El Salvador heute – 17 Jahre nach den Friedensabkommen

Die aktuelle Situation in El Salvador ist geprägt von der neoliberalen Politik der rechtsgerichteten ARENA-Regierung. Die Besitzverhältnisse wurden durch die Friedensverträge kaum angetastet, knapp die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, ein Fünftel der Bevölkerung gilt als extrem arm. Immer mehr Menschen werden von sozialen Grunddiensten wie Gesundheit und Bildung ausgeschlossen, da diese zunehmend privatisiert werden. Gleichzeitig konzentrierte sich der Reichtum im Land in den letzten Jahren wieder stärker. Die salvadorianische Wirtschaft ist zunehmend auf zwei Säulen angewiesen: Erstens basiert sie auf den Geldüberweisungen (remesas) der in den USA lebenden SalvadorianerInnen an ihre Familien zu Hause. Im Jahr 2008 überstiegen diese die Summe von 3,7 Milliarden US-Dollar (Stand Januar 2009). Diese Summe entspricht 17,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Allerdings betrifft die Rezession in den USA auch und in besonderer Härte die MigrantInnen. Deswegen ist die Summe der Remesas im Jahr 2008 gegenüber den Vorjahren nur leicht angestiegen. In den Vorjahren war sie jährlich um ca. 6,5% gewachsen, im Jahr 2008 hingegen stieg sie nur um 2,5% gegenüber 2007 an. Zweitens baut die Wirtschaft auf die "Weltmarktfabriken" oder "maquilas" auf sogenannten Freihandelszonen. Freihandelszonen sind von den nationalen Regierungen geschaffene Gelände, auf denen in der Regel vollkommen zoll- und steuerfrei produziert werden kann. Gleichzeitig nutzen die internationalen Unternehmen das niedrige Lohnniveau in den Ländern Zentralamerikas. In den zentralamerikanischen Maquilas werden meist Textilien produziert. Generell handelt es sich um arbeitsintensive Produktionsschritte, für die keine Fachkräfte benötigt werden. Neben der Befreiung von Steuern und Zöllen finden internationale InvestorInnen auch gelockerte Umweltauflagen, Sozialstandards und die Ausschaltung gewerkschaftlicher Rechte vor. Der Agrarsektor verliert dagegen Stück für Stück an Bedeutung. Außer der Saisonarbeit in der Kaffee- und Zuckerernte bleibt dem größten Teil der Landbevölkerung nur der Anbau von Grundnahrungsmitteln. Doch hier hinterlässt die neoliberale Wirtschaftspolitik ihre Spuren: Die Einfuhr von Billigmais aus den USA beispielsweise führt zum Preisverfall, salvadorianische ProduzentInnen sind dieser Konkurrenz nicht gewachsen. Die Landverteilung blieb auch nach dem Friedensschluss extrem ungerecht, und das durch die Landreform umverteilte Land konzentriert sich wieder zunehmend in den Händen der wirtschaftlichen Elite. 2006 trat ein Freihandelsabkommen mit den USA, CAFTA (Central American Free Trade Agreement), in Kraft. Die ernüchternde Bilanz 2007 lautete, dass keines der Versprechen, mit denen die rechte ARENA-Regierung für die Einführung des CAFTA geworben hatte, sich bewahrheitet hat. Durch eine Verringerung der Exporte in die USA anstelle der versprochenen Erhöhung sowie durch eine Zunahme der Importe aus den USA verschärfte sich das Handelsdefizit. Arbeitsplätze verschwanden, anstatt dass sie geschaffen wurden und auch die Inflation stieg entgegen der Ankündigungen an. Und die prekäre Situation, in der sich weite Teile der Bevölkerung befinden, droht sich weiter zu verschlechtern. Denn die EU möchte im Wettlauf mit den USA um die Märkte Lateinamerikas nicht hintenan stehen und verhandelt – analog zu CAFTA – ein eigenes Freihandelsabkommen unter dem Namen „Assoziierungsabkommen“. (Für weitere Informationen siehe Rubrik Weltwirtschaft) Die Zerstörung der Landwirtschaft durch die neoliberale Wirtschaftspolitik, die weit verbreitete Armut, die hohe Gewaltrate und andere Faktoren führte zur verstärkten Migration in die Städte und ins Ausland. Heute leben knapp sechs Millionen Menschen in El Salvador. Mehr als drei Millionen sind bereits emigriert, der größte Teil nach den Friedensabkommen. Auch die Binnenmigration in die Städte ist stark gestiegen und hat zum Anwachsen des informellen Sektors geführt. Etwa die Hälfte der Bevölkerung versucht auf diese Weise ihr Überleben zu sichern. Mit den Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik - der Verarmung von immer mehr Menschen - und den Antworten wie steigender Kriminalität und sozialem Protest geht die Regierung zunehmend autoritär um. Demokratische Rechte werden durch rechtlich fragwürdige Repression und verfassungswidrige Gesetze zunehmend eingeschränkt. Ein einschneidendes Ereignis war die Kriminalisierung des Protestes gegen die Privatisierung der Wasserversorgung in Suchitoto Mitte 2007. Willkürlich Verhaftete wurden nach einem schwammigen „Antiterrorgesetz“ und dem „Gesetz gegen die organisierte Kriminalität“ angeklagt. Erstmals seit Kriegsende wurde wieder von politischen Gefangenen in El Salvador gesprochen. Dem vehementen Protest aus In- und Ausland ist es zu verdanken, dass die Angeklagten im Februar 2008 freigesprochen wurden. Weiterhin wird sozialer Protest aber kriminalisiert. Betroffen sind zum Beispiel Gewerkschaften, die gegen Privatisierungen protestieren oder Widerstandsgruppen gegen die Freihandelsverträge. Straflosigkeit ist weiterhin ein zentrales Thema in El Salvador. Die schweren Menschenrechtsverbrechen der siebziger und achtziger Jahre sind aufgrund eines Amnestiegesetzes von 1993 straffrei geblieben. Bindende Empfehlungen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH), das Gesetz aufzuheben, den Mord an Erzbischof Romero aufzuklären, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und die Opfer zu entschädigen, werden von der Regierung des amtierenden Präsidenten Antonio Saca nicht anerkannt. Soziale, politische und kirchliche AktivistInnen werden in einer Art und Weise ermordet, die auf Todesschwadrone hindeuten. Aufklärung durch die Zivile Nationalpolizei (PNC) und Strafverfolgung erfolgt nicht; im Gegenteil ist erwiesen, dass die PNC selbst für soziale Säuberungen verantwortlich ist und innerhalb ihrer Strukturen „Killerkommandos“ bestehen. Noch lange ist kein Frieden und keine Gerechtigkeit in El Salvador eingekehrt. Doch trotz aller Repression, der die Bevölkerung ausgesetzt ist und trotz aller Rückschläge, die soziale Bewegungen und Organisationen in ihren Kämpfen um eine gerechtere Gesellschaft hinnehmen müssen – die Menschen lassen sich nicht einschüchtern. Nach wie vor organisieren sich die Menschen für ihre Überlebensinteressen und gehen auf die Straße. Mit diesen Menschen ist das Ökumenische Büro solidarisch.

Zurück