„Auf dem Plan ist Crawfish Rock ausgelöscht“
Venessa Cardenas ist Vizepräsidentin des Patronatos von Crawfish Rock, das heißt der ehrenamtlichen Gemeindevertretung. Die Gemeinde Crawfish Rock liegt an der Nordküste der Insel Roatán und wird von Black Indigenous People of Color (BIPoC) bewohnt. Seit Bekanntwerden der Pläne, dass dort die ZEDE Próspera ausgewiesen wurde und gebaut werden soll, hat sich massiver Widerstand von Seiten der Gemeinde und der gesamten Inselbevölkerung formiert.
Frage: Wie haben Sie von den Plänen für die ZEDE Próspera erfahren, wie genau sind Sie in der Gemeinde darüber informiert worden und wie haben Sie darauf reagiert?
Venessa Cardenas: Wir sind von der ZEDE überrascht wordenWir erfuhren von der ZEDE weder von der Regierung noch von Seiten des Unternehmens, sondern von einer Repräsentantin einer anderen Gemeinde. Sie hatte Kenntnis von den Risiken im Zusammenhang mit der ZEDE und informierte uns über das Projekt mittels einer Audionachricht. Als ich die Nachricht erhalten hatte, schickte ich sie an meine Bekannten, denn niemand von uns wusste etwas über die ZEDE. Wir wandten uns an sämtliche Behörden - niemand wusste Bescheid. Als wir das Ausmaß solch einer Modellstadt erkannten und erfuhren, dass sie bereits für die Gemeinde Crawfish Rock genehmigt worden war, begannen wir Nachforschungen anzustellen. Ich habe persönlich mit Herrn Brimen gesprochen. Er ist der Präsident der ZEDE Próspera Roatán und ich habe ihm meine Auffassung dargelegt. Er wollte die Möglichkeit haben, sein Projekt zu verwirklichen. Ich sagte ihm, wir könnten ihm diese Möglichkeit nicht bieten, da das Projekt im Widerspruch zu alldem steht, was wir besitzen - zu unserer Lebensweise, zu unserer Kultur und auch zu unserer Gemeinde. Zu keinem Zeitpunkt haben sie das Projekt der ZEDE erklärt. Sie hatten die Möglichkeit dazu, es gab Versammlungen, auf denen sie den Leuten das Projekt hätten erklären können. Alle haben gedacht, es handle sich bei dem Projekt um eine Ferienanlage. Außerdem wussten [die Projektplaner*innen] darüber Bescheid, dass es sich um eine indigene Gemeinde handelt und hätten deshalb eine vorherige Konsultation durchführen müssen, was sie nicht taten. Die Regierung hat dies nicht getan. Die Regierung hat in unserer Gemeinde in dem Wissen, dass es sich um eine indigene Gemeinde handelt, ein Projekt genehmigt und uns nicht einmal darüber informiert. Niemand hat uns auch nur irgendetwas gesagt. In einem Interview habe ich gesagt, die Idee scheint zu sein, die indigenen Communities auszulöschen. Das hört sich etwas hart an, aber es ist die Realität. Von wem sonst rauben sie das Land, wenn nicht von den indigenen Gemeinden? Keine einzige Person ist für die Morde an den Führungspersonen der indigenen Communities [in Honduras] bestraft worden.
Frage: Könnten Sie uns ein wenig die Gemeinde beschreiben und erklären, wo ZEDE Próspera entsteht? Denn wir haben gehört, dass bereits die ersten Häuser gebaut werden. Ein weltbekanntes Architekturbüro aus London, Zahra Hadid, hat die Entwürfe gemacht. Wir haben auch gehört, dass es eine Sicherheitsfirma gibt, soweit wir wissen Bulldog Security, die das Gelände abschirmt. Erzählen Sie uns wenig über die Gemeinde Crawfish Rock: Wie weit ist das Baugelände entfernt? Wie nehmen Sie das, was dort passiert, wahr?
VC: Die Gemeinde Crawfish Rock befindet sich nördlich von French Harbor. Mit dem Auto braucht man ziemlich genau zehn Minuten von der Mall aus. Die Gemeinde befindet sich am Strand. Es handelt sich um eine normale indigene Gemeinde. Die meisten Personen, Kinder, Frauen und Männer, fischen und nutzen das Meer auch für Freizeitaktivitäten. Wir erfreuen uns am Meer. Das Gemeindegebiet von Crawfish Rock reicht von Pristine Bay bis Palmetto Bay. Die ZEDE soll sich mitten in Crawfish Rock befinden und sich direkt an unseren Wohnort anschließen. Wenn wir sagen, dass sich Crawfish Rock von Pristine Bay bis Palmetto Bay erstreckt, dann wird sich die ZEDE genau in der Mitte von Crawfish Rock und in direkter Nähe zu unserem Wohnort befinden. Denn obwohl sich die Gemeinde recht weit ausdehnt, gibt es einen Teil, den wir Village nennen, einen kleinen Ortskern, in dem wir fast alle leben. Die ZEDE befindet sich daneben, mitten im Gemeindegebiet. Sie verfügen über private Sicherheitsdienste. Wir haben keinen Zutritt zur ZEDE, nur die Bauarbeiter. Ein anderes Problem, das mit dem Verkauf dieses Geländes einhergeht, ist die Ausdehnung in Richtung Meer. Die ZEDE befindet sich genau in der Mitte der Banda Norte, der Nordküste von Roatán. Um nach Politilly, Palmetto oder Mud Hole oder Hottest Sparrow oder wohin auch immer zu kommen, muss man einen Abschnitt auf dem Meer passieren, der zur ZEDE gehört. Es gibt keinen anderen Weg. Wie soll das also langfristig funktionieren? Es handelt sich ja um einen eigenen Staat innerhalb des honduranischen Staatsgebietes.
Frage: Es scheint, als gehörten bisher über 50 acres (20 Hektar) dazu, aber es gibt einen Plan, die ZEDE auf eine sehr viel größere Fläche zu erweitern.
VC: Soweit ich es verstanden habe, haben sie 58 acres (23,5 Hektar) Land. Nach ihrem Gesamtplan, nach dem Plan, den sie mir gegeben haben, beziehungsweise nach dem, was ich im Internet gefunden habe, wollen sie sich auf einen großen Teil der Banda Norte ausdehnen. In einem Interview, das Herr Erick Brimen gegeben hat, legte er dar, dass das Projekt 750 acres (300 ha) umfassen werde. Woher also werden sie all die übrigen Grundstücke nehmen? Wir werden unser Land nicht verkaufen. Die Gemeinde kann kein Land zu verkaufen, es kann nur vererbt werden. Auch wenn viele Familien davon leben sollen, es kann nicht verkauft werden. Es ist für die Familien. Was wird also mit uns passieren? Wenn Sie sich die Karte der ZEDE anschauen, werden Sie sehen, dass unser Ort nicht eingezeichnet ist. Auf dem Plan ist Crawfish Rock ausgelöscht. Ich kann nicht darauf vertrauen, dass sie sagen: "Nein, wir werden Dir keinen Schaden zufügen". Das Projekt ist auf 50 Jahre angelegt. Innerhalb von fünf Jahren werden sie mir vielleicht keinen Schaden zufügen, aber langfristig werden sie tun, was sie wollen. Es gibt ein Gesetz, das ihnen das Privileg einräumt, mein Land zu enteignen, wenn sie es brauchen. Und ihrem Plan nach werden sie es brauchen.
Frage: Der Widerstand gegen die ZEDE Próspera beschränkt sich nicht auf Crawfish Rock. Es gibt inzwischen eine breite Initiative zur Verteidigung der Gebiete der gesamten Bay Islands. Welche Organisationen nehmen an der Initiative teil und was sind die gemeinsamen Forderungen?
VC: Die Initiative zur Verteidigung der Gebiete haben wir dieses Jahr aufgrund der ZEDE-Problematik ins Leben gerufen. Als wir von der ZEDE erfahren haben, begannen wir zunächst, verschiedene Organisationen und Behörden zu kontaktieren und Nachforschungen anzustellen. Die Initiative setzt sich aus verschiedenen Organisationen und Vertreter*innen der Gemeinden zusammen. Führungspersönlichkeiten wie die Präsidentin der Federación de Patronatos sind dabei, die Präsidentin der Handelskammer von hier, von der Insel, der Verband NABIPLA (Native Bay Islanders’ Professionals and Laborers Association) und andere. Die Idee ist es, unsere Kämpfe zu vereinigen, denn einzeln können wir nichts erreichen, aber als Gruppe haben wir mehr Kraft.
Frage: Gibt es Bewohner der Gemeinde, die nun doch als Handwerker am Bau der ersten Gebäude der ZEDE beteiligt sind, nachdem sie zunächst ausgeschlossen waren und sie deshalb vielleicht sogar befürworten? Und andere, die zum Beispiel um den Zugang zum Strand fürchten? Oder ist die gesamte Gemeinde ohnehin von dem Projekt ausgeschlossen? Wie ist die derzeitige Situation?
VC: Die Mehrheit der Gemeinde ist gegen die ZEDE. Es gibt eine Gruppe von Männern, die am Bau der ZEDE arbeiten. Das sind die Männer, die zu Beginn protestiert hatten, da man ihnen keine Arbeit geben wollte. Eines der Versprechen, das die ZEDE Próspera auf ihrer Internetplattform propagiert hat, war Beschäftigung. Aber nicht einmal das haben sie unseren Leuten gegeben. Um einen Job zu bekommen, mussten die Leute aus Crawfish Rock einen Protest organisieren. Das ist die Realität, mit der wir konfrontiert sind. Und das ist die Realität, von der wir bereits wissen, dass sie uns bevorsteht. Denn in Wirklichkeit haben sie uns keine Arbeit gegeben. Sie haben gesagt, es gäbe keine Leute mit der notwendigen Ausbildung, aber jetzt arbeiten einige Männer dort als Tischler. Die Mehrheit von uns kämpft gegen die ZEDE, denn die Gesetze der ZEDE gefährden uns als Gemeinde und als Honduraner*innen. Wir halten das, was die Regierung getan hat, nicht für gerecht.
Frage: Und das Sicherheitsunternehmen? Wir haben von Journalist*innen gehört, die Reportagen über die ZEDE Próspera machen wollten und so ihre Erfahrungen mit diesem Sicherheitsunternehmen gesammelt haben. Bestehen diese Probleme fort oder bleiben die Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens weg?
VC: In letzter Zeit sind sie nicht dagewesen. Vorher waren sie in der Gemeinde unterwegs, sind auf und ab gefahren mit ihren Pistolen, manchmal in Gruppen, auf Motorrädern, um uns Angst einzujagen. So sehen wir das jedenfalls. Nach dem öffentlichen Aufruhr und den Interviews haben sie uns in den letzten Monaten nicht mehr belästigt. Sie betreten die Gemeinde fast nicht mehr. Sie gehen zur Arbeit und bleiben dort in der ZEDE. Sie bedrohen uns momentan nicht mehr so wie früher.
Frage aus dem Chat: „Wie positionieren sich die anderen Gemeinden von Roatán bezüglich der ZEDE Próspera? Gibt es Aktionen in Solidarität mit Ihnen oder sind sie eher für die ZEDE?" Das zielt ein bisschen auf das ab, was Sie bereits zur Initiative gesagt haben, aber es wird expliziter nach Solidarität der anderen Gemeinden gefragt.
VC: Die Mehrheit, nein eigentlich alle Gemeinden sind gegen die ZEDEs, alle. Wir haben Gespräche geführt mit den Patronatos, verschiedenen Präsident*innen der Patronatos und können auf die Solidarität aller Gemeinden der Insel zählen. Das Problem ist, dass während der Pandemie die ZEDE genehmigt und ein Ausgangsverbot erlassen wurde. Wir konnten deshalb nicht die Demonstrationen dagegen veranstalten, die notwendig gewesen wären und haben deshalb mit einem Autokorso protestiert. Aber ja, die Mehrheit der Inselbewohner*innen ist dagegen, auch die Mehrheit der Honduraner*innen ist gegen die ZEDEs.