Honduras

Länderbericht

Aktivitäten zu Honduras 2020

Der Kollaps des ausgeplünderten Gesundheitswesens durch die COVID- und Dengue-Pandemie, eine Wasser- und eine Hungerkrise, die Folgen zweier verheerender Tropenstürme und ein autokratisches Regime, das sich auf das im Zeichen des Ausnahmezustandes weiter erstarkende Militär stützt, kennzeichneten Honduras im Vor-Wahljahr 2020. Während Korruptionsskandale boomten und einige neue Anklagen in den USA gegen hohe honduranische Funktionäre wegen Drogenhandels kurzfristig für Schlagzeilen sorgten, bezahlten die verarmte Bevölkerung und widerständige soziale Bewegungen erneut einen hohen Preis.(1)

COVID, Eta, Iota und der Narcostaat –*die honduranische Tragödie 2020

„Es ist eine Tragödie, die wir hier in Honduras erleben. Wer nimmt denn endlich das Ausmaß des Skandals wahr, dem wir hier täglich ausgesetzt sind?“ Miriam Miranda, Koordinatorin der Organisation OFRANEH und seit über 30 Jahren Kämpferin für die Rechte und die Selbstbestimmung der afroindigenen Garifuna-Gemeinden in Honduras ist nicht bekannt für exzessives Jammern oder effekthascherische Rufe nach Unterstützung von außen. Es will schon etwas heißen, dass wir dieses Jahr in den zahlreichen Video-Seminaren und Konferenzen diese Sätze mehrfach von ihr gehört haben und oft in graue, erschöpfte Gesichter der Referent*innen blickten. Nein, niemand will wirklich wahrnehmen, was in Honduras (und nicht nur dort) passiert. Die „internationale Gemeinschaft“ setzt auf die üblichen Mechanismen: Hilfsgelder und Kredite, so genannte Entwicklungsprojekte, formal demokratische Wahlen.

„Hier erkranken die Leute an COVID, aber sie sterben an Korruption“(2)

Offiziellen Zahlen zufolge starben 2020 in Honduras etwas über 3.000 Menschen an oder mit einer COVID19-Infektion. Die wahren Zahlen werden auf mindestens das Doppelte geschätzt. Der Verband der Beerdigungsunternehmer*innen sprach am Jahresende von 7.400 registrierten COVID-Toten in dem Neun-Millionen-Einwohner*innen zählenden Land. Die NGO ACI Participa listete die Namen von 79 Ärzt*innen auf, die von Ende März bis Ende Oktober an COVID19 gestorben waren. Hinzu kommen mehrere hundert Krankenpfleger*innen und deren Familienangehörige.

Die Regierung Hernández hatte Mitte März den Ausnahmezustand ausgerufen, Grundrechte suspendiert und strenge, von Polizei und Militärpolizei kontrollierte Ausgangssperren verhängt. Die Folgen für die Menschen waren ebenso schwerwiegend wie die der Pandemie. Da zwei Drittel der honduranischen Erwerbstätigen im informellen Sektor arbeiten – mit anderen Worten: sich und ihre Angehörigen mit dem jeweiligen Tagesverdienst notdürftig über Wasser halten – waren die kargen Finanzreserven nach wenigen Tagen aufgebraucht und die Menschen verzweifelt.

Steigerung der Armutsrate um zehn Prozent erwartet

Bis Juli gab es 36.000 Festnahmen wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperren, Berichte über Demütigungen und Schläge im Polizeigewahrsam machten die Runde, Proteste wurden wie üblich mit Polizeigewalt und viel Tränengas niedergeschlagen. Zehntausende Schüler*innen waren von jeglichem Bildungsangebot ausgeschlossen, tausende Studierende mussten ihr Studium vorzeitig abbrechen. Expert*innen schätzen, dass die Armutsrate, die bisher bei etwa 60 Prozent lag, allein im Zusammenhang mit der COVID19-Pandemie um zehn Prozent steigen wird.(3)

Während Beschuldigte oder Angeklagte älterer Korruptionsfälle 2020 freikamen, wurde seit Beginn der Pandemie ein Skandal nach dem nächsten bekannt. Die meisten waren mit der staatlichen Gesellschaft Invest-H verbunden: Der Einkauf ungeeigneter Beatmungsgeräte, völlig überteuerter Schutzkleidung, ungeeigneter Schutzmasken für medizinisches Personal, 250.000 verdorbener COVID-Tests ... Für Furore sorgte vor allem die Akquise überteuerter mobiler Krankenhäuser, bei der u.a. staatliche Gelder vorab an einen dubiosen Mittelsmann in den USA bezahlt wurden, statt an die Lieferanten aus der Türkei.(4) Zwei der Hospitäler erwiesen sich zudem als alt, beschädigt und teilweise unbrauchbar. Ihre Ankunft und ihr Aufbau wurden streng abgeschirmt, Journalist*innen am Berichten gehindert, der Nationale Antikorruptionsrat zur Beobachtung einen Kilometer auf Distanz gehalten.(5)

Im August platzte der Bevölkerung der Kragen und auf den Straßen wurde der Protest unübersehbar. Besonders die in Riesenlettern auf Ausfallstraßen und an Bürgermeisterämter gemalte Parole „Donde está el dinero? Honduras lo exige“ (Wo ist das Geld? Honduras verlangt es) schaffte es in die internationalen Schlagzeilen. Bis Jahresende waren fünf der georderten sieben mobilen Hospitäler noch nicht im Einsatz.(6)

„Ein Land, in dem der Rechtsstaat nichts weiter als eine Fiktion ist“(7)

Das Mandat der 2016 eingerichteten Internationalen Unterstützungsmission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras (Misión de Apoyo Contra la Corrupción y la Impunidad de Honduras, MACCIH) endete im Januar; eine Verlängerung um vier Jahre kam für die honduranische Regierung unter Präsident Juan Orlando Hérnandez nicht in Frage. Die Mission hatte gemeinsam mit der honduranischen Sonderstaatsanwaltschaft UFECIG unter anderem ein weitverzweigtes Korruptionsnetz aufgedeckt, in das über 60 Abgeordnete, einschließlich des Kongresspräsidenten und potentiellen Anwärter auf das Amt des Staatspräsidenten, Mauricio Oliva, verwickelt waren.(8) Mit dem Ende der MACCIH und der folgenden Schwächung der Sonderstaatsanwaltschaft verfestigten die Mächtigen in Honduras das herrschende System der Straflosigkeit, demontierten die Reste einer unabhängigen Rechtsstaatlichkeit weiter und sicherten das reibungslose Funktionieren der Justiz zugunsten von Partikularinteressen, die oftmals eng mit dem organisierten Verbrechen verwoben sind.(9)

Am 22. Januar, drei Tage nach dem Ende der MACCIH, stellte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Honduras seinen Bericht "Wahlverbrechen in Honduras bleiben straffrei" vor, der anlässlich der Proteste gegen den Betrug bei den Präsidentschaftswahlen 2017 schwere Vorwürfe gegen den Staat wegen der exzessiven Anwendung von Gewalt erhob. Der Bericht bestätigte, dass mindestens 22 Demonstrant*innen, die bei der Teilnahme an Protesten von staatlichen Sicherheitskräften, überwiegend Mitglieder der Militärpolizei erschossen wurden und die Taten weitgehend straflos blieben.(10) Die Leiterin des UN-Büros, Maria Soledad Pazo, räumte bald darauf ihren Posten.(11)

Anklage gegen Ex-Polizeichef in New York

2020 erhob eine New Yorker Staatsanwaltschaft Anklage gegen mehrere ehemalige honduranische Politiker*innen und Staatsbedienstete: Der prominenteste Fall betraf den ehemaligen Polizeichef von Honduras, Juan Carlos "El Tigre" Bonilla wegen Verschwörung zum Drogenhandel, Mord und illegalem Waffenbesitz. Das könnte den honduranischen Präsidenten, Juan Orlando Hernández, weiter in Bedrängnis bringen. Im Oktober 2019 war bereits sein Bruder, Juan Antonio "Tony" Hernández, von einem New Yorker Gericht wegen jahrelanger Zusammenarbeit mit Drogenkartellen verurteilt worden. Auch der Präsident selbst, im Prozess als "Mitverschwörer 4" bezeichnet, habe mehrere Millionen US-Dollar Wahlkampfhilfe aus dem Drogentransport erhalten. Bonilla soll seine Position als hochrangiger Polizeioffizier genutzt haben, um Kokaintransporte durch Honduras Richtung Norden schützen zu lassen.

Bonillas Ernennung zum Chef der honduranischen Polizei im Jahr 2012 hatte für scharfe Kritik gesorgt, da ihm Beziehungen zu Todesschwadronen und "soziale Säuberungen" wie außergerichtliche Hinrichtungen von Bandenmitgliedern vorgeworfen wurden. Ein interner Bericht der damaligen Polizeikommissarin, Maria Luisa Borjas, hatte mehrere solcher Fälle ans Licht gebracht. Polizeichef Bonilla musste 2013 seinen Posten aufgeben, da er nach einem Auftragsmord an einem mit den Hernández-Brüdern rivalisierenden Drogenboss nicht mehr zu halten war. Bonilla wurde anschließend in diplomatischer Mission nach Kolumbien entsandt, wo er die dortigen Drogengeschäfte von "Tony" Hérnandez tatkräftig unterstützt haben soll. 2016 legte ihm der bis heute amtierende Sicherheitsminister General Pacheco nahe, in den Ruhestand zu gehen. Dem Minister werden ebenfalls Verbindungen zu Drogenkartellen nachgesagt.(12)

Bonilla stritt in einem TV-Interview alle Anschuldigungen ab und ist seither offenbar untergetaucht. Borjas, mittlerweile Abgeordnete der Oppositionspartei LIBRE, war 2020 vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofs wegen angeblicher Verleumdung des Unternehmers Camilo Atala verurteilt worden. Familienangehörige Atalas stehen unter Verdacht, unter anderem den Mord an Berta Cáceres in Auftrag gegeben oder zumindest billigend in Kauf genommen zu haben. Der ehemaligen Polizistin Borjas drohen nun bis zu vier Jahre Haft. Als Anfang Oktober eine COVID-Infektion bei ihr festgestellt wurde, verließ sie das Land.(13) Der oppositionelle Journalist David Romero Ellner, Leiter des TV-Senders Radio Globo, ebenfalls wegen Verleumdung verurteilt, hatte sich im Gefängnis mit COVID angesteckt und war im Juli 2020 daran gestorben.(14)

Neues Strafrecht: Mildere Strafen für Korruption

Trotz jahrelanger öffentlicher Proteste und legalen Manövern der Opposition im Kongress trat Ende Juni 2020 ein neues Strafgesetzbuch in Kraft. Einer der Hauptkritikpunkte ist die Milderung der Strafen für Korruptionsdelikte. Analyst*innen fürchten zudem, dass in Kombination mit neuen Regelungen des Strafprozessrechts Ermittlungen im Bereich Korruption und organisiertes Verbrechen weiter erschwert werden.(15)

Nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen birgt das neue Strafrecht außerdem das Risiko, dass die Meinungs- und Pressefreiheit weiter eingeschränkt und sozialer Protest in Zukunft noch leichter verfolgt, kriminalisiert und mit hohen Haftstrafen geahndet werden kann. Unter anderem werden Protestcamps als „Aneignung fremden Eigentums“ weiter kriminalisiert und mit Haftstrafen von zwei bis vier Jahren sanktioniert.(16)

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IAMRK) und das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) äußerten sich unter anderem besorgt über die Formulierung der "strafrechtlichen Verantwortung für durch die Medien begangene Verbrechen" und über die Beibehaltung von "Beleidigung" und "Verleumdung" als strafrechtlich relevante Delikte.

„Die Ordnung stören“ = Terrorismus

Die Ausübung des Rechts auf friedliche Demonstration sei durch das neue Strafrecht ebenso gefährdet wie die wirksame Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Beunruhigend seien auch die Definitionen der Straftatbestände der "unrechtmäßigen Versammlungen und Demonstrationen", "Störung der öffentlichen Ordnung" und der "Bildung einer terroristischen Vereinigung". Unter den Begriff des Terrorismus fällt nun die Vereinigung von zwei oder mehr Personen, die sich mit dem Ziel verbünden, „die Ordnung zu stören oder Terror in der Bevölkerung oder einem Teil der Bevölkerung zu verbreiten“. IAMRK und OHCHR stellten fest, dass dies zur Kriminalisierung einer Vielzahl von Verhaltensweisen führen könnte, die im Lichte der internationalen Rechtsprechung und der Menschenrechtsstandards nicht als „Terrorismus“ klassifiziert werden dürften.(17)

Causa Berta Cáceres: Ein Jahr der Verzögerungen

Dem Antrag ihrer Anwälte, zwei wegen des Mordes an Berta Cáceres verurteilte Mittelsmänner wegen der COVID-Epidemie freizulassen wurde nicht stattgegeben.(18) Die Nebenklage stellte im Mai 2020 einen Antrag, Ermittlungen gegen Daniel Atala Midence als einen der mutmaßlichen Auftraggeber des Mordes einzuleiten. Atala war Finanzchef des Unternehmens Desarollos Energéticos SA (Desa), welches das Wasserkraftwerk „Agua Zarca“ bauen wollte. Berta Cáceres hatte sich gemeinsam mit der Organisation COPINH und betroffenen Gemeinden dagegen gewehrt. Vor ihr waren bereits lokale, weniger bekannte Gegner*innen des Projektes ermordet wurden. Im August 2020 wurde der Prozess gegen den 2018 verhafteten ehemaligen Geschäftsführer der Desa, David Roberto Castillo Mejía eröffnet – trotz Protesten unter Ausschluss der Öffentlichkeit inclusive der Familienangehörigen von Berta und von Mitgliedern des COPINH und aus betroffenen indigenen Lenca-Gemeinden. Castillo gilt der honduranischen Justiz bisher als einziger Auftraggeber des Mordes. Die Beweislage gegen ihn vor allem durch Chatprotokolle aus beschlagnahmten Mobiltelefonen ist erdrückend.(19)

Das Jahr war deshalb geprägt von einer groß angelegten Social Media-Kampagne für den Angeklagten und den Bemühungen seiner Anwälte, einen Teil dieser Beweise als von einer Sachverständigen „manipuliert“ und damit nichtig erklären zu lassen. Als dies nicht gelang, verlegten sie sich – erfolgreich – darauf, den Beginn der Beweisaufnahme bis zum Jahresende (und darüber hinaus) unter anderem mit immer neuen Befangenheitsanträgen zu verzögern. Anwalt Victor Fernández kommentierte zum achten Abbruch der Verhandlung im November 2020, es sei völlig legitim, einen Mandanten gut zu verteidigen und dafür auch Rechtsmittel und Zeit in Anspruch zu nehmen, irgendwann sei aber diese Möglichkeit überzogen und es beginne eine Phase des Missbrauchs des Rechtes auf einen fairen Prozess.(20)

Ein zweiter Strafprozess in der Causa Berta Cáceres, der von der MACCIH und UFECIC vorermittelte Fall "Betrug am Gualcarque", betrifft 16 staatliche Funktionäre, denen Korruption bei der Genehmigung des Wasserkraftprojekts „Agua Zarca“ am Fluss Gualcarque, vorgeworfen wird. Am 17. Dezember erließ das Verfassungsgericht eine Verfügung, dass zehn der 16 Angeklagten sich nicht vor Gericht verantworten müssen. Der von Berta mitgegründeten und geleiteten Organisation COPINH und der Gemeinde Rio Blanco wird weiter das Recht verweigert, Nebenkläger in diesem Fall zu sein.(21)

Tropenstürme: „Sólo el pueblo salva al pueblo“

Im November attackierten der Hurrikan Eta und der Tropensturm Iota große Teile des Landes. Vor Eta und den begleitenden heftigen Regenfällen war eine Woche lang gewarnt worden, ohne dass die Regierung ausreichend Vorsorge getroffen hätte, rechtzeitig bedrohte Siedlungen zu evakuieren. Als Eta dann im Norden des Landes auf Land getroffen war, traten die Flüsse mit extremen Überschwemmungen über die Ufer, Brücken und Straßen wurden weggerissen, zahlreiche Menschen erst gerettet, als ihnen das Wasser schon buchstäblich bis zum Hals stand. In den ersten Tagen erreichten uns Berichte, dass Militär und Polizei Hilfseinsätze von Solidaritätsgruppen und NGOs behinderten. Besonders betroffen waren das Sula-Tal und Teile des Departements Progreso. Mediziner*innen kritisierten die fehlenden COVID-Schutzmaßnahmen in den Notherbergen, wo es an Abstand, Masken, Essen, Kleidung, schlicht an allem fehlte. Der Bevölkerung fehlte und fehlt weiterhin auch das Vertrauen in einen sinnvollen und gerechten Umgang der zugesagten Hilfsgelder. Während z.B. die Zentralamerikanische Bank für Wirtschaftsintegration BCIE 500 Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern zusagte, verbreitete sich zum Slogan des Jahres: „Donde está el dinero?“ – Wo ist das Geld? ein zweiter: „Sólo el pueblo salva al pueblo.“ – Nur die Bevölkerung rettet die Bevölkerung.(22)

Eine Woche nach Eta traf Iota in Honduras auf Land und führte zu Überschwemmungen und Erdrutschen auch in den westlichen Landesteilen. Weit über eine halbe Million Menschen hatte inzwischen ihre Behausungen verlassen müssen, etwa 90.000 befanden sich noch im Dezember entweder in Notunterkünften oder unter Plastikplanen am Rand großer Straßen. Während die einen alles verloren geben mussten, weil ihre Siedlungen komplett zerstört worden waren, begannen die anderen, Schlamm und Unrat aus Straßen und Häusern zu schaufeln. Und die Rufe, nach Untersuchungen gegen den Chef des Katastrophenschutzes und Staatschef Hernández wurden lauter. Etwa viereinhalb Millionen Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, waren und sind von den Folgen der Stürme und heftigen Regenfälle betroffen. Mindestens 99 Menschen ertranken in den Fluten oder starben unter Erdrutschen. Etwa 26.000 Häuser wurden zerstört, 58 Brücken und 87 große Ortsverbindungsstraßen unbrauchbar oder schwer beschädigt. 80 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion wurde vernichtet. Das wirtschaftliche Zentrum des Landes, das Sula-Tal im Norden, stand nun vollständig unter Wasser. Die wirtschaftlichen Verluste werden auf umgerechnet zehn Milliarden US-Dollar geschätzt. Die Zivilgesellschaft forderte eine Expert*innen-Kommission für den Wiederaufbau, Präsident Hernández stellte jedoch sein eigenes Gremium zusammen und begann internationale Hilfsgelder und Darlehen einzusammeln, die ihm bzw. seinen Partei-Kolleg*innen für soziale Programme und Investitionsprogramme im Wahljahr 2021 zur Verfügung stehen.(23)

Räumung „aus Umweltschutzgründen“

Eine selbstorganisierte Hüttensiedlung von Autowäscher*innen am Stadtrand der Großstadt San Pedro Sula hatte viele Hurrikanopfer aufgenommen: Der Bürgermeister der Stadt ließ sie am 1. Dezember gewaltsam räumen – „aus Umweltschutzgründen.“ Sicherheitskräfte erschossen bei der Räumung einen jungen Mann, Rafael Flores Hernández. Während Anfang Dezember eine Kaltfront mit neuen Regenfällen über das Land zog, harrten noch über 2000 Menschen zwischen der Ortschaft La Lima und der Großstadt San Pedro Sula am Rand eines mehrspurigen Boulevards unter Plastikplanen und notdürftig zusammengezimmerten Brettern aus.(24) Der Boden für die nächste Karawane tausender verzweifelter Menschen, die nur noch aus Honduras wegwollten, war bereitet.

NQH2O – Wasser an der Börse

„Dieser Montag, der 7. Dezember 2020, wird sich ins Gedächtnis der Menschheit einprägen. Wasser, die unentbehrliche Flüssigkeit für das Leben auf dem Planeten Erde, wurde an diesem Tag in die Angebots- und Nachfrageströme des Finanzmarktes einbezogen. So wie Weizen, Mais, Sojabohnen, Erdöl und Gold auf dem Futures-Markt gehandelt werden, wird künftig das Schwanken des Nasdaq Veles California Water Index mit dem Tickersymbol NQH2O an der New Yorker Börse seine Knappheit als Ware (Commodity) widerspiegeln.“(25)

In Honduras nutzte die Regierung den bis zum Jahresende verlängerten Notstand wegen der Folgen von Eta und Iota, um Ende Dezember 14 neue Wasserkraftprojekte ohne weitere Prüfung per Dekret als Maßnahme zum „Hochwassermanagement“ durchzusetzen und gleichzeitig im Handstreich deren Privatisierung zu verfügen. Auftragsvergabe und Abwicklung wird in den Händen privater Banken liegen.(26)

Mord an indigenem LIBRE-Kandidaten

Ein Mordkommando aus vier Männern in tarnfarbenen Hosen. Sturmhauben und teils auch Militärstiefeln, erschoss am Abend des 26. Dezember den honduranischen Gewerkschafter und indigenen Lenca-Umweltaktivisten Félix Vásquez in dem Dorf El Ocotal (Departement La Paz) in seinem Haus, vor den Augen seiner Familienangehörigen. Vásquez, der bei den Vorwahlen im März 2021 für die Gruppierung Somos Más der linksliberalen Partei LIBRE kandidieren wollte, war in den Monaten davor offenbar mehrfach bedroht worden. Viele Honduraner*innen fühlten sich an den Mord an Berta Cáceres 2016 erinnert, Kommentator*innen werteten den Mord als düsteres Vorzeichen für das Wahljahr 2021.(27)

(1) Javier Suazo: Honduras. país de pandemias. https://www.alainet.org/es/articulo/205417
(2) Zitiert nach Karla Lara: https://www.oeku-buero.de/perspectivas-diversas/articles/25-juni-2020-widerstand-in-covid19-zeiten-online-gespr%C3%A4ch-und-musik-mit-der-honduranischen-musikerin-und-aktivistin-karla-lara.html
(3) Daten aus: ACI Participa (2020) Honduras: Corrupción, muerte y destrucción. Informe situacional de defensoras y defensores de los derechos humanos 2020. https://share.mayfirst.org/s/aWZqnWko7f9mWJR
(4) https://www.agenciaocote.com/blog/2020/10/23/el-empresario-detras-de-la-venta-de-hospitales-moviles-sobrevalorados-a-honduras/
https://contracorriente.red/2020/06/22/compra-de-hospitales-moviles-fue-una-estafa-las-irregularidades-de-invest-h-continuan/
(5) https://cespad.org.hn/2020/07/17/cronologia-la-corrupcion-detras-de-la-compra-de-los-hospitales-moviles/
(6) https://www.dw.com/es/honduras-protesta-en-plena-pandemia-d%C3%B3nde-est%C3%A1-el-dinero/a-54547766
https://www.swissinfo.ch/spa/coronavirus-honduras_coronavirus-sigue-al-alza-en-honduras-y-hospitales-adquiridos-no-funcionan/46281488
(7) ACI Participa 2020 a.a.O.
(8) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-wirft-mission-gegen-korruption-aus-dem-land.html
https://lateinamerika-anders.org/wp-content/uploads/2020/03/lateinamerika-anders-01-2020.pdf ; S. 20f.
(9) http://cespad.org.hn/2020/12/16/desde-los-principales-organos-del-estado-el-desmontaje-de-la-agenda-anti-corrupcion-heredada-por-la-maccih/
http://cespad.org.hn/2020/11/26/redes-de-corrupcion-y-la-lucha-anticorrupcion-notas-para-un-balance-tras-mas-de-10-meses-de-la-salida-de-la-maccih/
(10) Responsabilidad por las violaciones a los Derechos Humanos cometidas en el contexto de las elecciones de 2017 en Honduras: avances y desafíos.
http://oacnudh.hn/wp-content/uploads/2020/01/INFORME-TEM%C3%81TICO-2017-Enero-2020.pdf
(11) ACI Participa 2020 a.a.O.
(12) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-pr%C3%A4sident-hern%C3%A1ndez-nach-us-anklage-gegen-ex-polizeichef-unter-druck.html
(13) https://elpulso.hn/?p=48704
(14) https://cpj.org/2020/07/honduran-journalist-david-romero-dies-after-contracting-covid-19-in-jail/
(15) https://es.insightcrime.org/noticias/analisis/codigo-penal-criminales-honduras/
(16) https://radioprogresohn.net/np/un-codigo-penal-que-criminaliza-los-campamentos-por-la-dignidad/
(17) Leicht gekürzter Auszug aus dem Dossier „Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen“ https://www.rt-za.de/wp-content/uploads/2021/01/RT-ZA_Dossier_Kriminalisierung_MenschenrechtsverteidigerInnen_-In-ZA_WEB_2021.pdf Vgl.auch https://contracorriente.red/2020/05/24/juez-guillermo-lopez-lone-es-un-codigo-penal-con-destinatarios-ya-establecidos/
(18) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/m%C3%B6rder-von-berta-c%C3%A1ceres-in-honduras-bald-frei.html
(19) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-kommt-bewegung-in-den-prozess-im-mordfall-berta-c%C3%A1ceres.html
(20) Eigene Aufzeichung; vgl. auch https://jubileosuramericas.net/causa-berta-caceres-observaciones-preliminares-audiencia-proposicion-de-pruebas-de-david-castillo/
(21) https://copinh.org/2020/12/el-copinh-se-pronuncia-ante-la-resolucion-sobre-el-caso-fraude-sobre-el-gualcarque/
(22) Besser als alle Zahlen und Statistiken beschrieb die Kolumne von Melissa Cardoza die Situation und Stimmung im Land:
https://radioprogresohn.net/melissa-cardoza-columnista/quienes-bajan-de-las-lanchas/
(23) Kompilation aus Daten in: https://honduras-forum.ch/wordpress/wp-content/uploads/2021/01/2012_AnotherMonthInHonduras.pdf und https://honduras-forum.ch/wordpress/wp-content/uploads/2020/12/2011_AnotherMonthInHonduras.pdf
(24) https://radioprogresohn.net/instante/demandan-que-ministerio-publico-actue-de-oficio-en-asesinato-de-lavador-de-carros/
(25) Zitiert nach https://avispa.org/inicia-especulacion-financiera-del-agua-en-wall-street/ Übersetzung Ökubüro
(26) https://radioprogresohn.net/portada/gobierno-aprovecha-emergencia-para-entregar-construccion-de-represas-a-empresa-privada/
(27) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/indigener-gewerkschafter-in-honduras-von-mordkommando-erschossen.html

Aktivitäten zu Honduras

Kooperation mit der Garífuna-Organisation OFRANEH

Die Organisation OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña – Geschwisterliche Schwarze Honduranische Organisation) vertritt über 40 afroindigene Garífuna-Gemeinden im Norden von Honduras. 2020 konnten wir unsere seit Jahren bestehende Verbindung weiter stärken und ausbauen.

Gewaltsames Verschwindenlassen in der Gemeinde Triunfo de la Cruz

Es war einer jener Tage, die ein Vorher und ein Nachher markieren. Nichts ist in der Gemeinde Triunfo de la Cruz an der honduranischen Atlantikküste seit dem 18. Juli 2020 so wie zuvor. Am frühen Morgen, es herrschte noch COVID-bedingte Sperrstunde, nur Polizei und Militär sind davon ausgenommen, kamen schwerbewaffnete Männer auf Pick-Ups in die Gemeinde: Sie trugen Sturmhauben und Westen der staatlichen Ermittlungspolizei DPI. Die Männer suchten offenbar gezielt nach Führungspersonen der Gemeinde und dringen gewaltsam in deren Häuser ein. Vor den Augen entsetzter Familienmitglieder und herbeigeeilter Gemeindebewohner*innen führten sie den erst 28-jährigen Gemeinderatsvorsitzenden und OFRANEH-Aktivisten Alberth Sneider Centeno sowie Milton Joel Martínez Álvarez, Suami Aparicio Mejía García, beide ebenfalls Mitglieder des Komitees für Landrechte, den Fischer Gerardo Misael Trochez Calix und einen Besucher der Gemeinde, Junior Rafael Juárez Mejía, in Handschellen ab. Sie zwangen die fünf Männer auf ihre Fahrzeuge und rasten mit ihnen davon. Seither sind die gewaltsam Verschleppten nicht wiederaufgetaucht. Die zu Hilfe gerufene Polizei aus der nahegelegenen Stadt Tela erschien nicht, stattdessen einige Stunden später erneut die Ermittlungspolizei DPI gemeinsam mit dem Militär. Seither fehlt von den Verschleppten jede Spur.

Die Bewohner*innen von Triunfo de la Cruz und weitere Garífuna-Gemeinden protestierten mit Kundgebungen und Straßensperren. Weltweit verbreitet sich der solidarische Ruf „Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück“. Das honduranische Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte klassifizierte die Entführung als gewaltsames Verschwindenlassen – ein Staatsverbrechen, das nicht verjährt. Der interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte und der Ausschuss gegen das Verschwindenlassen der Vereinten Nationen (CED) forderten den honduranischen Staat auf, nach den Verschleppten zu suchen, Täter*innen und Auftraggeber*innen zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen. Der honduranische Staat leugnete jedoch jegliche Beteiligung an dem Verbrechen und teilte, so OFRANEH, das ganze Jahr 2020 über nichts Substantielles zu seinen Ermittlungen mit, in welche die DPI offenbar eingebunden ist. Die offiziellen Medien versuchten sehr rasch eine Beziehung der Entführten zur Drogenmafia zu konstruieren und befeuerten damit eine Diffamierungskampagne gegen die Entführten und ihre Familien in den sozialen Medien. In Triunfo de la Cruz droht sich Angst auszubreiten wie ein lähmendes Gift: Es gibt Dutzende von Augenzeug*innen des Verbrechens. Auf welchen Schutz können sie vertrauen?

Vor dem gewaltsamen Verschwindenlassen hatte Sneider Centeno mehrfach Drohungen erhalten: Die zuständigen Behörden in Tela hatten sich geweigert, seine Anzeige aufzunehmen. Der Vater von vier kleinen Kindern fuhr deshalb in Begleitung von Miriam Miranda in die Hauptstadt Tegucigalpa und zeigte die Drohungen dort an. Sneider und seine Kolleg*innen vom Komitee für Landrechte setzten sich für den Erhalt der Mangrovenwälder an der Küste und gegen Landraub zugunsten von Tourismusprojekten und Ölpalmanbau ein. Ein Hauptziel von Sneiders Arbeit als Gemeinderatsvorsitzender war die Umsetzung eines Urteils des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2015: In dem Urteil wird der Staat zur Rückgabe von Garífuna-Gemeindeland und Reparationen für die Gemeinden Triunfo de la Cruz und Punta Piedra verpflichtet. Seither drängen die Gemeinden und OFRANEH vergeblich auf die Umsetzung des Urteils.

Im Juni 2020 wurde der Gemeinderatsvorsitzende von Punta Piedra, Antonio Bernardéz ermordet. Er war 2015 als Zeuge vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte geladen und hatte über Fälle von Landraub und die Verletzung der territorialen Rechte seiner Gemeinde ausgesagt. Allein in den Jahren 2019 und 2020 wurden 40 Mitglieder von OFRANEH ermordet, hunderte Garífuna verließen ihre Gemeinden in den Karawanen, die sich in Richtung USA auf den Weg machten.(1) Die Entvölkerung ganzer Dörfer an der Küste ist auch deswegen eine große Gefahr für das Fortbestehen der Garífuna in Honduras, weil große Teile ihrer Territorien als mögliche „Sonderzonen für Beschäftigung und Entwicklung“ (Charter Cities, Start Up Cities) ausgewiesen sind: Unterhalb einer bestimmten Bevölkerungsdichte können ihre Territorien umstandslos vom Staat an private Investor*innen verkauft, aus dem Geltungsbereich honduranischen Rechtes ausgegliedert und vollständig privatisiert werden (siehe Kapitel ZEDE in diesem Jahresbericht).

Advocacy, Eilaktion, Berichte

Während der oft als entscheidend angesehenen ersten 48 Stunden nach dem Verbrechen an Sneider Centeno und seinen Gefährten informierten wir Bundestagsabgeordnete und baten sie, unverzüglich ihre Besorgnis zu äußern und in Honduras nach dem Verbleib der Verschwundengelassenen zu fragen. Danach verfassten wir eine Eilaktion, die freundlicherweise von der Christlichen Initiative Romero in Münster technisch betreut und weiterverbreitet wurde.(2) Mit Solidaritätsfotos und kurzem Video beteiligten wir uns an internationalen Kampagnen, auch unter dem Motto #GarifunaLivesMatter, in denen wir mit OFRANEH, den Angehörigen und Tausenden von Unterstützer*innen weltweit forderten „Lebend habt ihr sie verschleppt, lebend wollen wir sie zurück!“

Am 30. August, dem Internationalen Tag gegen gewaltsames Verschwindenlassen, machten wir mit einer Pressemitteilung erneut auf den Fall aufmerksam und solidarisierten uns mit den Forderungen von OFRANEH:

https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/30-august-internationaler-tag-der-opfer-des-verschwindenlassens.html
Zudem berichteten wir kontinuierlich entweder selbst oder veröffentlichten Berichte aus unserem Netzwerk HondurasDelegation auf unserer website:
https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-staat-schweigt-weiter-%C3%BCber-verbleib-der-entf%C3%BChrten-gar%C3%ADfuna.html
https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/keine-spur-der-entf%C3%BChrten-menschenrechtsverteidiger-in-honduras.html
https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/kriminelle-strukturen-im-dienste-des-staates-und-das-gewaltsame-verschwindenlassen-von-gar%C3%ADfuna-in-honduras.html
https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-gewaltsames-verschwindenlassen-von-gar%C3%ADfuna.html

Kooperation mit OFRANEH Europa

Wir freuen uns sehr, dass sich im zweiten Halbjahr eine kleine Gruppe von OFRANEH-Mitgliedern, die in europäischen Ländern leben, konsolidiert hat und die honduranische Mutterorganisation von hier aus unterstützt. Wir durften mit OFRANEH Europa Erfahrungen austauschen, Kontakte knüpfen und einige interne Gespräche auch im internationalen Rahmen hosten und begleiten. Wir sind sehr dankbar für das Vertrauen und hoffen, dass wir diese nicht unbedingt immer öffentlich sichtbare, aber sehr produktive Zusammenarbeit 2021 fortsetzen können. Die Täter*innen müssen zur Rechenschaft gezogen werden, die Angehörigen von Sneider und seinen Mitstreiter*innen, die Gemeinde Triunfo de la Cruz und OFRANEH müssen die Wahrheit erfahren und sie brauchen Garantien, dass eine solche Tat sich nicht wiederholen kann.

Statt Solidaritätsreise: Online-Veranstaltungen

Wegen der Corona-Pandemie konnte unsere für August 2021 geplante Solidaritätsreise in die neu gegründete Garífuna-Gemeinde Vallecito nicht stattfinden. Auch das erste von drei geplanten Vorbereitungsseminaren mussten wir im März buchstäblich in letzter Minute absagen. Wir orientierten uns um und boten gemeinsam mit unserem Netzwerk HondurasDelegation über das Jahr eine Serie digitaler Veranstaltungen zu Honduras mit Schwerpunkt auf der Geschichte und aktuellen Situation der Garífuna-Gemeinden an:

28. April 2020 – Honduras: Soziale Bewegungen zwischen Drogenstaat, Militär und Korruption
https://www.oeku-buero.de/details/honduras-soziale-bewegungen-zwischen-drogenstaat-milit%C3%A4r-und-korruption.html

22.Mai 2020 – Verteidigung der Gemeingüter: Indigene Gemeinden und ihre widerständige Selbstorganisation
https://www.oeku-buero.de/details/verteidigung-der-gemeing%C3%BCter-indigene-gemeinden-und-ihre-widerst%C3%A4ndige-selbstorganisation.html

16. Juni 2020 – Vallecito. Ort des Kampfes und der Hoffnung
https://www.oeku-buero.de/details/vallecito-ort-des-kampfes-und-der-hoffnung.html

30. Oktober – 1. November 2020 Wochenendseminar: Globales Klima, lokale Kämpfe
(Beteiligung mit einem Vortrag und Moderation) https://www.oeku-buero.de/details/globales-klima-lokale-k%C3%A4mpfe.html

ZEDE Próspera: Modellstadt für private Investor*innen

Sonderentwicklungszonen, Charter-Cities, private Modellstädte: Seit Jahren hatten wir das Ende 2012 durch den Austausch von Verfassungsrichter*innen in einer Art Soft-Coup für Honduras ermöglichte libertäre Projekt mit Argusaugen verfolgt. Der Blick ging vor allem nach Süden, wo lange Zeit über eine Sonderzone für Beschäftigung und Ökonomische Entwicklung „Zona Especial de Empleo y Desarrollo Económico“ (ZEDE) im Golf von Fonseca spekuliert wurde. Dann war im Mai 2020 die erste von über einem Dutzend bisher für Honduras geplanten ZEDE plötzlich da – an anderer Stelle als gedacht: Während der COVID-Pandemie wurde der Start von ZEDE Próspera auf der Karibikinsel Roatán bekannt gegeben. Dort werden nun die ersten Häuser der weltweit ersten extraterritorialen Modellstadt für private Investor*innen mit eigener Gesetzgebung und eigener Rechtsprechung gebaut. Einer der Ideengeber und Investoren für das Projekt ist der deutsche Unternehmer Titus Gebel, u.a. Gründer der Deutsche Rohstoff AG. Auf seiner Website https://www.freeprivatecities.com/de schreibt er, dass Freiheit auf demokratischem Weg nicht zu erreichen sei und preist freie Privatstädte als „neues Produkt auf dem ‚Markt des Zusammenlebens‘“ an.

Beteiligung der TUM International GmbH

Ein Tochterunternehmen der Technischen Universität München, die TUM International GmbH, entwickelt nach eigener Aussage die wirtschaftlichen Aktivitäten der ZEDE Próspera auf Roatán. Sie will zudem einen als Ableger von Próspera geplanten Industriestandort in der Küstenstadt La Ceiba verwalten.(3) Weitere internationale Unternehmen wie das Architekturbüro Zaha Hadid aus London und die Unternehmensberatung EY sind ebenfalls an der Entwicklung von Próspera beteiligt.(4)

Honduras hat zugunsten der Errichtung privater Modellstädte auf verfassungswidrige Weise mehrere Artikel seiner Verfassung als demokratische Republik geändert. Die Pläne für die ZEDE Próspera werden zudem ohne die vorherige Information und Beteiligung der lokalen Bevölkerung umgesetzt, die Enteignung und Vertreibung befürchtet. Auf Roatán ist das vor allem auch die seit Jahrhunderten dort lebende englischsprachige Schwarze Bevölkerung der Gemeinde Crawfish Rock. An der honduranischen Karibikküste steht die Existenz zahlreicher afroindigener Garífuna-Gemeinden auf dem Spiel. Sie wehren sich seit Jahren gegen die Landnahme für Großprojekte, die sich durch die ZEDE noch weiter zu verschärfen droht.

Arbeitskreis ZEDE gegründet

Wir knüpften im zweiten Halbjahr 2020 Kontakte auf die Insel Roatán, recherchierten, besuchten digitale Foren mit Betroffenen, Mitgliedern des Runden Tisches zur Verteidigung der Territorien der Islas de Bahía, Jurist*innen und Entscheidungsträger*innen und führten mehrere Gespräche mit Gemeindevertreter*innen. Wir stellten das Thema und die ersten Ansätze des sich formierenden Widerstandes bei einem öffentlichen Plenum des Ökubüros vor und gründeten gemeinsam mit unserem Netzwerk HondurasDelegation den überregionalen Arbeitskreis ZEDE. Mit zwölf Teilnehmenden aus München, Berlin, Heidelberg und Mexiko konnte der AK ZEDE seine Arbeit im zweiten Halbjahr konsolidieren und wird sie 2021 weiterführen.

BUKO-Seminar im November

Im November 2020 organisierten wir ein digitales Halbtagesseminar (als Veranstaltung der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung) zu den bisher in der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannten rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen der honduranischen ZEDE. Wir informierten über die Situation auf Roatán, wo sich derzeit breiter Widerstand gegen die ZEDE Próspera formiert und blickten auf die Kämpfe der organisierten Garífuna-Gemeinden an der Karibikküste. Als Referent*innen konnten wir Beth Geglia, (Anthropologin, Washington DC), Andrea Nuila (Juristin, Heidelberg), Miriam Miranda, (Generalkoordinatorin der Garífuna-Organisation OFRANEH, La Ceiba) und Venessa Cardenas (Vize-Präsidentin des Gemeinderates von Crawfish Rock, Roatán) gewinnen. Im Kontext des Seminars, an dem u.a. sechs Journalist*innen teilnahmen, entstanden mehrere Veröffentlichungen. Wir erstellten eine ausführliche Seminardokumentation für unsere Website: https://www.oeku-buero.de/charter-cities-zede.html

Kriminalisierung von Umweltaktivist*innen:
Der Fall Guapinol

Anfang 2020 waren in Honduras Konzessionen für 371 Bergbau- und 120 Wasserkraftprojekte bekannt, berichtete der Koordinator des Gemeindekomitees zum Schutz der öffentlichen Güter aus Tocoa, Juan López, anlässlich der Gründung einer landesweiten Allianz von 18 Organisationen zur Verteidigung des Zugangs zu sauberem Wasser. Ein großer Teil dieser Konzessionen kam illegal oder unter zumindest fragwürdigen Bedingungen zustande, viele bedrohen die Lebensgrundlagen der betroffenen Bevölkerung.(5)

Emblematisch für den Kampf der Gemeinden um ihr Trinkwasser standen 2020 weiterhin die Aktivist*innen aus Guapinol und Sector San Pedro und weiteren kleineren Dörfern im Bezirk Tocoa. Dort wurden nach einer umstrittenen Abstimmung im Kongress zwei Konzessionen für Eisenerztagebauprojekte im Nationalpark Montaña de Botaderos – Carlos Escaleras vergeben. Sie gehören inzwischen dem Unternehmen Los Pinares des mächtigen Unternehmerpaares Lenir Pérez und Ana Facussé. Während diese von „verantwortlichem Bergbau“ sprechen, sind die Gegner*innen der Auffassung, dass die Tagebaue inmitten der Kernzone eines Naturschutzgebietes eine Gefahr für das Wassereinzugsgebiet der Flüsse Guapinol und San Pedro darstellen. Betroffene Gemeindebewohner*innen, die ihr Trinkwasser aus diesen Flüssen beziehen, versuchten deshalb seit 2015 juristisch gegen die Genehmigungen vorzugehen. Als das nicht fruchtete, errichteten sie ein Protestcamp an der Zufahrtsstraße. Im September 2018 erschoss ein Wachmann des Unternehmens Los Pinares dort einen jungen Mann vor den Augen dutzender Zeug*innen. Protestierende ließen den Chef der Sicherheitsfirma bis zum Eintreffen der Polizei nicht gehen. Gegen den Wachmann wurde offenbar nicht einmal ermittelt, 30 Gemeindemitglieder wurden jedoch wegen „Freiheitsberaubung“ und wegen des angeblichen Inbrandsetzens eines Fahrzeugs und eines Baucontainers angezeigt. Nachdem Anfang 2019 das Verfahren gegen einen Teil der Gruppe wegen Mangels an Beweisen eingestellt wurde, stellten sich weitere sieben Mitglieder des Protestcamps einige Monate später freiwillig der Justiz. Für sie hatte das erhebliche Folgen: Seit dem 1. September 2019 sitzen sie nun in Untersuchungshaft. Ein weiterer Aktivist, der 66-jährige Jeremías Martínez ist sogar schon seit Dezember 2018 im Gefängnis. Ihn haben ironischerweise die Polizisten festgenommen, die ihm zum Schutz_wegen seiner Gefährdung als Menschenrechtsverteidiger zugeteilt worden waren.

Das Center for Justice and International Law (CEJIL) veröffentlichte Ende Februar 2020 ein Rechtsgutachten, in dem es heißt, dass im Fall der acht Inhaftierten aus Guapinol Garantien eines rechtsstaatlichen Verfahrens verletzt wurden und die Untersuchungshaft willkürlich sowie ohne ausreichende Begründung verhängt wurde. Sie stütze sich unter anderem auf telefonisch geäußerte Anschuldigungen, die niemals vor Ort überprüft worden seien. CEJIL und zahlreiche weitere Organisationen fordern die sofortige Freilassung der Gefangenen. Der Fall Guapinol gilt inzwischen international als Präzedenzfall für den unrechtmäßigen Einsatz von Untersuchungshaft, um Menschenrechtsverteidiger*innen und Umweltaktivist*innen in Honduras mundtot zu machen: https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/eu-parlamentarierinnen-fordern-die-freilassung-der-guapinol-aktivistinnen.html

Das gesamte Jahr 2020 war geprägt von der Sorge um die Gesundheit der Inhaftierten, die seit März ihre Angehörigen nicht mehr sehen konnten, später dann erkrankten und teilweise deutliche COVID-Symptome aufwiesen(6) und vom monatelangen juristischen Tauziehen des mehrköpfigen Anwaltsteams um ihre Freilassung.

Erbittert stellten die Mitglieder des Gemeindekomitees fest, dass die Strategie von Unternehmen und Staatsanwaltschaft aufzugehen drohte, Kraft und Ressourcen im Abwehrkampf gegen die Kriminalisierung zu verschleißen. Sie ließen dennoch nicht locker: Vom Wasser der Flüsse, die im Nationalpark entspringen, hängen mehrere tausend Menschen ab. Sie fließen auf einer relativ kurzen Strecke über eine große Höhe hinweg rasch in Richtung Atlantik. Deswegen ist die Möglichkeit, Sedimente und Verunreinigungen auf dem Weg abzubauen viel geringer als andernorts.

Am 13. Oktober 2020 wurde Arnold Joaquin Morazan, ein Bewohner von Guapinol, der vor allem in der Anfangsphase der Proteste sehr aktiv gewesen war, vor seinem Haus in der Gemeinde Guapinol von Unbekannten erschossen.Der Mord geschah einen Tag nachdem die Nominierung der acht Inhaftierten für den Sacharow-Menschenrechtspreis des EU-Parlamentes bekannt gegeben worden war.

Der Mord ereignete sich in einer Situation, die geprägt war von Diffamierungskampagnen und Einschüchterung gegen die Gegner*innen der Eisenerztagebaue und der mittlerweile in Bau befindlichen Pelletieranlage des Unternehmens Inversiones Ecotek (Haupteigentümer Lenir Perez und Ana Facussé) am Ortsrand von Guapinol, ganz in der Nähe des gleichnamigen Flusses. Militär und Polizei rückten immer wieder in die Gemeinde ein, Familienangehörige der inhaftierten Menschenrechtsverteidiger aus Guapinol berichteten in Gesprächen mit solidarischen Organisationen zudem, dass eine Gruppe Bewaffneter sich im Ort etabliere und immer wieder drohend ihre Macht zur Schau stelle. Diesen Kräften wird nachgesagt, dass sie enge Beziehungen zu den Unternehmen Inversiones Los Pinares und Inversiones Ecotek unterhalten.

Kurz vor Weihnachten 2020 lehnte die Richterin Zoe Guifarro vom Amtsgericht in Tocoa einen erneuten Antrag auf Haftentlassung gegen Kaution ab und entschied, dass die acht Inhaftierten aus Guapinol auch nach 15 Monaten bzw. zwei Jahren weiter in U-Haft bleiben müssen. Familienangehörige und Mitglieder des Komitees zur Verteidigung der Gemeingüter im Bezirk Tocoa äußerten sich traurig, enttäuscht und empört. Komitee-Mitglied Juana Esquivel sprach von einer völlig "verrotteten Justiz" und einem "Foltersystem".

Die Verhandlung wurde von großer internationaler Aufmerksamkeit begleitet: 39 EU-Abgeordnete hatten sich für die Freilassung der acht Männer sowie einen rechtsstaatlichen Prozess eingesetzt, über 200 Organisationen aus aller Welt unterschrieben einen offenen Brief an die honduranische Justiz. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hatte Prozessbeobachter*innen vor Ort, mehrere Botschaften, darunter die der USA, Kanadas, Deutschlands und der EU-Delegation hatten angekündigt, den Prozess zu beobachten. Virtuell war dies jedoch nicht möglich, da keine Live-Übertragung eingerichtet wurde.

Das Gerichtsgebäude selbst war von Polizei und Spezialkräften des Militärs umstellt, Angehörige und Unterstützer*innen der Untersuchungshäftlinge wurden von der öffentlichen Verhandlung ausgesperrt.

Stahl für den globalen Norden – Knast für den globalen Süden

Im Oktober organisierten wir eine Online-Veranstaltung mit Juana Esquivel (Stiftung San Alonso Rodríguez und Gemeindekomittee von Tocoa) und Juana Zúñiga aus Guapinol.

Im November gestalteten wir mit Original-Tönen und zusätzlichen Informationen eine Radiosendung bei Radio Lora München dazu und dokumentierten sie auf unserer Website: https://www.oeku-buero.de/perspectivas-diversas/articles/7-oktober-2020-stahl-f%C3%BCr-den-globalen-norden-knast-f%C3%BCr-den-globalen-s%C3%BCden.html

 

Begleitung durch das Ökubüro

Wir nahmen 2020 an den regelmäßigen virtuellen internen Treffen und öffentlichen Pressekonferenzen_mit Anwält*innen, Familienangehörigen und Mitgliedern des Gemeindekomitees aus Tocoa teil und begleiteten sie als internationale Beobachterin bei einem Gespräch mit Vertreter*innen des Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Justizpersonal. In mehreren Artikeln berichteten wir über die Situation:

https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-eu-abgeordnete-reagieren-auf-erneuten-mord-an-umweltsch%C3%BCtzer.html (Mitarbeit)
https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/politische-justiz-in-honduras-gericht-entscheidet-gegen-umweltaktivisten.html
https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-richterin-l%C3%A4sst-umweltaktivisten-aus-guapinol-in-u-haft.html
https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/warum-in-honduras-eine-neue-allianz-um-zugang-zu-wasser-k%C3%A4mpft.html

Wir verfassten eine ausführliche Fallbeschreibung für das Dossier „Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Zentralamerika“ (siehe das Kapitel Öffentlichkeitsarbeit in diesem Jahresbericht), informierten Bundestags- und Europaabgeordnete und unterstützten gemeinsam mit dem Brüsseler Advocacy Netzwerk Red EU Lat die Bewerbung der Menschenrechtsverteidiger aus Guapinol und Berta Cáceres posthum für den Menschenrechtspreis des EU-Parlamentes.

Palmerola International Airport: Nachfragen aus dem Bayerischen Landtag

Pérez/Facussé sind nicht nur im Bergbau-Business tätig. Sie besitzen auch Hafen-Lizenzen und bauen und betreiben den neuen internationalen Flughafen von Honduras. Kooperationspartnerin ist dafür eine Tochtergesellschaft der Münchner Flughafengesellschaft, die Múnich Airport International GmbH (MAI). Im Februar 2020 entfachten honduranische Unternehmer*innen erneut eine Debatte über die für den honduranischen Staat nachteiligen Vertragsbedingungen für Palmerola International Airport und forderten eine Untersuchung.(7) Ende Juli spitzte sich die Debatte nochmals zu: Es ging darum, dass ein 51 Millionen US-Dollar-Finanzloch, das durch den COVID-bedingten zusätzlichen Rückgang der Fluggastzahlen um 29 Prozent entstehen würde, offensichtlich vom Staat gestopft werden sollte, während spätere Einnahmen ausschließlich an die privaten Betreiber gehen würden. Die Flughafengesellschaft PIA ruderte schließlich zurück.(8)

Ende August veröffentlichte der honduranische Antikorruptionsrat CNA ein Dossier zu dem Fall. Darin geht es um die Konzessionsvergabe an Lenir Peréz und Ana Facussés Unternehmen PIA nun auch für den alten Flughafen Tocontín ohne ordentliche Ausschreibung und einmal mehr um die Konzession für Palmerola International Airport: Der CNA stellt nach einer Analyse der wichtigsten Aspekte des Konzessionsvertrags in Bezug auf den internationalen Flughafen Palmerola fest, dass darin „eine Reihe von Unregelmäßigkeiten (…) enthalten sind, die in jeder Hinsicht als Liste von Vorteilen interpretiert werden müssen, die ausschließlich den Konzessionär PIA begünstigen und eindeutig den Interessen des Staates Honduras zuwiderlaufen.“(9) Der Staat Honduras investiere 125 Millionen US-Dollar gegenüber 87 Millionen US-Dollar von Investor*innen, die jedoch 69,4 Prozent_der erzielten Gewinne behalten werden und überdies von Steuern befreit seien.

Sofern die unrealistisch hohe Mindestzahl internationaler Passagiere auf jährlicher Basis nicht überschritten wird, werde der Staat Honduras keine Einnahmen als Gebühr erhalten, trage aber allein das Verlustrisiko. Besorgniserregend sei auch, „dass die Rechtssicherheit untergraben wird, da_ohne ein Ausschreibungsverfahren, wie in Artikel 11 der Bestimmungen des Gesetzes zur Förderung öffentlich-privater Partnerschaften vorgeschrieben, da der vorübergehende Betrieb des Internationalen Flughafens Toncontín direkt an den Konzessionsnehmer_PIA vergeben wurde. Das erscheint verdächtig, da nicht bekannt ist, ob PIA (der Konzessionsnehmer) die Unterlagen vorgelegt hat, die die technische, rechtliche und finanzielle Fähigkeit zur Einhaltung der für eine solche Konzession geltenden Vorschriften belegen ... “(10).

Auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Johannes Becher vom 11. September 2020 teilte die Bayerische Staatsregierung am 8. Oktober 2020 mit, weder die Münchner Flughafengesellschaft noch ihre Tochter MAI würden in dem Bericht des Antikorruptionsrates erwähnt. Sämtliche von ihm kritisierte Konditionen des Konzessionsvertrages seien Teil der öffentlichen Ausschreibung gewesen, es seien keine Sachverhalte bekannt, die dagegen sprächen, dass das Verfahren ordnungsgemäß abgelaufen sei. (EMCO/PIA war damals unterstützt vom der Münchner Flughafengesellschaft die einzige Bewerberin gewesen, die Red.) 2018 hatten wir in einer Pressekonferenz im Bayerischen Landtag mit dem Augenzeugen und Betroffenen Daniel Langmeier auf die damals bekannten Praktiken von Lenir Pérez in Bezug auf seine Tätigkeit als Bergbauunternehmer hingewiesen, von denen auch eine Fallstudie im Bericht von Global Witness: Honduras. The deadliest place to defend the planet (2017) berichtet.

MdL Becher fragte am 11. September noch einmal nach:
„Hat die FMG bzw. MAI inzwischen Kenntnis über die Vorwürfe gegen Lenir Pérez bzgl. massiver Menschenrechtsverletzungen (Entführung von internationalen Menschenrechtsbeobachter*innen und Morddrohungen gegen diese und andere missliebige Personen) und Gesetzesverstöße (u.a. schwere Bestechung in mehreren Fällen)?“

Finanzminister Füracker antwortete am 8. Oktober 2020:
„Die MAI überprüft ihre Geschäftspartner regelmäßig und greift hierzu gegebenenfalls auch auf die Unterstützung von externen Kanzleien und Prüfungsgesellschaften oder anderen Quellen zu. Im Frühjahr 2020 wurde zuletzt eine externe Rechtsanwaltskanzlei von der MAI beauftragt, etwaige im Raum stehende Vorwürfe gegen Lenir Pérez zu prüfen. Dies erfolgte ergänzend zu einer Sanktionslistenprüfung durch die FMG im Jahr 2015 und einer von der MAI vor dem Hintergrund der Schriftlichen Anfrage 17/22357 beauftragten Prüfung der Vorwürfe durch eine lokale Kanzlei. Die MAI hat mitgeteilt, dass die detaillierte Analyse der externen Rechtsanwaltskanzlei die geäußerten Vorwürfe nicht bestätigt hat.“

"Honduranisch-deutsches Konsortium"

Es fällt auf, dass in München stets davon die Rede ist, man habe nur einen Beratervertrag mit der EMCO/PIA, während in Honduras von der Unternehmensgruppe EMCO-Múnich gesprochen und geschrieben wird und internationale Medien, wie z.B. Forbes, im Oktober 2020 berichteten, dass ein „honduranisch-deutsches Konsortium“ aus EMCO und Flughafen München nun auch die Konzession für den Betrieb des Cargo Terminals auf dem internationalen Flughafen von El Salvador erhalten habe.(11)

Die laut MAI und Bayerischer Staatsregierung auch von der Deutschen Botschaft und der Deutschen Handelskammer sehr begrüßte Zusammenarbeit mit Lenir Pérez/Ana Facussé entwickelt sich also weiter. Solange Pérez in Honduras nicht mit einer Anklage rechnen muss und erst recht nicht rechtskräftig verurteilt ist, was ja – so eine diplomatische Quelle – angesichts der Zustände im honduranischen Rechtssystem äußerst unwahrscheinlich sei, ist für die Zusammenarbeit offenbar alles in bester Ordnung.

Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Richtung der honduranische Antikorruptionsrat weiter recherchiert.

Weitere Aktivitäten zu Honduras

Gespräch und Musik mit Karla Lara

Voller Vorfreude erwarteten wir im März die honduranische Künstlerin und Aktivistin Karla Lara in München. Es kam bekanntermaßen anders: Durch das beharrliche Engagement unserer Freund*innen vom Stattpark Olga konnten wir schließlich im Juni „Talk & Songs“ zur aktuellen politischen Lage in Honduras digital in guter Soundqualität für etwa 200 Zuhörer*innen und Zuschauer*innen präsentieren. Karla Lara: „Ich spreche als politische Dissidentin, als Feministin und als Aktivistin der sozialen Bewegungen. Ich möchte Hoffnung ausdrücken, auch wenn alles sich verschworen hat, uns die Hoffnung zu nehmen.“ Zum Nachhören und Nachlesen haben wir den Abend hier dokumentiert:

https://www.oeku-buero.de/perspectivas-diversas/articles/25-juni-2020-widerstand-in-covid19-zeiten-online-gespr%C3%A4ch-und-musik-mit-der-honduranischen-musikerin-und-aktivistin-karla-lara.html

Unterstützung der LGBTIQ*-Community

Die LGBTIQ*-Community in Honduras kämpfte weiter für ihre Rechte. Angesichts der Situation ist das schon die gute Nachricht. Wie auch im Fall der indigenen Gemeinden ist die interamerikanische Rechtsprechung ein Hoffnungsanker – wenn auch kein kurzfristig wirksamer. Im November 2020 wurde erstmals ein Mord an einer Trans-Frau vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt. Vicky Hernández, Trans*Aktivistin des Colectivo Unidad Color Rosa wurde kurz nach dem Putsch 2009 nachts auf den Straßen der Stadt San Pedro Sula von der Polizei gejagt und später erschossen aufgefunden: eine außergerichtliche Hinrichtung, die unaufgeklärt und straflos blieb.(12)

„Zehn Jahre lang hat der Staat keine Ermittlungen veranlasst oder vorangetrieben, um die Beteiligung der staatlichen Sicherheitskräfte zu klären. Die einzige Ermittlungslinie ist ergebnislos geblieben und basierte auf Stereotypen. Der Staat war nicht in der Lage, die eindeutigen Beweise für die Beteiligung des Staates im Zusammenhang mit der Gewalt gegen Trans-Frauen zu widerlegen", betonte der Präsident der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR), Joel Hernández vor Gericht.(13)

Die honduranische LGBTIQ*-Organisation Cattrachas, die den Fall 2012 eingereicht hatte, erhofft sich vom noch ausstehenden Urteil strukturelle Wirkung, eine Anerkennung und Definition von Trans*-Feminizid: "Mein Aktivismus konzentriert sich auf die Veränderung von Rechtsnormen – die nächste Generation wird sich auf die Veränderung von sozialen Normen konzentrieren", sagte Cattracha-Vorsitzende Indyra Mendoza im Gespräch mit der Internetradio-Plattform "The World".(14)

Das 2020 trotz Protesten und Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof in Kraft getretene neue Strafrecht verschlechterte die rechtliche Lage auch für diskriminierte Gruppen.(15) Die Überprüfung vor dem UN-Menschenrechtsrat zeigte 2020 erneut die enormen staatlichen Defizite auch in diesem Bereich: Honduras setzte auch in den vergangen vier Jahren die Empfehlung, ein Gesetz zur Genderidentität auf den Weg zu bringen, nicht um.(16)

Die von öffentlichen Dienstleistungen wie dem prekären Gesundheitswesen und dem Zugang zum Arbeitsmarkt besonders stark ausgeschlossenen Bevölkerungsgruppen litten extrem unter dem im März verordneten Ausnahmezustand mit vollständigem Lockdown.(17) Wir folgten einem Aufruf der LGBTIQ*-Organisation Arcoíris de Honduras und sammelten Spenden für die Weiterarbeit der Organisation, die Pakete mit Lebensmitteln und Medikamenten vor allem an hungernde Trans*Sexarbeiter*innen verteilte, die sich nicht auf die Straße wagen konnten. Die Organisation riskierte einiges, gab es doch keine Möglichkeit, eine staatliche Erlaubnis für diese Unterstützungsaktionen zu bekommen, stattdessen Polizei- und Militärkontrollen und zahlreiche Festnahmen.

Zunächst schien der Lockdown die öffentlich sichtbaren Kapitalverbrechen gerade an Trans*-Frauen zu reduzieren, im zweiten Halbjahr hatte sich die Situation jedoch bereits wieder der grausamen „Normalität“ in Honduras angepasst. Am 10. Juli wurde die junge Aktivistin der Trans-Frauengruppe Muñecas de Arcoíris, Scarleth Campbell im Stadtzentrum von Tegucigalpa von Unbekannten erschossen. Wir drückten Trauer, Wut und Schmerz in einem Text aus: https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/honduras-erneut-mord-an-transaktivistin.html

Die honduranischen Medien berichteten 2020 – fast immer in diskriminierender, homophober und transfeindlicher Weise – über die Ermordung von 19 Mitgliedern der LGBTIQ*-Community.(18)

Im Januar 2020 hatte Paola Flores, ebenfalls Menschenrechtsverteidigerin der Muñecas de Arcoíris, ein Attentat verletzt überlebt. Sie war wenige Monate zuvor aus dem temporären Exil in Costa Rica zurückgekehrt. Wir solidarisierten uns mit Paola und ihrer Begleiterin und forderten Schutz und Aufklärung. https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/erneut-attentat-auf-transaktivistin-in-honduras.html

Paola Flores entschloss sich schweren Herzens, Honduras ganz zu verlassen und in Spanien um Asyl zu ersuchen. Während wir diesen Jahresbericht schreiben, ist über ihren Antrag noch immer nicht entschieden. Im Dezember schlugen wir Paola Flores als Referentin einer internationalen Online-Tagung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung vor und durften sie dort virtuell begleiten.(19)

Ankommen in Europa?

Zur Situation von Geflüchteten sind wir in regelmäßigem Kontakt mit einer sehr aktiven und engagierten Gruppe geflüchteter Honduraner*innen in Mecklenburg-Vorpommern. Leider konnten wir die von der Gruppe erarbeitete Ausstellung zur politischen und sozialen Situation in Honduras und den Gründen ihrer Flucht _wegen der Pandemie noch nicht in München zeigen. Wir hoffen, dass dies 2021 möglich sein wird. Unser besonderer Dank gilt der Münchner Rechtsanwältin und langjährigen Verbündeten Juliane Scheer, die kurz vor Jahresende Asylbewerber*innen aus Honduras online Rede und Antwort stand. Wir nahmen 2020 an einer Fortbildung des Münchner Flüchtlingsrates teil, tauschten uns mit unseren Kolleg*innen vom Honduras Forum Schweiz zu Asylfragen aus und besuchten eine Online-Pressekonferenz mit dem honduranischen Aktivisten Erlin Mejía und seinem mexikanischen Anwalt Gabriel Campos. Der schwedische Staat hatte Mejía, der im Rollstuhl sitzt, Asyl in dritter Instanz verweigert, so dass dieser sich nun an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wandte.(20)

(1) https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/honduras-es-fehlt-jede-spur
https://www.theguardian.com/global-development/2020/jul/23/garifuna-honduras-abducted-men-land-rights
(2) https://www.ci-romero.de/eilaktion-garifuna-triunfo/
(3) https://www.tum-international.com/de/referenzen-detail/clusteraufbau-und-industrielle-standortentwicklung/roatan
(4) https://prospera.hn/
(5) https://criterio.hn/organizaciones-sociales-de-honduras-se-unen-en-defensa-del-agua/
(6) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/covid-19-keine-hafterleichterungen-f%C3%BCr-aktivistinnen.html
(7) https://www.laprensa.hn/premium/1355744-410/concesionaria-de-palmerola-podr%C3%A1-transferir-todo-su-capital-y-ganancias-al-exterior
https://www.laprensa.hn/premium/1355415-410/contrato-de-palmerola-debe-ser-sometido-a-una-revisi%C3%B3n-detallada-juan-carlos
https://www.laprensa.hn/premium/1355416-410/concesi%C3%B3n-de-palmerola-no-pagar%C3%A1-canon-en-28-a%C3%B1os
(8) https://tiempo.hn/palmerola-pide-513-millones-mas-falso-dicen-sapp-concesionaria
https://criterio.hn/filtracion-de-carta-mete-en-apuros-a-concesionaria-de-aeropuerto-palmerola-que-ahora-niega-reclamo-de-51-3-millones/
(9) https://www.cna.hn/2020/08/24/inconsistencias-en-el-contrato-de-concesion-del-aeropuerto-internacional-de-palmerola
(10) https://confidencialhn.com/cna-revela-inconsistencias-en-contrato-de-concesion-del-aeropuerto-internacional-de-palmerola/
(11) https://forbescentroamerica.com/2020/10/09/grupo-hondureno-aleman-operara-terminal-de-carga-en-aeropuerto-de-el-salvador/
(12) https://www.hrw.org/news/2020/11/11/amicus-curiae-case-vicky-hernandez-and-family-v-honduras
https://www.ishr.ch/sites/default/files/article/files/third_party_submission_iachr_honduras_final_english_june10_2.pdf
(13) https://www.be1radio.com/piden-condenar-a-honduras-por-el-asesinato-de-la-activista-y-mujer-trans-vicky-hernandez-latinoamerica-internacional/
(14) https://www.pri.org/stories/2020-03-10/activist-group-taking-state-honduras-first-trans-femicide-court-case
(15) https://www.hrw.org/es/report/2020/10/07/vivo-cada-dia-con-miedo/violencia-y-discriminacion-contra-las-personas-lgbt-en-el S. 95 ff.
(16) https://www.uprinfo.org/sites/default/files/document/honduras/session_36_-_may_2020/2._right_here_right_now_stmt.pdf
(17) https://pbi-honduras.org/es/node/7970
(18) https://cattrachas.org/index.php/es/observatorio
(19) https://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/infozentrum/online-konferenz-2020-lsbti-rechte-sind-menschenrechte/programm
(20) https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/politisch-verfolgter-aus-honduras-klagt-vor-dem-eu-gerichtshof-gegen-schweden.html

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