Globales Europa?

Die Außenpolitik der Europäischen Union


Dass wir uns als Soli-Organisation, die zu den Ländern Zentralamerikas und Mexiko arbeitet, mit der EU beschäftigen, erschließt sich möglicherweise nicht auf den ersten Blick, ist doch der Einfluss der EU in diesen Ländern im Vergleich zu den USA relativ gering. Hintergrund dieser Beschäftigung sind das Assoziierungsabkommen, das seit dem Jahr 2007 zwischen der EU und den Ländern Zentralamerikas verhandelt wird, und die Kampagne gegen dieses Abkommen, die das Ökumenische Büro gemeinsam mit dem globalisierungskritischen Netzwerk Red Sinti Techan aus El Salvador im Jahr 2008 initiiert hat. Die Auseinandersetzung mit der EU als globalem Akteur soll auf der einen Seite dazu dienen, das Interesse der EU an diesem Abkommen in einen größeren Rahmen einordnen zu können. Auf der anderen Seite halten wir dir EU – in der wir immerhin selbst leben – für einen globalen Machtfaktor, an dem wir, wenn wir internationalistisch arbeiten wollen, nicht vorbeikommen. Und so erschließt sich auf den zweiten Blick der Sinn, warum die Europäische Union und ihre Außenpolitik im Jahr 2009 ein Schwerpunkt der Arbeit des Ökumenischen Büros war.

Die Europäische Union als globaler Akteur

Mit dem Zusammenwachsen der EU hat sich diese in den vergangenen Jahren zu einem Akteur entwickelt, der nicht mehr nur nach innen, sondern zunehmend auch nach außen agiert. Während sich weltweit Protest über die Zumutungen der US-Administration regt, entsteht, eingehüllt in eine Rhetorik von Menschenrechten, Wohlstand und Demokratie, die neue Supermacht EU. Im Gegensatz zu den USA hat die EU in den Ländern Zentralamerikas ein vergleichsweise positives Image, was zu großen Teilen den spezifischen historischen Erfahrungen und dem starken US-amerikanischen Einfluss in dieser Region geschuldet ist. Dieses positive Image wird von Seiten der EU nach wie vor gepflegt: So wird beispielsweise das Freihandelsabkommen, das derzeit mit den Ländern Zentralamerikas verhandelt wird, Assoziierungsabkommen genannt, obwohl es sich de facto um ein Freihandelsabkommen handelt. Denn Freihandelsabkommen haben in Zentralamerika – zu Recht – nicht den besten Ruf. Und auch sonst gibt sich die Europäische Union alle Mühe, sich als Wohlstandsbringerin und Friedensgarantin darzustellen. So beschreibt sie sich selbst auf ihrer Website als „einzigartige wirtschaftliche und politische Partnerschaft zwischen 27 demokratischen europäischen Ländern“ mit dem Ziel „Frieden, Wohlstand und Freiheit für ihre 498 Millionen Bürgerinnen und Bürger – in einer gerechteren und sichereren Welt“ zu bringen. Und in einer der vielen Hochglanzbroschüren der EU heißt es beispielsweise: „Nachdem sie [die EU] ihren eigenen Bürgern Stabilität und Wohlstand gebracht hat, strebt sie nun nach Zusammenarbeit mit Anderen in einer interdependenten Welt, um überall deutlich zu machen, welche Vorteile offene Märkte, Wirtschaftswachstum und ein politisches System, das auf sozialer Verantwortung und Demokratie beruht, mit sich bringen.“ Und selbstverständlich ist die „ [...] EU bemüht, Frieden zu bewahren und Frieden zu stiften, und sie führt eine ganze Reihe konkreter Projekte durch, um Menschenrechte und Demokratie zu fördern.“ Aber nicht immer klingen die Ziele und Interessen der Europäischen Union so freundlich.

Die Lissabon-Strategie und Global Europe

In der Lissabon-Strategie, die bei einer Tagung des Europäischen Rates im Jahr 2000 verabschiedet wurde, wurde das Ziel vorgegeben, innerhalb von 10 Jahren zur Weltwirtschaftsmacht Nummer 1 aufzusteigen. Dort heißt es: „Die Union hat sich heute ein neues strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt gesetzt: das Ziel, die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen [...] und die Stärkung der Rolle Europas in der Welt voranzutreiben.“ Dieses Ziel sollte unter anderem durch einen neoliberalen Umbau und dem damit einhergehenden Sozialabbau innerhalb der Mitgliedsstaaten erreicht werden, in Deutschland über die Agenda 2010. Das außenpolitische Gegenstück zur Lissabon-Strategie wurde im Jahr 2006 von der Europäischen Kommission unter dem Titel „Global Europe - Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt“ veröffentlicht. Kern dieser Strategie ist eine weitere Öffnung von Märkten in allen Regionen der Welt. Ein wichtiges Mittel, dies zu erreichen, sieht die EU unter anderem in bi- und multilateralen Freihandelsverträgen (auch Assoziierungsabkommen genannt, siehe oben), da hier in Bereichen wie Geistiges Eigentum, Dienstleistungen, Investitionen und Öffentliche Aufträge die Chancen, weitergehende Zugeständnisse durchzusetzen, größer sind als in der WTO. Derzeit verhandelt die EU neben dem Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika Verträge mit den sogenannten AKP-Staaten (78 Länder in Afrika, der Karibik und im Pazifik), mit den Ländern des Andenpaktes und mit einigen asiatischen Ländern, um sich im geopolitischen Machtkampf mit den anderen großen Wirtschaftsmächten wie den USA, Japan und China möglichst gut zu positionieren. Dabei geht es neben der Öffnung von Märkten nicht zuletzt auch um die Sicherstellung des Zugangs zu Rohstoffen, wie in der sogenannten Rohstoffinitiative, die im Herbst 2008 von der EU-Kommission veröffentlicht wurde, betont wird.

Die Grenzen der Menschenrechtsdiskurse und das Gesetz des Dschungels

Dass die Mittel, mit denen dies alles erreicht werden soll, nicht immer friedlich sind, liegt auf der Hand, und mit zunehmender ökonomischer und militärischer Macht wird auch die Außenpolitik der Europäischen Union aggressiver. Auf militärischer Ebene gab es inzwischen schon zahlreiche Einsätze unter europäischer Flagge, so zum Beispiel in Bosnien Herzegowina (Operation Althea), in der Demokratischen Republik Kongo (EUFOR RD Kongo), im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik (EUFOR Tschad/RCA) und am Horn von Afrika (Operation Atalanta). Der Einsatzradius der EUFOR-Missionen (European Union Force) hat dabei ihren zunächst vorgegebenen Aktionsradius von 4000(!) Kilometern rund um Brüssel schon mit dem Einsatz im Kongo im Jahr 2003 weit überschritten und damit ad acta gelegt. Wenn es um die Verteidigung ihrer Interessen geht, ist die EU durchaus bereit schweres Geschütz aufzufahren, wie auch Tomas Ries, Direktor des Swedish Institute of International Affairs, in der Studie „Ambitions for Europe 2020“ des European Institute for Security Studies betont, die im Frühjahr dieses Jahres veröffentlicht wurde:
Der Schutz der Handelsströme erfordert die Fähigkeit zu globalen zivil-militärischen Einsätzen (Schutz der Seestraßen und kritischer Knotenpunkte etc.) und ein gewisses Maß an Machtdemonstration (präventiven Operationen, Regulierung regionaler Instabilität).
Die Operation Atalanta, die erste maritime Mission der EU, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist, dient dann auch genau diesem Ziel, die internationalen Handelswege vor der Küste Somalias gegen Piraten zu sichern.
Dass ein globaler Machtraum EU sich nicht mehr nur durch freundliche Worte legitimiert, sondern die „europäischen Interessen“ zunehmend auch sehr deutlich formuliert werden, kann als Zeichen gewertet werden, dass die „harte Machtpolitik“ der Europäischen Union, die Tomas Ries für nötig hält, längst Realität ist. Es geht um die Durchsetzung „europäischer Interessen“, egal mit welchen Mitteln. Es geht darum, wie Tomas Ries in obengenannter Studie schreibt, [...] den globalen Reichtum von den Spannungen und Problemen der Armut ab[zu]schotten. Da der Anteil der Weltbevölkerung, der in Elend und Ohnmacht lebt, sehr groß bleibt, werden die Spannungen und Übergriffe zwischen ihrer Welt und der Welt der Reichen weiterhin zunehmen. Da es unwahrscheinlich ist, dieses Problem bis 2020 grundlegend zu lösen, d.h. dysfunktionelle Gesellschaften zu heilen, werden wir unsere Grenzen stärken müssen.
Wie diese Grenzen gestärkt werden und welche Bedeutung die freundlichen Menschenrechts- und Demokratierhetoriken letzten Endes haben, wird deutlich, wenn man Robert Cooper, Büroleiter von Javier Solana und Hauptautor der Europäischen Sicherheitsstrategie, zuhört, der sich offen zu doppelten Standards und zum Gesetz des Dschungels bekennt: Die Herausforderung der postmodernen Welt ist es, mit der Idee doppelter Standards klarzukommen. Unter uns gehen wir auf der Basis von Gesetzen und offener kooperativer Sicherheit um. Aber wenn es um traditionellere Staaten außerhalb des postmodernen Kontinents Europa geht, müssen wir auf die raueren Methoden einer vergangenen Ära zurückgreifen – Gewalt, präventive Angriffe, Irreführung, was auch immer nötig ist, um mit denen klarzukommen, die immer noch im 19. Jahrhundert leben, in dem jeder Staat für sich selber stand. Unter uns halten wir uns an das Gesetz, aber wenn wir im Dschungel operieren, müssen wir ebenfalls das Gesetz des Dschungels anwenden.

Schöne Aussichten

Wie geht es nun weiter mit der Europäischen Union? Leider nicht besonders erfreulich: Mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags am 1. Dezember 2009 ist die EU einen weiteren Schritt gegangen, sich als neoliberales und militaristisches Projekt festzuschreiben.
·    Neoliberal, weil in Artikel 10a der Grundsatz festgeschrieben wird: „die Integration aller Länder in die Weltwirtschaft zu fördern, unter anderem auch durch den schrittweisen Abbau internationaler Handelshemmnisse“ und in Artikel 98 eine neoliberale Wirtschaftsform festgelegt wird: „Die Mitgliedsstaaten und die Union handeln im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb.“
·    Militaristisch, weil der Vertrag den EU-Mitgliedsstaaten vorschreibt, ihre Militärausgaben zu erhöhen und festlegt, dass Truppen von EU-Mitgliedsstaaten für weltweite Militär- und Kampfeinsätze zur Verfügung stehen müssen. Außerdem werden dem Europäischen Parlament keinerlei Mitentscheidungsrechte in außen- und militärpolitischen Fragen eingeräumt und Militäreinsätze im Inneren der EU über die sogenannte „Solidaritätsklausel“ in Artikel 188 ermöglicht, die festhält, dass die Mitgliedsstaaten im Fall von terroristischen Bedrohungen und von Natur- oder von Menschen verursachten Katastrophen „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel“ mobilisieren.
Was bedeutet das alles für uns als Soli-Organisation? Eigentlich nicht so viel Neues: Wir sind weiterhin solidarisch mit sozialen Bewegungen in Zentralamerika und analysieren gleichzeitig die Verhältnisse, Strukturen und AkteurInnen – zu denen eben auch und in zunehmendem Maße die EU gehört –, die hier im globalen Norden für die weltweiten Ungerechtigkeiten verantwortlich sind, sie aufrechterhalten und verschärfen. Es geht darum, solidarisch zu denken und zu handeln, international Widerstand zu leisten und – wie die ZapatistInnen sagen – die Freiheit zu globalisieren.

 

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