Honduras

Länderbericht

Das Wahljahr 2017 endete in Honduras mit der größten politischen Krise des Landes seit dem zivilmilitärischen Putsch des Jahres 2009: Auf die verfassungswidrige Wiederkandidatur des bis dahin amtierenden Präsidenten Juan Orlando Hernández (JOH) folgte in den Tagen nach dem 26. November 2017 ein manifester Wahlbetrug zugunsten von JOH. Dagegen gingen die Mitte-Links-„Oppositionsallianz gegen die Diktatur“ und weite Kreise der Bevölkerung tausendfach auf die Barrikaden. Das Regime verhängte den Ausnahmezustand und versuchte die Proteste mit tödlicher Repression niederzuschlagen.

Die Wiederkandidatur JOHs war 2017 das Diskussionsthema Nummer Eins in Honduras. Ihr Verbot gehört zu den so genannten „in Stein gemeißelten“ Artikeln der honduranischen Verfassung von 1982, die eigentlich nur durch eine Volksabstimmung geändert werden können. Die Verfassungsrichter waren aber der Auffassung, es müsse für JOH nicht angewendet werden, da die Amerikanische Menschenrechtskonvention eine Wiederwahl prinzipiell erlaube. Dagegen wurde eingewandt, dass die Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten in einem Land wie Honduras, dessen Geschichte von Despotismus und politischer Gewalt geprägt ist, gute Gründe hat. Und dass Honduras Fragen der Wahl, im von internationalen Normen vorgegebenen Rahmen, selbst regeln könne und müsse. Die honduranische Verfassung tut das zusätzlich auch in Artikel 4, der die Pflicht zum Wechsel in der Person des Präsidenten festschreibt und die Nicht-Achtung als Staatsverbrechen einstuft.

Weichenstellung mit dem zweiten Staatsstreich 2012

Verfassungsklagen, die deshalb von einer Gruppe von Anwälten eingereicht wurden, perlten im Lauf des Jahres an der weitgehend kooptierten honduranischen Justiz ab. JOH ging seinen Weg vom autoritären Regime zur Diktatur unbeirrt weiter. Seit er 2010 zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde, häufte der Polit-Newcomer aus der Provinz konsequent Macht an.
Der Staatsstreich 2009 hatte die ohnehin schwachen demokratischen Institutionen in Honduras in ihren Grundfesten erschüttert. 2012 stürzte dann das Gebäude der Gewaltenteilung endgültig ein: „1212“ wird deshalb oft als „zweiter Putsch“ bezeichnet. Am 12. Dezember 2012 setzte das Parlament in einem völlig irregulären Prozess vier von fünf Mitgliedern des Obersten Gerichtshofes ab und bestimmte neue Richter, die das Modell extraterritorialer Charter Cities für Honduras als verfassungskonform durchgehen ließen. Die so genannten Sonderwirtschaftszonen für Arbeit und Entwicklung (ZEDE) hebeln die honduranische Gesetzgebung, beispielsweise für größere Tourismus- und Bergbauprojekte aus, und ermöglichen eine neue Art neokolonialer territorialer Kontrolle. Die ZEDE als (vermeintliche) Arbeitsplatzgeneratoren waren denn auch ein Hauptthema von JOHs Wahlkampf 2017.

Der Oppositionsblock aus der linksliberalen Partei LIBRE (Liber-tad y Refundacion) des 2009 weg geputschten Präsidenten Mel Zelaya, aus ehemaligen Mitgliedern der Anti-Korruptionspartei PAC und einigen kleineren Parteien, wie der sozialdemokratischen PINU, saß 2017 in der Zwickmühle: Das Spiel mitspielen? Oder versuchen, wegen der Wiederkandidatur die Wahlmaschinerie doch noch irgendwie zu stoppen? Am Ende schien das Risiko zu groß, dass dies nicht gelingen würde und die traditionelle Liberale Partei als einzige Opposition übrig bliebe. Man stellte mit TV-Moderator Salvador Nasralla einen parteilosen und politisch weitgehend unerfahrenen, aber populären Gegenkandidaten auf. Nasralla hatte für eine Weile die bürgerliche Anti-Korruptionspartei PAC geleitet. Sie wurde ihm entrissen und versank anschließend in der Bedeutungslosigkeit.

Chronik eines angekündigten Wahlbetrugs

Im November 2017 nahm die dritte Etappe des fortgesetzten Putsches ihren Lauf. Bereits vor dem Wahltag schienen viele Honduraner*innen überzeugt, dass das Ergebnis - die Kongressmehrheit für die Nationale Partei und die Präsidentschaft für JOH - bereits feststehe. Die Mängelliste für den Wahlprozess war lang. Nach der umstrittenen Wahl 2013, bei der die Kandidatin von LIBRE knapp unterlag, wurde so gut wie keine der Verbesserungsempfehlungen der Europäischen Union umgesetzt. Die Oppositionsparteien beklagten unter anderem, das Wählerregister sei mit bis zu 30 Prozent nicht existenter Wahlberechtigter, darunter einer großen Zahl Verstorbener, völlig unbrauchbar. Nicht weniger problematisch waren die intransparente Wahlkampffinanzierung und die absolute Dominanz der Regierungspartei in den großen Medien. „Selbstverständlich“ übten auch Trupps der Nationalen Partei Druck auf Wähler*innen aus.
Umso überraschender fiel dann das erste Zwischenergebnis am Tag nach der Wahl aus: Nach Auszählung von gut 56 Prozent der Stimmen lag der Kandidat der Oppositionsallianz, Salvador Nasralla, mit fünf Prozentpunkten vorne. Nun musste auf die Schnelle „Plan B“ greifen, um den Machterhalt der Regierung zu sichern: Die Computersysteme der Obersten Wahlbehörde stürzten ab, mehrere Tage lang wurden keine neuen Ergebnisse veröffentlicht, stattdessen kursierten in den sozialen Netzwerken Fotos und Berichte über ausgekippte Wahlurnen und neu ausgefüllte Wahlzettel, die ungefaltet ins System eingespeist wurden. Als nach einigen Tagen wieder Ergebnisse bekannt gegeben wurden, lag JOH plötzlich nur noch ganz knapp hinter seinem Herausforderer und holte in der Folge sukzessive auf, bis er sich schließlich mit 42,95 Prozentpunkten (ca. 32.000 Stimmen) knapp vor Nasralla mit 41,24 Prozentpunkten platzierte.

Aufstand auf den Straßen

Die Bevölkerung wollte sich diese Manipulationsmanöver nicht bieten lassen. Von Resignation war nun nichts mehr zu spüren: Tausende empörter Honduraner*innen strömten am 29. November und in noch größerer Zahl ab dem 30. Januar entschlossen auf die Straßen, errichteten Barrikaden und machten ihrem über Jahre auch wegen großer Korruptionsskandale angestauten Unmut lautstark Luft. „Fuera JOH“ (Hau ab JOH) lautete die Parole aller Orten. Die Antwort war die Verhängung des Ausnahmezustandes am 1. Dezember 2017. Wer nun nach der Sperrstunde nicht mehr nach draußen konnte oder wollte, stieg zumindest aufs Hausdach und schloss sich, bewaffnet mit Töpfen und Pfannen, den lärmenden, nächtlichen Cacerolazo an. Volksfeststimmung entstand dennoch nicht. Denn es wurde schnell klar, dass dieser Protest auf Tränengasgranaten, die direkt gegen Personen und oftmals auch in Privatwohnungen geworfen wurden und auf „balas vivas“ (lebende Kugeln) treffen würde, wie die oftmals tödlichen Projektile aus den Feuerwaffen von Polizei und Militär in Honduras groteskerweise genannt werden. Vor allem die Militärpolizei (Policia Militar del Orden Público, PMOP) erwies sich nun als das Machtinstrument, das sich JOH seit seiner Zeit als Parlamentspräsident vorausschauend geschaffen hatte.

Militärpolizisten schossen scharf auf Demonstrant*innen und unbeteiligte Passant*innen. Gemeinsam mit Sondereinsatzgruppen des Militärs, der Polizei und paramilitärischen Kräften versetzten sie in nächtlichen Razzien ganze Stadtviertel und Dörfer in Angst und Schrecken.
Appelle des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, das Militär nicht gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen und den unverhältnismäßigen Gewalteinsatz zu beenden, verhallten folgenlos. Auch der Versuch einzelner Mitglieder der zivilen Nationalpolizei, Schießbefehle zu verweigern und sich mit den Demonstrierenden zu solidarisieren, brach schnell in sich zusammen. Mindestens ein Polizist bezahlt seine aufrechte Haltung einige Tage später mit dem Leben. Die Demonstrierenden ließen (und lassen) sich nicht beirren. Schwerpunkte der Proteste lagen in der Hauptstadt Tegucigapla, im Süden des Landes und vor allem auch in den Wirtschaftszentren und Verbindungsstraßen im Norden, mit der Industriemetropole San Pedro Sula und dem Atlantikhafen Puerto Cortés.

Die Rolle der internationalen Gemeinschaft

Die EU-Wahlbeobachtermission äußerte in ihrem ersten, kritischen Zwischenbericht erhebliche Zweifel am Wahlverlauf und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wurde am 17. Dezember noch deutlicher. Sie urteilte in einer Pressemitteilung: „Deliberate human intrusions in the computer system, intentional elimination of digital traces, the impossibility of knowing the number of opportunities in which the system was violated, pouches of votes open or lacking votes, the extreme statistical improbability with respect to participation levels within the same department, recently printed ballots and additional irregularities, added to the narrow difference of votes between the two most voted candidates, make it impossible to determine with the necessary certainty the winner.“(1)
OAS-Generalsekretär Juan Almagro plädierte deshalb zum Erstaunen politischer Beobachter*innen offen für Neuwahlen. Kurz darauf wendete sich das Blatt jedoch wieder: Das von Parteigängern der Nationalen Partei dominierte Oberste Wahlgericht erklärte JOH am gleichen Tag zum Wahlsieger. Die EU-Wahlbeobachtungsmission hüllte sich zunächst in Schweigen und ruderte dann zurück, von Wahlbetrug wolle man nicht sprechen und Almagros Empfehlung von Neuwahlen sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Nasralla verkündete nach einem Kurzbesuch in Washington, er werde aufgeben, ließ sich aber angesichts der anhaltenden Proteste auf den Straßen und auf Intervention von LIBRE-Chef Mel Zelaya doch wieder umstimmen. Am 22. Dezember gratulierte das US-Außenministerium JOH zum Wahlsieg.

30 Tote, davon 21 von Militärpolizei erschossen

Die Menschenrechtsorganisation COFADEH bilanzierte vom 30. November bis Jahresende 30 Todesfälle im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Wahlbetrug.(2) 21 davon waren außergerichtliche Hinrichtungen durch die Militärpolizei, eine durch die Nationale Präventionspolizei. Fünf Morde wurden durch Unbekannte begangen, allerdings sprechen Anzeichen dafür, dass es sich um paramilitärische Todesschwadronen gehandelt habe könnte, und zwei durch Privatpersonen. 232 Menschen wurden teils schwer verletzt. Viele von ihnen tragen bleibende Schäden davon. Knapp 1400 Demonstrant*innen wurden festgenommen, fast immer ohne Haftbefehl. Gegen 179 wurden willkürlich konstruierte Anklagen, teils wegen schwerer Straftaten wie Waffenbesitz und Terrorismus, erhoben. Mehrere von ihnen werden in Hochsicherheitsgefängnissen festgehalten. COFADEH liegen mehr als 70 Berichte von erniedrigender Behandlung und Folter bei den Festnahmen und in Haft vor. Ein junger Mann, Manuel de Jesus Bautista Salvador, wurde am 3. Dezember zusammen mit zwei weiteren jungen Männern von der Militärpolizei festgenommen. Seine beiden Begleiter wurden tags drauf mit Spuren schwerer Schläge freigelassen, Bautista konnte seither nicht gefunden werden. Die staatlichen Institutionen kamen ihren Verpflichtungen aus der von Honduras ratifizierten UN-Konvention gegen Verschwindenlassen nicht nach.
Von Wahltag bis Jahresende registrierte die COFADEH außerdem zwölf Attacken gegen Journalist*innen. Gegen einen der Köpfe des unbewaffneten Volksaufstandes, den Jesuitenpater Ismael Moreno und sein unermüdlich berichtendes Team von Radio Progreso begann in der letzten Dezemberwoche eine besonders bösartige Hetz- und Drohkampagne in den sozialen Medien.

Kontrollieren – Neutralisieren – Eliminieren

Zwanzig Monate nach dem Mord an COPINH-Generalkoordinatorin Berta Cáceres veröffentlichte die internationale Beratergruppe unabhängiger Experten (Grupo Asesor Internacional de Personas Expertas - GAIPE) Anfang November 2017 einen knapp 90-seitigen Bericht, der einen guten Teil des Komplotts zur Ermordung von Cáceres aufdeckt.(3)

Hauptbeteiligte sind demnach die Leitung des Unternehmens Desarollos Energéticos S.A. (DESA) und staatliche Sicherheitskräfte. Die erfahrenen Jurist*innen fanden klare Indizien für das Ziel der Operation: Die Eliminierung von Bertas Organisation COPINH und des Widerstandes gegen das von der Desa geplante Wasserkraftwerk Agua Zarca.
GAIPE hatte sich ein Jahr zuvor auf Anfrage von Bertas Familienangehörigen und von COPINH gegründet, nachdem zu erkennen war, dass die honduranische Regierung einer offiziellen Untersuchungskommission im Auftrag der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) oder der Vereinten Nationen nicht zustimmen würde. Die Strafrechtsexperten aus Guatemala, Kolumbien und den USA befragten mehrere Dutzend Personen und analysierte etwa 40.000 Seiten Dokumentationen von Telefonverbindungen, Chats, SMS, GPS- und anderen Daten aus beschlagnahmten Mobilfunk- und weiteren elektronischen Geräten. Die operative Struktur für den Mord wurde demzufolge Mitte November 2015 geschaffen, ein erster Versuch am 5. und 6. Februar 2016 wurde abgebrochen. Die GAIPE rekonstruierte auch den Kontext des Mordes, die jahrelange Verfolgung von Kraftwerksgegner*innen in den Gemeinden der Region Rio Blanco, Infiltration von Spitzeln sowie Drohungen und Überwachung von COPINH-Mitgliedern. Das Schema habe gelautet: Kontrollieren – Neutralisieren – Eliminieren.
Die Expertengruppe stellte fest, dass ein kriminelles Netz aus der Führungsetage und Angestellten der DESA, staatlichen Stellen und Auftragsmördern nicht nur verantwortlich für den Mord an Cáceres ist, sondern auch weitere Verbrechen begangen hat, wie die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Vertuschen von Straftaten, Behinderung der Justiz und Amtsmissbrauch. Die Staatsanwaltschaft habe nicht ordentlich und umfassend ermittelt und keinerlei Fortschritte bei der Suche nach den Hintermännern gemacht, obwohl ihr die nötigen Hinweise vorlagen. Auch die internationalen Geldgeber, darunter die holländische Entwicklungsbank FMO und Finnfunds, tragen Verantwortung. Laut Bericht haben sie ihre Unterstützung für Agua Zarca noch aufrechterhalten, als ihnen die kriminellen Methoden ihrer Vertragspartner schon längst bekannt waren. Sie zogen sich erst in Juli 2017 aus dem Projekt zurück.(4) Turbinenlieferant Voith Hydro folgte im August.

In den USA trainierte Militärs beteiligt

Im Juni war in Honduras das Verfahren gegen vier der acht bisher verhafteten mutmaßlichen Täter und Mittelsmänner, darunter ein DESA-Angestellter, der ehemalige Sicherheitschef der DESA und ein zum Tatzeitpunkt aktiver Militär eröffnet worden. Es kam jedoch den Rest des Jahres über nicht voran, da die Verhandlungen immer wieder abgebrochen wurden, weil die Staatsanwaltschaft sich weigerte, der Nebenklage die nötigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Bereits im Februar 2017 hatte der britische Guardian berichtet, dass Spezialisten des honduranischen Militärs, die in den USA trainiert worden waren, in den Mord verwickelt waren.(5)
Ein weltweit viel beachteter Bericht von Global Witness zeigte im Januar anhand von Beispielfällen, warum Honduras zu Recht als das weltweit gefährlichste Land für die Verteidigung unseres Planeten gilt. Im Gegensatz zur GAIPE nennt Global Witness im Fall Berta Cáceres auch Namen mutmaßlich beteiligter honduranischer Geschäftsleute.(6) Die ehemalige Polizeikommissarin Maria Luisa Borjas bestätigte im November einige Namen und nannte weitere.(7)

Proteste und Hungerstreik von Studierenden

Auch 2017 protestierten die organisierten Studierenden des Movimiento Estudiantil Universitario (MEU) der nationalen Universität UNAH mit Besetzungen von Fakultätsgebäuden gegen die Verschlechterung ihrer Studienbedingungen, gegen Privatisierung und für studentische Autonomie und Mitbestimmung. Sie forderten den Rücktritt der Rektorin Julieta Castellanos, die sich widerrechtlich eine neue Amtszeit gesichert hatte. Im Rückblick erscheint das Vorgehen gegen die MEU wie eine Blaupause für die Zeit nach der Wahl. Die Situation an der UNAH eskalierte seit Mai auf Grund exzessiver Gewalt durch Polizei, private Security und paramilitärische Schlägertrupps immer mehr. Hinzu kam die Kriminalisierung dutzender Studierender, denen hohe Gefängnisstrafen drohten. Am 22. Juni 2017 demonstrierte Roberto Gómez, Vater eines inhaftierten Studenten, vor dem Gerichtsgebäude, wo sein Sohn zusammen mit 19 weiteren Personen angeklagt war. Er äußerte sich dabei sowohl kritisch gegenüber dem Präsidenten Juan Orlando Hernández als auch der Rektorin Castellanos. Einen Tag später wurde Gómez von unbekannten Personen erschossen. Kurz darauf wurde auch Luis Joel Rivera, Soziologie-Student und aktives Mitglied der MEU, nachts vor seinem Haus ermordet. Augenzeug*innen sichteten die gleichen weißen Lieferwagen, die auch beim Mord an Gómez in Nähe des Tatortes waren. Am 27. Juni traten 24 Studierende der MEU nach einem weiteren gewaltsamen Polizeieinsatz in einen unbegrenzten Hungerstreik. Im Juli kam es zur nächsten brutalen Attacke auf die Besetzer*innen der Fakultät für Chemie und Pharmazie.(8)

Während einer Räumung am 8. September hielten Polizisten acht Studierende, drei Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen und die Journalistin Tomy Morales für mehrere Stunden in einem Kleinbus der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte fest. Beim Aussteigen sprühten sie jedem einzelnen Pfefferspray direkt ins Gesicht. Morales und die weiteren Businsassen wurden in Handschellen abgeführt und auf ein Polizeirevier gebracht. Ebenso wie Carlos del Cid von der Ökumenischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte trug Tomy Morales Gesundheitsschäden davon. Sie musste nach ihrer Haftentlassung für mehrere Tage in ein Krankenhaus. Ein Prozess gegen sie wegen „Angriffes auf die Sicherheit des Staates“ wurde niedergeschlagen. Morales rettete sich ins Ausland.(9)

Ein Drogenzar packt aus

Was ist das für ein Staat, in dem die politische Repression 2017 dermaßen stark anstieg, während die allgemeine Mordrate, eine der höchsten der Welt, leicht sank? Vor allem einer, der in den letzten Jahren immer stärker militarisiert wurde und dessen Institutionen sich – durchaus kein Widerspruch – fest im Griff des organisierten Verbrechens befinden. Im Lauf des Jahres kamen einige Details dazu ans Licht, ausgebreitet von Devis Lionel Rivera Maradiaga, einem der Köpfe des Drogenkartells der Cachiros. Durch Honduras werden etwa 80 Prozent der Drogen transportiert, die von den kolumbianischen an die mexikanischen Kartelle weitergereicht werden. Ein gutes Geschäft, das seit den neunziger Jahren floriert und in das nach dem Putsch 2009 unter anderem die Cachiros einstiegen. Als sie aufzufliegen drohten, zogen die Köpfe der Cachiros es vor, sich 2015 an die USA auszuliefern und 2017 begann der Prozess gegen sie. Die herrschenden Klassen in Honduras wurden einigermaßen nervös, denn die Aussageprotokolle, die auf Spanisch von der rechtskonservativen Tageszeitung El Heraldo veröffentlicht wurden, brachten recht konkrete Verbindungen der Cachiros bis hin zu Fabio Lobo, dem Sohn des ehemaligen Präsidenten Profirio Lobo (2010 – 2014) von der regierenden Nationalen Partei, ans Licht. Ankläger sprachen laut New York Times von deutlichen Hinweisen auf „staatlich unterstützten Drogenhandel“. Auch in die 2013er Wahlkampfkasse von Lobos Nachfolger, Juan Orlando Hernández sollen Drogengelder geflossen sein. Rivera Maradiaga gestand 78 Morde. Fabio Lobo wurde an die USA ausgeliefert und verbüßt dort eine Haftstrafe von 24 Jahren. Auch Sicherheitsminister General Julian Pacheco Tinoco soll seine schützende Hand über die Cachiros gehalten haben. Pacheco und JOH bestreiten alle Vorwürfe und kamen bisher ungeschoren davon.(10)

Fußnoten Länderbericht

(1) http://www.oas.org/en/media_center/press_release.asp?sCodigo=E-092/17 „Vorsätzliche menschliche Eingriffe in das Computersystem, absichtliche Beseitigung digitaler Spuren, die Unmöglichkeit herauszufinden, wie viele Male in das System eingebrochen wurde, geöffnete Behältnisse mit Stimmzetteln oder fehlende Stimmzettel, die in Relation zur Wahlbeteiligung extreme statistische Unwahrscheinlichkeit innerhalb eines Departments, frisch gedruckte Wahlzettel und weitere Unregelmäßigkeiten machen es in Anbetracht der geringen Stimmendifferenz zwischen den beiden meistgewählten Kandidaten unmöglich, den Wahlsieger mit der notwendigen Sicherheit zu bestimmen.“ (Übersetzung Jutta Blume Vgl. https://www.heise.de/tp/features/Honduras-Putsch-geht-in-die-Verlaengerung-3940463.html)
(2) http://defensoresenlinea.com/wp-content/uploads/2018/01/Segundo-Informe-violaciones-a-DDHH-en-contexto-protesas-anti-fraude-en-Honduras.pdf
(3) https://www.gaipe.net/wp-content/uploads/2017/10/Represa-de-Violencia-ES-FINAL-.pdf
https://www.gaipe.net/wp-content/uploads/2017/10/GAIPE-Report-English.pdf
(4) https://www.npla.de/poonal/mord-an-berta-caceres-16-monate-spaeter/
(5) https://www.theguardian.com/world/2017/feb/28/berta-caceres-honduras-military-intelligence-us-trained-special-forces
(6) https://www.globalwitness.org/en/campaigns/environmental-activists/honduras-deadliest-country-world-environmental-activism/
(7) https://criterio.hn/2017/11/22/comisionada-maria-luisa-borjas-senala-gladis-aurora-lopez-esposo-los-asesinos-berta-caceres/
(8) http://www.pasosdeanimalgrande.com/index.php/en/especiales/protesta-social-unah
https://amerika21.de/2017/07/180792/gewalt-studenten-honduras
https://amerika21.de/2017/06/179044/honduras-vater-student-mord
https://amerika21.de/2017/06/178626/universitaet-honduras-gewalt
(9) http://www.rog.at/pm/honduras-brutaler-polizeiangriff-auf-journalistinnen/
(10) https://www.insightcrime.org/news/analysis/another-damning-testimony-elites-honduras-trafficker/
http://www.elheraldo.hn/pais/1050453-466/exjefe-narco-tambi%C3%A9n-vincula-a-ministro-de-seguridad-juli%C3%A1n-pacheco

 

Aktivitäten zu Honduras

„Grüne Energie“ auf Kosten der Menschenrechte

Zu Jahresbeginn luden wir den Interimskoordinator des Rates sozialer und indigener Organisationen von Honduras (COPINH), Tomás Gómez Membreño, nach München ein. Tomas Gómez nahm an unserer internationalen Podiumsdiskussion im Vorfeld der Siemens-Hauptversammlung am 1. Februar 2017 in München teil. Gemeinsam mit anderen Initiativen und mit NGOs wie GegenStrömung, medico international, Western Sahara Resource Watch und dem Dachverband Kritischer Aktionärinnen und Aktionäre erläuterten wir anhand von Beispielen die Mitverantwortung des Konzerns für Menschenrechtsverletzungen und Landraub in zahlreichen Ländern des globalen Südens. Im Fokus der Kritik standen so genannte “Grüne Energie”-Projekte.

COPINH wirft Siemens Mitverantwortung vor

In der Münchner Olympiahalle konfrontierte Gómez Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionär*innen mit den Konsequenzen ihres Verhaltens: „Ich wurde zum Interims-Koordinator von COPINH gewählt, nachdem unsere Generalkoordinatorin Berta Cáceres am 2. März 2016 brutal ermordet wurde. Kurz vor Mitternacht drangen Bewaffnete in ihr Wohnhaus in La Esperanza-Intibucá ein und erschossen sie. Es gibt überzeugende Beweise dafür, dass das Mordkommando enge Verbindungen zum Unternehmen Desarrollos Energéticos S.A. (DESA) hat.

Wie Sie wissen, ist die DESA Vertragspartnerin des Siemens-Joint-Ventures Voith Hydro. Voith Hydro hat einen Vertrag mit der DESA über die Lieferung von Turbinen und technischem Material für das Wasserkraftwerk Agua Zarca im Westen meines Landes abgeschlossen. Derzeit sind zwei mit der DESA verbundene Personen in Untersuchungshaft: einer der DESA-Geschäftsführer, Sergio Rodríguez, und der ehemalige Sicherheitschef der DESA, Douglas Geovany Bustillo. Sie werden beschuldigt, an dem Mordkomplott gegen Berta Cáceres beteiligt gewesen zu sein.

In bereits drei Hauptversammlungen hier an diesem Ort wurden Sie auf die illegalen Machenschaften und die schweren Menschenrechtsverletzungen in Bezug auf das Projekt Agua Zarca hingewiesen. Sie wurden mit der Forderung konfrontiert, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einzuhalten und in der Konsequenz auf Voith Hydro einzuwirken, damit Ihr Joint-Venture sich definitiv aus dem Projekt zurückzieht.

Ende 2015 und dann nochmals bei der Hauptversammlung 2016 haben wir Sie eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass vor Ort Todeslisten mit Namen von Leitungspersonen des COPINH und Gegner*innen des Projektes Agua Zarca kursierten. Sechs Wochen später wurde Berta Cáceres ermordet. (..) Und vergessen wir nicht: Sie tragen durch Ihr Nicht-Handeln auch eine Mitverantwortung für die Morde an indigenen Gemeindeanführern und jungen Leuten aus dem Gemeindebezirk Rio Blanco, die sich dem Kraftwerksprojekt widersetzt haben. (...) Wir sagen Ihnen noch einmal: Die Lizenz für Agua Zarca wurde 2010 auf illegale Weise erteilt, ohne vorherige freie und informierte Konsultation der Gemeinden, entgegen den internationalen Richtlinien für indigene Völker.“

Siemens CEO Joe Kaeser antwortete, Siemens trage keine direkte Verantwortung, er wolle sich aber dafür einsetzen, dass der Mord an Berta rechtsstaatlich korrekt aufgeklärt werde. Ein Versprechen, welches im Jahr 2017 nicht eingelöst und 2018 nicht erneuert wurde.(1)

Voith Hydro: Vertragstreue geht vor Menschenleben

Vor Podiumsdiskussion und Hauptversammlung hatten wir Tomás Gómez auch zu einem ausführlichen Gespräch mit Vertretern von Voith Hydro im schwäbischen Heidenheim begleitet. Es wurde deutlich, dass das Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt, ein Jahr nach dem Mord an Berta Cáceres, noch nach einem Weg suchte, das vorläufig suspendierte Vorhaben auf der anderen Flussseite doch noch weiterzubetreiben und dass die Geschäftsführung Vertragstreue gegenüber dem Kunden DESA als vorrangig betrachtete. Die Verweise von Tomás auf die geschehenen Morde, die kriminellen Strukturen hinter dem Mordkomplott und die anhaltende Verfolgung von COPINH samt Attentatsversuchen auf seine Person konnten daran nichts ändern.

„Berta ist nicht gestorben – sie hat sich vervielfacht“

Im Februar erschien die Zeitschrift ILA zum Schwerpunktthema Honduras, wozu wir unter anderem ein Resumee zu Agua Zarca beitrugen. Anfang März reisten wir nach Berlin, um an einer Gedenk- und Protestveranstaltung zum ersten Todestag von Berta Cáceres vor dem Brandenburger Tor teilzunehmen: Gemeinsam mit der „Menschenrechtskette Deutschland-Honduras“ (CADEHO) und zahlreichen anderen Gruppen erinnerten wir an Berta und die 216 weiteren Aktivist*innen, die 2016 in Lateinamerika aufgrund ihres Engagements für Landrechte, indigene Gemeinden und Umweltschutz ermordet wurden.

Im April begleiteten wir Bertha Zúniga, eine von Berta Cáceres Töchtern, nach Brüssel und nahmen an einem von der Copenhagen Initiative für Zentralamerika (CIFCA) organisierten Arbeitstreffen zahlreicher europäischer NGOs und Hilfswerke teil. Bertha sprach mit Vertreter*innen des European External Service, Parlamentarier*innen und der Presse. Neben der Straflosigkeit für die Auftraggeber des Mordes an ihrer Mutter war vor allem die Verteidigung indigener Territorien und indigener Rechte Thema der Gespräche, darunter die Debatte um Gesetzentwürfe zur Umsetzung der ILO Konvention 169.

 

„Moskito im Ohr der Mächtigen“

Im Juli begrüßten wir die Juristin Tirza Flores Lanza aus San Pedro Sulas, Honduras zweitgrößter Stadt, in München. Die nach dem Staatsstreich 2009 unrechtmäßig entlassene Richterin berichtete unter dem Titel „Zivilcourage gegen Putsch und Mafiastaat“ über acht Jahre Kampf gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen und für eine unabhängige Justiz. Die Diskussion mit dem Publikum drehte sich auch um die umstrittene Reform des Strafrechts in Honduras mit EU-Unterstützung und die systematische Kriminalisierung von sozialem Protest. Angesichts dessen, dass für Honduras keinerlei Besserung der Verhältnisse in Sicht war, erinnerten wir uns den Rest des Jahres oft an Tirzas Ermunterung, die unsere Funktion und Wirksamkeit betrifft: „Wir sind der Moskito im Ohr der

Staudammproteste und Repression

Anfang August berichteten wir über die Zerstörung des Protestcamps in der Gemeinde Pajuiles im Norden von Honduras, das sich gegen ein Staudammprojekt richtete und einen damit verbundenen Angriff auf den Generalkoordinator der Menschenrechts- und Umweltorganisation Movimiento Ampilo (MADJ), Martín Fernández, den wir Ende 2016 bei seiner Deutschlandreise begleitet hatten.(2) In einer Telefon-Eilaktion gemeinsam mit mehreren Mitgliedern des Netzwerks HondurasDelegation und US-amerikanischer Solidaritätsgruppen setzten wir uns erfolgreich für die Freilassung festgenommener Staudammgegner*innen aus Pajuiles ein.

Soziale Kämpfe im Norden, Westen und Süden

Anlässlich ihrer Dienstreise nach Honduras besuchte unsere Honduras-Referentin das wieder aufgebaute Protestcamp in Pajuiles, begleitete mehrere Tage lang Martín Fernández und weitere Mitglieder des MADJ und beobachtete den Auftakt des Prozesses gegen kriminalisierte Aktivist*innen in der Provinzstadt Tela. Ausführliche Berichte dazu finden sich auf unserer website.(3)

Auf dem Programm stand auch ein Besuch bei der Garífuna-Organisation OFRANEH in Sambo Creek. Dank COMPPA (Comunicadorxs Populares por la Autonomía) ergab sich die Möglichkeit, an einem Workshop für kommunitäre Radiomacher*innen aus ganz Honduras teilzunehmen. Besonders wichtig waren sodann mehrere Arbeitsgespräche mit dem im Mai 2017 neu gewählten Leitungsgremium des COPINH und der neuen Generalkoordinatorin Bertha Zúniga.

In Tegucigalpa besuchte unsere Honduras-Referentin als internationale Beobachterin einen der Prozesstermine gegen die ersten vier des Mordes an Berta und versuchten Mordes an Gustavo Castro Angeklagten und konnte miterleben, wie die Richterin nach kurzer Anhörung den Termin vertagte, weil Generalstaatsanwaltschaft und Kriminalpolizei der Nebenklage die für den Prozess nötigen Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt hatten. Dies sollte sich auch für den Rest des Jahres nicht ändern. Die Generalstaatsanwaltschaft ließ alle richterlichen Ultimaten ungerührt verstreichen.

 

 

Solidarität und Hoffnung

Bei einem mehrtägigen Seminar in Siguatepeque bestand die Möglichkeit, gemeinsam mit Aktivist*innen aus El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Kolumbien Erfahrungen auszutauschen und in einem sicheren Rahmen kreative Methoden zum Umgang mit Dauerstress und permanenter Gefährdung auszuprobieren und Solidarität und Hoffnung, die im honduranischen Alltag kaum Raum haben, neu zu entfalten.(4)

„Man sagt, Honduras sei das gewalttätigste Land der Welt. Ich meine aber, wir sind das Land, wo die Kapitalisten die gewalttätigsten sind.“
Juan Almendarez, CPTRT

Zum Internationalen Tag der Opfer des Verschwindenlassens (30. August) besuchte unsere Honduras-Referentin eine Diskussionsrunde im Hogar contra el olvido (Ort gegen das Vergessen) des Komitees der Familienangehörigen der verhafteten Verschwundenen in Honduras (COFADEH) in Santa Ana nahe Tegucigalpa. Es wurde deutlich, wie sehr in Honduras – im Vergleich etwa mit El Salvador und Guatemala – die Initiativen zur Erinnerungsarbeit noch in den Kinderschuhen stecken und wie gering ihre Entwicklungsmöglichkeiten angesichts der aktuellen Ereignisse sind.

Zum Reiseprogramm gehörten schließlich auch Gespräche mit Vertreter* innen der EU-Delegation in Tegucigalpa, mit dem Verantwortlichen für das „Programm für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz“ der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem neuen deutschen Botschafter Thomas Wrießnig.

Delegation mit dem Honduras Forum Schweiz

Begleitet von den Journalistinnen Dina Meza und Tomy Morales, die zugleich der Menschenrechtsorganisation ASOPODEHU angehören, startete am 1. September die Delegationsreise des HondurasForums Schweiz, an der sich unsere Honduras-Referentin aktiv beteiligen konnte.

Die Delegation sprach unter andrem mit Mitgliedsorganisationen der Koalition gegen die Straflosigkeit, mit der NGO CEHPRODEC zu Bergbauthemen, mit dem Schweizer Hilfswerk HEKS, dem staatlichen Ombudsmann für Menschenrechte Robert Herrera, mit der Leiterin des UN-Hochkommisariats für Menschenrechte, Maria Soledad Pazo, mit der regierungsnahen NGO APJ (über deren Verständnis der Polizei“reform“), mit Unternehmer*innen und Rechtsanwälten, die gegen die Wiederwahl von Präsident Hernández opponierten und mit Studierenden des MEU.

Die Delegation besuchte im Süden des Landes die Protestcamps Prado I und II, in denen sich die Bevölkerung unter großen Risiken und Unsicherheiten gegen Landraub und mögliche Veränderungen des lokalen Mikroklimas durch riesige Solarkraftwerke (u.a. von norwegischen Unternehmen) zur Wehr setzt. Sie führte Gespräche mit Vertreter*innen der Umweltbewegung MASS Vida und einem entlassenen hochgefährdeten Gewerkschafter, der sich für bessere Arbeitsbedingungen auf den Melonenplantagen des irischen Fruchtkonzerns Fyffes (inzwischen SUMITOMO Corporation Japan) eingesetzt und sein Engagement beinahe mit dem Leben bezahlt hatte.

Tomy Morales: Kurzzeit-Exil in München

Am 8. September, dem Tag, an dem das Honduras Forum Schweiz und unsere Honduras-Referentin ihre Beobachtungsmission beendeten, versuchten Tomy Morales, Carlos del Cid und Ariel Díaz elementare Rechte der protestierenden Student*innen zu verteidigen. Sie wurden über mehrere Stunden in einem Kleinbus der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte CONADEH festgehalten. Polizisten sprühten ihnen bei ihrer Festnahme Pfefferspray ins Gesicht, und sie trugen, gefördert durch die folgende Untersuchungshaft, teils bleibende gesundheitliche Schäden davon (siehe Länderbericht).

Zu ihrer Sicherheit und Erholung kam Tomy Morales im November zu Besuch nach Deutschland und wir organisierten ihren Aufenthalt in Norddeutschland, Berlin und schließlich bis Mitte Januar bei uns in München. Besonderer Dank gilt unseren Haidhauser Nachbar*innen von der anderen Seite des Pariser Platzes, dem Verein „Journalisten helfen Journalisten“, der rasch und unbürokratisch Flugkosten übernahm, bei der Unterkunftssuche behilflich war und Tomy zu seiner Jahreshauptversammlung einlud. Wir vermissen Tomys ganz speziellen, quirligen und scharfsinnigen Humor in unserem Büro und hoffen, dass sich ein guter Ort auf der Welt findet, an dem sie in Zukunft leben, arbeiten, schreiben und studieren kann.(5)

Eilaktionen, Offene Briefe und Pressemitteilungen

Im Juni starteten wir eine Eilaktion gegen die Kriminalisierung der streikenden Studierenden an der Nationalen Autonomen Universität (UNAH) und forderten eine Ende der Repression und die Aufklärung der beiden kurz zuvor geschehenen Morde (siehe Länderbericht).(6)

Am 19. Dezember gaben wir eine Pressemitteilung zur Lage in Honduras heraus und verlangten entschiedenes politisches Handeln der EU und der Deutschen Bundesregierung gegen die massive Repression und zugunsten eines demokratischen Neuanfangs: „Die Zivilgesellschaft in Honduras erwartet politisches Handeln, das dem Wunsch nach einem demokratischen Neuanfang Rechnung trägt. Das legalistisch-technische Lavieren der EU wirkt dagegen wie Öl ins Feuer einer ohnehin kritischen Situation, die stündlich weiter eskaliert.“(7)

Anfang Dezember hatten wir gemeinsam mit europäischen Solidaritätsgruppen einen Offenen Brief an die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten erarbeitet, der von über 64 Organisationen unterzeichnet wurde: „We ask you to demand that the Honduran government stops the repression of the legitimate and peaceful protests of Honduran citizens and that it respects their human right to protest. (...)Finally, and in view of the imminent risk that the political and human rights conditions will worsen even more, we request from you to temporarily suspend all financial aid to the government of Honduras until the said electoral manipulations have been resolved and repressive actions against the citizenry have ceased.“(8)

Wir informierten Bundestagsabgeordnete über die Situation und versuchten in direktem Kontakt mit der Deutschen Botschaft in Tegucigalpa und mit dem Auswärtigen Amt in Berlin zumindest einen gewissen Schutz für extrem bedrohte Menschenrechtsverteidiger*innen im Sinne der entsprechenden EU-Leitlinien einzufordern.

Situation der LGBT*-Community in Honduras

Am Sonntag, 2. April 2017, wurde Sherlyn Montoya von der Trans*Frauengruppe Muñecas de Arcoíris zuletzt gesehen. Am Morgen des 4. April fand man ihre Leiche mit Folterspuren in einem Sack in einem Außenbezirk von Tegucigalpa. Wir hatten eine Eilmeldung der Asociación LGTB Arcoíris, über die verzweifelte Suche nach der verschwundenen Sherlyn erhalten und weinten mit ihren Freund*innen und Angehörigen bei ihrem Begräbnis auf einem kargen Hügel am Rande eines marginalisierten Viertels, das wir per Videostream mitverfolgen konnten.

Sherlyns überlebende Namensvetterin Shirley Mendoza Godoy, ebenfalls Trans*Menschenrechtsaktivistin, konnte sich nach Deutschland retten. Auf sie waren schon mehrere Attentate verübt worden. Nachdem sie Ende 2016 in der Hauptstadt Mitglieder des Militärs angezeigt hatte, die eine Minderjährige vergewaltigt und Shirley bedroht hatten, musste sie 2017 in den Süden des Landes fliehen. Dort spürten sie Männer mit militärischem Haarschnitt auf und versuchten, sie zu entführen. Sie entkam durch das beherzte Eingreifen von Freund*innen und Nachbarn nur knapp. In Deutschland warteten ein haftähnlicher Zwangsaufenthalt in der Transitzone eines Flughafens und ein gewalttätiger Übergriff in einer Gemeinschaftsunterkunft auf sie.

Erste Trans*Frau kandidiert zur Wahl

Mindestens 34 Mitglieder der Lesbian-Gay-Trans-Bisexual (LGBT)-Community wurden 2017 in Honduras ermordet, davon neun Trans*Personen.(9) Die Organisationen, die gegen Diskriminierung und Straflosigkeit und für gesellschaftliche Anerkennung und politische Teilhabe kämpfen, lassen sich dennoch nicht unterkriegen: Mit Rihanna Ferrer kandidierte erstmals eine Trans*Frau bei den Parlamentswahlen. Sie versuchte - vergeblich - durchzusetzen, dass ihr weiblicher Name auf die Stimmzettel gedruckt wurde. Vorangegangen war im März eine Kampagne, um für die Vorwahlen Fotos und Namen von Trans*Kandidat*innen auf Personalausweisen ändern zu können. Mitte des Jahres hatten mehrere LGBT*-Organisationen sogar noch Pläne für ein umfassendes Inklusionsgesetz, für dessen Verabschiedung und Umsetzung sie sich 2018 einsetzen wollten.

Münchner Arbeitskreis LGBT*-Honduras

Der LGBT*-Honduras-Arbeitskreis des Ökumenischen Büros macht im mittlerweile dritten Jahr auf die Situation der Community aufmerksam und unterstützt unsere Partnerorganisation Asociación LGBT Arcoíris in Honduras sowie geflüchtete Trans*Aktivistinnen hierzulande solidarisch.

Unsere Honduras-Referentin wurde im Sommer bei Arcoíris überaus freundschaftlich und herzlich aufgenommen. Sie konnte miterleben, dass das Haus der Organisation für viele Mitglieder der Community der einzige sichere Ort in einer extrem homo- und transphoben Umgebung ist, an dem sie entspannen, sich austauschen, Rat finden und oftmals auch die einzige warme Mahlzeit des Tages einnehmen können. Auf genau diese Sicherheit zielen immer wieder Angriffe. So auch Anfang Dezember, als im Kontext der Repression nach dem Wahlbetrug Unbekannte versuchten, Türen und Fenster des Hauses von Arcoíris aufzubrechen.

Besuch im Gefängnis

Gemeinsam mit zwei Mitarbeiter*innen von Arcoíris besuchte unsere Honduras-Referentin eine Gruppe Trans-Frauen, die im Männergefängnis in Támara nördlich von Tegucigalpa inhaftiert sind.(10) Die Haftbedingungen für die kleine Gruppe von Trans*Frauen im Gefängnistrakt für chronisch und psychisch kranke Gefangene sind schwierig. Von ihrem Zellengang aus blicken die Trans*Frauen auf eine Art Käfig, in dem hinter Eisenstäben sedierte Gefangene in Lumpen auf dem Boden und auf Zementblöcken ohne Decken vor sich hinvegetieren und Besucher*innen aus leeren Augen anblicken. Sie versuchen, die Mitglieder ihrer kleinen Gruppe vor diesem Schicksal zu schützen. Sie bleiben aktiv und helfen sich gegenseitig ihre Haftzeit einigermaßen unversehrt zu überstehen. Es fehlt ihnen an ausreichender Ernährung, Vitaminen und Mineralstoffen, guten Medikamenten, ärztlicher und medizinischer Betreuung, Anwält*innen, würdigen Arbeitsmöglichkeiten, von eigenen sanitären Einrichtungen ganz zu schweigen. Ihr gemeinsamer Plan, einen Friseursalon einzurichten, für den sie bereits Unterstützung aufgetrieben hatten, wurde von der Gefängnisleitung abgelehnt. Eine Gefangene, die inzwischen unter der Auflage, Sozialarbeit zu leisten, freikam, wird in Zukunft bei Arcoíris versuchen, die Unterstützung für ihre inhaftierten companeras zu koordinieren.

Begleitung für Geflüchtete

In München begleiteten wir die Trans*Aktivistin Frenesys Sahory Reyes aus Honduras in ihrem Asylverfahren (großer Dank an dieser Stelle an die Rechtsanwältin Juliane Scheer!), bei Behördengängen und im Alltag. Über ihre ersten Schritte im politischen Exil führten wir ein Interview für das Honduras-Sonderheft der Zeitschrift ILA (Februar 2017). Gemeinsam mit solidarischen Gruppen und Einzelpersonen aus Hamburg und Berlin hielten wir auch Kontakt zu Frenesys‘ früherer Kollegin Shirley Mendoza, die ebenfalls 2017 politisches Asyl bekam.

Transgender Day of Remembrance

Am 20. November, dem Internationalen Gedenktag für die Opfer von Hassverbrechen gegen Trans*personen (Transgender Day of Remembrance – TDOR) beteiligten wir uns an der Münchner Kundgebung und dem Demonstrationszug durch die Innenstadt. Frenesys Reyes sagte in ihrer Rede vor der Bayerischen Staatskanzlei:

„Am 20. November 1998 wurde in Massachusetts (USA) Rita Hester ermordet, eine afroamerikanische transsexuelle Frau. Als Aktivist*innen wollen wir an diesem Tag die Gesellschaft wachrütteln: Sie muss sich der Hassverbrechen gegen uns Trans*Personen bewusst werden. Und wir laden alle ein, sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der insgesamt kein Platz mehr für Gewalt ist. (…) Der Mord an Rita Hester wurde niemals aufgeklärt. Und genauso ist es in sehr vielen Fällen von Hassverbrechen gegen Trans*Personen. Die Justiz schaut weg. In Latein­amerika und an vielen anderen Orten weltweit werden Hassverbrechen gegen Trans*Personen unsichtbar gemacht. Mein Heimatland Honduras verweigert uns sogar nach dem Tod noch die Anerkennung unserer Identität.

Fundamentalistische evangelikale Religionsführer stacheln zum Hass gegen uns auf und die Regierung unterstützt sie dabei. Ich werde niemals aufhören, Gerechtigkeit zu fordern und einen besseren Schutz für unsere extrem verletzliche Community. Wir brauchen soziale Inklusion ohne Diskriminierung. Nicht WIR sind gefährlich und abnormal, sondern diejenigen, die unsere Herkunftsländer in Armut, Gewalt und Korruption versinken lassen! Diejenigen sind abnormal, die Strafgesetze schaffen, mit deren Hilfe die Gesellschaft terrorisiert und sozialer Protest kriminalisiert wird. Gesetze, die Diskriminierung und Ausschluss fördern, statt sie unter Strafe zu stellen. Abnormal sind nicht WIR, sondern diejenigen, die unschuldige Personen töten, um die eigene Macht zu erhalten.

Auch hier, in Deutschland, reicht es nicht aus, dass wir uns über ein Gesetz zur Geschlechtsidentität oder gleichgeschlechtliche Ehen freuen. Die LGTBI-Organisationen hier haben einiges erkämpft, gerade wir als Trans-Aktivist*innen sollten uns aber auf keinen Fall mit dem Status Quo der Gesetzgebung zufrieden geben. Auch in der Arbeits-, Gesundheits- und vor allem der Bildungspolitik ist noch viel zu tun. Wir müssen die jungen Generationen in den Schulen sensibilisieren – für Respekt und gegen Diskriminierung.

Und ich rufe alle hier heute auf: Seien wir wachsam, was die Situation der Trans-, lesbischen, schwulen und Queer-Geflüchteten betrifft. Jeder Übergriff auf eine geflüchtete Person wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Genderidentität ist einer zu viel!“

Gegen neokoloniales Denken

Im Rahmen der Münchner Tage der Menschenrechte berichteten Frenesys Reyes und Shirley Mendoza im Infocafé des Wohn- und Kulturzentrums Bellevue di Monaco über ihre zehnjährigen Erfahrungen im Widerstand gegen Diskriminierung und Verfolgung in Honduras und ihre aktuellen Erfahrungen als Geflüchtete, People of Colour und LGBT*Aktivistinnen im von Rassismus geprägten bundesdeutschen Alltag. Ein Abend, den wir gemeinsam mit peace brigades international veranstalteten und der gewohnte Nord-Süd-Perspektiven gründlich und produktiv in Frage stellte.

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