Andreas Kemper:
Ideologien und Netzwerke der Privatstadt-Lobby
Vortrag von Andreas Kemper vom 13.November 2021 anlässlich des Online-Seminars „Honduras: Privatstädte und ,libertäre' Netzwerke: Entwicklungschancen für wen?“
Im ersten Teil meines Vortrags wird es um Ideologien gehen: Was denken diejenigen, die Privatstädte vorantreiben? Was wollen sie? Im zweiten Teil werde ich zumindest einen Teil ihrer sehr komplexen Netzwerke darstellen, vor allem den Teil, der direkt mit der Ideologie zu tun hat.
Die Ideologie, von der hier die Rede ist, ist eine bestimmte Art von radikalisiertem Neoliberalismus. Man kann sie in zwei Schulen einteilen: Einerseits in die Chicagoer Schule, die auf Milton Friedman zurückgeht, der in Chile unter Pinochet seine Utopien direkt verwirklichen konnte. Darunter leidet das Land bis heute. Dabei handelt es sich um einen Minimalstaat mit einem starken Militär und mit einem starken Polizeistaat, aber ansonsten wird der Staat zurückgedrängt. Sozialmaßnahmen müssen zurückgedrängt werden, Reiche sollen möglichst wenig Steuern bezahlen. Daneben gibt es die österreichische Schule, benannt nach zwei österreichischen Volkswirten des 20. Jahrhunderts, Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek.
Im Zusammenhang mit der österreichischen Schule ist auch das Cato Institute zu nennen, ein sehr großes Institut, hinter dem viel Geld steht, namentlich von den Koch-Brothers, Milliardären aus den Vereinigten Staaten. Der Hayek-Schüler Murray Rothbard trennte sich vom Cato-Institut und gründete 1982 das Mises Institute in Alabama, das die Lehre der österreichischen Schule deutlich radikalisiert. Das Cato Institute strebt eher einen Minimalstaat an, Rothbards Radikalisierung besteht darin, zu sagen: Wir wollen keinen Minimalstaat. Wir wollen den Start komplett abschaffen. Diese Richtung nennt sich selbst anarchokapitalistisch oder libertär. Wichtig ist für diese Denkrichtung wiederum ein Deutscher, Hans-Hermann Hoppe. Er hat ein Buch geschrieben: Democray, the God that Failed (deutsch: Demokratie. Der Gott, der keiner ist). Also über die Demokratie, die versagt oder die nicht funktioniert. Er selbst bezeichnet sich als Demokratiefeind. Er kämpft gegen Demokratie und er sagt, wir müssen den Start komplett abschaffen und ersetzen durch eine reine „Privatrechtsgesellschaft“, so nennt er das. Also auch Polizei, Gerichte, Gefängnisse — alles soll privatisiert werden. Die Demokratie stehe dem entgegen und müsse dann eben auch abgeschafft werden. Dahinter steckt die Idee, dass unsere Gesellschaft gebremst werde von denen, die nichts leisteten. Hans-Hermann Hoppe nennt sie auch „Parasiten“. Diese „Parasiten“ sind für ihn das Leid der Gesellschaft. Und das Problem ist für Hoppe, dass die Menschen, die nichts leisten, die arm sind, die arbeitslos sind, trotzdem wählen dürfen. Und deswegen müsse das Wahlrecht abgeschafft werden. Das ist seine Idee. Das Wahlrecht müsse komplett abgeschafft werden und es dürfe keinen Sozialstaat mehr geben.(1)
Hans-Hermann Hoppe hat seine eigene Property and Freedom Society in der Türkei gegründet, dort lehrt er und hat auch viele Rechte eingeladen, von der Alt-Right-Bewegung aus den Vereinigten Staaten. Diese Bewegung entspricht in etwa der Neuen Rechten in Deutschland.
Hans-Hermann Hoppe schreibt in einem Artikel von 2021, wenn er eine Partei wählen würde — was er nicht tut, denn er lehnt ja Parteien als staatlich ab — aber, wenn er eine Partei wählen müsste, dann wäre das nicht die liberale FDP, sondern dann wäre das die AFD. In der AFD würden die Freiheitswerte stärker vertreten als in der FDP. Die FDP in Deutschland lehnt er ab und sagt, sie sei kommunistisch.(2)
An diese Stelle kurz etwas zur Begriffsklärung: Die Vertreter dieser Denkrichtungen nennen sich selbst, wie gesagt, Libertarians oder Anarchokapitalisten. Ich halte das für den falschen Begriff, weil sie eben nicht für Freiheit sind. Sie wollen die Freiheit einschränken bzw. sie wollen nur für sich selbst Freiheit, Freiheit für die Reichen. Ein besserer Begriff wäre Proprietaristen, denn sie sind Eigentums-Fanatiker. Sie wollen das Eigentum der Reichen schützen und ausbauen. Ich würde also einerseits vom Proprietarismus der Chicago Boys und andererseits von dem der österreichischen Schule sprechen.
Ein Roman, der immer wieder in der Ideenwelt der Proprietaristen auftaucht, ist Atlas Shrugged der Autorin Ayn Rand. Die Figuren, die dort vorkommen, sind zum Beispiel Atlas, der Held, der die Weltkugel auf seinen Schultern trägt. Oder eine weitere Protagonistin, die Taggart heißt. Taggart und Atlas sind Namen, die dann auch von Thinktanks und Initiativen verwendet werden, die das Modell der Privatstädte vorantreiben.
Ich lese jetzt einige Zitate aus ihrer Gedankenwelt vor. Sie zeigen keineswegs nur die Denkweise Einzelner, sondern diese Ideologie durchzieht das gesamte Netzwerk:
Da ist zum Beispiel der einflussreiche Millionär Peter Thiel, der zu Beginn Facebook mitfinanziert hat. Er hat die erste Großspende an Facebook gegeben und ist Mitgründer von Paypal. Thiel unterstützt das Seasteading Institute von Patri Friedman, dem Enkel von Milton Friedman. Das Seasteading Institute will Privatstädte aufbauen. Peter Thiel hat in einem Artikel von 2009 geschrieben, dass Patri Friedman mit seinem Seasteading Institute für ihn die große Hoffnung ist. Zitat: „Die 1920er Jahre waren das letzte Jahrzehnt in der amerikanischen Geschichte, in dem man in Bezug auf die Politik wirklich optimistisch sein konnte. Seit 1920 haben die enorme Zunahme von Sozialhilfeempfängern und die Ausweitung des Wahlrechts auf Frauen -zwei Wählergruppen, die für Libertäre notorisch schwierig sind - den Begriff der ,kapitalistischen Demokratie''zu einem Oxymoron gemacht. […] Aus diesem Grund müssen wir alle Patri Friedman das Allerbeste für sein außergewöhnliches Experiment wünschen.“(3)
Das heißt, weil es jetzt Sozialhilfeempfänger gibt, weil es Arbeitslose gibt, weil es Frauen gibt, die wählen dürfen, sind für Thiel Kapitalismus und Demokratie zu einem Widerspruch in sich geworden. Deshalb unterstützt er mit seinen Millionen Patri Friedmans Privatstadt-Idee.
Daneben gibt es auch die Free Private Cities Inc., die ein Deutscher gegründet hat, Titus Gebel, auf den ich gleich ausführlicher zu sprechen komme. Gebel gründete die Free Private Cities Inc. gemeinsam mit dem Niederländer Frank Karsten, seinerseits Gründer des Mises Instituts Niederlande und Mitautor des Buches "Beyond Democracy". Dort schreibt Karsten: "Viele Kritiker der Demokratie sind davon überzeugt, dass diese repariert werden müsse, haben aber kein Problem mit den grundlegenden demokratischen Prinzipien selbst. Unser Buch widerlegt diese Behauptungen. Demokratie ist das Gegenteil von Freiheit - es ist dem demokratischen Prozess geradezu inhärent, dass er zu weniger Freiheit tendiert, anstatt zu mehr — und Demokratie ist nichts, was repariert werden muss. Die Demokratie ist ein kollektivistisches System und ist von Natur aus kaputt, genau wie der Sozialismus."(4)
Die Demokratie kann man also nicht reparieren, sie muss komplett abgeschafft werden — zusammen mit dem Staat. In den erwähnten Büchern von Hoppe oder Frank Karstens vom Mises-Institut in den Niederlanden wird Demokratie als Krankheit dargestellt. Hoppe schreibt in "Democracy, the God that Failed", eine freie Gesellschaft müsse Demokraten und Kommunisten und Menschen, die Homosexualität befürworten, physisch entfernen. Es gehe um eine „natürliche Ordnung“.(5)
Titus Gebel bezeichnet sich selbst ebenfalls als "sehr demokratieskeptisch". Auch er sagt, solange in einer Massendemokratie Arbeitslose wählen dürften, könne man den Staat nicht komplett umbauen. Der Staat bleibe ein Umverteilungsstaat, deswegen müssten Alternativen zum Staat aufgebaut werden.(6)
Am Aufbau dieser Alternativen, zum Beispiel ZEDE Próspera, der Privatstadt, die auf Roatán in Honduras gebaut wird, ist unter anderen der deutsche Architekt Patrik Schumacher beteiligt. Schumacher ist Teilhaber des Architekturbüros Zaha Hadid aus London. Er forderte in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, dass der Neoliberalismus radikalisiert werden müsse. Es dürfe keinen Zuschuss mehr geben zum Wohnen, es dürfe keinen billigen Wohnraum mehr geben. Arbeitnehmerrechte müssten komplett abgeschafft werden.(7) Schumacher unterstützt mit seinem Architekturbüro die Schaffung von Wohnungen in der ZEDE Próspera.
Vielleicht denken nun einige, diese „Libertären“ sind ja, zumindest was Rassismus angeht, auf der guten Seite. Sie sind zumindest keine Rassisten, sie sind keine Faschisten.
Aber da muss ich enttäuschen, denn sie beziehen sich sehr wohl auf Rassenbiologie. Sie beziehen sich auf die Ideologie der Eugenik, mit der Behauptung, dass People of Color eine geringere „Erbintelligenz“ haben. Sie beziehen sich auf Vordenker wie Philippe Rushton und Michael Levin, die sagen, es gebe rassenbiologisch bedingt unterschiedliche Intelligenz, People of Color seien krimineller etc. Zitat: „Die Amerikaner sehen sich heute mit allen möglichen Programmen zur Förderung von Minderheiten konfrontiert. Es wird behauptet, dass Schwarze besondere Vorteile in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Wohnen erhalten müssen, um sie für die bösartigen Auswirkungen der vergangenen Unterdrückung zu entschädigen. Diese Programme greifen auf drastische Weise in den freien Markt ein; aber was soll ein klassischer Liberaler angesichts der Forderung nach Gerechtigkeit tun? Er kann diese Programme nur bekämpfen, wenn er ihre Grundannahme in Frage stellt - die Ansicht, dass die sozialen Probleme der Schwarzen auf die ungerechte Behandlung zurückzuführen sind, die ihnen zuteil wurde. Solange diese Prämisse nicht umgestoßen wird, muss ein klassischer Liberaler aus Gründen der Gerechtigkeit Eingriffe in die von ihm favorisierte Gesellschaftsordnung zulassen. [...] '[W]arum wird die umstrittene genetische Frage überhaupt aufgeworfen? Sie muss aufgeworfen werden, weil weithin und vernünftigerweise angenommen wird, dass von den Umweltfaktoren nur die Unterdrückung ein so großes Leistungsgefälle hervorrufen kann wie das zwischen den Rassen... .Sobald der Umweltaspekt akzeptiert wird, kehrt das Kompensationsargument mit einem Schlag zurück.'“(8)
Deswegen gehen die Proprietaristen zurück auf Rassenbiologie und behaupten, alle Unterschiede, die es zwischen People of Color, zwischen Schwarzen und Weißen gebe, seien auf rassenbiologische Ursachen zurückzuführen. Ohne diese Grundlage könnten sie ihr ganzes 'libertäres' Konzept gar nicht begründen und durchsetzen.
Professor Juan Huerto de Soto, der an der spanischen Universidad Rey Juan Carlos einen Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften innehat, und der an den Anarchokapitalismus anknüpft, schreibt zu diesem Konzept: "Wenn der Staat erst einmal existiert, ist es unmöglich, die Ausdehnung seiner Macht zu begrenzen.“(S. 168) […] „Die anarcho-kapitalistische politische Agenda sieht beispielsweise vor, die Größe und Macht von Staaten immer weiter zu reduzieren. Durch regionale und lokale Dezentralisierung in allen Bereichen, libertären Nationalismus, die Wiedereinführung von Stadtstaaten und Sezession soll die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit verhindert und den Menschen ermöglicht werden, zunehmend ,mit den Füßen abzustimmen', anstatt mit Stimmzetteln. Kurz gesagt, das Ziel ist, dass die Menschen weltweit und grenzüberschreitend zusammenarbeiten können, um die unterschiedlichsten Ziele ohne Rücksicht auf Staaten zu erreichen (religiöse Organisationen, private Vereine, Internet-Netzwerke usw.)“ S.175.(9)
Die Proprietaristen sagen also: Weil es Demokratie gibt, können wir den Staat nicht komplett erneuern. Wir setzen also auf Sezession. Wir schneiden quasi aus dem Staat eigene Bereiche heraus, installieren da unsere Privatstädte und bauen sie auf.
Wie funktioniert das?
Nicht nur in Lateinamerika, in Honduras, werden jetzt Privatstädte gebaut, sondern auch in Afrika. Die erste afrikanische Privatstadt soll auf der Insel São Tomé des Kleinstaates São Tomé e Principe entstehen. Das haben wir herausgefunden, weil Titus Gebel, der diese Privatstadt errichten will, zu viele Informationen preisgegeben hat. Gebel sagte zu dieser Privatstadt, deren Namen er nicht genannt hat, sondern offensichtlich geheimhalten wollte, dass man für Privatstädte kleinere Staaten auswählen muss. Kleinere Staaten hätten mehr Angst. Man könne das nicht machen in den USA oder in China oder in Russland, sondern in ganz kleinen oder ganz armen Staaten, die Angst haben vor Strafen, wenn sie Verträge nicht einhalten können. Ich zitiere Titus Gebel: „Also gehen wir auf kleinere Länder, also, die wirklich wenig Einwohner haben oder relativ wenig. Die haben so noch mehr Angst vor öffentlichen Meinungen und haben so internationalen Ruf zu verlieren, wenn sie einfach Verträge brechen.“(10)
Das hat er vor ein paar Monaten gesagt, auf einem Podium zusammen mit Markus Krall von Degussa Goldhandel, einem Unternehmen eines der reichsten Deutschen, August von Finck, der auch diese ganze Ideologie unterstützt hat. Es gibt auch in Deutschland ein Mises-Institut, das eng verflochten ist mit Degussa Goldhandel.(11)
Das heißt, in dem afrikanischen Kleinstaat soll der Bevölkerung nicht klar werden, dass dort jetzt Verträge ausgehandelt werden, dass Gesetze geändert werden. Das soll geheim bleiben, der Name des Staates wird nicht genannt, das entsprechende Video mit einem Landkartenausschnitt wurde inzwischen gelöscht. Aber es ist zu spät, wir haben schon herausgefunden, dass es São Tomé ist.
Titus Gebel sagte dann weiter, zunächst wird ein Gesetz ausgehandelt mit den Parlamentariern des betreffenden Staates, dann "wird auf dieser Gesetzesgrundlage ein Vertrag gemacht von einer Tochterfirma mit diesem Staat. Und ich kann Ihnen jetzt auch mal sagen, wie so etwas funktioniert: Die Tochterfirma sitzt auf Mauritius. Warum das? Weil Mauritius eines der wenigen Länder ist, das ein Investitionsschutzabkommen mit diesem Staat hat. Wir müssen uns irgendwie schützen gegen irgendeinen Präsidenten, der dann ins Amt gewählt wird, der sagt: Ja, wir sind betrogen worden, das ist alles nichtig und so weiter. Unser schärfstes Schwert, das wir dann haben, ist, dass wir sagen, wir machen eine Investitionsschutzklage vor dem Schiedsgericht. Das sollte auch ein Staat sein, der dieser New Yorker Konvention unterliegt. Da guckt man vorher drauf und da gehen wir notfalls hin und verklagen den. Und dann wird das sehr teuer."
Das heißt, die Initiatoren der Privatstadt haben bewusst erst mal geguckt: Mit welchen Staaten hat São Tomé ein Investitionsschutzabkommen? Sie haben dann gesehen, die haben mit Mauritius, einer anderen afrikanischen Insel, ein Investitionsschutzabkommen und haben dann auf Mauritius eine Tochterfirma gegründet, die jetzt die Privatstadt in São Tomé aufbauen will. Und wenn nun eine neue Regierung gewählt würde, die sagt "Das war gar uns gar nicht bewusst, wir wollen das wieder rückgängig machen", dann kann diese Tochterfirma auf Mauritius klagen und dann wird São Tomé angeklagt. Als Beispiel nennt Titus Gebel Argentinien. Als Argentinien in der Krise war, konnte die argentinische Regierung auch bestimmte Dinge nicht bezahlen und dann wurden argentinische Regierungsflugzeuge, die irgendwo zwischengelandet waren, gepfändet - aufgrund eines Investitionsschutzabkommens.(12)
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch, dass Titus Gebel einer der Gründer der Deutschen Rohstoff AG ist und vor der Küste des sehr armen Inselstaates São Tomé, der nur 210.000 Einwohner hat, ein Rohölvorkommen von einer Milliarde Barrel entdeckt wurde. Da liegt die Befürchtung nahe, dass es auch darum gehen könnte, an diese Reserve heranzukommen. Dafür habe ich allerdings keine Belege.
Abschließend möchte ich auf einige proprietaristische Netzwerke eingehen, kann aber in der Kürze der Zeit nur einen ganz kleinen Teil davon darstellen.
Was die Chicago Boys betrifft, so erinnere ich nochmals an Milton Friedman, der 1975 in Chile seinen Auftritt hatte. Und der Enkel von Milton Friedman, Patri Friedman ist mit dabei Privatstädte zu gründen, mit seinem Seasteading Institute mit dem Geld von Peter Thiel.
Was die österreichische Schule angeht, ist zum Beispiel das Atlas Network zu nennen. Das ist ein Netzwerk verschiedener Initiativen, Think-Tanks und Organisationen, das 1981 gegründet wurde, benannt nach Ayn Rands Roman Atlas Shrugged. Die Ideologie ist klar: Wir sind gegen Sozialstaat, wir wollen den rein kapitalistischen Staat, die ganze kapitalistische Härte. Und wer diese kapitalistische Härte nicht mitmacht, der ist unmoralisch. Also ein ganz verdrehter Ansatz dazu, was eigentlich Moral ist. Im Zusammenhang mit dem Atlas Network ist eine Privatuniversität in Guatemala wichtig, die 1971 gegründete Universidad Francisco Marroquín, deren Gründer Manuel F. Ayau ebenfalls diese Ideologie vertritt.(13)
Patri Friedman vom Seasteading Institute und die Universidad Francisco Marroquín haben bereits im April 2011 auf Roatán in Honduras eine Tagung veranstaltet: The Future of Free Cities.
Im Anschluss wurde an der Universidad Francisco Marroquín in Guatemala gemeinsam mit Patri Friedman das Free Cities Institute gegründet. Es ist also schon über zehn Jahre her, dass überlegt wurde, wie man auf Roatán diese Privatstadt bauen kann.
Ein Absolvent der guatemaltekischen Universidad Francisco Marroquín, der Honduraner Guillermo Peña Panting, war nach seinem Master beim Atlas Network in den Vereinigten Staaten tätig und hat schließlich in Honduras die Stiftung Eléutera gegründet. Peña Panting arbeitete mit Hubert „Mort“ Taylor zusammen, dem das Energieunternehmen Signal Power & Light Inc. in den Vereinigten Staaten gehört. Taylor hat mit dem Atlas Network 2015 eine Veranstaltung gemacht und gemeinsam mit Peña die ZEDE Orquídea(14) vorangetrieben. Die Fundación Eléutera spielte dabei eine wichtige Rolle. Sie kooperiert ebenfalls mit diversen proprietaristischen Netzwerken.
Kommen wir nun zu Dubai. In Dubai hat die Investmentgesellschaft Legatum Capital ihren Sitz. Dubai ist ja gewissermaßen auch eine Privatstadt, natürlich viel größer und ganz anders aufgebaut, aber doch quasi ein Vorzeige-Stadtstaat. Legatum Capital hat eine eigene Stiftung gegründet, das Legatum Institute. Das ist ein Think-Tank mit Sitz in London, der sehr stark beteiligt war an dem harten Brexit, also dem Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union. Ein wichtige Rolle dabei spielte Shanker Singham, der 2017/18 die Special Trade Comission des Legatum Institute leitete. Singham war auch beteiligt an einer Initiative des Babson College in den Vereinigten Staaten 2015: einer internationalen Konferenz zu Freien Privatstädten, damals noch Enterprise Cities genannt. Auf dieser Konferenz stellte Erick Brimen sein Unternehmen vor: NeWay Capital. NeWay Capital gründete dann ZEDE Próspera auf Roatán. Auch diese Gründung ging also aus Aktivitäten eines Think-Tank und einer Universität, in dem Fall des Babson College in den Vereinigten Staaten, hervor. Beteiligt an ZEDE Próspera (für die auch ein Ableger in der Stadt La Ceiba auf dem honduranischen Festland vorgesehen ist, d.Red.) war außerdem ein Unternehmen der Technischen Universität München, die TUM International GmbH.
TUM International veranstaltete 2019 in München eine Investoren-Konferenz. Dort war Erick Brimen eingeladen, Titus Gebel war dabei und Florian von Tucher, aus einer ganz alten Patrizierfamilie. Auf unseren alten Geldscheinen ist noch aus dem 15.Jahrhundert die Vorfahrin Florian von Tuchers zu sehen. In München wurde ZEDE Próspera vorangetrieben, TUM International hat diese Privatstadt mitentwickelt. Seit Daniel A. Gottschald nicht mehr Geschäftsführer von TUM International ist, seit 2021, ist das Unternehmen der TU München allerdings aus ZEDE Próspera ausgeschieden. Gottschald wurde inzwischen Geschäftsführer der TUM Campus Heilbronn gGmbH, arbeitet weiter mit Shanker Singham zusammen und entwirft gemeinsam mit ihm den Kapitalismus nach der Corona-Pandemie. Nach dem Ende der Pandemie, so Gottschalds und Singhams These, brauchen wir eine neue Weltwirtschaft und die soll dann so aussehen, dass die globale Ökonomie sich auf bestimmte einzelne Städte konzentriert, auf London, auf Hongkong, auf Dubai usw., die untereinander mit Hilfe so genannter „Wirtschaftsautobahnen“ kooperieren. Dieser Handel soll nicht mehr staatlich beeinflusst werden, sondern nur noch von den Unternehmen untereinander geregelt werden.
Kommen wir zur nächsten ZEDE, Morazán City in Honduras, die u.a. von einem Italiener, Massimo Mazzone, gegründet wurde. Hierzu zwei Anmerkungen: In der ZEDE Morazán gibt es verschiedene Unternehmen, die dort registriert sind. Unter der Registernummer 00009 firmiert dort die Taggart Holding von Titus Gebel. Taggart bezieht sich wiederum auf eine Hauptfigur in „Atlas Shrugged“ von Ayn Rand. Es gab bereits früher eine Taggart Inc., ebenfalls von Titus Gebel. Sie wurde umbenannt in Freedom Today Network Services und von Titus Gebel abgegeben an Andreas Jürgens aus Deutschland.(15) Andreas Jürgens ist beteiligt an der geplanten Privatstadt Guanaja Hills(16) in Honduras. Dort ist auch Massimo Mazzone mit im Boot sowie Sebastian Paul und Johann Thusbass. Deutsche bzw. Schweizer, die unter der Registernummer 00008 das Unternehmen ARRR in ZEDE Morazán angemeldet haben. Auch hier gab es offenbar eine lange Planung und eine enge Zusammenarbeit.
Gebel, Mazzone und Thusbass waren Redner auf einer Konferenz, die Gebel und die Free Private Cities Foundation 2021 in der Schweiz abgehalten haben. Unter dem Titel „Liberty in our Lifetime“ versammelten sich verschiedene Privatstadt-Inititativen. Die Konferenz tagte im „Modelhof“ des Unternehmers Daniel Model. Der Modelhof ist der „Regierungssitz" des Scheinstaates „Avalon“. 2013 sprach Hans-Hermann Hoppe bei einer Tagung der Modelhof-Akademie zum Thema „Privatrechtsgesellschaft ohne Staat“). Er sagte: "Die Demokratie fördert die Bildung von üblen Charakteren. […] Alles, was als Sozialpolitik gemacht wird, das ist nichts als organisierte Kriminalität.“(17) Im Modelhof soll auch ein Schein-Gerichtshof einer Bewegung ansässig gewesen sein, die Lokalpolitiker und Rechtsanwälte „vorlud“, indem sie sie bewaffnet besuchte. Bei einer großen Razzia in Österreich 2018 wurden Waffen sichergestellt und mehrere Personen verhaftet, die mit dem Modelhof in Verbindung gestanden haben sollen. Daniel Model will ihnen Presseberichten zufolge das Gastrecht entzogen haben.(18)
Redaktion: Jutta Blume (HondurasDelegation), Andrea Lammers (Ökubüro)
Andreas Kemper ist Soziologe, Experte zu den Themen Faschismus, Anti-Feminismus und Klassismus. Im April 2022 erscheint sein Buch „Privatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus“ im Unrast-Verlag, Münster.
(1) Hans-Hermann Hoppe: Demokratie. Der Gott, der keiner ist. Monarchie, Demokratie und natürliche Ordnung, Waltrop und Leipzig 2003
Hans-Hermann Hoppe: “Produzenten gegen Parasiten: Aufruf zum Klassenkampf”. Interview mit Hans-Hermann Hoppe, in: Mises-Institut vom 4,5,2012, https://www.misesde.org/2012/05/interview-mit-prof-dr-hans-hermann-hoppe/
(2) Interview mit Hans-Hermann Hoppe: „Der Übergang vom Minimalstaatler zum Anarchokapitalisten ist nicht mehr als das Ergebnis einer halben Stunden intensiven, vorurteilsfreien Nachdenkens.“, in: Mises-Institut vom 3.2.2016 https://www.misesde.org/2016/02/interview-mit-hans-hermann-hoppe-%E2%80%9Eder-ubergang-vom-minimalstaatler-zum-anarchokapitalisten-ist-nicht-mehr-als-das-ergebnis-einer-halben-stunde-intensiven-vorurteilsfreien-nachdenkens/
(3) Thiel, Peter (2009): The Education of an Libertarian, in: CATO Unbound vom 13.04.2009, URL: https://www.cato-unbound.org/2009/04/13/peter-thiel/education-libertarian/ Alle Übersetzungen aus dem Englischen von Andreas Kemper.
(4) Karsten, Frank (2012): Vorwort, in: Frank Karsten/ Karel Beckman: Beyond Democracy. Why democracy does not lead to solidarity, prosperity and liberty but to social conflict, runaway spending and a tyrannical government, Baltimore, Maryland 2012
(5) Hans-Hermann Hoppe: Demokratie. Der Gott, der keiner ist. Monarchie, Demokratie und natürliche Ordnung, Waltrop und Leipzig 2003, S. 408
(6) Podiumsdiskussion beim „Alpha Trio“ 28.08.2021 https://www.youtube.com/watch?v=ui-Qj58B_-4
(7) https://www.zeit.de/2018/51/marktregulierung-kapitalismus-neoliberalismus-patrik-schumacher-architekt-arbeitsmarkt
(8) Gordon, David (1998): The Philosopher and the IQ Debate, in: Internetpräsenz des Ludwig von Mises Institutes vom 01.12.1998, Mises Review 4, No. 4 (Winter 1998) URL: https://mises.org/library/why-race-matters-race-differences-and-what-they-mean-michael-levin
(9) Huerto de Soto, Juan (2009): Classical Liberalism versus Anarcho-Capitalism, in: Hülsmann, Jörg Guido / Kinsella, Stephan (Hrsg.) (2009): Property, Freedom, and Society. Essays in Honor of Hans-Hermann Hoppe, Alabama 2009, S. 161-178
(10) AlphaTrio 28.8.2021 https://www.youtube.com/watch?v=ui-Qj58B_-4, ab. Min. 78
(11) Siehe https://andreaskemper.org/2021/07/12/degussa-goldhandel-totalkapitalistische-staatsfeindlichkeit/
(12) Mehr zur geplanten ersten Privatstadt in Afrika: https://andreaskemper.org/2021/11/11/privatstadt-auf-sao-tome/
(13) Anmerk. d. Red.: Manuel Ayau Cordón, in Guatemala auch Muso genannt, wegen des Vorbilds seiner Jugend, Benito Mussolini, war auch in der guatemaltekischen Politik aktiv. Zur Zeit der Universitätsgründung war er Abgeordneter der ultrarechten Partei Movimiento de Liberación Nacional (MLN) des Generals Arana Osorio, berüchtigt für ihre Verbindungen zu Todesschwadronen, die Tausende von Oppositionellen verschleppten und ermordeten. Später engagierte Ayau sich in der Nationalen Zentrumspartei UCN des Verlegers Jorge Carpio Nicolle. Siehe https://elpais.com/diario/2010/08/18/necrologicas/1282082401_850215.html
https://www.pagina12.com.ar/diario/suplementos/cash/17-8454-2015-04-26.html
Ein Enkel Manuel Ayaus, Gabriel Delgado Ayau, gehört dem Kuratorium der Universidad Francisco Marroquín an. Er ist außerdem Chief Development Officer und Council Member von ZEDE Próspera. Im Oktober 2021 verkündete ZEDE Próspera die Gründung seiner Online-Universität namens Universidad Olga y Manuel Ayau Cordón (UOMAC).
(14) Anmerk. d.Red.: ZEDE Orquídea ist eine agroindustrielle Privatstadt im Süden von Honduras, in der bisher das Unternehmen AgroAlpha Tomaten und Paprika für den US-amerikanischen Markt produzieren will. Das honduranische Internet-Magazin Contracorriente berichtete im August 2021, Taylor habe die ursprünglich von ihm erworbene ZEDE an honduranische Unternehmer aus dem Agro- und Krabbenzuchtbusiness verkauft, nachdem klar wurde, dass sein eigentliches Projekt einer ZEDE zur Energieproduktion nicht umsetzbar war. Peña Panting ist technischer Sekretär von ZEDE Orquídea. https://contracorriente.red/2021/08/07/las-promesas-y-las-zede-en-el-sur-de-honduras/
(15) https://www.northdata.de/FTN+Services+GmbH,+Bonn/HRB+23420
(16) Anmerk. d. Red.: Guanaja Hills erscheint inzwischen als „Resort, Community and Business Place“ namens Parrot Beach Eco Resort. Massimo Mazzone taucht mittlerweise nicht mehr wie früher als Teil des Projektmanagements auf deren Internetseite auf: https://guanajahills.com/project-management Die 2021 im schweizerischen Müllheim abgehaltene Lifetimeliberty-Konferenz https://www.lifetimeliberty.com/#infoategorisierte Guanaja Hills als „liberty projects“ neben ZEDE Próspera, ZEDE Morazán, Seasteading Hills, Liberland und Frenly Park. Aktuell, im Dezember 2021, ist unklar, ob Guanaja Hills als ZEDE ausgewiesen werden sollte und/oder nun als „übliches“ Immobilienprojekt entwickelt wird.
(17) https://www.misesde.org/2013/01/vortrag-von-professor-hoppe-in-der-akademie-modelhof-privatrechtsgesellschaft-ohne-staat/
(18) https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/razzien-in-oesterreich-reichen-bis-in-den-thurgau-ld.1061401
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/mit-schusswaffen-gegen-den-staat/story/23347169
Andreas Kemper: Liberty in our Lifetimes, in: Klassismus.de vom 28.11.2021, https://www.klassismus.de/index.php?title=Liberty_in_our_Lifetime