»Wir müssen den Kampf auf die Straße tragen«
Klimawandel, Umweltpolitik und soziale Bewegungen in Zentralamerika
Interview mit Angel Ibarra, dem Präsidenten des salvadorianischen Umweltdachverbandes UNES (Unidad Ecologica de El Salvador) und Mitglied in verschiedenen Netzwerken der sozialen Bewegungen in Zentralamerika.
Im Juli 2007 war Angel Ibarra zu Besuch in Deutschland und referierte in verschiedenen Veranstaltungen in München (Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit), Nürnberg (Mittelamerika-Tag der ev.-luth. Kirche in Bayern) und Umgebung zu Klimawandel, Wasser und Wasserprivatisierung, und dem Widerstand in Zentralamerika.
Umweltprobleme in El Salvador und Zentralamerika
Frage: Angel, was sind zur Zeit die einschneidendsten Umweltprobleme in El Salvador und Zentralamerika?
Angel Ibarra: Also, ich würde da differenzieren, und zwar zwischen Umweltproblemen, die durch globale Veränderungen verursacht werden, und Umweltproblemen, die hausgemacht sind.
Zentralamerika umfasst ein Gebiet von ungefähr 500.000 km², gelegen zum einen auf dem sogenannten »Feuergürtel« (vulkanisch sehr aktive Region ), zum anderen genau zwischen den beiden größten Ozeanen der Erde, zwischen Atlantik und Pazifik. Das führt nicht nur dazu, dass Zentralamerika große Wasservorkommen und eine sehr große Biodiversität besitzt - ungefähr 8 Prozent der weltweit verbreiteten Arten finden sich in Zentralamerika -, sondern auch dazu, dass die Region sehr empfindlich auf klimatische Probleme reagiert. Tatsächlich leiden wir jetzt schon unter dem Klimawandel und anderen Naturphänomenen wie »El Nino«, die extreme Wetterereignisse hervorrufen. Für Zentralamerika heißt das Überschwemmungen, tropische Wirbelstürme, Dürren, etc.
Und was die zweite Gruppe von Umweltproblemen anbetrifft: Zentralamerika leidet unter Umweltproblemen, die durch die exportorientierte Landwirtschaft entstehen, durch die Monokulturen von Baumwolle, Zuckerrohr und anderem. Denn diese haben, zusammen mit der industriellen Revolution, zu einem übermäßigen Gebrauch von Pestiziden und Insektiziden geführt, die das Grundwasser und auch die Böden der Region verseucht haben. Das heißt, die Kontamination durch Agrochemikalien, die auf die sogenannte »grüne Revolution« der sechziger Jahre zurückgeht, ist ein sehr wesentliches Umweltproblem in der Region.
Und da sind wir bei einem großem Thema, der Verschmutzung des Wassers. Ein Großteil des Oberflächenwassers und auch ein Teil des Grundwassers sind verseucht; und das nicht nur durch die Chemikalien aus der Landwirtschaft, sondern auch durch das Wachstum der Städte und die allgemeine Urbanisierung, denn die Abwässer werden nicht geklärt, außer in sehr wenigen Gemeinden. Die Folge ist, dass das Oberflächenwasser zu seinem allergrößten Teil für den Menschen nicht genießbar ist.
Ein weiteres schwerwiegendes Umweltproblem in Zentralamerika ist die Abholzung der Wälder. Die Intensivlandwirtschaft, die Ausweitung der landwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen, das Wachstum der Städte ohne ökologische fundierte Bebauungspläne, all das hat zur Abholzung der Wälder geführt, vor allem in den Urwäldern Nicaraguas, in Honduras und zu einem gewissen Maß auch in Guatemala. Und das wiederum führt zu verstärkter Erosion, dazu, dass Flussbetten stärker ausgewaschen werden und dazu dass dann Flüsse leichter über die Ufer treten.
Und schließlich kann man noch die Umweltprobleme zusammenfassen, die durch die beschleunigte Verstädterung entstehen.
In den vergangenen 30 Jahren ist der Anteil der ländlichen Bevölkerung in El Salvador von 60 auf 40 Prozent gesunken, und damit hat sich nicht nur die Armut in den Städten konzentriert, sondern es vergrößern sich auch die stadtspezifischen Probleme: es gibt keine angemessene Abfallentsorgung, die Luftverschmutzung durch den Verkehr nimmt zu, Fabriken sind direkt neben Wohnvierteln entstanden ohne dass kontrolliert wird, ob sie die Luft verschmutzen usw. Das wären so ungefähr die ökologisch-sozialen Probleme in Zentralamerika. Und wenn ich sagen sollte, welches das größte ist, dann würde ich sagen: es sind zum einen die Wasserverschmutzung und zum anderen die Probleme mit dem Wasserhaushalt, die durch den Klimawandel, die Abholzung der Wälder und die Ausweitung der landwirtschaftlichen Flächen entstehen.
gesellschaftliche und soziale Probleme hinter diesen Erscheinungen
Frage: Und inwiefern stehen gesellschaftliche und soziale Probleme hinter diesen Phänomenen?
Angel Ibarra: Einige in Zentralamerika argumentieren, dass die Armut selbst Umweltprobleme verursacht, denn es seien die Armen, sagen sie, die die natürlichen Ressourcen besonders belasten, weil sie Holz zum Verbrennen sammeln oder Tiere jagen, egal ob sie vom Aussterben bedroht sind oder nicht.
Aber wenn man es aus einer anderen Perspektive betrachtet, dann sind sowohl die Armut als auch die Umweltzerstörung nicht Ursachen, sondern Konsequenzen eines ökonomischen Modells, das auf landwirtschaftlichen Export und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen setzt. Vielleicht trifft das nicht ganz für Costa Rica zu, aber für Guatemala, Honduras, Nicaragua und El Salvador ist das sehr typisch. Mit der Besonderheit, dass in El Salvador der Druck auf die natürlichen Ressourcen besonders hoch ist, weil es das kleinste Land mit der höchsten Bevölkerungsdichte ist. In ganz Amerika ist El Salvador das Land, dessen Umwelt am stärksten in Mitleidenschaft gezogen ist.
staatliche Umweltpolitik
Frage: Gibt es denn von Seiten der Regierungen in Zentralamerika eine staatliche Umweltpolitik? Und wie sieht die aus?
Angel Ibarra: Nun, theoretisch gibt es die schon, aber sie wird nicht angewendet. Es gibt Umweltministerien, Umweltgesetze, im Falle von El Salvador sogar ein sehr modernes Umweltgesetz, zu dessen Ausarbeitung wir (UNES, der Dachverband der Umweltschutzorganisationen, ) auch viel beigetragen haben. Aber die Gesetze werden nicht umgesetzt.
In der praktischen Politik werden die natürlichen Ressourcen als kostenloser Rohstoff gesehen, als Verdienstmöglichkeit für die großen Unternehmen. Auf dieser Basis bewegt sich der politische Diskurs, und man sagt, man dürfe durch den Schutz der Naturressourcen die wirtschaftliche Entwicklung nicht behindern.
Umweltbewegung
Frage: Und gibt es in El Salvador und den anderen Ländern Zentralamerikas eine Umweltbewegung, die sich gegen diesen Diskurs wendet?
Angel Ibarra: Man kann sagen, es fängt gerade an. Im Falle El Salvadors wächst zunehmend das Bewusstsein, dass die Umweltzerstörung auch soziale Auswirkungen hat und dass mit ihr die Anfälligkeit für sogenannte Umwelt-Katastrophen wächst. Und es gibt auch viel Widerstand gegen einzelne Fälle von Umweltverschmutzung, gegen die Abholzung von Wäldern oder bei Problemen, an Trinkwasser zu kommen. Von einer richtiggehenden Bewegung zu sprechen, ist vielleicht zu hoch gegriffen, aber es gibt Ansätze dazu.
Allerdings gibt es noch kein systematisches Vorgehen. Ich glaube, die Bewegung steckt in ihren Anfängen, und vielleicht ist es El Salvador, wo sie am weitesten ist; dort wächst der Widerstand gegen Staudämme zum Beispiel, oder gegen Bergbau-Projekte. Auch in Nicaragua gibt es vereinzelte Kämpfe, insbesondere gegen Unternehmen, die Nemagon importieren, ein Pestizid, das chronische Krankheiten hervorruft. Aber darüber hinaus würde ich nicht von einer Umweltbewegung im politischen Sinne sprechen.
Strategien
Frage: Welche Strategien verfolgen die einzelnen Gruppen? Geht es einfach darum, die Umwelt zu schützen, oder üben sie ausgehend von der Umweltthematik eine allgemeine Kritik an der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung?
Angel Ibarra: Was die Leute zuallererst interessiert, ist natürlich ihr unmittelbares Problem, fehlendes Wasser zum Beispiel, drohende Rodungen oder der Bau von Fabriken, bei denen sie vermuten, dass sie die unmittelbare Umgebung mit Schadstoffen belasten. Aber diese lokalen Kämpfe verknüpfen sie sehr schnell mit nationalen, regionalen oder globalen Problemen. Denn indem sich die Leute mit Umweltproblemen befassen, stellen sie einen Zusammenhang zwischen den Auswirkungen der Globalisierung und ihrer persönlichen Lebensqualität her. Deswegen glaube ich, dass die Umweltthematik viele Leute mobilisieren kann. Ich bin mir sicher, dass wir schon bald eine breite Umweltbewegung haben werden, eine Bewegung, die sich vielleicht nicht ausschließlich um Umweltthemen dreht, aber die sich dafür mit anderen sozialen Bewegungen zusammenschließt.
Postitionen der Parteien
Frage: Wie positionieren sich in diesem Zusammenhang die linken Parteien in Zentralamerika? Die FMLN in El Salvador zum Beispiel oder die FSLN in Nicaragua ?
Angel Ibarra: Leider hat die institutionalisierte Linke in Nicaragua und El Salvador, genauso aber auch in Guatemala oder Honduras, keine klare umweltpolitische Position. Was ihr Agieren in kommunalen und nationalen Regierungen angeht, sind die linken Parteien jene, die einer möglichen – noch zu gründenden – ökologischen Partei am nächsten stünden. Aber nicht weil sie ein klares Programm haben. Wenn es politisch opportun scheint, wenn es Stimmen bringt, dann mischen sie sich in Umweltthemen ein. Aber in vielen Fällen sind es nicht die Umweltfragen, die Stimmen bringen, und dann distanzieren sie sich. In El Salvador zum Beispiel gibt es durchaus Fälle, wo wir bei Umweltthemen Unterstützung durch die Linke im Parlament bekommen. Im Fall der »Longitudinal der Norte«, einer Fernstraße, die mitten durch das Becken des Rio Lempa (des größten und wichtigsten Flusses in El Salvador, ) führen soll und die wir aufgrund ihrer ökologischen Auswirkungen ablehnen, da hat die parlamentarische Linke den Widerstand unterstützt.
CAFTA-DR
Frage: Welche Auswirkungen wird denn der Freihandelsvertrag zwischen Zentralamerika und den USA »CAFTA-DR« haben?
Angel Ibarra: Es gibt ja in CAFTA ein Kapitel über Umweltschutz, das die Unterzeichnerstaaten dazu anhält, die Umweltgesetze umzusetzen. Aber diese Gesetze sollten ohnehin umgesetzt werden, da brauchen wir keinen zwischenstaatlichen Vertrag dazu. Und andererseits haben die USA viele Verträge zu Umweltfragen selbst nicht unterschrieben, allen voran das Kyoto-Protokoll.
Und dann kommt noch dazu, dass CAFTA die Staaten verpflichtet, zehn internationale Übereinkommen zum Schutz des geistigen Eigentums zu unterzeichnen, zum Beispiel die Vereinbarungen im Rahmen von GATS (General Agreement on Trades in Services). Bei all diesen Verträgen geht es im Zusammenhang mit geistigem Eigentum auch um Biodiversität, und sie bevorzugen zum Beispiel die Saatgut-Industrie gegenüber den Kleinbauern. So tragen diese Verträge zum Verlust der Artenvielfalt bei, gleichzeitig wird die bäuerliche Landwirtschaft zerstört und stattdessen die Agrarindustrie gefördert.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass dieser Freihandelsvertrag Wasser als Ressource bzw. Dienstleistungsgut klassifiziert und die Privatisierung dieser solcher Dienstleistungen fördert.
Im Ganzen gesehen beinhaltet CAFTA weder Maßnahmen, um die Umweltzerstörung aufzuhalten, noch kann er als Instrument im politischen Kampf benutzt werden.
Assoziierungsabkommen Zentralamerika EU
Frage: Und wie sieht das bei dem geplanten Assoziierungsabkommen zwischen Zentralamerika und der Europäischen Union aus?
Angel Ibarra: Im Kern ist dieses Assoziierungsabkommen ein Freihandelsvertrag. Und wir schätzen das so ein, dass die Freihandelsvereinbarungen auf den Regelungen des CAFTA-Vertrages basieren. CAFTA bedeutet dabei noch nicht das Ende der Fahnenstange, wir erwarten, dass die transnationalen Unternehmen aus Europa sogar eine noch härtere Strategie fahren, wenn es zum Beispiel um die Privatisierung von Dienstleistungen wie der Wasserversorgung geht. Wasser sowie Patente auf Pflanzen und andere Organismen werden die zentralen Themen bei den Verhandlungen um das Assoziierungsabkommen sein, mit dem Ziel, den europäischen Unternehmen dieselben Vorzüge zu gewähren wie sie bereits US-amerikanische Unternehmen haben. Das heißt, das Assoziierungsabkommen wird genauso schädlich sein wie CAFTA.
Prognose
Frage: Was ist deine Prognose: Wie sieht die Umweltsituation in Zentralamerika in zwanzig Jahren aus?
Angel Ibarra: Ich sehe zwei mögliche Wege: Entweder man erreicht einen Kurswechsel dieser neoliberalen Politik zugunsten einer ökologischen Version des Kapitalismus, ein Weg der uns in den industrialisierten Ländern oft vorgeschlagen wird, auch ausgehend von den grünen Parteien dort.
Oder wir schaffen es, über dieses Konzept hinwegzukommen, und gehen in Zentralamerika einen Weg der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit. Das ist das, was wir wollen: Unsere Utopie ist, eine nachhaltiges und friedliches Zentralamerika zu schaffen.
Wenn die neoliberale Politik so weitergeht, dann werden sich die ökologischen Probleme weiter zuspitzen. Und nicht nur die ökologischen, sondern auch die sozialen Probleme. Es könnte sein, dass Zentralamerika eine Gegend wird, in der man schlicht und einfach nicht mehr leben kann, ständig bedroht von Hurrikans und steigendem Meeresspiegel, von Dürren, Überschwemmungen, Epidemien. Und die Monokulturen werden wachsen, unter anderem auch um Biodiesel für den reichen Norden zu produzieren. Wassermangel und verschmutzte Luft werden alltäglich sein in unseren Ländern.
globale Umweltbewegung
Frage: Was erwartest du von einer globalen Umweltbewegung?
Angel Ibarra: Also, hier gibt es zwei Punkte: Zum ersten ist es ja so, dass die lokal spürbaren Umweltprobleme im Norden, d.h. in den USA, Europa, Japan, Kanada, Australien verursacht werden, dass unter deren Folgen aber vor allem die Menschen in Afrika und in großen Teilen Asiens und Lateinamerikas leiden. Und was wir uns wünschen, wäre, dass sich die Umweltaktivisiten von hier und dort zusammenschließen, und dass wir so in der Lage wären, das aktuell herrschende System zu bekämpfen und eine andere Welt zu schaffen, in der Frieden, Nachhaltigkeit und Gleichheit herrschen.
Das sind Werte, die gerade nicht sehr präsent sind. Die Umweltaktivisten spielen in der globalisierungskritischen Bewegung keine besonders große Rolle, jedenfalls nicht in Lateinamerika. Aber ich hoffe, dass sich das ändern wird. In El Salvador zum Beispiel bereiten wir uns gerade auf ein mesoamerikanisches Treffen zur Frage der »ökologischen Schuld« vor. Wir möchten diesen Begriff in die Diskussionen um das Assoziierungsabkommen einbringen, um die Europäer daran zu erinnern, welche Schulden sie gegenüber Zentralamerika seit der Kolonialzeit angehäuft haben. Schulden, die dadurch entstanden sind, dass die Europäer die exportorientierte Landwirtschaft hier durchgesetzt haben und so zur prekären Umweltsituation beigetragen haben. Europa muss lernen, Zentralamerika als lebendige Gesellschaft mit einem lebendigen Ökosystem zu sehen, und es darf Zentralamerika nicht einfach die täglichen Katastrophen überlassen.
Und in diesem Rahmen liegt auch die Zukunft der Umweltbewegung: Sie sollte eine globalisierungskritische Bewegung sein, damit der Traum, dass eine andere Welt möglich ist, Wirklichkeit wird.
Denn wenn der Kampf für eine intakte Umwelt sich nicht auch sozialen und politischen Fragen stellt, dann wird die Bewegung nie stark genug sein, um die nötigen Änderungen herbeizuführen. Der Kampf um Wasser genauso wie der Kampf gegen den Klimawandel müssen mit der globalisierungskritischen Bewegung verknüpft werden.
Und dazu gehören dann auch harte soziale Auseinandersetzungen. Diesen Kampf gewinnt man nicht bei Regierungstreffen und Gipfeln. Nein. Auch wenn, rein formal gesehen, die Dinge in den Parlamenten festgeschrieben werden, müssen wir den Kampf auf die Straße tragen und dort Druck machen.
Das Interview führte Angelika Haas
Übersetzung: Andrea Bertele, Miriam Stumpfe