Länderbericht El Salvador

 

Die Politik der ersten linken Regierung El Salvadors oszillierte im Jahr 2013 zwischen erfolgreichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung sowie zur Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft und Entscheidungen zugunsten neoliberaler Wirtschaftspolitik. Der Beitritt El Salvadors zum Assoziierungsabkommen der Zentralamerikanischen Staaten mit der Europäischen Union wurde im Land selbst nur wenig öffentlich kritisiert. Energischen Protest im Inland und im Ausland gleichermaßen rief hingegen eine Entscheidung des Erzbischofs von San Salvador hervor: Die Schließung des Rechtshilfebüros des Erzbistums und kurz darauf ein brutaler Überfall auf die Menschenrechtsorganisation Pro Búsqueda ließen zum Jahresende spüren, dass auch nach zwanzig Jahren die juristische Aufarbeitung der Verbrechen aus dem Bürgerkrieg noch ganz am Anfang steht und erheblicher Widerstand aus dem Kreis der Täter_innen zu erwarten ist.
   

Die Präsidentschaftswahlen 2014 werfen ihre Schatten voraus

 
Wenn am 2. Februar 2014 knapp fünf Millionen Salvadorianer_innen zur Wahl aufgerufen sind, steht mehr auf dem Spiel als nur die routinierte Wiederwahl einer linken Partei, die 2009 erstmals in der Geschichte El Salvadors an die Regierung kam. Am winzigen pulgarcito, dem Däumling Zentralamerikas, wird sich erweisen, ob der von lokalen Oligarchen angeheizten Dampfwalze transnationaler Ressourcen- und geostrategischer Machtinteressen, die immer ungebremster  über den Isthmus hinweg rollt, wenigstens teilweise Einhalt geboten werden kann. Deshalb haben sich soziale Basisbewegungen und Menschenrechtsorganisationen, die in Detailfragen reichlich Kritik an der amtierenden Regierung Funes üben, 2013 zur Initiative Cinco más („Fünf Jahre mehr“) zusammengeschlossen und setzen auf eine Verstetigung des eingeleiteten Wandels zugunsten der Ernährungssouveränität auf dem Land und der ärmsten Teile der Bevölkerung.
 
In das Regierungsprogramm der FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) für 2014 bis 2019 flossen auch Ergebnisse der im Februar 2013 gestarteten Volksbefragung ein, an der rund 85.000 Bürger_innen teilgenommen hatten. „Arbeit, Sicherheit und Bildung” standen im Zentrum der Forderungen der Bevölkerung.1  FMLN-Präsidentschaftskandidat ist der 69jährige ehemalige Guerillakommandant Salvador Sánchez Cerén. Er ist derzeit Vizepräsident und war bis zur seiner Kandidatur auch Bildungsminister. Als sein Stellvertreter bewirbt sich der populäre Bürgermeister der Stadt Santa Tecla, Oscar Ortíz. Die Gegenkandidaten der Rechten sind der Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador, Norman Quijano (ARENA) und Antonio Saca, ehemaliger ARENA-Politiker und Präsident, der nun für das, ebenfalls rechte, Parteienbündnis UNIDAD antritt. Gegen Sacas Kandidatur läuft seit Mitte November ein Verfahren bei der ihrerseits umstrittenen Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes. Im Dezember wurden weitere Klagen gegen seine Kandidatur, aber auch die von Sánchez Cerén eingereicht. Gleichzeitig begann ARENA mit einer Medienkampagne, um das Oberste Wahlgericht zu diskreditieren. Für den Rest des Wahlkampfes wird eine, von dem berüchtigten venezolanischen Berater J. J. Rendón orchestrierte, schmutzige Kampagne seitens ARENA erwartet, die in den Umfragen immer mehr ins Hintertreffen gerät.

Rutsche

Equipo Maíz  im Wahlkampffieber: Rechte Kandidaten auf der Rutsche


Im Gegensatz zu 2012 lag die FMLN 2013 in den Meinungsumfragen zunehmend deutlich vor ARENA. In einer Mitte Dezember vom Forschungsinstitut CS-Sondea veröffentlichten Umfrage erhielt sie  44,6% (Präsidentschaftskandidat Sánchez Cerén 39,1%), ARENA dagegen nur 39,2% (Qijano 34,2%) und UNIDAD 13,9% (Saca 15,8%).

 


Die signifikanteste Zahl ist aber womöglich eine andere: 37% der Befragten gaben in einer fast zeitgleich von der Universität UCA publizierten Umfrage an, noch unentschlossen zu sein, wem sie am 2. Februar 2014 ihre Stimme geben werden.2 
So konstatierte denn auch Roger Blandino Nerio, in der FMLN-Führung zuständig für soziale Bewegungen und einer unserer Gäste beim diesjährigen El Salvador-Bundestreffen im November: „Wir setzen alles darauf, im ersten Wahlgang zu gewinnen. Wenn uns das nicht gelingt, wird es möglicherweise schwierig.“ Ein zweiter Wahlgang fände am 9. März 2014 statt. Bis kurz vor Jahresende lief die Anwerbung von Wahlbeobachter_innen aus der weltweiten Solidaritätsbewegung auf Hochtouren. Regierung und Oberstes Wahlgericht setzen auf größtmögliche Bürgernähe und Transparenz. Erstmals können auch Salvadorianer_innen im Ausland wählen gehen. Vor allem die ca. 2.5 Millionen Stimmen salvadorianischen Staatsbürger_innen, die in den USA leben, können einen bedeutenden Unterschied zu vorangegangen Wahlen machen. Hier liegt eine Chance für die FMLN, aber natürlich auch ein massives politisches Druckmittel der USA, nicht zu sehr vom in Washington gewünschten Kurs abzuweichen: EL Salvador hängt wirtschaftlich in hohem Maße von den Geldsendungen der Migrant_innen ab – und damit vom guten Willen der US-Administration ihnen immer wieder temporäre Arbeitspapiere auszustellen.
 

Haftbefehle gegen ehemalige ARENA-Funktionäre

Roger Blandino

Roger Blandino (rechts im Bild) verteidigte in Frankfurt/M. die Positionen der FMLN

 
Roger Blandino Nerio machte ein ebenso staunendes wie erfreutes Gesicht, als Botschafterin Anita Escher Echeverría ihm Mitte November in Berlin auf ihrem Tablet-Computer die neuesten Nachrichten zeigte: Haftbefehle gegen 21 ehemalige Funktionäre der ARENA-Regierungen 1994 bis 2004. Sie werden wegen mehrerer Korruptionsaffären angeklagt, die den salvadorianischen Staat möglicherweise eine Milliarde US-Dollar gekostet haben. Prominenteste Beschuldigte sind der ehemalige Wirtschaftsminister Miguel Lacayo und der Chef der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft CEL (Comisión Hidroelectrica del Rio Lempa) Guillermo Sol Bang, denen vorgeworfen wird in einen krummen Millionendeal mit dem italienischen Energieriesen ENEL zur Gründung eines gemeinsamen Geothermie-Unternehmens verwickelt gewesen zu sein.3 
 

Waffenstillstand der Jugendbanden in der Kritik


Der Anfang 2012 durch den Militärbischof Fabio Colindres und den Ex-Kommandanten der Guerilla Raúl Mijango vermittelte Waffenstillstand zwischen den beiden großen Jugendbanden Mara Salvatrucha und Barrio 18 hat über das Jahr 2013 gehalten. Auch das Ziel der Regierung, damit die hohe Mordrate (durchschnittlich zwölf Menschen pro Tag im Jahr 2011) zu halbieren, hat sich erfüllt. Allerdings bereitet nun, wie schon im Vorjahr befürchtet, die steigende Zahl der Verschwundenen Sorgen. Polizeidirektor Rigoberto Pleités resümierte verschiedenen Agentur-Meldungen zufolge im Dezember: „Im Jahr 2012 hatten wir 545 Fälle, dieses Jahr sind es bereits 1.070.“ Kurz zuvor hatte der Fund eines Massengrabes mit den sterblichen Überresten von mindestens 44 zuvor Verschwundenen, die Barrio 18 zugeschrieben werden, das Land erschüttert. Es wird vermutet, dass das von den Maras  “Aussaat” genannte  heimliche Vergraben der Leichen zuvor Verschwundener zu einem Teil den Mord auf offener Straße ersetzt.
 
Die Bevölkerung beklagt, Mara-Mitglieder würden sich nach dem Waffenstillstand weniger untereinander umbringen, hätten sich aber gerade auch außerhalb der Gefängnisse reorganisiert und ihre Wirkungsbereiche ausgeweitet. Die allgemeine Sicherheit sei durch den Waffenstillstand nicht größer geworden. Besonders vor extrem gewalttätigen Erpressungen, die mittlerweile viele Menschen in die Migration treiben. Auch die grundsätzliche Kritik an dem Abkommen wächst. Während die Regierung sich auffällig bedeckt hält, spricht der spanische Pater Antonio Rodríguez, der seit vielen Jahren Präventions- und Rehabilitationsarbeit in der Stadt Mejicanos betreibt, von einem „zynischen Handel mit Leichen“. Die Banden säßen nun als akzeptierter politischer Akteur am Verhandlungstisch. „Ich glaube, dass der Waffenstillstand letztlich eine Strategie der Narcos ist. Sie sind eng mit der ultrarechten Partei ARENA verknüpft, die 20 Jahre lang das Land regierte. Als ARENA vor vier Jahren die Regierung an die Linke verlor, verlor auch der Drogenhandel diesen Einflussbereich. Er musste neue Strategien entwickeln. Eine davon war, die Straßen mit Toten zu pflastern, um Macht zu demonstrieren  – und folglich über den Eintritt in die Regierung verhandeln zu können. Dafür bedient sich der Drogenhandel der Jugendbanden, die als Auftragsmörder fungieren”, konstatierte Rodríguez, der gegen Jahresende als Nachfolger für Mijango als Vermittler im Gespräch war. Die Banden würden als Quelle der Gewalt im Land begriffen. Tatsächlich seien sie jedoch ein Auswuchs der strukturellen Gewalt  – kein Feind, mit dem es gelte, Friedensverhandlungen zu führen. Diese Lösung greife zu kurz.4 
 

Frauenrechte: Der Fall Beatriz erschüttert die internationale Öffentlichkeit


Noch stärker als im Vorjahr das Schicksal der nach einem Abtreibungsversuch inhaftierten Mery (siehe Jahresbericht 2012) dominierte 2013 der Fall Beatriz die Debatte um Frauenrechte in El Salvador. 
Mitte April startete Amnesty International eine Urgent Action für eine 22-jährige Frau in El Salvador mit dem fiktiven Namen Beatriz, deren Schwangerschaft von Tag zu Tag riskanter wurde. Die Ärzt_innen empfahlen wegen der Gefährdung von Gesundheit und Leben der Mutter eine therapeutische und wegen der Anenzephalie des Fötus eine eugenische Abtreibung. Seit 1998 ist jedoch in El Salvador jegliche Form der Abtreibung verboten. Weil die Ärzt_innen folglich nicht handelten, hatte sich Beatriz mit Unterstützung der Agrupación Ciudadana por la Despenalización del Aborto Terapéutico, Ético y Eugenésico (Bürgervereinigung für die Entkriminalisierung von Abtreibung mit therapeutischer, ethischer oder medizinischer Indikation) an den Obersten Gerichtshof gewandt. Dessen fünfköpfige Verfassungskammer ließ sich mit ihrem - ablehnenden - Urteil sieben Wochen Zeit. Beatriz wurde schließlich zu Beginn der 27. Schwangerschaftswoche nach einsetzenden Wehen mit einem Kaiserschnitt gerettet, das anenzephalisch geborene Mädchen starb nach fünf Stunden. Eine Resolution des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes zum Fall Beatriz hatte festgestellt: „ Es muss garantiert sein, dass das behandelnde Ärzteteam, ohne jegliche Einmischung von außen, alle medizinischen Maßnahmen ergreifen kann, die es für angebracht hält, um die in den Artikeln 4 und 5 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention verankerten Rechte zu schützen und so, möglicherweise sogar irreparable, Beschädigungen des Rechtes auf Leben und des Rechtes auf persönliche Integrität und Gesundheit der Frau B. abzuwenden.“
 
Laura Aguirre kommentierte im Internet-Magazin El Faro: Beatriz hat El Salvador in die Weltöffentlichkeit katapultiert. „Dank des Mutes von Beatriz haben wir, glaube ich, endlich die Chance, die Diskussion über Abtreibungen zu eröffnen und Gesetzesänderungen zu fordern, die uns Frauen wirklich das Recht auf Leben garantieren. (…) Da es keine gesetzliche Definition dafür gibt, was genau ein Schwangerschaftsabbruch ist, kommt es zu willkürlichen Interpretationen, die viele Frauen hinter Gitter gebracht haben. Im Augenblick gibt es mindestens 49 Frauen, die wegen Totschlags zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Darunter sind viele arme Frauen, die Fehlgeburten erlitten haben.” 5

Attacken auf das historische Gedächtnis – und auf Beweismittel in künftigen Prozessen

Tutela Legal

Kundgebung für die Rechte der Opfer am Archiv der Tutela Legal

 
In der zweiten Jahreshälfte rückte die Vergangenheit des zwanzigjährigen Bürgerkrieges schlagartig in den Fokus der öffentlichen Auseinandersetzung in El Salvador: Am 30. September schloss Erzbischof José Luis Escobar Alas plötzlich und völlig unerwartet das Rechtshilfebüro des Erzbistums, die Oficina de Tutela Legal. Die zwölf Mitarbeiter_innen durften die Räume im Inneren des erzbischöflichen Ordinariats nicht mehr betreten und bekamen ihre Kündigung ausgehändigt. Für die überlebenden Opfer aus dem Bürgerkrieg und die Familienangehörigen Tausender von Toten war die 1982 gegründete Tutela Legal ein sicherer und nahezu geheiligter Ort gewesen. Im einzigartigen Archiv des Rechtshilfebüros lagern etwa 50.000 Akten mit Zeugenaussagen und Dokumenten, darunter viele, die sich auf die 227 Massaker an Zivilist_innen beziehen, die während des internen bewaffneten Konfliktes zwischen 1980 und 1992 überwiegend von der Armee und Todesschwadronen begangen wurden. Tutela Legal war das Erbe des 1980 ermordeten Erzbischofs Oscar Romero. Eine langjährige Mitarbeiterin aus Romeros Arbeitsteam, Dr. María Julia Hernández leitete die Institution bis zu ihrem Tod 2007. Die Mitarbeiter_innen des Büros vertraten bedeutende Fälle wie zum Beispiel den des Massakers von „El Mozote“ 1981 durch das von US-Spezialisten trainierte Armeebataillon Atlacatl, das mit nahezu tausend Toten als das größte in der jüngeren Geschichte Zentralamerikas gilt.5 

Alas

„Welche dunkle Macht steht hinter Erzbischof Alas?“


Die meisten Beobachter_innen sehen einen Zusammenhang damit, dass die salvadorianische Verfassungskammer kurz zuvor eine Klage von Bürger_innen angenommen hatte, die das Amnestiegesetz aus der Zeit nach der Unterzeichnung der Friedensverträge vor 20 Jahren kippen könnte. So war für Saúl Baños von der Menschenrechtsorganisation FESPAD (Fundación para la Aplicación del Derecho - Studienstiftung für Angewandtes Recht), dem zweiten Gast des Ökumenischen Büros aus El Salvador in diesem Jahr (siehe Kapitel Aktivitäten), der Fall ziemlich klar: „Eine Vermutung ist, dass Bischof Escobar Alas naiverweise wirklich angenommen hat, Tutela Legal sei nicht länger nötig. Aber das ist ein ziemlich schwaches Argument. Die zweite Hypothese ist, dass der Bischof unter Druck gesetzt worden war. Und zwar von mächtigen Leuten, die eine Strafverfolgung fürchten, falls das Amnestiegesetz aus dem Jahr 1993 für verfassungswidrig erklärt wird.“

Sául Baños

Sául Baños (FESPAD): „Das Amnestiegesetz von 1993 ist verfassungswidrig.“


Nach der Schließung der Tutela Legal erhob sich lautstarker Protest, auch aus dem Ausland. Demos wurden organisiert, Briefe an den apostolischen Nuntius und Papst Franziskus adressiert. David Morales, salvadorianischer Ombudsmann für die Verteidigung der Menschenrechte, selbst ehemaliger Mitarbeiter der Tutela Legal (und unser Gast von Rundreise und Bundestreffen 2012) versuchte, einzugreifen und das Archiv als nationales Kulturerbe sichern zu lassen. Vergeblich. Die Generalstaatsanwaltschaft beschlagnahmte unter dubiosen Umständen Akten aus dem Archiv. Die Verfassungskammer entschied, es sei Privatbesitz der katholischen Kirche. Saul Baños empörte sich: „Legalistisch kann man vielleicht so argumentieren, legitimerweise gehört das Archiv aber keineswegs der katholischen Kirche. Die Informationen im Archiv stammen schließlich von den Familienangehörigen der Opfer und von den Opfern selbst! Soweit sie überlebt haben.” Nach weiteren Demonstrationen und Protesten am 3. Dezember begleitete FESPAD einige der Opferorganisationen zum Obersten Gerichtshof, wo sie ihrerseits Verfassungsbeschwerde einlegten.
 
Inzwischen war eine weitere, gravierende Attacke auf das historische Gedächtnis des Landes, die Integrität der Opfer und mögliche Beweismittel in künftigen Prozessen verübt worden: Am 14. November überfielen maskierte Männer das Büro der Menschenrechtsorganisation Pro Búsqueda, die sich zum Ziel gesetzt hat, verschleppte Kinder aus dem Bürgerkrieg wiederzufinden. Die Angreifer fesselten zwei Angestellte, zerstörten PCs und verbrannten wichtige Dokumente.
 
Ein Schwerpunkt der Arbeit des Ökumenischen Büros zu El Salvador im Jahr 2014 wird das Thema „Erinnerungsarbeit und Vergangenheitspolitik“ sein.
 

Aktivitäten des Ökumenischen Büros zu El Salvador


Seminar der El Salvador-Solidaritätsgruppen

  Das vom Ökumenischen Büro organisierte Koordinationstreffen mit dem Schwerpunktthema „Pupusas erobern Europa. Das Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika - Entwicklungsalternativen für El Salvador?“6 fand vom 8. bis zum 10. November 2013 in Frankfurt/Main statt. Unter dem Titel „Pupusas erobern Europa“ diskutierten zwei Gäste aus El Salvador und über 40 Teilnehmer_innen aus der Bundesrepublik über die menschenrechtlichen Folgen des Assoziierungsabkommens der zentralamerikanischen Staaten mit Europa (AdA) und weitere Themen, die speziell die Interessen europäischer Konzerne in El Salvador (und den Nachbarländern) betreffen. Konjunkturgemäß waren auch die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen (siehe Länderanalyse El Salvador) und die möglichen ökonomischen und politischen Spielräume einer künftigen FMLN-Regierung ein wichtiges Thema der Debatten in Plena und Arbeitsgruppen.

Bundestreffen

Gut besucht: Das Bundestreffen in Frankfurt/Main


Ko-Veranstalter_innen waren, neben dem Ökumenischen Büro, die Infostelle El Salvador, das INKOTA-Netzwerk, die Kaffeekampagne El Salvador und das Zentralamerika Sekretariat Zürich. 
Als Referent_innen luden wir gemeinsam mit diesen Kooperationspartnern in Deutschland und der Schweiz einen profilierten Politiker und einen nicht minder profilierten Menschenrechtsverteidiger ein:
Roger Blandino Nerio, ehemals Comandante „Jeremias“, ist Agraringenieur mit Spezialisierung auf Umweltthemen, Mitgründer und Mitglied der Parteiführung der FMLN. Dort ist er aktuell für die Beziehungen zu den sozialen Bewegungen zuständig.
Saúl Antonio Baños Aguilar, Rechtsanwalt und seit 16 Jahren bei der Menschenrechtsorganisation FESPAD (Fundación para la Aplicación del Derecho - Studienstiftung für Angewandtes Recht) in der Hauptstadt San Salvador tätig, wo er die Abteilung für wirtschaftliche, soziale, kulturelle und Umweltrechte leitet.
Die Diskussionen zum Hauptthema waren mit einiger Spannung erwartet worden, da die Organisationen der Referenten sich zum Thema Assoziierungsabkommen konträr positioniert hatten. Die FLMN-Abgeordneten im Kongress hatten ausnahmslos zugestimmt, während FESPAD zu den wenigen zivilgesellschaftlichen Gruppen zählte, die explizit gegen das Abkommen argumentierten und öffentlich auf die Nachteile für die Bevölkerung hinwiesen (siehe auch Kapitel Assoziierungsabkommen, Seite 68). Blandino bestritt die Probleme nicht, verteidigte aber die Entscheidung der FMLN mit Sachzwängen: Man sei sich bewusst gewesen, dass das AdA ähnlich dem kritisierten CAFTA-DR mit den USA funktioniere, habe aber aufgrund des massenmedialen Drucks der Rechten (Kampagne wegen angeblicher Arbeitsplatzvernichtung) keine andere Wahl gesehen als zu unterzeichnen. Sollte die FMLN die Wahlen 2014 gewinnen, werde man versuchen, die Abhängigkeit von den USA und die negativen Folgen des Freihandels mit Europa durch einen Beitritt zum Staatenbündnis ALBA und die politische Annäherung an Staaten außerhalb der EU, wie etwa Vietnam, Indien und Russland, auszugleichen.

ALBA

ALBAS wundersame Ölpumpe soll El Salvador vor den Folgen der Freihandelsabkommen retten (Sept. 2013)

 

Weitgehende Einigkeit herrschte zwischen den Referenten bei den Unterthemen Bergbau und Agrargifte. Saúl Baños erklärte die Arbeit des seit 2006 bestehenden Runden Tisches gegen den Bergbau, der sich auf drei Bereiche konzentriert: Die Kämpfe der sozialen Bewegungen in den betroffenen Gemeinden, die Problematik der Klagen transnationaler Konzerne gegen den Staat El Salvador wegen der Blockierung ihrer Vorhaben und die Auswirkungen grenzüberschreitender Bergbauprojekte im Einzugsgebiet des Rio Lempa. Zum Verkauf der kanadischen Pacific Rim an die australische Oceana Gold bemerkte Baños: „Dieses Unternehmen hat große Erfahrung in der Beeinflussung lokaler sozialer Konflikte und erst recht in der finanziellen Einflussnahme auf Regierungen. Hier muss sehr genau geguckt werden, wer da wem den Wahlkampf finanziert.“ 73 Anträge auf Bergbaulizenzen stehen in El Salvador derzeit an. Die Genehmigung zur Erkundung werde juristisch oft schon als Zusage für die Ausbeutung ausgelegt.
2013 hatte El Salvador mit einer sehr fortschrittlichen Gesetzesvorlage zum Verbot von 32 Agrargiften international von sich reden gemacht. Darunter auch solche, die für die zahlreichen Todesfälle (über 60 allein in der Gemeinde San Luis Talpa) durch chronische Niereninsuffizienz verantwortlich gemacht werden. Roger Blandino ärgerte sich sichtlich darüber, dass Präsident Funes das Gesetz nicht passieren ließ: „Das wirft uns jetzt wieder um mindestens zwei Jahre zurück!“

Vortragsrundreise

Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Auswirkungen der Wirtschaftspolitik des globalen Nordens, in diesem Fall der europäischen Länder, in kleinen Ländern des Südens wie El Salvador sowie Advocacy- und Fachgespräche mit Entscheidungsträger_innen in Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Institutionen waren die Ziele der deutschlandweiten Rundreise von 3. bis zum 16. November 2013 mit den Referenten Saúl Antonio Baños Aguilar (FESPAD) und Roger Blandino Nerio (FMLN) aus El Salvador. Die Rundreise unter dem Motto „Pupusas erobern Europa - Das Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika Entwicklungsalternativen für El Salvador?“ wurde von der El Salvador-Referentin des Ökumenischen Büros koordiniert und von den Mitveranstalter_innen des Bundestreffens, dem Forum Umwelt und Entwicklung, Botschafterin Anita Escher Echeverría sowie einer Vielzahl lokaler Gruppen und Institutionen unterstützt.

Veranstaltung in München

Am 05. November veranstalteten wir eine Gesprächsrunde mit dem El Salvador-Arbeitskreis des Ökumenischen Büros, lotsten Sául Baños auf die Wege unseres Antifaschistischen Stadtrundganges, absolvierten ein langes Gespräch mit Vertretern des Referates Weltkirche des Erzbischöflichen Ordinariates, ein Interview bei Radio Lora und eine Abendveranstaltung im Ligsalz8 in Kooperation mit der Petra-Kelly-Stiftung.
 
Weitere Fachgespräche, Interviews und Veranstaltungen fanden in Stuttgart, Bonn, Eschborn, Marburg und Leipzig statt.

In Berlin sprachen die Referenten mit Vertreter_innen des Lateinamerikareferates von Brot für die Welt, der Friedrich-Ebert-Stiftung, des Auswärtigen Amtes, der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, mit den Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe und Heike Hänsel. Sie wurden vom Neuen Deutschland und der Deutschen Welle interviewt und stellten sich im Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika dem kritischsten Publikum der Tournee.  
 
Zwei Doppelstunden mit hervorragend Spanisch sprechenden Schüler_innen der Salzmannschule Schnepfenthal (bei Gotha) ermöglichten einen erfrischend direkten Austausch ohne Dolmetscher_innen-Barriere. Ein Gespräch mit der handelspolitischen Sprecherin der Grünen im Europaparlament Ska Keller und höchst willkommener inhaltlicher Input bei einer sehr gut besuchten und kontroversen Podiumsdiskussion zum „Landgrabbing“ an der Martin-Luther-Universität in Halle/Saale gehörten zu den weiteren Highlights der Rundreise.


El Salvador-Arbeitskreis

Der El Salvador-Arbeitskreis des Ökumenischen Büros ist ein ständiges Forum zum Austausch zwischen den ehrenamtlichen El Salvador-Interessierten. Bei den monatlichen Treffen, zu denen meist sechs bis sieben Personen anwesend sind, werden die aktuelle politische Konjunktur diskutiert, Resolutionen besprochen und Veranstaltungen vor- und nachbereitet. Besonders wichtig sind dabei die Detailkenntnisse und Sichtweisen der salvadorianischen AK-Mitglieder. Soziale Aktivitäten des AK, wie gemeinsame salvadorianische Essen, dienen der Kontaktpflege und erleichtern den Einstieg für neue AK-Mitglieder.
 
Am  5. November organisierte der AK eine Veranstaltung mit Saúl Baños (siehe El Salvador Rundreise und Kapitel zum Assoziierungsabkommen) im ligsalz8 in München. Mitglieder des AKs beteiligten sich außerdem an der Gestaltung des „Tages des/der Salvadoreños/as im Ausland“ am 29.11. in München (mit Botschafterin Anita Escher Echeverría) und am Multiplikator_innen-Seminar „Partizipative und interaktive Konzepte für die Bildungsarbeit zu Lateinamerika“ am 21./22. September 2013 in Weilheim bei München, das vom Informationsbüro Nicaragua und dem Ökumenischen Büro veranstaltet wurde.
 
Für 2014 bereitet der AK zum 15. Geburtstag unserer langjährigen Partnerorganisation OIKOS eine etwa dreiwöchige „Minibrigade“ (Delegationsreise) nach El Salvador vor.


 1    https://amerika21.de/2013/09/87818/flmn-kandidat-wahlprogramm
 2    http://www.uca.edu.sv/publica/iudop/Encuestas.html
 3    http://internacional.elpais.com/internacional/2013/11/13/actualidad/1384307321_266773.html
 4    http://jungle-world.com/artikel/2013/23/47847.html
 5    Der interamerikanische Gerichtshof hatte den Staat El Salvador Ende 2012 dazu verurteilt, das Massaker ungeachtet des Amnestiegesetzes zu untersuchen, die Täter vor Gericht zu stellen und den Opfern Schmerzensgeld zu bezahlen. Im Dezember 2013 fanden in der Tat erste Exhumierungen statt und Generalstaatsanwalt Luis Martínez hatte bereits im Mai Ermittlungen angekündigt. Menschenrechtsverteidiger_innen sind jedoch angesichts den Haltung von Martínez skeptisch, wohin dieser Prozess führen wird.
 6    Pupusas, das „Nationalgericht“ El Salvadors sind gefüllte Maisfladen. Im Vorfeld der Unterzeichnung des AdA war den kleinen Familienbetrieben, in denen sie hergestellt und gebacken werden, allen Ernstes versprochen worden, in Zukunft eröffne sich ihnen ein großer Markt für den Export nach Europa.


Resolution des El Salvador Bundestreffens


Aufgrund der aktuellen Dringlichkeit verabschiedeten die Teilnehmer_innen des Bundestreffens eine Protestresolution wegen der Schließung des Rechtshilfebüro des Erzbistums (siehe Länderbericht El Salvador). Darin heißt es unter anderem:

„ Die Jahrestagung der El Salvador Solidarität fordert den Erzbischof auf, der Bildung einer     interinstitutionellen Instanz zuzustimmen, an der die Opfer, deren Familien, das Büro des Menschenrechtsbeauftragten (PDDH) und Menschenrechtsorganisationen beteiligt sind und deren Aufgabe es sein soll, die Konzeption und die angemessene Verwaltung des Archivs zu garantieren.
Die El Salvador Solidarität unterstützt die Protestaktionen der Opfer und ihrer Familien, der entlassenen Mitarbeiter von Tutela Legal und der sozialen Organisationen und Menschenrechtsorganisationen in El Salvador und ermutigt sie, ihre Bemühungen fortzusetzen, damit das Archiv von Tutela Legal zu einem fundamentalen Werkzeug dabei wird, die Wahrheit zu kennen und Gerechtigkeit zugunsten eines wahren Friedens und sozialer Versöhnung herbeizuführen. Die El Salvador-Solidarität ermutigt das Büro des Menschenrechtsombudsmanns darin, die wertvolle  Begleitung der Opfer und ihrer Familien fortzusetzen, trotz der Angriffe und des Ignorierens seines Verfassungsauftrags durch bestimmte Sektoren.“

Zurück