Sozialklauseln - keine Hilfe für die Menschenrechte
Ein Positionspapier der deutschen Sektion der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN
Die Problematik sozialer Menschenrechte in internationalen Handelsbeziehungen ist in jüngster Zeit ein wichtiger Diskussionspunkt geworden und konzentriert sich auf die Frage der Einführung sogenannter Sozialklauseln in die neue Welthandelsorganisation (WTO). Die internationale Menschenrechtsorganisation FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk) begrüßt diese Diskussion, die die Bedeutung der lange vernachlässigten wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte im internationalen Handel betont. FIAN meldet aber gleichzeitig starke Skepsis bezüglich Orientierung und Implementierung solcher Sozialklauseln innerhalb der WTO an.
Die Diskussion über Sozialklauseln wurde insbesondere im Vorfeld des Abschlusses der Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen im April 1994 entfacht. In Marrakesch wurde die Auseinandersetzung über diese Thema vertagt, es soll aber in der WTO zu einem späteren Zeitpunkt (ab 1997) aufgegriffen werden. Engagiert in dieser Diskussion sind seitdem vornehmlich die Regierungen des Nordens wie des Südens, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände. Fundierte Stellungnahmen von seiten entwicklungspolitischer Gruppen und von Menschenrechtsorganisationen sind bisher noch Mangelware, was sehr bedauerlich ist, da die Sozialklauseln - zumindest verbal - der Durchsetzung der besseren Verankerung grundlegender Menschenrechte und der Verwirklichung entwicklungspolitischer Zielvorstellungen im boomenden Welthandel dienen sollen.
FIAN ist eine der wenigen Organisationen, die sich für die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte einsetzt. FIAN wurde in den vergangenen Jahren immer wieder mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert, die sich aus und in internationalen Handelsbeziehungen ergeben, was zu einem entsprechenden Engagement von Seiten FIANs bspw. in Bezug auf die kolumbianische Blumenindustrie, die philippinischen Kokosexporte oder die EU-Dumping-Politik im Rindfleischsektor geführt hat. Die praktischen Erfahrungen hieraus sind neben prinzipiellen menschenrechtlichen Erwägungen in diese Stellungnahme mit eingeflossen.
Offiziell soll mit einer Sozialklausel die Einhaltung grundlegender Rechte (u. a. Gewerkschaftsfreiheit, Recht auf Tarifverhandlungen, Verbot der Kinder- und Zwangsarbeit etc.) im Arbeitsprozeß, wie sie in den wichtigsten Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) festgehalten sind, zur Grundlage der internationalen Handelsbeziehungen gemacht werden. So lobenswert diese Ziel ist, so falsch ist aus Sicht von FIAN die Herangehensweise. Die folgenden Gründe sprechen aus unserer Sicht gegen die Einführung einer Sozialklausel in die WTO.
Sieben Gründe gegen eine Sozialklausel
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Arbeitnehmerrechte sind nur ein Teil der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte. Nehmen wir das Beispiel der Pächter auf den Kokosplantagen auf den Philippinen. 80 Prozent der Erträge dieses Sektors gehen in den Export: als Kraftfutter für die hiesige Tierindustrie, als leckere Bereicherung unseres Küchentisches, als umweltverträglicher Zusatz für die Waschmittelindustrie. Die Millionen von Pächterfamilien auf den philippinischen Kokosplantagen leben weit unterhalb jeder Armutsgrenze. Doch dieses Menschenrecht wird von den IOA-Konventionen nicht berührt, es ist im internationalen Pakt über die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte (Artikel 11,2) festgeschrieben. Den Ärmsten der Armen würde eine WTO-Sozialklausel also nicht helfen. Dafür wären stärkere Durchsetzungsmechanismen für den UN-Sozialpakt notwendig, die bspw. Druck auf die philippinische Regierung zur Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Agrarreform und des Pächterschutzes ermöglichen würden.
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Menschenrechte sind unteilbar, sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dies impliziert aber eine WTO-Sozialklausel. Ein Beispiel wären moderne, internationale Fruchtkonzerne. Auf ihren Ananas- oder Bananenplantagen könnten die Sozialstandards der IAO durchgesetzt sein (was leider, wie die Erfahrungen zeigen, nicht immer der Fall ist), gleichzeitig können sie aber (und tun es nur zu oft, wie die Erfahrungen FIANs mit Del Monte zeigen) durch Landraub viele Kleinbauern und indigene Gemeinschaften von ihrem Land vertreiben. Eine auf Arbeitsrechte beschränkte Sozialklausel würde eine solche Praxis potentiell noch belohnen. Grundlegende Arbeitsrechte können aber nicht gegen das Recht, sich zu ernähren, das durch die Landvertreibung für die Kleinbauernbevölkerung auf dem Spiel steht, aufgewogen werden. Im größeren - entwicklungspolitischen - Rahmen tragbar werden könnte eine solche Gefahr im Kontext des in letzter Zeit viel diskutierten Weltbananen-Marktes. Gesetzt den Fall, die großen Bananenkonzerne hielten sich an die IOA-Standards, müßten sie den Kleinproduzenten bspw. in der Karibik gleichgestellt werden, was den Marktzugang durch Zollregelungen in den Industrieländern angeht. Die faktische Marktüberlegenheit der großindustriellen Bananenproduktion würde gemäß der Logik der WTO-Sozialklausel einem massiven "Bananen-Bauernsterben" in den meisten AKP-Staaten freien Raum lassen.
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Menschenrechte sind universell, gelten für alle Menschen, egal ob sie in der Exportwirtschaft arbeiten oder nicht. Folglich kann es nicht angehen, sich beispielsweise für die Rechte eines indischen Kindersklaven einzusetzen, weil er in der exportorientierten Teppichbranche arbeitet, seinem Leidensgenossen in einem für die einheimische Bauindustrie liefernden Steinbruch aber keine Unterstützung zukommen zu lassen. Genau diese willkürliche Vorgehensweise würde aber das Konzept der Sozialklausel innerhalb der WTO beinhalten. Die sich bereits abzeichnende Zweiteilung der Ökonomien und Gesellschaften des Südens würde durch dieses Konzept noch vertieft.
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Wirtschafts- und Handelsstrukturen, die Verletzungen der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte nach sich ziehen, werden zunehmend durch die weltweite Liberalisierungspolitik nach den Rezepten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank von den Industriestaaten vorgeschrieben. Das gilt für den Abbau relevanter Arbeitnehmerrechte im industriellen Sektor durch eine Politik von "Flexibilisierung" und Privatisierung im Zuge von "Strukturanpassungsprogrammen" ebenso wie für den wachsenden Druck auf natürliche Ressourcen - die Überlebensgrundlage für indigene Gemeinschaften, Kleinbauern und Fischer - durch eine Orientierung auf Agrarexportwirtschaft und die gleichzeitige Abkehr von sozialen Reformen im Agrarsektor. Doch die formalen UN-Unterorganisationen IWF und Weltbank unterliegen bis heute keinerlei Rechenschaftspflicht gegenüber dem UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, wie FIAN es seit langer Zeit fordert. Eine WTO-Sozialklausel würde diesen Verantwortungszusammenhang ausklammern.
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Die Sozialklausel-Debatte vermittelt den Anschein, Verletzungen grundlegender Menschenrechte im Handelssektor treten nur bei den Produktionsbedingungen im Süden auf. Doch wer kontrolliert die negativen sozialen Auswirkungen der Exportsubventionspolitik der Handelsgiganten Europäische Union (bspw. beim Rindfleisch) und USA (bspw. Ölsaaten und Getreide), die viele Kleinbauern im Süden in den Ruin treibt? Hierfür müssen klare menschenrechtliche Richtlinien gefunden und durchgesetzt werden. Eine Überprüfung und ggf. Sanktionierung der eigenen Subventionspolitik im Rahmen der WTO ist von den Industrieländern nicht vorgesehen und nicht zu erwarten. Eine Sozialklausel würde die Verantwortung für die Menschenrechte im Welthandel einseitig auf die Staaten des Südens abschieben.
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Die Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte darf man nicht ausschließlich Regierungen überlassen. Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen - wie amnesty international oder FIAN, Kleinbauernorganisationen und Gewerkschaften - müssen bei deren Kontrolle ein wichtiges Wort haben. Für sie ist in der neuen WTO, die über Sozialklauseln beschließen soll, aber keinerlei Raum vorgesehen. Bereits ihre Vorläuferorganisation, das GATT, zeichnete sich demgegenüber durch einen autokratischen Charakter aus, indem die wichtigsten Handelsblöcke EU, Japan und USA maßgeblich die Politik bestimmten. In der IAO haben Gewerkschaften ein gleichberechtigtes Stimmrecht, in den UN-Menschenrechtskomitees verfügen Nichtregierungsorganisationen zumindest über einen Beraterstatus. Dies droht durch eine Verlagerung von menschenrechtlichen Kompetenzen an die WTO verloren zu gehen. Die Übertragung formaler menschenrechtlicher Autorität an die hierfür in keiner Form qualifizierte WTO bedeutet von daher die Gefahr der Schwächung menschenrechtlicher Instrumente, wie sie derzeit u. a. die IAO verkörpert. Die grundlegenden IAO-Konventionen sind bereits jetzt Elemente des Völkerrechts. Warum wollen die beteiligten Regierungen nicht die dafür zuständige UN-Institution, sie IAO, grundsätzlich stärken, egal ob es um Handels- oder andere Fragen geht? Zieht man in Betracht, daß einer der zentralen Befürworter der Sozialklausel - die USA - nicht eine einzige der zentralen IOA-Konventionen, um die es doch eigentlich gehen soll, unterzeichnet hat, wird die Furcht vieler Regierungen und Nichtregierungsorganisationen des Südens, die führenden Industrienationen wollten mit einer Sozialklausel ein mit Menschenrechts-Argumenten getarntes Machtinstrument gegen neue Konkurrenten aus dem Süden aufbauen, nur zu verständlich.
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Die Erfahrungen der Behandlung sozialer Fragen im GATT lassen eine Einführung von Sozialklauseln in der Nachfolgeorganisation WTO als völlig fehlplaziert erscheinen. Artikel XXe des bislang gültigen GATT-Vertrages erlaubte handelsbeschränkende Maßnahmen gegen Produkte, die in Strafvollzugsanstalten hergestellt waren. Dies hätte gravierende Folgen für die VR China mit ihrer umfangreichen Exportproduktion in Zwangsarbeitslagern haben können, wenn die Industriestaaten es für opportun gehalten hätten. Doch stellt China einen offenbar zu wichtigen Markt für die Industrieländer dar, mit dem man es sich nicht verscherzen wollte und will, wie US-Präsident Clinton es mit seiner öffentlichen Stellungnahme zur Trennung von Menschenrechts- und Wirtschaftsfragen in Bezug auf die US-China-Politik deutlich gemacht hat. Strafmaßnahmen gegen China sind folglich in der Vergangenheit ausgeblieben, was auch für eine mögliche Sozialklausel innerhalb der WTO zukünftig eine willkürliche Verfahrensweise befürchten lassen muß, wonach nur gegenüber wirtschaftlich unbedeutenden und/oder politisch mißliebigen Mitgliedsstaaten Strafmaßnahmen zu erwarten wären.
Soziale Menschenrechte auf allen Ebenen fördern
Aus Sicht einer Organisation für die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte sieht FIAN - wie oben beschrieben - in der Diskussion um Sozialklauseln innerhalb der WTO mehr gefahren als Chancen. Diese ablehnende Haltung bedeute für FIAN aber keineswegs ein Abschied von der Forderung nach sozialen Mindeststandards im Welthandel. Im Gegenteil: Menschenrechtsorganisationen und andere Nichtregierungsorganisationen - im Süden wie im Norden - sollten die Diskussion um die Sozialklauseln nutzen, ihren Forderungen nach einer verbesserten Durchsetzung der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte auf allen Ebenen mehr Gehör zu verschaffen:
Regierungen, Gewerkschaften wie Unternehmerverbände gleichermaßen sollten, wenn sie soziale Grundrechte im internationalen Arbeitsleben stärken wollen, die Rolle der IAO insgesamt stärken. Durchsetzungsmechanismen der wichtigsten IAO-Konventionen müssen verbessert werden. Auch die Frage möglicher positiver wie negativer Sanktionen sollte in diesem Zusammenhang erörtert werden.
Die Bundesregierung ist aufgefordert, in ihrem Politikdialog mit Entwicklungs- und Industrieländern als ersten Schritt die Unterzeichnung und Einhaltung der wichtigsten IAO-Konventionen von allen Partnern - zu nennen wären hier insbesondere die USA und die Wachstumsstaaten Südostasiens - einzufordern und diese selbst zu unterzeichnen, was nicht immer der Fall ist.
Die Bundesregierung sollte ihre gewachsene Rolle in der Welt wahrnehmen, aber sich bei der Diskussion um eine Reform des UN-Systems weniger auf die Frage militärischer Handlungskompetenz konzentrieren, als vielmehr die Durchsetzung der sozialen und Wirtschaftlichen Menschenrechte innerhalb des UN-Systems forcieren. Konkrete Schritte hierzu wären u. a.: eine institutionelle und finanzielle Stärkung des UN-Komitees für die sozialen und wirtschaftlichen Rechte wie des UN-Menschenrechtssystems generell, die Einführung eines Individualbeschwerderechts für die Opfer sozialer und wirtschaftlicher Menschenrechtsverletzungen analog zu dem entsprechenden "optional protocol" für die bürgerlich-politischen Rechte, eine Rechenschafts- und Berichtspflicht von IWF und Weltbank gegenüber den UN-Menschenrechtsgremien.
Die Bundesregierung sollte einen größeren Teil ihrer Entwicklungshilfegelder für den Menschenrechtsschutz verwenden, insbesondere im Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte. Ohne die Garantie ihrer grundlegenden Rechte werden die Zielgruppen staatlicher Entwicklungspolitik, die Armen, nur zu oft deren Opfer. Die Unterstützung für den Kampf gegen die Kinderarbeit in der indischen Teppichindustrie durch die Bundesregierung ist eine lobenswerte, aber bislang einsame Maßnahme in diesem Bereich. Hier müssen im Dialog mit Nichtregierungsorganisationen weitere Sektoren im Welthandel unterstützt werden.
International agierende Unternehmen sollten sich öffentlich verpflichten, die international geltenden Menschenrechte (und nationale Gesetze) in all ihren Niederlassungen einzuhalten und eine unabhängige Kontrolle solcher Selbstverpflichtungen durch Nichtregierungsorganisationen zulassen. Die Bundesregierung sollte in ihrem Dialog mit der Privatwirtschaft auf einen solchen allgemeinen Verhaltenskodex - wie er auch auf UN-Ebene seit langem verhandelt wird und in Konturen in der "Dreigliedrigen Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik" der IAO aus dem Jahre 1977 festgelegt wurde - drängen und die strikte Einhaltung existierender spezieller Kodizes (bspw. zum Handel mit Babynahrung und Pestiziden) einfordern.
International agierende Unternehmen sollten zudem die Garantie der Einhaltung sozialer Grundrechte bei ihren Lieferanten zu einem Qualitätsmerkmal ihrer Produkte machen und als einen ersten Schritt den Lieferanten, die diese Qualität gewährleisten, eine besondere Abnahmepräferenz anbieten.
Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Verbraucherorganisationen sollten nicht nur der Frage der umweltverträglichen Produktion von Konsumwaren, sondern auch der Sozialverträglichkeit eine höhere Bedeutung beimessen und Waren aus garantiert sozial- und umweltverträglicher Produktion einen besonderen Vorzug geben.
FIAN wird in seiner Öffentlichkeitsarbeit sowie in Gesprächen mit Regierungen und Unternehmen auf die Realisierung dieser Punkte drängen. Unverzichtbar wird aber in jedem Fall auch zukünftig die direkte Intervention in Fällen von Menschenrechtsverletzungen sein: in Produkt- und Handels-Kampagnen, mit Protestbrief-Aktionen und Fallarbeit lokaler Gruppen. Hierbei ist die enge Nord-Süd-Kooperation von Gewerkschaften, Bauerngruppen und Menschenrechtsorganisationen eine notwendige und verläßlichere Basis als schwer kontrollierbare Regelungen innerhalb der WTO.
März 1995
aus:
iz3w Dokumentation
Sozialklauseln im Welthandel
informationszentrum
dritte welt, Freiburg
April 1996