Wirtschaftspolitik für acht Familien


Sie besitzen nun die ehemaligen Staatsunternehmen, legen die Preise fest und zahlen weniger Steuern.

Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler César Villalona über Neoliberalismus und staatliche Repression in El Salvador In immer mehr Ländern lässt sich beobachten, wie Staaten mit zunehmender Überwachung und Repression auf die Legitimitätskrise der neoliberalen Politik reagieren. Auch das Bundes- und Koordinationstreffen der El Salvador-Solidaritätsgruppen im November 2007 beschäftigte sich mit diesen Entwicklungen. Die Verknüpfung von Wirtschaftsmodell und Autoritarismus wurde beispielhaft anhand der Repression gegen die Bewegung der VerkäuferInnen unlizenzierter CDs und DVDs nachvollzogen. Einer der Referenten war der Ökonom César Villalona aus El Salvador, der u.a. als Autor für Equipo Maiz im Bereich der politischen Alphabetisierung arbeitet. Das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. aus München hatte die Gelegenheit zu einem Interview mit ihm.

El Salvador war lange Zeit bekannt als Land der Kaffeeplantagen. Ende der 80er Jahre wurde die Wirtschaft umstrukturiert und der Neoliberalismus hielt Einzug. Wie kam es dazu?

El Salvador lebte seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 80er Jahre vom Kaffeeexport. Man nennt dies das Agrarexportmodell. Der Kaffee hielt die ganze Wirtschaft am Laufen. Ging es dem Kaffee gut, ging es der Wirtschaft gut. Das bedeutete zwar nicht notwendigerweise Wohlergehen für die Bevölkerungsmehrheit, wohl aber für die Unternehmer, die Banken und den Staat.

Als die rechte ARENA-Partei 1989 an die Regierung kam, lebte das Land bereits nicht mehr vom Kaffee. Natürlich existierte die Kaffeeproduktion noch, aber sie hatte nicht mehr diese große Bedeutung. Die Dollareinnahmen des Landes in jenen Jahren stammten aus der US-amerikanischen Kriegsunterstützung für die Regierung und die Armee. Auch die Überweisungen von MigrantInnen an ihre Familien, die remesas, spielten bereits eine große Rolle. Denn während des Krieges waren viele emigriert. ARENA wollte El Salvador mit einem neuen Wirtschaftsmodell in den sechsten Tiger des Pazifiks verwandeln. Ähnlich wie Taiwan sollte eine starke exportorientierte Industrie aufgebaut werden. Dazu wurde damals mit den Strukturanpassungsprogrammen begonnen, spät im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern, in denen sie zum Teil schon seit den 70er Jahren durchgeführt wurden. Strukturanpassungsprogramme basieren auf neoliberalen Prinzipien. Die Grundannahme dabei ist, dass die wirtschaftlichen Probleme eines Landes auf das zu starke Eingreifen des Staates in die Wirtschaft zurückzuführen sind und sich der Staat deshalb aus der Wirtschaft zurückziehen muss.

Dieses Programm wurde also 1989 mit der ersten ARENARegierung eingeführt. Es hatte drei Komponenten: erstens die Privatisierung der staatlichen Unternehmen. Von 1989 bis 2007 gab es mehr als 30 Privatisierungen. Betroffen waren die Banken, die Energieversorgung, die Telekommunikation, das Rentensystem u.a. Die Mehrzahl dieser privatisierten Unternehmen wurde von salvadorianischen Unternehmern gekauft. Monopole des Staates wurden so in Monopole der Privatwirtschaft umgewandelt.

Zweitens die Liberalisierung der Ökonomie. Nicht mehr der Staat sollte Preise festlegen, sondern der Markt. Später wurden auch die Zinssätze nicht mehr von der Zentralbank, sondern von privaten Banken festgelegt. Die Importzölle wurden im Laufe der Jahre immer weiter heruntergesetzt. Mit den Freihandelsabkommen, die El Salvador während der letzten zwei Legislaturperioden mit Mexiko, Chile, der Dominikanischen Republik, Panama und den USA unterzeichnet hat, wurden sie für viele Produkte ganz gestrichen.

Und drittens die Steuerreform. Diese bestand darin, die direkten Steuern, welche Unternehmen zu zahlen hatten, zu streichen und dafür indirekte Steuern einzuführen, welche die Bevölkerung zu zahlen hat. Die Freihandelsabkommen sind dabei nicht mehr als eine Fortführung des Strukturanpassungsprogramms.

Was waren die Folgen dieser Politik?

Eine der wichtigsten Auswirkungen war die Schwächung des Staates bei gleichzeitiger Stärkung der privaten Wirtschaft. Gewinner dieser Politik waren die einheimischen Unternehmer aus den acht Familiengruppen, welche die wirtschaftliche Macht in El Salvador haben. Sie besitzen nun die ehemaligen Staatsunternehmen, legen die Preise fest und zahlen weniger Steuern. Das führte zu einer stärkeren Konzentration des Reichtums im Land. Darüber hinaus hatte die neoliberale Wirtschaftspolitik den Verfall der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zur Folge. Schlechterer

Kreditzugang, hohe Zinssätze, teures Saatgut, niedrigere Erlöse, starke Konkurrenz mit subventionierten Produkten aus dem Ausland, die ohne oder mit niedrigen Importzöllen eingeführt werden – all das zerstört die Landwirtschaft. Wir reden hier über den Anbau von Grundnahrungsmitteln wie Bohnen, Mais, Reis und Gemüse. Kaffee oder Rohrzucker, Produkte, die von großen Unternehmen produziert werden, sind davon nicht betroffen.

Die Zerstörung der Landwirtschaft führte zur verstärkten Migration in die Städte und ins Ausland. Knapp sechs Millionen Menschen leben heute in El Salvador. Aber mehr als drei Millionen sind bereits emigriert, der größte Teil nach den Friedensabkommen, als Folge der Wirtschaftspolitik. Diejenigen, die nicht ins Ausland migrieren, gehen in Städte. Dort ist der informelle Sektor stark angewachsen. Hunderttausende Menschen versuchen, mit dem Straßenverkauf ihr Überleben zu sichern.

Eine weitere Konsequenz des Wirtschaftsprogramms war der enorme Anstieg der Importe. In der Nachkriegszeit kamen viele Dollars über Wiederaufbauhilfe und remesas ins Land. Es gab ein starkes Wirtschaftswachstum und der Wechselkurs des Colón mit dem Dollar war über Jahre hinweg stabil. Das sind günstige Bedingungen für den Import von Produkten. Die Unternehmer, die Ende der 80er Jahre ursprünglich die Wirtschaft rund um den Export aufbauen wollten, stiegen nun auf das Importgeschäft um. So wurde El Salvador in ein importierendes Land verwandelt und füllte sich mit Autos und Shoppingmalls.

Gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik regt sich immer mehr Widerstand. Der Staat reagiert darauf mit Repression. Wie würdest du diese Entwicklungen beschreiben?

Die Repression hat verschiedene Gesichter. Eine Regierung, die eine Wirtschaftspolitik betreibt, welche die Campesinos und die kleinen Unternehmen zugrunde richtet, die durch Privatisierungen öffentlicher Unternehmen Arbeitslose erzeugt und die Gewerkschaften zerstört, ist eine repressive Regierung. Sie erzeugt Gewalt und treibt die Menschen aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und der fehlenden Arbeitsmöglichkeiten in die Emigration.

Auch die Repression gegen die sozialen Bewegungen wurde in den letzten Jahren verschärft und so zeichnet es sich jetzt auch im Vorfeld der Wahlen von 2009 ab. Die Regierung aktiviert paramilitärische Gruppen, die gezielte Morde begehen, um den Leuten Angst einzujagen. Den Jugendbanden werden sie dann aber in die Schuhe geschoben. Bei Demonstrationen der sozialen Bewegungen werden Provokateure eingeschleust, deren Taten dazu dienen, die Repression gegen die sozialen Bewegungen zu rechtfertigen. Das ist zwar nicht neu, wird aber immer häufiger gemacht. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung ein Anti-Terror-Gesetz verabschiedet, das eine große Bedrohung für die soziale Bewegung ist. Denn jegliche Aktivität, welche den öffentlichen Frieden stört, wird als Terrorismus eingestuft. Dazu gehören zum Beispiel die Besetzung von Straßen und von öffentlichen Gebäuden. Es wurde bereits versucht, dieses Gesetz anzuwenden. In den Medien, die beinahe ausschließlich die Meinung der rechten Regierung transportieren, werden Nachrichten manipuliert und die Linke angegriffen. Es gibt Wahlfälschung, ARENA verschafft Nicht-Wahlberechtigten aus Grenzregionen Papiere und karrt sie zu den Wahllokalen, schüchtert die Bevölkerung mit der Propaganda ein, dass sie keine remesas mehr bekommen werden, wenn die Linke gewinnt. Das sind alles Mechanismen, die benutzt werden, um eine Wirtschaftspolitik zugunsten einer Minderheit aufrechtzuerhalten.

Derzeit wird ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika verhandelt. An anderer Stelle sagtest du, dass dies noch schwerwiegendere Folgen haben wird als das Freihandelsabkommen mit den USA, CAFTA.

Vor dem Freihandelsabkommen El Salvador-Mexiko zum Beispiel exportierte Mexiko Waren im Wert von 245 Millionen US-Dollar nach El Salvador. Nun sind es mehr als 500 Millionen US-Dollar. El Salvador exportiert nun nicht mehr 16, sondern 38 Millionen US-Dollar nach Mexiko. Obwohl die Exporte El Salvadors nach Mexiko gestiegen sind, hat sich das Handelsdefizit verstärkt, noch schlimmer war es bei dem Abkommen mit Chile. 2006 kam CAFTA und nach einem Jahr zeigt sich die gleiche Tendenz. Die Exporte El Salvadors in die USA sind um 2,5 Prozent gefallen, während die der USA nach El Salvador um 5 Prozent gestiegen sind. Die Freihandelsabkommen sind keine Instrumente, um den Export zu fördern. Sie erleichtern die Importe. Und diese stehen unter Kontrolle der wirtschaftlich mächtigen Gruppen im Land.

Das Abkommen, das gerade zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika verhandelt wird, heißt Assoziierungsabkommen, ist aber ein Freihandelsabkommen. Es wird die gleichen Folgen wie die anderen haben. El Salvador kann mit keinem europäischen Land weder im industriellen noch im landwirtschaftlichen Bereich konkurrieren. Europa ist hochindustrialisiert und die Landwirtschaft subventioniert. In Spanien decken die Subventionen für Reisanbau mehr als 90 Prozent der Produktionskosten, in Portugal sind es 95 und in Frankreich 70 Prozent. Die Milch ist subventioniert, die Butter, das Fleisch. Aber das Freihandelsabkommen wird die Subventionen nicht abbauen. Das sind die tatsächlichen Handelshemmnisse für Zentralamerika, um landwirtschaftliche Produkte in Europa zu verkaufen. In Zukunft werden nicht mehr Agrarprodukte nach Europa eingeführt werden, als El Salvador jetzt schon verkauft. Die subventionierten europäischen Agrarprodukte hingegen werden den zentralamerikanischen Markt füllen – so wie es bereits jetzt die USamerikanischen Produkte tun.

Die Zölle für den Import zentralamerikanischer Produkte in die EU, die durch das geplante Freihandelsabkommen abgebaut werden sollen, existieren de facto seit Jahren nicht mehr. Bereits jetzt kann Zentralamerika theoretisch etwa 10 800 Produkte aufgrund des Allgemeinen Zollpräferenzsystems ohne bzw. mit niedrigen Zöllen nach Europa einführen. Das ist ein Abkommen aus dem Jahr 1971, das 2005 erweitert wurde. Trotzdem werden diese Produkte nicht nach Europa verkauft. Es sind vor allem fünf Produkte, die Zentralamerika nach Europa exportiert: Bananen, Kaffee, Zucker, Shrimps und aus Costa Rica zusätzlich Elektroprodukte. Die Europäische Union fordert außerdem eine Zollunion der zentralamerikanischen Länder. So soll sich jegliche Ware innerhalb von Zentralamerika ohne Hindernisse bewegen können. Ein Beispiel: Die USA können aufgrund des Freihandelsbkommens CAFTA 36 000 Tonnen Mais nach El Salvador verkaufen. Costa Rica hat keine derartige Quote festgelegt, die USA können beliebig viel Mais dorthin exportieren. Mit einer Zollunion könnte der ganze Mais, der über Costa Rica eingeführt wird, in die anderen zentralamerikanischen Länder ohne Zölle bewegt werden. Das hat zur Folge, dass die ausgehandelten Quoten hinfällig würden und die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Zentralamerika weiter zerstört würde.

Zusammengefasst: Die EU zahlt mehr Subventionen als die USA und die Landwirtschaft ist noch konkurrenzfähiger als die der USA. Sie wird folglich noch mehr Schaden in der zentralamerikanischen Landwirtschaft anrichten. Das Quotensystem, das mit dem CAFTA ausgehandelt wurde, würde wegen der Zollunion hinfällig werden. Es gäbe also keine Quoten und die Region würde noch schneller mit europäischen und US-amerikanischen Produkten gefüllt werden, was der kleinbäuerlichen Landwirtschaft noch mehr schaden würde. Deshalb meine ich, dass das Freihandelsabkommen mit der EU noch gefährlicher ist als das mit den USA.

Das Assoziierungabkommen ist aber nicht nur ein Handelsabkommen, sondern soll auch die privaten Investitionen begünstigen und geistige Eigentumsrechte sichern…

Die europäischen Unternehmen würden, ebenso wie jetzt schon die US-amerikanischen, Inländerbehandlung genießen. Sie würden keinerlei Beschränkungen mehr unterworfen sein. Rohstoffe und Vorprodukte könnten importiert werden, der Gewinn müsste nicht reinvestiert werden, es gäbe keine Verpflichtung zum Technologietransfer. Die Unternehmen dürften sich am öffentlichen Auftragswesen beteiligen, wenngleich dort Ausnahmen verhandelt werden.

Ein anderes Beispiel sind die Subventionen durch den Staat. Ein Unternehmer aus Deutschland, Frankreich oder einem anderen europäischen Land kann sich dazu entschließen, eine Universität oder ein Krankenhaus in El Salvador zu eröffnen. Er macht eine Studie und wenn er zu dem Schluss kommt, dass eine Universität für ihn rentabel sein kann, dann verlangt er vom salvadorianischen Staat die gleichen Subventionen, die dieser der Nationaluniversität gibt – weil er Inländerbehandlung genießt. Was macht der salvadorianische Staat? Er muss dem Unternehmer die 37 Millionen US-Dollar zahlen, die er zur Zeit der Nationaluniversität zahlt. Und wenn er sich das nicht leisten kann, so muss er die Subventionen auch für die Nationaluniversität streichen. Entweder würde das die Nationaluniversität in den Ruin führen oder in die Privatisierung. Im CAFTA-Abkommen gibt es ebensolche Bestimmungen, aber noch ist nichts dergleichen passiert. Außerdem umfasst das Freihandelsabkommen auch den Schutz geistiger Eigentumsrechte. Das wird Leute betreffen, die gefälschte Markenprodukte wie CDs und DVDs auf den Straßen verkaufen, um sich ihr Überleben zu sichern – wir reden von 65 000 Menschen. Das Strafrecht wurde auch reformiert, um diejenigen, welche diese Produkte reproduzieren, für sechs Jahre hinter Gitter zu bringen.

Was sollten deiner Meinung nach die Leute hier in Europa und speziell in der Solidaritätsbewegung zum Assoziierungsabkommen erfahren?

Die Landwirtschaft und die Subventionen sind der sensibelste Bereich. Man muss den Leuten klar machen, dass die europäische Landwirtschaft subventioniert ist. Die europäischen Regierungen führen einen doppelzüngigen Diskurs, denn sie sprechen von Freihandel, während sie ihre eigene Landwirtschaft schützen. Der salvadoranische Staat hingegen hat kein Geld, um Subventionen zu zahlen. Eine linke Regierung, welche die Einnahmen des Staates reformiert, könnte das wohl machen. Ich persönlich kritisiere weder die USA noch die EU, dass sie Subventionen gewähren. Was ich schlecht finde, ist, dass El Salvador sie nicht zahlt, aber die Landwirtschaft beider Regionen miteinander konkurrieren lässt. Ich kritisiere, dass die Regierungen der USA und der EU Zollabbau und Marktöffnung fordern, aber ihre Subventionen beibehalten. In Zukunft werden nicht mehr Agrarprodukte nach Europa eingeführt werden, als El Salvador jetzt schon verkauft. Diese Doppelmoral muss der Bevölkerung bewusst werden.

Wie kann die internationale Solidarität die emanzipatorischen Kräfte in El Salvador unterstützen?

Es ist wichtig, die Entwicklungen in El Salvador weiter zu beobachten und den sozialen Bewegungen den Rücken zu stärken, zum Beispiel mit Protest- und Eilbriefaktionen. Es müsste eine stärkere internationale Vernetzung des Widerstands gegen das Assoziierungsabkommen geben. Anfang 2009 stehen außerdem die Präsidentschaftswahlen sowie die Parlaments- und Kommunalwahlen an. Hier wäre es wichtig, internationale Wahlbeobachtungsdelegationen und politische Unterstützung für die Linke zu organisieren.

 

Das Interview führte Angelika Haas im November 2007 in München.
Wirtschaftspolitik für acht Familien
Erschienen in: ila 312
Bonn
Februar 2008

 

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