Nationale Versöhnung oder Fortführung des Putsches?
Sowohl aufgrund der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung im Land als auch der andauernden Bedrohung der Bewegung durch politische Morde, Paramilitarisierung und mediale Hetzkampagnen beschäftigte sich das Ökumenische Büro im Jahr nach dem Putsch vom Juni 2009 weiter intensiv mit der Entwicklung der Demokratiebewegung in Honduras.
VertreterInnen honduranischer Menschenrechtsorganisationen und der Bewegung FNRP (Frente Nacional de Resistencia Popular – nationale Front des Volkswiderstands) baten uns wiederholt um Unterstützung beim „Durchbrechen der Nachrichtenblockade“ über die Situation in Honduras und forderten dazu auf, internationale Präsenz im Land zu zeigen.
Noch vor der Regierungsübernahme durch Präsident Porfirio Lobo am 27. Januar 2010 ernannte das Parlament unter dem Putschpräsidenten Micheletti denselben zum Abgeordneten auf Lebenszeit, um ihn durch Immunität vor Strafverfolgung zu schützen. Kurz darauf wurde ein so genanntes Amnestiegesetz verabschiedet, das in erster Linie Angehörige von Polizei und Militär vor der Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen schützen wird und vom Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof (CIDH) scharf kritisiert wurde. Die Abgeordneten von Lobos Nationaler Partei stimmten für beide Gesetze und machten sich damit von Anfang an der Komplizenschaft mit dem Putsch verdächtig. Der an zentraler Stelle für den Putsch verantwortliche General Romeo Vazquez erhielt von Lobo den Posten des Direktors der staatlichen Telefongesellschaft Hondutel.
Das Regime Lobo kämpft seit seinem Amtsantritt um seine nationale und internationale Anerkennung. Die Länder der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) knüpfen die Wiederaufnahme von Honduras in diesen Staatenbund nach wie vor an Bedingungen, die Lobo nicht erfüllt, darunter die straffreie Wiedereinreise des exilierten Ex-Präsidenten Zelaya. Im Zuge dessen verweigern die südamerikanischen Staatenbündnisse MERCOSUR und ALBA dem Regime Lobo weiterhin die Anerkennung. Anders die Regierungen der USA und der EU: Mit dem Argument, man müsse diese Regierung stabilisieren, um einen gesellschaftlichen Aussöhnungsprozess nach dem vermeintlich überwundenen Putsch in Gang zu bringen, gratulierten die VertreterInnen dieser Länder Lobo zum Amtsantritt und nahmen auch die seit dem Putsch eingefrorene Entwicklungshilfe wieder auf. Hierunter fällt u. a. ein Projekt der EU zur Stärkung des honduranischen Sicherheitssektors (PASS), das von der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) durchgeführt wird. Lorena Zelaya, Vertreterin der FNRP, wertet dies als direkte Parteinahme für die Institutionen, die für die Unterdrückung der Demokratiebewegung verantwortlich sind. Die Verantwortliche für Entwicklungszusammenarbeit in der Repräsentanz der EU in Tegucigalpa, Vanessa Valladares, räumt indes eine Unzufriedenheit mit der Zusammenarbeit mit den beteiligten honduranischen Institutionen ein, was aber bisher nicht dazu führte, das fragwürdige Projekt einzustellen.
Vanessa Valladares, bei der EU-Repräsentanz in Tegucigalpa zuständig für Entwicklungszusammenarbeit.
Ebenfalls wieder aufgenommen wurden die Verhandlungen zum Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika, welche im Mai 2010 beim EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid feierlich abgeschlossen wurden. Hierbei kam es zu einem bemerkenswerten Eklat: Die Mehrzahl der südamerikanischen Präsidenten verweigerten ihre Teilnahme am Gipfel für den Fall, dass Lobo eingeladen würde. Der spanische Gastgeber Zapatero behalf sich damit, die Unterzeichnung des Abkommens auf einen Tag nach dem offiziellen Gipfel zu verlegen. Paul-Emile Dupret, Mitarbeiter der Linksfraktion im EU-Parlament, kommentierte dies mit den Worten: „Lateinamerika erteilt Europa eine Lektion in Demokratie“. In den drei Monaten Amtszeit der Regierung Lobo waren unter anderem neun honduranische JournalistInnen umgebracht worden. Zapatero reagierte darauf mit dem Versprechen, spanische Staatsanwälte an Honduras auszuleihen, die die Fälle aufklären helfen sollten. Bis zum Jahresende 2010 ist keiner der über 100 politischen Morde seit dem Putsch aufgeklärt worden. Es herrscht nach wie vor eine Atmosphäre völliger Straffreiheit bei Verbrechen gegen die Demokratiebewegung, wie etwa die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch konstatiert.
Honduranerinnen beteiligen sich an den Protesten gegen den EU-Lateinamerika-Gipfel im Mai in Madrid
Dabei wird es für MenschenrechtsverteidigerInnen schwieriger, die konkrete Beteiligung staatlicher Organe an den Verbrechen zu belegen. Es herrsche, so Gilberto Rios von der Menschenrechtsorganisation FIAN Honduras, eine Komplizenschaft zwischen Polizei, Militär, privaten Sicherheitsdiensten, Paramilitärs und bezahlten Killern. Der honduranische Befreiungstheologe Fausto Milla spricht von einer „kolumbianischen Strategie“, wenn etwa in der Plantagenregion Bajo Aguán gleichzeitig mit straffrei durchgeführten Morden, einer Militarisierung der Zone und einer medialen Hetzkampagne gegen dort siedelnde Kleinbauern und -bäuerinnen vorgegangen werde.
Räumung der Siedlung Panamá im Plantagengebiet Bajo Aguán. Beteiligt sind Polizei, Militär und ein paramilitärischer privater Sicherheitsdienst
Die Regierung Lobo bemüht sich indessen, ihren Willen zur Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen unter Beweis zu stellen. Neben der offiziellen Wahrheitskommission, die aus dem Vertrag von San José hervorgegangen ist, gibt es drei weitere staatliche Stellen, die für eine Verbesserung der Menschenrechtslage sorgen sollen. Angesichts der Wirkungslosigkeit dieser Maßnahmen setzte die honduranische Menschenrechtsplattform im Juni 2010 eine eigene Wahrheitskommission ein, die mit international bekannten MenschenrechtsverteidigerInnen besetzt ist, darunter dem spanischen Richter Luís Carlos Nieto und dem argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel.
Auf Nachfrage bestätigten VertreterInnen der Bundesregierung und der EU-Kommission in Honduras, grundsätzlich bereit zu sein, die alternative Wahrheitskommission finanziell zu unterstützen. Faktisch kommt aber bisher nur der offiziellen Wahrheitskommission Unterstützung zu. Diese beschäftigt sich jedoch nur mit den Ereignissen bis zur Wahl im November 2009 und hat somit keinen Einfluss auf die aktuelle Situation. Als einziges europäisches Land unterstützen bisher die Niederlande die alternative Kommission. Unterdessen werden die MitarbeiterInnen dieser Kommission akut persönlich bedroht.
Trotz der enormen Gefährdungslage für ihre AktivistInnen arbeitet die Demokratiebewegung FNRP weiter an der Durchsetzung ihrer Forderung nach einem gesellschaftlichen Dialog für eine neue Verfassung. Von April bis Oktober 2010 wurden in einer unabhängig von staatlichen Stellen durchgeführten Kampagne 1,3 Millionen Unterschriften für die Verfassungsgebende Versammlung (constituyente) und für die straffreie Rückkehr des Ex-Präsidenten Zelaya gesammelt. Das entspricht etwa der Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes. Darauf reagierte die Regierung Lobo mit einer Einladung an die FNRP zu einem Dialog über eine neue Verfassung, die diese aber ablehnte. Zur Begründung gab sie an, zuvor müssten die Opfer der Menschenrechtsverletzungen Gerechtigkeit erfahren. Auch sehe der von Lobo vorgeschlagene Zeitplan vor, die Position der FNRP zu marginalisieren und putschistische Kräfte zu bevorzugen.
Die honduranische Gesellschaft bleibt also tief polarisiert. In einer Meinungsumfrage des honduranischen Instituts CESPAD vom Oktober 2010 äußerten nur 17 Prozent Vertrauen in die derzeitige Demokratie, 55 Prozent forderten eine Verfassungsgebende Versammlung und 33 Prozent standen hinter der Bewegung FNRPii.
Diese arbeitet indessen weiter an ihrer internen Konsolidierung. Es finden Programme zur politischen Bildung und zur Stärkung der Strukturen in den Gemeinden und Stadtvierteln statt. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Aufbau eines Netzes von kommunalen Radiostationen, die für den Demokratisierungsprozess eine Schlüsselrolle spielen und daher immer wieder Ziel von Angriffen und Bedrohungen durch paramilitärische Gruppen sind.
Innerhalb der FNRP findet seit November 2010 eine Strategiedebatte darüber statt, ob die Bewegung sich als Partei an den nächsten Wahlen im Jahr 2012 beteiligen solle oder ob zunächst ein längerer Prozess des Aufbaus der Macht von Unten nötig sei.
GegnerInnen der Wahloption führen an, dass eine Elite, die ihre Macht bereits mit einem Putsch verteidigt habe, wohl kaum bereit sei, diese über Wahlen an die Bevölkerung abzutreten. BefürworterInnen meinen, die Beteiligung an der Wahl 2012 sei der einzige Weg, an Spielräume zu gelangen, die das Land verändern können. Hierüber soll der Kongress der FNRP am 26. Februar 2011 entscheiden.
Angesichts dieser Entwicklungen baute das Ökumenische Büro im Jahr 2010 seine Solidaritäts- und Menschenrechtsarbeit zu Honduras aus:
In Zusammenarbeit mit der deutschsprachigen "Honduras-Koordination", honduranischen Menschenrechtsorganisationen und der FNRP organisierte das Ökumenische Büro im Jahr 2010 verschiedene Veranstaltungen und Rundreisen mit honduranischen Gästen (siehe Seiten XX, XX), sowie eine zweiwöchige Delegation von JournalistInnen und VertreterInnen von Menschenrechtsgruppen nach Honduras im Dezember 2010 (siehe Seite XXX).
Im Jahr 2011 werden wir für die Arbeit zu Honduras weitere Schwerpunkte setzen: Die mediale Aufbereitung der Ergebnisse der Delegation im Dezember in Form einer Broschüre und einer Fotoausstellung, Beteiligung am Aufbau einer Infrastruktur für Menschenrechtsbeobachtung in Honduras sowie eine kritische öffentliche Thematisierung der deutschen und europäischen Unterstützung für den honduranischen Sicherheitssektor im Zuge des oben erwähnten PASS-Projekts.