Traditionelle Gewerkschaftsstrukturen als Hemmschuh im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen
"Wir machen keine Frauenarbeit - Wir machen Klassenkampf"
Von Gabi Fischer
Ökumenisches
Büro für Frieden und Gerechtigkeit
Laut dröhnt Salsamusik aus der Stereoanlage des verbeulten roten Autos am Straßenrand. Lässig lehnen drei Männer an der offenen Wagentür und rauchen. Fahrradfahrer auf Mountainbikes fahren immer wieder zwischen der Musik und der gegenüberliegenden Tankstelle hin und her. Ab und zu machen sie einen kurzen Abstecher über die Schotterstraße hin zu den Fabriktoren des Industrieparkes ZIP Choloma im Norden San Pedro Sulas, Honduras. An den Seiten des Schotterweges hat sich ein Verkaufsstand nach dem anderen aufgereiht. Von gegrillten Maiskolben über Kleidung bis hin zu Spiegeln mit goldenem Rahmen wird alles angeboten. Auch auf den Bänken vor den Kiosken sitzen die Männer mit weit aufgeknöpftem Hemd und Bierflasche in der Hand. Die männliche Präsenz ist an diesem Freitag nachmittag auffallend. Sie warten, denn Freitag ist Zahltag.
17 Uhr. Aus den Fabriktoren strömen die Arbeiterinnen heraus. Uniformierte Wächter kontrollieren die kleinen Plastikschildchen der Frauen, die mit Paßfoto versehen fast einem VIP-Ausweis gleichen. Nur wer dieses Schildchen trägt, darf den Park betreten und ihn wieder verlassen. Während die einen an dem Wächter vorbei nach draußen strömen, steht bereits eine Schlange von Frauen vor den Fabriktor nach Arbeit an. Choloma schafft Arbeitsplätze für Frauen der ganzen Region im Norden San Pedro Sulas, Honduras.
Das Geld gehört dem Mann
Die Frauen, die die ganze Woche in den Maquila-Fabriken gearbeitet haben, haben heute ihr spärliches Gehalt bekommen. "Die meisten Arbeiterinnen müssen das Geld gleich an den Mann abgeben", erklärt uns Maritza, Mitarbeiterin der Frauenorganisation Colectiva de Mujeres Hondureñas (CODEMUH), den Grund für die große Zahl wartender Männer. "Denn es herrscht hier immer noch das ungeschriebene Gesetz: Egal, wer das Geld in die Familie bringt, es gehört dem Mann." Die Vermutung liegt nahe, daß nach dem Wochenende von dem hart erarbeiteten Lohn für die Ernährung der Kinder nicht mehr viel übrig bleiben wird.
Das Argument, die Frauen verdienten selbst Geld und würden dadurch auch selbständiger und von ihren Männern unabhängig, widerlegen die Frauen selbst. "Ich habe weder mehr Geld zur Verfügung, noch hat sich in der Familie etwas geändert", erzählt eine Arbeiterin. Unter der machistischen Gesellschafts- und natürlich auch Familienstruktur haben sie nach wie vor zu leiden. "Es ist nicht selten, daß Männer ihre Arbeit aufgeben, weil ja die Frauen in den Maquilas Arbeit haben", fügt Maritza an. Die Frauen tragen dann nicht nur die doppelte Belastung, sondern auch die doppelte Verantwortung.
An diesem Freitag nachmittag hat für die Arbeiterinnen aus Choloma das Wochenende noch nicht begonnen. Am Samstag wird gearbeitet wie an allen anderen Wochentagen auch, allerdings nur bis 14 Uhr. Es kann natürlich auch vorkommen - und es kommt oft vor - daß auch am Samstag Überstunden von den Arbeiterinnen abverlangt werden. Wer sich dazu nicht bereiterklärt, wird entlassen. Nur der Sonntag ist frei. Frei heißt, die Frauen haben Zeit, stundenlang am Fluß zu stehen, um die Wäsche zu waschen und die restlichen, während der Woche angefallenen Haushaltsverpflichtungen zu erledigen. Diese permanente Belastung läßt ihnen weder Zeit noch Kraft, sich um sich selbst zu kümmern, sich über ihre Situation klar zu werden oder sich mit anderen Frauen darüber auszutauschen, wie und ob eine Veränderung ihrer Lage möglich ist.
Organisierung passiert zuhause
"Es ist schwierig, die Frauen zu erreichen", sagt Maria Luisa, Koordinatorin von CODEMUH. "In den Fabriken können wir keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen, weil jeder Verdacht von Gewerkschaftsorganisation mit Entlassung gestraft wird. Die einzige Möglichkeit ist, die Frauen zuhause aufzusuchen oder ihnen einen Raum zu bieten, wo sie sich treffen können." CODEMUH hat deshalb in Choloma, wo viele Arbeiterinnen leben, ein Haus gemietet. Das hat auch den Vorteil, daß die Frauen nach der Arbeit und am Wochenende kommen können, ohne einen weiten Weg und damit zusätzliche Belastung auf sich nehmen zu müssen.
Die Räume dort sind spärlich eingerichtet. Außer ein paar Stühlen und Tischen und einer Wandtafel ist wegen fehlender Mittel keinerlei Ausstattung vorhanden. An diesem Freitag abend kommen rund 20 Frauen. Nur langsam fangen sie an zu erzählen. Wie schmerzhaft es für viele ist, ihr Dorf fernab von San Pedro Sula zu verlassen und die Familie zurückzulassen, um in der Maquila arbeiten zu können. Wie schwierig es ist, die Kinder während der Arbeitszeit zu versorgen, wenn sie für eine Betreuung ein Viertel ihres Monatslohnes bezahlen müßten.
Mit viel Feingefühl schafft es Maria Luisa, das Eis bei den Frauen zu brechen. Sie erzählen von Beschimpfungen der VorarbeiterInnen in den Fabriken, von der schlechten medizinischen Versorgung, von dem teueren Essen. Toilettenpapier müssen sie selbst mitbringen, Kaugummis kauen ist verboten und für jedes Lachen werden sie gerügt. Und durch den Konkurrenzdruck der Akkordarbeit werden die Frauen gegeneinander ausgespielt.
Ein offenes Ohr finden die Frauen selten
Für die Frauen ist es nicht alltäglich, von allen ihren Problemen erzählen zu können. "Wir wollen den Frauen nicht sagen, was sie tun müssen, um ihre Situation zu verbessern. Wir wollen den Frauen erst einmal eine Möglichkeit bieten, sich auszusprechen, um sie dann in ihren Forderungen zu unterstützen", erklärt Maria Luisa die Philosophie von CODEMUH. Sie arbeiten mit Promotorinnen auch in anderen Stadtteilen. Die Promotorinnen sind überwiegend Frauen, die selbst in Maquilas gearbeitet haben. Ziel ist es, eine Vertrauensbasis herzustellen, um dann Bewußstseinsarbeit leisten zu können. Dabei geht es um Selbstbestimmung, die Förderung von Selbstbewußtsein, die Kenntnis der Rechte der Frauen und die Entwicklung von Strategien, wie sie durchgesetzt werden können.
Die Arbeitsweise von CODEMUH ist bezeichnend für viele Frauenorganisationen Mittelamerikas, die mit Maquila-Arbeiterinnen arbeiten. Auch die nicaraguanische Frauenorganisation Maria Elena Cuadra (MEC), die sich für die Verbesserung der Situation von Arbeiterinnen und arbeitslosen Frauen einsetzt, sucht den Kontakt vor allem außerhalb der Betriebe. Ligia, die die Arbeit mit den Maquila-Frauen koordiniert, ist in der Stadt Tipitapa nahe Managuas zu einem festen Bezugspunkt für die dort lebenden Arbeiterinnen geworden. Sie ist nicht nur die Ansprechpartnerin in Sachen Arbeitsrechtsverletzungen, zu ihr kommen die Frauen auch, wenn sie Probleme mit ihren Männern haben, die Kinder krank sind oder sie keine Wohnung mehr haben. Für die Frauen ist es wichtig, eine solche Anlaufstelle zu haben.
Die langen Arbeitstage (bis zu 16 Stunden am Tag), die monotone Akkordarbeit an den Maschinen, die gesundheitliche Belastung durch schlechte Belüftung und mit Chemikalien behandelte Stoffe, sowie das Wissen, die Kinder zu vernachlässigen, den Ansprüchen des Mannes nicht mehr gerecht zu werden - all das führt bei den Frauen oft zu einem physischen und psychischen Druck, dem sie nur schwer standhalten können. Vor allem alleinerziehende Mütter, die den Großteil der in den Maquilas arbeitenden Frauen ausmachen, leiden sehr darunter, sich nicht um die Kinder kümmern zu können. Wenn weder Familie noch Nachbarn aushelfen, sind die Kinder den ganzen Tag auf sich allein gestellt. Eine Arbeiterin aus El Salvador muß wie viele ihrer Kolleginnen ihre sechsjährige Tochter und ihren einjährigen Sohn alleine zuhause lassen. "Meine Tochter hat sich um ihren Bruder gekümmert. Doch als sie die Milch heiß machen wollte, passierte etwas Schreckliches. Sie hat beim Feuermachen die Hütte in Brand gesteckt", erzählt die Arbeiterin.
Selbstbewusstsein schaffen ist der Weg...
Die Frauenorganisationen versuchen, die gesamte Lebenssituation der Frauen zu berücksichtigen. Die Frauen sollen lernen, sich zu wehren und die Verteidigung ihrer Rechte nicht den Männern zu überlassen. Und das bezieht sich nicht nur auf die Arbeit in der Fabrik.
Die Gewerkschaften hingegen haben eine eingeschränktere Sichtweise. Ihnen geht es vor allem darum, die Frauen in den Betrieben zu organisieren und mit Streiks o.ä. arbeitsrechtliche Forderungen durchzusetzen. Doch den Gewerkschaften fällt es schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, daß sie die Frauen in den Betrieben nur schwer erreichen können. Einerseits natürlich, weil die Arbeiterinnen Angst vor Entlassungen haben. Andererseits aber auch, weil die Frauen keine Zeit haben, nach der Arbeit oder am Wochenende zu Versammlungen in die Gewerkschaftsbüros in die Stadt zu fahren.
Das Vertrauen der Arbeiterinnen in die Gewerkschaften ist nicht besonders groß. Die Verhandlungen werden von Männern geführt, die sich nur sehr schwer in die Lage einer Arbeiterin hineinversetzen können und denen beispielsweise in Honduras von Arbeiterinnen ähnliches Verhalten wie den Vorarbeitern vorgeworfen wird - nämlich sexueller Mißbrauch.
Die Central Sandinista de Trabajadores (CST), die sandinistische Gewerkschaft in Managua, versucht, durch geheime Komitees (comites clandestinos) die Frauen zu organisieren und zu gemeinsamen Aktionen aufzurufen. Doch als es darum ging, eine Verhandlungskommission zusammenzustellen, wurden 25 Männer aufgestellt und nur eine Frau. Pedro Ortega, der Koordinator der Comites Clandestinos, führt das darauf zurück, daß "Frauen weniger risikobereit sind". Und er stellt grundsätzlich fest: "Wir machen keine Frauenarbeit, wir machen Klassenkampf."
Nur langsam erkennen die Gewerkschaften, daß Frauen eine wichtige Rolle auf dem Arbeitsmarkt spielen. Je mehr Maquilas geschaffen werden - und das ist Teil der Wirtschaftspolitik in allen Ländern - desto mehr werden Frauen in den Arbeitsmarkt eintreten. Deswegen muß es Aufgabe der Gewerkschaft sein, ihre Interessen und Forderungen zu vertreten, dabei aber gleichzeitig auf die spezielle Lebenssituation der Frauen Rücksicht zu nehmen.
...Forderungen selbst durchsetzen das Ziel
Sicherlich sind die Gewerkschaften sehr wichtig, um die Situation der Arbeiterinnen in den Maquilas zu verbessern. Während die Frauenorganisationen Bewußtseinsarbeit machen, haben die Gewerkschaften den Vertretungsanspruch bei Verhandlungen in den Betrieben. Sie werden international unterstützt und finanziert. Durch die Unterstützung der Arbeit durch Gewerkschaften aus dem "Norden" (siehe GAP-Verhandlungen in El Salvador und Honduras, unterstützt durch das National Labour Comite der USA) gewinnen die Forderungen ein ganz anderes Gewicht.
Über den Kontakt zur International Labour Organisation (ILO) in Genf können die Gewerkschaften eine Öffentlichkeit herstellen und Mitspracherecht ausüben. Doch müssen die Frauen selbst als Verhandlungspartnerinnen auftreten können, denn ihre Forderungen unterscheiden sich bisweilen von denen, die traditionell von Gewerkschaften erhoben werden. Sicherlich geht es den Frauen vor allem darum, daß das nationale Arbeitsrecht eingehalten wird. Doch sind Betriebskindergärten, freie Tage, um mit den Kindern zum Arzt gehen zu können etc. für die Frauen ebenso existentiell, was von den Gewerkschaften jedoch als nachrangig eingestuft wird.
Machistische Strukturen der Gewerkschaften durchbrechen
Um diese Forderungen zu realisieren, muß in den Frauen das Selbstbewußtsein wachsen, sich selbst ein- und durchzusetzen. Einige Gewerkschaften wie die Federación Independiente de Trabajadores Hondureños (FITH) in Honduras und das Comité de Mujeres Trabajadoras (COMUTRAS) in El Salvador haben die Notwendigkeit erkannt, mit den Frauen zuhause zu sprechen, um sie vor der Gefahr der Entlassung zu schützen und ihnen keine zusätzliche Belastung aufzubürden. Dort können sie in vertrauter Umgebung sprechen und haben das Gefühl, wirklich ernst genommen zu werden.
Es erscheint aber unerläßlich, daß Frauen noch mehr und vor allem in den oberen Rängen der Gewerkschaftshierarchie präsent sind. Die Frauenrechtsorganisation Centro de Derechos de la Mujer (CDM) in San Pedro Sula hat dazu einen ersten Schritt getan. Sie wollen Funktionärinnen von FITH Schulungen im Arbeitsrecht geben und ihnen etwas beibringen, was man bei uns Führungsstil nennen würde. "Diese Frauen sollen sich gegen ihre männlichen Kollegen der Gewerkschaft durchsetzen können und die Kraft und Fähigkeit haben, sich höhere Posten zu erkämpfen, damit die machistische Struktur durchbrochen ist und Fraueninteressen besser durchgesetzt werden können", erklärte Jadira Rodas, Koordinatorin des CDM.
COMUTRAS, das Frauensekretariat des salvadorianischen Gewerkschaftsdachverbandes CTD, sieht seine bisherige traditionelle Gewerkschaftsarbeit selbstkritisch. "Die Erfahrungen aus der Vergangenheit, die zahlreichen Entlassungen wegen gewerkschaftlicher Organisation, haben gezeigt, daß wir unsere Arbeit ändern müssen", sagt Rosa Virginia Hernandez von COMUTRAS. "Wir wollen, daß sich die Frauen organisieren, doch die Gespräche und die Bewußtseinsarbeit finden jetzt bei den Frauen zuhause statt." Mit den Kindern auf dem Schoß oder beim Zusammenlegen der Wäsche überlegen die Frauen gemeinsam mit den VertreterInnen von COMUTRAS, was sie verändern wollen und wie sie das umsetzen können. Weg ist die offizielle Stimmung von Gerwerkschaftsversammlungen, sie müssen die Kinder nicht schon wieder alleine lassen, sich an keine Tagesordnung halten und werden von "klassenkämpferischen" Männern nicht daran gehindert, selbst etwas zur Diskussion beizutragen. Die Frauen sind zuhause offener, fühlen sich nicht so bedroht und entscheiden bewußter, ob und wie sie sich organisieren wollen.
Gemeinsam mit geballter Kraft
COMUTRAS ist Teil einer Koordination in El Salvador, die bisher einzigartig in Mittelamerika sein dürfte: die Koordination für die soziale Würde in Maquilas, COSDEMA (Coordinación Social Por la Dignificación Del Empleo En La Maquila). besteht aus 22 zu Maquila arbeitenden Gruppen. Die Bandbreite erstreckt sich von verschiedenen Gewerkschaften über Frauenorganisationen, Menschenrechtsorganisationen bis hin zu Wirtschaftsinstituten. Die Arbeit ist in vier Bereiche aufgeteilt: Organisierung der Frauen, Rechtsbereich, Dokumentation und internationale Kampagne. Diese vier Arbeitsbereiche sind untereinander ebenfalls vernetzt. So werden beispielsweise Daten, die bei Gesprächen mit Frauen aufgenommen wurden, im Bereich Dokumentation systematisiert und dann dem Bereich internationale Kampagen zur Verfügung gestellt.
Die einzelnen Organisationen arbeiten weitgehend autonom, treffen sich aber einmal in der Woche, um sich abzusprechen. "Bei größeren Konflikten wird COSDEMA eingeschaltet und versucht, sie mit geeinten Kräften und auf verschiedenen Ebene zu lösen. Gemeinsam haben wir mehr Schlagkraft", beschreibt Coralia Pohl, die Koordinatorin von COSDEMA, die Arbeitsweise. Diese Form von Vernetzung und Informationsaustausch findet in Honduras und Nicaragua nicht statt. FITH in Honduras hat beispielsweise einen Kollektivvertrag in einer Maquila ausgehandelt, über den die Frauenorganisationen, die in diesem Viertel arbeiten, nicht Bescheid wissen und diese Informationen auch nicht an die Frauen weitergeben können.
"Sicherlich", so gibt Francisco Lopez von FITH zu, "wäre es wichtig, daß auch die Frauenorganisationen informiert werden. Sie erreichen immerhin viele Frauen und auch wir hätten somit eine breitere Basis. Denn die öffentliche Arbeit in den Firmen ist aufgrund der Repression durch die Unternehmer wirklich schwierig."
Internationale Unterstützung unerläßlich
Die Möglichkeiten sowohl der Frauenorganisationen als auch der Gewerkschaften, sich erfolgreich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Maquilas einzusetzen, sind nicht sehr umfangreich. Es ist absolut notwendig, die spezielle Situation der Frauen als Industriearbeiterinnen in den Widerstand mit einzubeziehen. Und dafür wie auch für das Durchsetzen der Forderungen ist internationale Unterstützung unerläßlich!
Juli´96