Arbeitskreis Kolumbien
Die Münchner Arbeitsgruppe für Menschenrechte in Kolumbien setzte ihre 2013 begonnene Arbeit 2014 engagiert fort und arbeitete dabei wie im Vorjahr eng mit dem Öku-Büro zusammen. Hier ist ihr Bericht:
Die Schwerpunkte unserer Arbeit bildeten 2014 der interkulturelle Austausch zwischen kolumbianischen und nicht-kolumbianischen Münchner_innen, die solidarische Unterstützung des Kampfes um (indigene) Territorien und eine kritische Beschäftigung mit dem bewaffneten Konflikt in Kolumbien. Dazu luden wir zu zwei Veranstaltungen Referent_innen aus Kolumbien ein und beschäftigten uns in einer dritten mit den Themen „internationaler Austausch“ und „Integration“.
Bedrohung der indigenen Awá-Gemeinden: Veranstaltung mit Francisco Javier Cortes Guanga
Mithilfe der Kriminalisierung sozialer Bewegungen und juristischer Tricks bis hin zu blutiger Gewalt werden in Kolumbien Gemeinden vertrieben oder sogar die Existenz ganzer Gruppen wie beispielsweise der Awá im Süden des Landes bedroht. Ziel dieser Aktionen ist der Zugriff auf ihre Territorien, etwa um dort Bergbau- und Infrastrukturprojekte durchzuführen oder Palmölplantagen zu errichten. Das Awá-Volk besteht aus 42.000 Mitgliedern, die in einem Gebiet im Süden Kolumbiens und im Norden Ecuadors leben. Dieses Gebiet ist reich an Erdöl, mineralischen Rohstoffen und weist eine hohe Biodiversität auf. Der Boden in der Region ist für großflächige Pflanzungen der Ölpalme geeignet. Außerdem ist die Region von strategischer Bedeutung, da durch sie in Zukunft eine Autobahn führen soll, die quer durch den Regenwald Brasilien mit dem Pazifik verbindet.
Mit dem Ziel, diese Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen bekannt zu machen, einen internationalen Kontroll- und Beobachtungsprozess zu lancieren und die Vernetzung der Awá mit solidarischen Organisationen zu fördern, luden wir den Vertreter der Awá-Ethnie Francisco Javier Cortes Guanga nach München ein. Neben Arbeitstreffen mit der Münchner Arbeitsgruppe für Menschenrechte in Kolumbien und dem Öku-Büro, traf sich Francisco Javier mit dem Referenten für Lateinamerika des Münchener Ausländerrates, mit der NGO Pro Regenwald e.V. und gab dem Radio Lora ein Interview. Außerdem realisierten wir in Kooperation mit der Petra Kelly-Stiftung am 17. Februar 2014 eine öffentliche Veranstaltung mit dem Referenten.
In den Treffen machte Francisco Javier, im Auftrag seines Volkes, auf folgende Gefahren für die Awá aufmerksam: Verletzung ihrer Rechte, Verlust ihrer Territorien auf legalem und illegalem Wege (Landraub), ihre physische Vernichtung (selektive Morde und Massaker durch alle bewaffneten Akteure Kolumbiens), Zwangsvertreibungen im Urwald, fehlender Schutz durch den Staat, Militarisierung ihrer Territorien sowie die Zwangsrekrutierungen Minderjähriger, und die Verletzung ihres Rechtes auf Konsultation vor politischen Entscheidungen, die ihr Gebiet betreffen.
Zudem zeigte der Referent die Beschädigungen der Awá-Territorien auf: schwerwiegende Umweltverschmutzungen durch austretendes Rohöl und Ausräucherungen von Kokafeldern, Verseuchung der Wälder durch Antipersonenminen, illegaler Bergbau und Holzeinschlag, sowie Entwaldung zum Anbau von Monokulturen. Bei der Solidarisierung mit den Awá geht es nicht allein um den Erhalt von Biodiversität und den Schutz indigener Rechten. Die Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozesse der Awá können zudem als hervorragendes Beispiel eines basisdemokratischen Modells gelten, in dem die Entscheidungen von den Gemeindemitgliedern getroffen und von den Führungspersonen umgesetzt werden. Dieses Modell, das den Interessen der Gemeinschaft und dem Schutz der Territorien als Kollektivgüter dient, ist kaum anfällig für Korruption und die Durchsetzung von Partikularinteressen. Diese Autonomie muss unbedingt geschützt werden!
Interkulturalität, Fröhlichkeit und Menschlichkeit: Veranstaltung mit Münchner_innen aus vielen Ländern
Am 20. Juli 2014, dem kolumbianischen „Unabhängigkeits“-Tag, fand in Kooperation mit dem Ausländerbeirat der Landeshauptstadt München unsere zweite Veranstaltung statt. Diesmal wollten wir etwas Besonderes zu den Themen „internationaler Austausch“ und „Integration“ machen.
Wir verbrachten zusammen einen Sommertag, an dem wir unsere Kultur, Fröhlichkeit und Liebenswürdigkeit, aber auch unsere Besorgnis über die sozialen und ökologischen Problemen in Kolumbien, mit allen Interessierten teilten. Wir ließen Luftballons fliegen, bemalten eine Leinwand und teilten mitgebrachtes Essen. Die Besucher_innen bekamen selbst gebastelte Armbänder und zum Schluss genossen wir kolumbianische Musik und tanzten mit allen Gästen. Wir haben gelernt, dass sowohl Kolumbianer_innen als auch andere Mitbürger_innen mehr von anderen Kulturen lernen und toleranter sein sollten. Bei uns waren Deutsche, Spanier_innen, Lateinamerikaner_innen, Osteuropäer_innen und besonders viele Kurd_innen, die mit uns gefeiert und die Leinwand gestaltet haben. Es wurde deutlich, dass die soziale Lage in Kolumbien sehr ähnlich wie in vielen anderen (Herkunfts-)Ländern ist, ganz besonders wegen der Projekte im Rohstoffsektor. Und dass wir Migrant_innen aus allen Ländern all diesen Problemen zum Trotz viel zu Interkulturalität, Fröhlichkeit und Menschlichkeit beizutragen haben.
Kritische Diskussion zum bewaffneten Konflikt in Kolumbien: Veranstaltung mit dem Congreso de los Pueblos und REDHER
Unsere letzte Veranstaltung des Jahres 2014 fand am 11. November in Kooperation mit dem Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) statt. Es ging um eine kritische Diskussion zum bewaffneten Konflikt in Kolumbien. Dazu wurden uns die Arbeit des Congreso de los Pueblos (Volkskongress) und des Red de Hermandad con Colombia REDHER (Netzwerk für Freundschaft und Solidarität mit Kolumbien) vorgestellt. Dabei handelt es sich um zwei internationalistische Netzwerke, die die Lage von Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen dokumentieren und vor Ort mit den Gruppen gemeinsam politisch aktiv sind.
2008 gründeten verschiedene Basisorganisationen den Congreso de los Pueblos. In diesem landesweiten Netzwerk sind Bauern und Bäuerinnen, Minenarbeiter_innen, Landarbeiter_innen, aber auch Indigene, studentische Gruppen und „Recht auf Stadt“-Initiativen aktiv, um sich zu schützen und eine gemeinsame Politik zu entwickeln. Viele dieser Gruppen befürchten eine mögliche Einigung zwischen Regierung und den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC). Denn die anschließende Waffenabgabe dieser Guerilla könne in den umkämpften Regionen Militär und Paramilitärs wieder stärker werden lassen. Um wirklich Frieden zu schaffen, ist aber nach ihrer Auffassung zuallererst soziale Gerechtigkeit notwendig. Sie fordern radikale Veränderungen wie die Neuvergabe von Landbesitz.
Die Referentinnen Yolima und Luzmila sind Teil des Congreso de los Pueblos und selbst betroffen von Bedrohungen. Yolima aus Medellín berichtete von ihrer Arbeit in einer „Recht auf Stadt“-Gruppe und über die Probleme von über fünf Millionen Binnenflüchtlingen und intern Vertriebenen, die an den Rändern der Metropole um ihr Überleben kämpfen - oft nach traumatischen Erlebnissen im bewaffneten Konflikt. Luzmila ist Sprecherin für Land- und Extraktivismus-Fragen. Sie kommt aus dem südlichen Bundesland Nariño.
Diese Region ist noch immer in einen schmutzigen Krieg verwickelt, an dem die Drogenmafia ebenso wie multinationale Öl-, Kohle- und Goldfirmen beteiligt seien und der täglich Opfer durch selbstgebaute Landminen fordere. Davon betroffen sind besonders die indigenen Reservate, die zudem von eigens gegründeten Militärbataillonen zum Schutz der Konzerne bedroht würden. Luzmila ist aktiv in Projekten gegen Minen und in einer Bauern- und Bäuer_innen-Organisation. Sie berichtete vom zivilen Widerstand gegen die Projekte multinationaler Konzerne, von Kriegsopfern, von Konflikten zwischen Guerilla und (Para-)Militärs, der Debatte um den Kokaanbau und diversen Menschenrechtsverletzungen in den ländlichen Regionen Nariños.
2015 wollen wir weiter den Münchner_innen bekannt machen, was in Kolumbien geschieht. Wir versuchen in Zusammenarbeit mit den Teilnehmern_innen unserer Veranstaltungen, unseren Kolleg_innen vom Öku-Büro und der internationalen Gemeinschaft einen Beitrag von dieser Seite der Welt zu leisten, damit der bewaffnete Konflikt, die Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen in Kolumbien beendet werden können.