Gelobtes Deutschland - vom Arbeiten und Geldverdienen für AusländerInnen

Von Christian Wunner

"Im Sammellager lachen sie über ihn. William steht immer noch bis spät in der Nacht hinter der Friteuse. Obwohl er schon vor einigen Monaten als einziger im Lager den blauen Paß bekommen hatte. Dabei dürfte er sich doch jetzt eine bessere Arbeit suchen.

Fast alle seiner KollegInnen im Schnellrestaurant leben in einem der 60 Lager der Stadt und haben den blauen Paß beantragt. Manche warten noch darauf. Manche wissen schon, daß sie ihren Antrag vergeblich gestellt haben. Die meisten dürfen die Stadt nicht verlassen. Es ist auch nicht erlaubt, aus dem Lager auszuziehen.

Bis auf Willliam können die Leute im Lager nur miese Jobs machen. Manche dürfen sogar überhaupt nicht gegen Bezahlung arbeiten. Sie können aber gezwungen werden, praktisch umsonst zu arbeiten. Dann putzen sie im Lager die Klos, oder schaufeln Split bei der Autobahnmeisterei. Sonst kann es passieren, daß sie ohne Geld und Essen dastehen.

Die Internationale Arbeitsorganisation in Genf (ILO) hatte schon vor vielen Jahren gemahnt, daß diese Praxis der "Übereinkunft über Zwangs- und Pflichtarbeit" "entgegenstehen" würden. Andere sprechen gar von "rassistisch motivierten Arbeitslagern".

Wer nun glaubt, es handle sich bei dem Land, in dem William und die anderen Lagerinsassen leben, um das Südafrika der 80er Jahre oder um eine frei erfundene Geschichte, täuscht sich gewaltig: Schauplatz ist eine sogenannte Gemeinschaftsunterkunft für AsylbewerberInnen in München.

Flüchtlinge/MigrantInnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (mit Ausnahme von EU-BürgerInnen und MigrantInnen mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung) benötigen zur Aufnahme einer legalen Berufstätigkeit in der BRD eine Arbeitsgenehmigung. Die Ausgestaltung des Arbeitserlaubnisrechts führt dazu, daß Flüchtlinge in der Regel ihren Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten können. Das Arbeitserlaubnisrecht teilt die MigrantInnen in drei Gruppen ein:

  • Die MigrantInnen der ersten Gruppe dürfen am Arbeitsmarkt relativ ungehindert partizipieren. Sie erhalten eine Arbeitsberechtigung (AB), soweit sie nicht ohnehin von der Arbeitsgenehmigungspflicht ausgenommen sind (s.o.). Eine AB erhalten die hier geborenen bzw. nachgezogenenen Kinder und Ehegatten der ArbeitsmigrantInnen der ersten und zweiten Generation sowie ausländische EhepartnerInnen von Deutschen, soweit sie nur über eine befristete Aufenthaltserlaubnis verfügen. Flüchtlinge, bei denen eine Anerkennung als AsylberechtigteR gemäß Art. 16 Grundgesetz bzw. als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zugesprochen wurde, gehören ebenfalls zu dieser Gruppe. Angesichts der bekannt niedrigen Anerkennungsquoten ist das der kleinste Teil.

  • Dann gibt es die Gruppe, die eine Arbeitserlaubnis (AE) erhalten kann. Zu dieser Gruppe gehören im Prinzip zwar alle anderen Flüchtlinge/MigrantInnen. Flüchtlinge, die nach dem 15. Mai 1997 in die BRD eingereist sind und (noch) nicht als Asylberechtigte bzw. als GFK-Flüchtlinge anerkannt sind, sowie Menschen, denen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von der Ausländerbehörde untersagt wurde, haben aber keine Chance auf eine AE.

  • Die AE wird vom Arbeitsamt (AA) unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Nachrangigkeit befristet und beschränkt auf bestimmte Betriebe, Berufsgruppen und Wirtschftszweige erteilt. "Nachrangigkeit" bedeutet, daß eine AE nur dann erteilt wird, wenn für eine Tätigkeit keine/r Deutsche/r (oder "bevorrechtigter Ausländer", z.B. EU-BürgerIn) gefunden werden kann. Das örtliche AA hat eine Liste von Jobs, für die grundsätzlich keine AE erteilt wird. Das sind normalerweise die besseren. Bei den anderen gibt es unterschiedliche "Wartezeiten". Der Arbeitgeber muß eine Stelle, die er an eine/n Flüchtling/MigrantIn dieser Gruppe vergeben will, erst einmal als frei melden. Wenn sich in dieser Zeit kein/e Deutsche/r meldet, wird die AE erteilt. Nur in seltenen Fällen sind Arbeitgeber bereit, auf ihr Personal vier oder sechs Wochen zu warten. Im übrigen muß jedesmal nach Ablauf der Frist eine neue AE erteilt werden. Die Dauer der AE ist üblicherweise mit der Gültigkeitsdauer der Aufenhaltslegitimation abgestimmt. Da der Aufenthalt in vielen Fällen nur kurzfristig legitimiert wird ("Ausreisescheine" mit einer Gültigkeit von einer Woche sind keine Seltenheit) finden alleine deshalb schon viele Flüchtlinge keine Arbeit.

  • Eine AE wird also normalerweise nur für eine dreckige, gefährliche, schlecht bezahlte oder sonstwie unattraktiveArbeit erteilt. Deshalb arbeiten beispielsweise in bestimmten Restaurantketten sehr viele Flüchtlinge, die noch froh sein müssen, wenigstens diese Arbeit machen zu dürfen. Proteste gegen die Arbeitsbedingungen sind selten, schließlich wird eine AE nur für jeweils eine bestimmte Firma erteilt. Durch das deutsche Arbeitserlaubnisrecht wird diese Art der Lohnsklaverei erst möglich.

  • Die dritte Gruppe (Asylsuchende, die nach dem 15.Mai 1997 nach Deutschland kamen und sich noch im Asylverfahren befinden bzw. nicht anerkannt wurden, sowie Menschen, denen die Ausländerbehörde ein Arbeitsverbot erteilt hat), ist von jeglicher legalen Erwerbstätigkeit ausgeschlossen. Ihr bleibt in der Regel nur der Gang zum Sozialamt oder die Schwarzarbeit. Der Stichtag geht auf einen Erlaß des früheren Bundesarbeitsministers Norbert Blüm zurück.


Das Sozialamt kann Flüchtlinge, die weitgehend oder gänzlich vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, zu Arbeiten bei sogenannten "Arbeitsgelegenheiten" heranziehen. Weigert sich der Flüchtling, die mit einer "Aufwandsentschädigung" von 2,- DM fürstlich entlohnte Zwangsarbeit anzunehmen, besteht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in der jüngsten Fassung vom September 1998 "kein Anspruch auf Leistungen". Die Novellierung des Gesetzes wurde mit den Stimmen der meisten SPD-Abgordneten beschlossen. Das Münchner Flüchtlingsamt hat übrigens pünktlich nach dieser letzten Verschärfung des Gesetzes in verdächtig vielen Fällen "Arbeitsgelegenheiten" außerhalb der Sammellager zugewiesen.....

Angesichts des Arbeitsverbotes verwundert es nicht, daß ein Teil der Flüchtlinge zu nicht legalen Formen des Gelderwerbs übergeht. Der Ameisenhandel mit Drogen, der in manchen Münchner Sammellagern leider immer wieder vorkommt, sowie der Schmuggel von kleineren Mengen Zigaretten haben ihre Ursache ganz eindeutig in erster Linie im Arbeitsverbot.

Die andere Form der alternativen Erwerbstätigkeit, die Schwarzarbeit, ist mit einer weitgehenden Rechtlosigkeit verbunden, man ist den ArbeitgeberInnen schlichtweg ausgeliefert. Das gilt nebenbei bemerkt natürlich ganz besonders für illegalisierte Flüchtlinge/MigrantInnen, die jederzeit mit einer Festnahme und einer baldigen Abschiebung rechnen müssen. In manchen Branchen sind Flüchtlinge/MigrantInnen, die als SchwarzarbeiterInnen arbeiten (müssen), deshalb nicht mehr wegzudenken. Zumindest für Arbeitsbereiche, die sich nicht ins Ausland verlagern lassen, gibt es wohl keine billigeren und praktischeren Arbeitskräfte. Das deutsche Ausländer-, Asyl- und Arbeitserlaubnisrecht ist dafür ursächlich mit verantwortlich. Ein Schelm, wer schlechtes dabei denkt.

Allerdings schätzen nicht nur Gastwirte und Bauherrn die illegal arbeitenden Flüchtlinge/MigrantInnen. Ich bin mir sicher, daß auch einige LeserInnen die ach so fortschrittlichen Leute kennen, die ebenfalls davon profitieren. Voller Stolz wird einem die nicht nur baubiologisch absolut einwandfreie, sondern auch günstig renovierte Altbauwohnung präsentiert. Fragt man dann genauer nach, haben "zwei supernette Polen, die unheimlich rangeklotzt haben" kräftig mitgeholfen. Auch der Umzug aus der WG in die Eigentumswohnung geht viel fixer, wenn man sich aus dem nächsten Sammellager einen Schwung Kosovoalbaner holt. "Die langen hin und sind viel billiger als beim Studentenservice".

Es stellt sich die Frage, ob von der neuen Bundesregierung eine Änderung der Rahmenbedingungen zu erwarten ist. Der Münchner Flüchlingsrat hat kurz nach der Bundestagswahl den neuen Bundesarbeitsminister, den Sozialdemokraten Walter Riester aufgefordert, wenigstens den Blüm-Erlaß und damit das generelle Arbeitsverbot für alle Flüchtlinge, die nach dem Stichtag eingereist sind, aufzuheben. Walter Riester ist übrigens nicht nur Minister, sondern auch Gewerkschafter. Die Antwort, die der Herr Minister geben ließ, ist für mich deshalb besonders erschütternd:

"... Das Ziel eines nachhaltigen Abbaus der Arbeitslosigkeit hat absolute Priorität: deshalb muß jede zusätzliche Belastung des Arbeitsmarktes vermieden werden. Die damalige Entscheidung ist vor dem Hintergrund der steigenden Arbeitslosigkeit getroffen worden. Es geht nicht darum, Flüchtlinge ' abzuschrecken'. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die erhebliche Anzahl von Asylbewerbern und geduldeten Ausländern, die auf dem Arbeitsmarkt verkraftet werden müssen, ist es notwendig, den Arbeitsmarkt nicht zusätzlich zu belasten und der Beschäftigung inländischer Arbeitssuchender mit uneingeschränktem Arbeitsmarktzugangsrecht absoluten Vorrang einzuräumen. Nur wenn dies gelingt, können die Bemühungen der Bundesregierung, einen spürbaren und nachhaltigen Rückgang der Arbeitslosigkeit zu erreichen, Erfolg haben. Die derzeit hohe Zahl arbeitssuchender Inländer zwingt dazu, deren Interessen bei Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte Vorrang einzuräumen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die überdurchschnittliche Ausländerarbeitslosigkeit mit einer Arbeitslosenquote weit über dem Bundesdurchschnitt hinzuweisen. Die ausländischen Arbeitssuchenden, die hier auf Dauer leben, müsen ebenso wie eine Reihe anderer schwer vermittelbarer Gruppen - wie z.B. Langzeitarbeitslose oder ältere Arbeitnehmer - vorrangig in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Solange sich keine wesentlichen Änderungen der Arbeitsmarktsituation abzeichnen, sehe ich keine Möglichkeit, die Weisung zurückzunehmen..."


Das Sozialgericht Itzehoe hatte bereits am 30. Juni 1998 in einem Beschluß festgestellt, daß der Blüm-Erlaß "unbeachtlich" sei, da er einen massiven Eingriff in die Grundrechte darstelle, der einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. Trotzdem denkt der neue Minister nicht daran, die Weisung an die Arbeitsämter aufzuheben. Die rassistische Ausgrenzungspolitik der alten Bundesregierung soll offenbar um jeden Preis fortgesetzt werden.

Zum Glück gibt es aber noch andere GewerkschaftInnen. In einem offenen Brief vom 11. Dezember 1998 an den Kollegen Walter Riester wird u.a. die Rücknahme des Blüm-Erlasses gefordert. Er wurde unterzeichnet von ca. 70 GewerkschafterInnen aus verschiedenen Einzelgewerkschaften.

Bleibt zum Schluß nur noch die Frage, warum William immer noch Hamburger grillt. William kam als unbegleiteter minderjähriger jugendlicher Asylbewerber nach Deutschland und schloß die Schule mit sehr guten Noten ab. Nachdem er viele Anstrengungen unternommen hatte, fand er nicht nur einen Ausbildungsplatz als Rechtsanwaltsfachangestellter, sondern bekam auch die Arbeitserlaubnis dafür. Dort wurde er allerdings nicht ausgebildet, sondern auf üble Art ausgebeutet. Er stand den ganzen Tag am Kopiergerät oder mußte Akten ziehen. Er lernte nichts. Auf seinen Protest hin wurde er vom Anwalt zum Nachdenken über sein unglaubliches Glück, für so einen begehrten Ausbildungsplatz eine AE zu bekommen, angeregt. Er könne ja versuchen, ob er bei einem Wechsel des Ausbildungsplatzes nochmals so viel Glück hätte. William brach die Ausbildung ab und ging als Hilfsarbeiter ins Schnellrestaurant. Als er vier Jahre später mit seiner Anerkennung von der Ausländerbehörde den begehrten blauen Flüchtlingspaß ausgestellt bekam, war sein Selbstwertgefühl so nachhaltig ruiniert, daß er sich eine andere Arbeit weder zutrauen noch vorstellen konnte.Vielleicht sollte der Kollege Walter Riester mal eine Woche mit ihm tauschen...?

 

Februar `99

Christian Wunner ist Sozialarbeiter und Geschäftsführer des Bayrischen Flüchtlingsates. Er war zuvor Heimleiter einer "Städtischen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge" in München.

 

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