Staatsterror und Straflosigkeit in Mexiko
Am Mittwoch, den 3. Mai 2006, gegen 7:00 Uhr morgens hielt die Staatspolizei 60 BlumenhändlerInnen davon ab, ihre Verkaufsstände auf dem Marktplatz von Texcoco, etwa 20 Meilen östlich von Mexiko Stadt aufzustellen. Damit brachen sie eine Vereinbarung zwischen den HändlerInnen und dem Bürgermeister von Texcoco. Alle, die Widerstand leisteten, wurden von der Polizei verprügelt und verhaftet. Die BlumenhändlerInnen ersuchten die BewohnerInnen des benachbarten San Salvador Atenco um Hilfe. Die BewohnerInnen von Atenco kamen nach Texcoco und blockierten die Strasse, die an ihrer Stadt vorbei nach Texcoco führt.
Die Reaktion der Polizei war enorm: Hunderte Kräfte der Staats- und Bundespolizei, die meisten in Sturmpanzerung, traten an, um die Blockade aufzulösen. Atenco leistete Widerstand. Insgesamt wurden am Mittwoch mehr als 50 Personen verletzt und 100 von der Polizei festgenommen. Die DemonstrantInnen nahmen 11 Polizisten als Geisel, übergaben sie aber später am Tag dem Roten Kreuz. Ein 14-jähriger Junge wurde am Nachmittag in die Brust geschossen und getötet. Die lokale Presse berichtete, der Junge sei von einem Feuerwerkskörper der DemonstrantInnen getroffen worden, aber die Todesurkunde sagt etwas anderes: Schusswunde in die Brust mit einer 38er Spezial. Die gleiche Munition wird von der mexikanischen Polizei benutzt.
Atenco ist in ganz Mexiko dafür berühmt, im Jahr 2002 gegen die Zwangsräumung ihrer Gemeinde Widerstand geleistet zu haben, die für den Bau eines neuen Flughafens für Mexiko Stadt weichen sollte. DorfbewohnerInnen, größtenteils KleinbäuerInnen, bildeten die „Dörferfront zur Verteidigung des Landes (Frente de Pueblos en Defensa de La Tierra - FPDT-)“ und wurden zum Symbol des Volksprotestes in Mexiko.
Am 5. Mai im Morgengrauen stürmten mehr als 3000 Polizisten San Salvador Atenco. Die Aktion war ein klarer Racheakt, der von wichtigen Entscheidungsträgern befohlen und von höheren „Sicherheitsoffizieren“ geplant war. Die Medien (insbesondere das Fernsehen) spielten eine wichtige Rolle in der Vorbereitung dieses Angriffs, indem sie Bilder von einem geschlagenen Polizisten pausenlos wiederholten und die KommentatorInnen „die ganze Härte des Gesetzes“ für Atenco forderten.
Der Einsatz der Polizei war durch übertriebene Gewaltanwendung geprägt. Bilder von unabhängigen JournalistInnen zeigen, wie die Polizisten fast darum „konkurrieren“, die Menschen zu schlagen. Laut der anonymen Aussage von drei Beamten, die an dem Einsatz beteiligt waren, war der Befehl klar: „alles was sich bewegt, gehört geschlagen“.
Nachdem die Polizei das Dorf „besetzt“ hatte, begann sie - mit der Hilfe eines maskierten Spitzels - die Häuser der AktivistInnen der FPDT zu stürmen. Sie traten Türen und Fensterscheiben ein, plünderten die Wohnungen und verhafteten die BewohnerInnen. 217 Menschen wurden festgenommen, darunter 5 AusländerInnen, die später des Landes verwiesen wurden. Von 47 festgenommenen Frauen sind mindestes 40 der Vergewaltigung durch Polizisten zum Opfer gefallen. Ein weiterer Demonstrant, Ollín Alexis Benhumea, hatte durch eine Tränengasgranate der Polizei einen Schädelbruch erlitten. Da das Dorf von der Polizei belagert war und kein Sanitäter Zutritt erhielt, fiel Ollín Alexis zunächst ins Koma und erlag 4 Wochen später ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, seiner schweren Verletzung.
Die Behörden versuchten am Anfang diese massiven Menschenrechtsverletzungen des 3. und 4. Mai 2006 zu vertuschen. Später haben sie zugegeben „es könnte sein, dass einige Beamte es übertrieben haben“.
Die so genannte „Operación rescate“ war einer der Höhepunkte der systematischen Aufstandsbekämpfungsstrategie des mexikanischen Staats. Diese sieht organisierte Menschen als GegnerInnen und Feinde an, die skrupellos bekämpft werden müssen.
Die massive Gewaltanwendung, die Diskreditierung der sozialen Bewegungen und die gerichtliche Verfolgung der Opfer sind klare Merkmale dieser Strategie, die seit ihrer „Erfindung“ im Algerien-Krieg in vielen Ländern angewendet wird.
Eins ist sicher, die mexikanische Regierung will vor den Präsidentschaftswahlen am 2. Juli 2006 alle nicht-systemkonformen Stimmen zum verstummen bringen.
Der Überfall auf San Salvador Atenco war auch ein indirekter Angriff auf die „Otra Campaña“ (eine Initiative der ZapatistInnen, um bundesweit eine breite außerparlamentarische Front in Mexiko aufzubauen). Seit Anfang Mai hat der „Subcomandante Marcos“ seine Rundreise in Mexiko-Stadt gestoppt.
Solidarität mit den Opfern des Staatsterrors wurde im ganzen Land und in vielen anderen Ländern gezeigt. Auch hier in die BRD haben verschiedene Gruppen und Einzelpersonen ihre Stimme gegen die Willkür und Brutalität der Repression gehoben.
Jetzt es ist wichtiger als je zuvor, eure Solidarität mit den Opfern des Staatsterrors zu zeigen.
Nur wenn diese Greueltaten nicht vergessen werden, werden sie nicht straflos bleiben.
Deswegen fordern wir euch auf:
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Informiert euch über die Repression in Mexiko
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Werdet aktiv gegen die Repression
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Organisiert Info- Soliveranstaltungen (wir können euch dabei mit Materialien, ReferentInnen oder Ideen unterstützen, Kontakt über: mexAToeku-buero.de)
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Vernetzt euch
Und noch viel wichtiger:
Sammelt Geld zur Unterstützung der
Prozesskosten und spendet diese auf folgendes Konto:
Ökumenisches
Büro
Stichwort: Atenco
Kto-Nr. 56 17 62 58
BLZ
701 500 00
Weitere Infos:
http://www.chiapas98.de
http://www.ezln.org.mx