amerikanischer Nichtregierungsorganisationen deckten 2019 auf, dass Castillo neben der DESA an weiteren Unternehmen – sechs davon in Honduras und zwei in Panama – beteiligt war oder immer noch ist. Deren Geschäftsführung bedürfe dringend einer weiteren Untersuchung. Am brisantesten sind dabei möglicherweise die Aktivitäten des panamaischen Konzerns Potencia y Energía de Mesoamérica S.A. (PEMSA). PEMSA war, neben Inversiones Jacaranda (Mitglieder der Familie Atala Zablah), Hauptanteilseigner der DESA. Letztere hatte mit dem Eintritt der PEMSA ihr Kapital von 4 Millionen Lempira im Juni 2011 schlagartig auf 50 Millionen erhöht. Vertreten durch David Castillo übernahm die PEMSA das Solarunternehmen PRODERSSA. Die honduranische Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass PRODERSSA von Strohmännern des Drogenkartells Los Cachiros der Familie Rivera Maradiaga gegründet worden ist. Möglicherweise hat PRODERSSA zwölf Tage vor dem Ende der Amtszeit des Präsidenten Porfirio Lobo einen Liefervertrag mit der staatlichen Energiegesellschaft ENEE unterzeichnet, bei dem – wie im Fall des Stromvertrages für das Wasserkraftwerk Agua Zarca – Korruption im Spiel war. Und wie bei Agua Zarca waren bei den Solarparks der PRODERSSA im Süden von Honduras erneut internationale Investoren und Entwicklungsbanken mit von der Partie, konkret aus Norwegen, den Niederlanden, Finnland und der Weltbank.(4) Das US-Dossier zeigt ein Muster, nach dem Unternehmen, an denen Castillo beteiligt war, immer wieder lukrative Verträge mit dem Staat in Finanzinstrumente verwandelten, um an internationale Investitionen und öffentliche Gelder von Entwicklungsbanken heranzukommen, die dadurch möglicherweise indirekt in kriminelle Aktivitäten, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Straflosigkeit verstrickt werden.(5)
Der Betrug am Gualcarque – ein Fall für die MACCIH
Wegen betrügerischer Machenschaften im Fall des Wasserkraftwerks Agua Zarca sollte 16 Personen, darunter David Castillo, 2019 der Prozess gemacht werden. Die Internationale Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (MACCIH) hatte im März gemeinsam mit der honduranischen Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsdelikte UFECIC ihren neunten Fall unter dem Titel „Betrug am Gualcarque-Fluss“ bekannt gegeben und es wurde Anklage gegen 16 mutmaßliche Täter*innen, darunter staatliche Funktionäre und ehemalige Angestellte des Energieunternehmens ENEE, erhoben. Den Angeklagten wird neben Betrug zugunsten der DESA auch Amtsmissbrauch und Dokumentenfälschung bei der Konzessionierung und den Genehmigungsverfahren für das Wasserkraftwerk Agua Zarca vorgeworfen. Die Ermittlungen gehen auf über 40 Anzeigen zurück, die Berta Cáceres zu Lebzeiten als Generalkoordinatorin des COPINH gestellt hatte.
Nicht genügend Wasser, aber eine dritte Turbine
Eine wichtige Rolle im Betrugsfall spielte auch eine dritte Turbine. Sie sollte 2011 nach einer illegalen Umplanung des Kraftwerks zusätzlich geliefert werden, obwohl klar war, dass der Gualcarque-Fluss nicht genügend Wasser für ihren Betrieb haben würde. Dies führte, so die Ermittlungen, zu einer erheblichen zusätzlichen Preissteigerung des Projektes, die mit regulären Strompreisen niemals hätte aufgefangen werden können. Das betrügerische Handeln der Funktionäre im Fall Agua Zarca und anderen gleichartigen Projekten habe, so die MACCIH in ihrer Pressemitteilung, in hohem Maße dazu beigetragen, dass die staatliche Stromgesellschaft ENEE heute vor dem Bankrott steht.(6) Turbinenlieferant sollte im Übrigen (bis nach dem Ausstieg der europäischen Entwicklungsbanken FMO und Finnfund aus dem Projekt Mitte 2017) das Heidenheimer Unternehmen Voith Hydro sein, ein Joint Venture mit der Siemens AG.
Drohungen in Rio Blanco
Menschenrechtsorganisationen beklagten, dass der Betrugsprozess sich zunächst nur gegen eine mittlere Funktionärsebene und den ehemaligen Vize-Umweltminister richtete, nicht gegen Minister und nicht gegen die Eigentümer der DESA. MACCIH-Sprecherin Ana María Calderón kündigte jedoch weitere Ermittlungen an. Diese dürften sich jedoch inzwischen mit dem Ende der MACCIH möglicherweise erledigt haben.(7) Nicht erledigt hatte sich auch 2019 die illegale Konzession für das Wasserkraftwerk Agua Zarca, dessentwegen Berta Cáceres ermordet wurde. Sie besteht weiter. Und nicht erledigt haben sich überdies die Spaltung der Gemeinden in der Region Rio Blanco sowie die Drohungen und Übergriffe auf die Kraftwerksgegner*innen vor Ort. Besonders Frauen tragen vor Ort das rebellische Erbe von Berta Cáceres weiter. Mitte des Jahres starteten vielfältige internationale Eilaktionen zugunsten der bedrohten Gemeinde-Aktivistin Rosalina Domínguez und ihrer Familie.(8)
Tod eines Zeugen
Im Juli 2019 wurde Olvin Gustavo García Mejía in der Gemeinde San Bartólo am Oberlauf des Gualcarque-Flusses tot aufgefunden. García Mejía galt als Auftragsmörder und lokale Schlüsselfigur für die Repression in Rio Blanco – mit engen Verbindungen zum DESA-Chef David Castillo. Er hätte ein wichtiger Zeuge im Prozess gegen ihn sein können. COPINH hat Grund zur Annahme, dass García Mejía bereits 2015 beauftragt war, Berta zu ermorden. Der Plan sei jedoch durch seine Festnahme wegen illegalen Waffenbesitzes vereitelt worden. Die DESA setzte sich mit Hilfe eines Anwalts und einer Kautionszahlung erfolgreich für seine Freilassung schon nach vier Tagen ein, obwohl gegen García Mejía auch ein Haftbefehl wegen eines Mordes anhängig war. COPINH befürchtete, dass der Tod von García Mejía Teil eines größeren Planes sei, um Beweismittel zu vernichten, die David Castillo und das Unternehmen DESA in Verbindung mit dem Mord an Berta Cáceres und der Gewalt in Rio Blanco bringen.(9)
(1) https://www.mp.hn/index.php/author-login/145-septiembre2019/4867-prueba-pericial-vincula-cruce-de-mensajes-entre-expresidente-de-desa-y-uno-de-los-condenados-por-crimen-de-berta-caceres
(2) https://www.theguardian.com/world/2019/aug/31/berta-caceres-murder-trial-subpoena-david-castillo
(3) http://www.oeku-buero.de/nachricht-506/verzögerungen-im-mordprozess-berta-caceres-in-honduras.html Aktuelle Details dazu: https://theintercept.com/2019/12/21/al-interior-del-complot-para-asesinar-a-berta-caceres/Englisch: https://theintercept.com/2019/12/21/berta-caceres-murder-plot-honduras/
(4) http://www.soaw.org/wp-content/uploads/2019/08/Violence-Corruption-Impunity-A-Profile-of-Roberto-David-Castillo.pdf
(5) http://www.oeku-buero.de/nachricht-506/gewalt-korruption-und-straflosigkeit-beherrschen-energieindustrie-in-honduras.html
(6) http://www.oas.org/es/sap/dsdme/maccih/new/docs/MCH-004.MACCIH-OEA-y-UFECIC-MP-presentan-noveno-caso-de-investigacion-penal-integrada-Fraude-sobre-elGualcarque.pdf?sCodigo=MCH-004/19
(7) http://www.conexihon.hn/index.php/tv/1382-copinh-preocupados-por-el-cierre-de-la-ufecic-que-llevaba-el-caso-del-gualcarque Wann die mündliche Verhandlung zum Betrug am Gualcarque 2020 eröffnet wird, stand bis Redaktionsschluss (Anfang Februar 2020) nicht fest. Eine ausführliche Analyse des Falles findet sich unter: http://cespad.org.hn/wp-content/uploads/2020/01/Caso-Gualcarque-CESPAD2020.pdf
(8) http://www.oeku-buero.de/nachricht-506/weiter-todesdrohungen-gegen-aktivisten-von-copinh-in-honduras.html
(9) https://amerika21.de/2019/07/228616/honduras-zeuge-fall-caceres-tot https://copinh.org/2019/07/sicario-contratado-por-castillo-para-asesinar-berta-aparece-muerto/
Aktivitäten zu Honduras
Gerechtigkeit für Berta!
Am 3. März beteiligten wir uns an der weltweiten Aktion „Gerechtigkeit für Berta“ und der Kundgebung unseres Netzwerks HondurasDelegation vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Dort und in München waren wir aktiver Teil des Dokumentarfilms Les llavors de Berta Cáceres, der von dem katalanischen Journalist*innen-Kollektiv Contrast und der NGO Entrepueblos realisiert wurde. Wir veröffentlichten regelmäßig Artikel über die Causa Berta Cáceres und hielten Kontakt zu den Anwält*innen der Nebenklage und COPINH.
Bei der Siemens Hauptversammlung konfrontierten wir Vorstand und Aufsichtsrat mit der Verschleierung seiner Mitverantwortung für den Mord an Berta Cáceres: “Auf den Siemens-Webseiten weltweit gibt es nun unter der Rubrik Nachhaltigkeit – Menschenrechte einen Vermerk zur Causa Berta Cáceres, der das absolute Gegenteil von Transparenz darstellt. Dort steht: „(...) Große Infrastrukturprojekte beziehungsweise daran beteiligte Unternehmen werden manchmal in Zusammenhang mit Anschuldigungen in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen gebracht. Im Sinne der Transparenz nehmen wir Stellung zu diesen Anschuldigungen.“ Dann folgt ein Foto eines Plakats einer honduranischen Frauenorganisation mit einem Porträt von Berta Cáceres. Und ein Text zu Agua Zarca, der besagt, Siemens habe mit „wachsender Sorge“ verfolgt, wie „Spannungen im Land“ zunahmen. In Reaktion auf diese Entwicklungen habe Voith Hydro 2016 seine Lieferungen und 2017 den Vertrag beendigt. Man verurteile „Gewalt von allen Seiten“ und befürworte die strafrechtlichen Ermittlungen der Behörden vor Ort. Kein Wort darüber, worum es ging. Kein Wort von einem Mord. Ist Berta Cáceres etwa an „wachsenden Spannungen“ gestorben? Warum wohl gibt es strafrechtliche Ermittlungen und inzwischen auch ein erstes Urteil? Gegen wen? Kein Wort über den Zusammenhang mit dem honduranischen Vertragspartner von Voith Hydro, der DESA.“
Kein Vetorecht für indigene Gemeinden?
Wir thematisierten indigene Rechte in einem größeren Zusammenhang: „ Herr Kaeser: Sie sagten, Siemens könne die ILO-Konvention 169 – also das Recht indigener Gemeinschaften auf vorherige, freie und informierte Konsultation – nicht in seine Compliance-Richtlinien aufnehmen, weil die Bundesrepublik Deutschland die Konvention nicht ratifiziert habe. Wir finden das Argument wenig überzeugend, denn es geht ja um die Geschäftstätigkeit von Siemens (und die der Siemens-Geschäftspartner) im Ausland. Die Allianz mit Sitz in München konnte die ILO-Konvention 169, soweit wir wissen, sehr wohl in ihre Compliance-Richtlinien aufnehmen. (...) Entscheidend wäre aber auch hier natürlich die praktische Umsetzung, zu der ganz wesentlich ein Veto-Recht der indigenen Gemeinden gehören muss. Dazu könnten Sie, wenn Sie wollten, als Teil des dreigliedrigen Systems der Internationalen Arbeitsorganisation Wichtiges beitragen.“(1)
Kampf der Garífuna um ihre Territorien
Ein mit diesen Themen eng verbundener Schwerpunkt unserer Arbeit 2019 war das Ringen der honduranischen Garífuna, korrekter Garinagu, um ihre Territorien und ihre Kultur. Dazu gehörten Veranstaltungen wie das Seminar „Niemals versklavt“ mit der Koordinatorin von OFRANEH, Miriam Miranda an der Hochschule Augsburg im März 2019 und die Lesung aus dem Roman „Die Aktivistin“ mit Jutta Blume im November in München. Außerdem ein Dossier auf unserer Website, das wir sukzessive weiter ausbauen werden, mit Interviews, einer Übersetzung des „Rebellischen Manifests“ von über tausend Frauen, die sich im Juni 2019 in der Gemeinde Vallecito getroffen hatten. In drei Gesprächen mit Miriam Miranda in München, Madrid und Berlin widmeten wir uns außerdem intensiv der Vorbereitung unserer kommenden Solidaritätsreise nach Vallecito und weiteren Garífuna-Gemeinden.
Aktionen und Advocacy für politische Gefangene
Zweiter großer Schwerpunkt unserer Arbeit zu Honduras waren Aktionen und Advocacy-Arbeit für die Freilassung von politischen Gefangenen: Edwin Espinal und Raúl Álvarez wurden im August aus dem „Hochsicherheits“-Gefängnis La Tolva entlassen und warten in Freiheit auf ihren Prozess, der im Mai 2020 stattfinden soll. Acht Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger*innen aus der Ortschaft Guapinol, die sich gegen eine Eisenerzmine in einem Naturschutzgebiet zur Wehr setzten, konnten La Tolva verlassen, befinden sich aber weiter in Untersuchungshaft in einem „normalen“ Gefängnis.
Edwin und Raúl frei!
Die sozialen Aktivist*innen Edwin Espinal und Raúl Álvarez waren im Zuge der Proteste gegen den Wahlbetrug 2017/18 festgenommen worden und ein Jahr und acht Monate grundlos und unter unmenschlichen Bedingungen samt Morddrohungen im honduranischen Hochsicherheitsgefängnis La Tolva inhaftiert. Am 5. August 2019 hatten sie einen Hungerstreik begonnen, der von zahlreichen Organisationen und Persönlichkeiten mit einer Fastenaktion vor der Staatsanwaltschaft unterstützt wurde. Wir setzten uns bei verschiedenen Institutionen für die Freilassung von Edwin und Raúl ein, lancierten gemeinsam mit der HondurasDelegation eine Postkartenaktion, starteten eine mehrsprachige Urgent Action für Teilnehmende aus verschiedenen europäischen Ländern und warben für die Spendenaktion, die die hohe Kaution von insgesamt 16.000 US-Dollar für Edwin und Raúl zusammentrug.(2)
Guapinol: Umweltschützer*innen kriminialisiert
Menschenrechtsverteidiger*innen und Umweltaktivist*innen wehren sich seit Jahren gegen einen Eisenerztagebau im Nationalpark Montaña de Botaderos, der das lokale Ökosystem sowie die Flüsse Guapinol und San Pedro und damit die Wasserversorgung tausender Menschen gefährdet. Angeklagte Bergbau-Gegner hatten sich, im Zuge der Räumung eines Protestcamps, im August 2018, überzeugt von ihrer Unschuld und der Legitimität ihres Protestes 2019, freiwillig bei der Polizei gemeldet, um herauszufinden, ob etwas gegen sie vorläge und die Anschuldigungen aus der Welt zu schaffen. Sie wurden jedoch festgenommen und statt – wie von der Haftrichterin angeordnet – in ein normales Gefängnis in das berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis La Tolva gebracht, das 600 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt ist. Am 28. August war ein weiterer beschuldigter Aktivist, Roberto Antonio Argueta, auf offener Straße von schwer Bewaffneten erschossen worden.
Wir konnten mit Informationen dazu beitragen, dass sich Anfang September neun Bundestagsabgeordnete aus drei Fraktionen in einem Brief an die honduranischen Behörden und Außenminister Maas besorgt über die Sicherheit der Beschuldigten äußerten, ein rechtsstaatliches Verfahren und Aufklärung des Mordens forderten.(3)
Tocoa – Gemeinde ohne Bergbau?
Die Betroffenen vor Ort ließen sich durch die Kriminalisierung nicht abschrecken: Im November 2019 erklärte sich der Gemeindebezirk Tocoa (Departement Colón), in einer Gemeindeversammlung als „frei von Bergbau“. Theoretisch müssten damit die Betriebsgenehmigungen in diesem Gemeindebezirk für Inversiones Los Pinares und weitere Bergbauunternehmen auslaufen. Das Ministerium für Energie, Umwelt und Bergbau hatte allerdings offenbar bereits im September eine Erneuerung der Umweltgenehmigung für die Eisenerztagebaue im Nationalpark Montaña de Botaderos in Aussicht gestellt, so dass die Konflikte 2020 mit Sicherheit weiter anhalten werden.(4) Die beiden Konzessionen für den Eisenerz-Tagebau im Nationalpark Montaña de Botaderos gehören Inversiones Los Pinares, einem Unternehmen des Ehepaares Lenir Perez und Ana Facussé, einer der Töchter des verstorbenen honduranischen Palmöl-Moguls Miguel Facussé. Medienberichten zufolge sollen sie möglicherweise zuvor in Händen von Mitgliedern der Familie Rivera Maradiaga (Drogenkartell Los Cachiros) gewesen sein.(5)
80.000 Tonnen Eisenerz für den Export
2019 begann auch der Bau einer großen Anlage zum Pelletieren von Eisenerz im Sektor Ceibita im Gemeindebezirk von Tocoa.(6) Das lokale Komitee zum Schutz der Gemeingüter wirft dem Unternehmen Inversiones Ecotek (an dem, soweit bekannt, wiederum Lenir Perez und Ana Facussé neben „ausländischem Kapital“ beteiligt sind) vor, die Betriebserlaubnis mit unlauteren Mitteln erhalten zu haben. Ob nach dem Auslaufen der vorläufigen eine reguläre legale Umweltgenehmigung vorlag, schien zum Jahresende unklar. Die Anlage soll, so das Komitee, jährlich 80.000 Tonnen Eisenerz für den Export ins Ausland verarbeiten und binnen zwölf Monaten so viel Wasser verbrauchen wie die Gemeinde Guapinol in vier Jahren.(7)
Perez und Facussé sind unter anderem auch Eigentümer der Unternehmen EMCO und PIA. Letztere besitzt auch die Konzession für den neuen internationalen Flughafen Palmerola in Honduras und bekam 2019 ohne Ausschreibung die Lizenz für den Weiterbetrieb des Flughafens von Tegucigalpa Tocontín zugeteilt. Während der mächtige Unternehmer Pérez an sich als unantastbar gilt (und es nach dem Ende der MACCIH womöglich auch bleiben wird), werden die Vertragsbedingungen für den Flughafen Palmerola auch von Seiten des honduranischen Unternehmerverbandes immer wieder kritisiert. Der Airport wird, so der Vorwurf, über Jahrzehnte relativ wenig Geld in die staatlichen Kassen spülen, die Gewinne bleiben größtenteils beim Betreiber hängen. Unterstützt wird die PIA vom Münchner Flughafen, der als Vertragspartner unentbehrliches Knowhow für Bau und Betrieb zur Verfügung stellt. Im Dezember 2019 verlängerte der honduranische Kongress die Frist für die Fertigstellung des Flughafens Palmerola um zwei Jahre auf Ende 2021 und den als leoninisch kritisierten Vertrag mit der PIA von 30 auf 34,5 Jahre.(8)
Flucht aus Honduras ins Ankerzentrum
Wir begleiteten 2019 einen honduranischen Aktivisten, der sich vor staatlicher Verfolgung im Stil von Todesschwadronen hierzulande in Sicherheit gebracht hatte. Wir sind dankbar für das solidarische Engagement einer Münchner Anwältin und freuen uns, dass unser compañero sein Asylverfahren erfolgreich durchlaufen konnte. Die Zeit davor war allerdings nicht leicht. Wie Menschenrechte Geflüchteter hierzulande mit Füßen getreten werden und wie wichtig es ist, dagegen in breiten dekolonialen, antirassistischen Bündnissen aufzustehen (siehe Kapitel „Solidarische Stadt“ in diesem Jahresbericht), zeigten uns einmal mehr die Erfahrungen unseres compa in einem „funktionsgleichen Äquivalent eines Ankerzentrums“. Hier ein Auszug aus seinem Bericht:
„Das erste, was einer neu angekommenen Person dort auffällt, ist, dass es dominierende Großgruppen, so eine Art Clans, gibt. Man merkt schnell, dass das Clanwesen, die Verzweiflung und die Depression zu permanenten Konflikten führen. Einige Bewohner*innen sind offenbar schon ein Jahr dort und richtig depressiv. (…) Wenn jemand einer Minderheit angehört, also zum Beispiel schwul ist oder aus einer anderen Weltgegend (als die großen Clans, d.Red.) kommt oder eine alleinerziehende Mutter ist, dann muss er oder sie auf alle Fälle mit Bullying, Drohungen und Belästigung rechnen und Schutz suchen bei einer der Großgruppen. Das geht nur mit Geschenken. Vor allem Zigaretten sind eine gute Währung, um sich Schutz zu erkaufen. Wer dieses System nicht mitmachen kann oder will, kriegt große Schwierigkeiten. (…) In der Nacht finden Trinkgelage und Schlägereien statt. Zweimal habe ich morgens auf dem Gang Blutlachen gesehen.
„Im Camp musste ich alle meine Überlebensinstinkte mobilisieren“
Es gibt öfter Verletzte und nachts um ein oder zwei Uhr kommt oft die Polizei und manchmal der Krankenwagen. (…) Dazu muss man wissen, dass das Zauberwort im Lager ,Transfer‘ lautet. Mir wurde gleich am Anfang geraten, ich solle mich schlagen lassen, um ,Transfer‘ zu bekommen. Das ist ein offenes Geheimnis: Alle haben Angst vor Abschiebung und sprechen tagein, tagaus nur von ,Transfer‘. (…) Die Krankenstation ist nur von 9 bis 11 Uhr geöffnet. Medikamente gegen chronische Krankheiten werden ausgegeben, Schmerzmittel allerdings verweigert. Es gibt, soweit ich das feststellen konnte, auch keinen Arzt. Man muss Schmerzen aushalten und eben notfalls warten, bis es so schlimm wird, dass man Tage oder Wochen später ins Krankenhaus kommt. (…) Ich selbst musste im Camp, ähnlich wie in meinem Heimatland, alle meine Überlebensinstinkte mobilisieren. Leute, die mich kennen, haben schon nach zwei Monaten gemerkt, dass ich mich verändert hatte. Zum Beispiel habe ich dort alles Deutsch, das ich vorher gelernt hatte, komplett wieder vergessen. Purer Stress. Und der hat System. Im Camp wird alles getan, um Druck auszuüben, damit die Leute ihre Asylgesuche zurückziehen.“
(1) https://www.kritischeaktionaere.de/siemens/rede-von-andrea-lammers-3/ Zum Streit um die ILO-Konvention und indigenen Rechten siehe auch: https://www.oeku-buero.de/files/docs/Factsheets/FactSheet07_WEB.pdf
(2) https://www.oeku-buero.de/politische-gefangene-in-honduras/articles/politische-gefangene-in-honduras.html
(3) https://www.oeku-buero.de/hochsicherheitsgefängnis-für-gegner-einer-eisenerzmine-in-honduras/articles/hochsicherheitsgefängnis-für-gegner-einer-eisenerzmine-in-honduras.html
(4) https://wp.radioprogresohn.net/declaratoria-libre-de-mineria-prohibe-renovacion-de-licencias-a-inversiones-los-pinares/ http://www.pasosdeanimalgrande.com/index.php/en/denuncias/item/2675-juicio-injusto-hay-un-panorama-desalentador-para-defensores-de-guapinol-para-obtener-acceso-a-la-justicia
(5) https://wp.radioprogresohn.net/estado-de-honduras-pretende-juzgar-a-ambientalistas-como-narcotraficantes/
https://www.insightcrime.org/honduras-organized-crime-news/cachiros/
(6) https://www.laprensa.hn/honduras/1328929-410/honduras-procesadora-pellets-oxido-hierro-centroamerica-estados-unidos-europa
(7) http://www.remamx.org/2020/02/comunicado-publico-del-comite-municipal-de-defensa-de-los-bienes-comunes-y-publicos-de-toco/
(8) https://www.laprensa.hn/premium/1355744-410/concesionaria-de-palmerola-podr%C3%A1-transferir-todo-su-capital-y-ganancias-al-exterior https://www.deutschlandfunk.de/menschenrechte-in-honduras-flughafen-neubau-sorgt-fuer.799.de.html?dram:article_id=441798
Situation der LGBT*Community in Honduras
Die LGBT*Community in Honduras engagierte sich auch 2019 gegen Diskriminierung und für gleiche Rechte. Dazu gehörten die gleichgeschlechtliche Ehe und das Adoptionsrecht, vor allem auch ein Gesetz zur Genderidentität, das Trans*Aktivist*innen ebenso wie internationale Instanzen schon seit Jahren vom honduranischen Staat fordern. Der grausame Alltag von Hassverbrechen drohte erneut – so jedenfalls unsere Wahrnehmung – alle Kämpfe um Sichtbarkeit und Anerkennung unter einer riesigen Wolke aus Wut, Verzweiflung, Depression unsichtbar zu machen. Besonders schlimm war der Juli 2019, als wir erfahren mussten, dass Bessy Ferrera, Co-Leiterin der Trans*Frauengruppe der Asociación Arcoíris, erschossen wurde. Im gleichen Monat wurden binnen einer Woche zwei weitere Trans*Frauen, die TV-Moderatorin Santi Carvajal und die Stylistin Antonia Lainez, umgebracht.
325 ermordete LGBT* in zehn Jahren
2019 wurden in Honduras mindestens 43 Mitglieder der LGBT*Community ermordet, davon neun Trans*Frauen. Von Juli 2009 bis Juli 2019 registrierte die staatliche Ombudsstelle für Menschenrechte CONADEH 325 Morde an LGBT*. Die nicht-tödlichen Übergriffe summieren sich auf viele hundert pro Jahr. Der Durchschnitt der Übergriffe, die bekannt werden, liegt bei zwei pro Tag. Über 300 Fälle liegen bei den Staatsanwaltschaften, ohne dass es jemals zu Prozessen oder gar Verurteilungen käme. Im Falle von Bessy wurden zwei materielle Täter gefasst und (im Januar 2020) verurteilt. Trotz solcher Einzelfälle, die wohl auch auf großen internationalen Druck zustande kommen, liegt die Straflosigkeit für Straftaten gegen LGBT* in Honduras weiter zwischen 95 und 97 Prozent. Asociación Arcoíris geht davon aus, dass an etwa 60 Prozent der Hassverbrechen staatliche Sicherheitskräfte beteiligt sind.(1)
Auf die Koordinatorin der Trans*Frauengruppe von Arcoíris Jlo Córdova wurde im November vor dem Büro von Arcoíris ein Schusswaffen-Attentat verübt, das sie verletzt überlebte. Sie war zuvor wiederholt von Polizeikräften und Angehörigen eines privaten Sicherheitsunternehmens bedroht worden. Drohungen erhielt auch ihre Kollegin in der Leitung der Gruppe, Paola Flores, die daraufhin für einige Monate Zuflucht im Ausland suchte.(2)
Das Öku-Büro hatte in den letzten Jahren versucht, auch die Situation der Trans*Frauen, die im Männergefängnis in der Nähe der Hauptstadt Tegucigapla eingesperrt sind, sichtbar zu machen und die Frauen ein wenig zu unterstützen. 2019 war dies nicht mehr möglich, weil die Asociación Arcoíris keine Besuchserlaubnis mehr erhielt. Auch den Kontakt zu einer der Frauen, die entlassen worden war und als Menschenrechtsverteidigerin bei Arcoíris mitarbeitete, konnten wir nicht aufrechterhalten, seit sie sich, um ihr Leben zu schützen, innerhalb von Honduras versteckt halten muss. Mehrere der überlebenden Trans*Aktivist*innen und Mitglieder der LGBT* verließen das Land, einige von ihnen in den Migrant*innen-Karawanen.
Im April war die Geschichte der nach Vergewaltigungen und einem Mordversuch aus Honduras geflüchteten Trans*Frau Nicole García Aguilar publik geworden. García wurde von der US-Behörde Immigration and Customs Enforcement (ICE) mehrfach und teils über Monate willkürlich in Gewahrsam genommen, obwohl sie Asyl erhalten hatte und musste unter Panikattacken unter anderem extreme Einzelhaft in der so genannten Kaltzelle ertragen.(3)
Trans*feindlicher, rassistischer Übergriff in München
Wenn Menschen, die vor Diskriminierung und Gewalt wegen ihrer Gender-Identität flüchten mussten, deren Leben mehr als einmal in Gefahr war und deren Körper zum Objekt patriarchaler Machtausübung gemacht wurde, wenn diese Menschen dann hierzulande auch nicht sicher sind, erneut Angriffen ausgesetzt und in ihrer Würde und Integrität verletzt werden, ist das eine Katastrophe. Eine solche ereignete sich am 22. November 2019 im Münchner Stadtteil Haidhausen, unweit des Öku-Büros, am Vorabend eines Internationalen Fachseminars zu dem wir eingeladen hatten. Sechs Trans* und nicht binäre Personen, allesamt Fachreferent*innen des Seminars, wurden vor einer Bar auf offener Straße geschlagen, an den Haaren gerissen, bedroht und aus einer Gruppe von Gästen aus der Bar mit übelsten rassistischen, trans*feindlichen, sexistischen Beleidigungen und Verleumdungen konfrontiert. Die herbeigerufene Polizei reagierte nicht adäquat auf die Situation.(4)
Das Öku-Büro bedankt sich bei allen Nachbar*innen, Einzelpersonen, Organisationen, städtischen Stellen, der Opferberatung BEFORE, Anwält*innen, die sich in den folgenden Tagen und Wochen solidarisch gezeigt haben. Wir versuchen weiterhin, so gut wir können, die Betroffenen bei den erneut belastenden Ermittlungen beizustehen und sie zu unterstützen, falls es ein Gerichtsverfahren geben wird.
Internationales Fachseminar
Das Internationale Fachseminar „Solidarität und Empowerment“ mit Trans* und Nicht-binären Personen mit Flucht-, Migrations- und Rassizifierungserfahrung fand am 23. und 24. November trotz der Attacke wie ge-plant statt. Die Betroffenen haben sich ihr Seminar, auch wenn sie physisch und psychisch sehr mitgenommen waren, nicht nehmen lassen. Sie haben sich ihren Raum und ihre Zeit genommen. Interessierte solidarische Menschen aus der Münchner Stadtgesellschaft waren zu einem ersten Kennenlernen und Austausch eingeladen. Das Öku-Büro hatte nach einem Konsultationsprozess mit den Referent*innen das Seminar organisiert und dazu eingeladen. Die inhaltliche Gestaltung übernahmen Maria Virginia González Romero und Olenka Bordo Benavides als Seminarleiter*innen sowie, ganz im Sinne der Pädagogik der Befreiung und des dezidiert dekolonialen Ansatzes des Seminars, die Fachreferent*innen selbst.
Schulveranstaltung
Karla Avelar, in die Schweiz geflüchtete Trans*Menschenrechtsverteidigerin aus El Salvador und eine der Fachreferent*innen des Seminars diskutierte in der darauffolgenden Woche Schüler*innen des Werner-von-Siemens Gymnasiums in München-Neuperlach.
Factsheet
Zum Jahresende stellten wir ein Factsheet zur Situation der LGBT*Community in Zentralamerika fertig, das 2020 auch online veröffentlicht wird.
(1) https://avispa.org/en-aumento-crimenes-de-odio-contra-la-comunidad-lgtbi-en-honduras/ Interview mit dem Journalisten Knut Henkel und der Münchner Trans*Aktivistin Gaba Sahory Reyes Baca: https://rdl.de/LGBT-Phobie-in-Honduras
(2) Auf Paola Flores und die Menschenrechtverteidigerin Arianna Michelle Díaz Gómez wurde dann im Januar 2020 wenige Wochen nach ihrer Rückkehr geschossen. https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/erneut-attentat-auf-transaktivistin-in-honduras.html
(3) https://www.theguardian.com/us-news/2019/apr/26/transgender-asylum-seeker-nicole-garcia-aguilar-detained
(4) https://www.oeku-buero.de/details-28/rassistischer-transfeindlicher-übergriff-auf-teilnehmende-eines-internationalen-fachseminars-in-münchen.html