Essen und Trinken in Zeiten des Klimawandels: Ernährungssouveränität und Klimagerechtigkeit in Zentralamerika

„Ernährungssouveränität ist das Recht auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung, nachhaltig und unter Achtung der Umwelt hergestellt. Sie ist das Recht auf Schutz vor schädlicher Ernährung. Sie ist das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen. Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und konsumieren, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und transnationalen Konzerne“, heißt es in „Nyeleni – Deklaration für Ernährungssouveränität“, die im Februar 2007 in Mali beim 1. Internationalen Forum zur Ernährungssouveränität verabschiedet wurde. Im Gegensatz zur Ernährungssicherheit, die auch mit grüner Gentechnik erreicht werden soll und die auf Ertragsquantität und finanzielle Verwertung fokussiert, umfasst die Ernährungssouveränität auch Produktionsbedingungen, Produktqualität und ungleiche Tauschbedingungen auf internationaler Ebene. Die von diesem Begriff angeleiteten Politiken wenden sich „gegen Nahrungsmittelhilfe, die das Preisdumping versteckt, Gentechnik einschleust und neuen Kolonialismus schafft“ (Nyeleni-Deklaration).

Einen engen Zusammenhang sehen die AktivistInnen – gerade angesichts der aktuell sich häufenden Umweltkatastrophen – zwischen dem Kampf um Ernährungssouveränität und der Forderung nach Klimagerechtigkeit. Denn bereits heute ist deutlich, dass diejenigen, die durch die Emission von Treibhausgasen am stärksten zum Klimawandel beigetragen haben, nicht die Hauptlast der Folgen zu tragen haben. Das gilt in sozialer und wirtschaftlicher wie auch in ökologischer Hinsicht. Zu den Folgen des Klimawandels gehören Überschwemmungen, Dürren, erhöhte Temperaturen der Luft, des Bodens und der Gewässer. Damit einher gehen Veränderungen der Lebensbedingungen für Menschen, Tiere und Pflanzen – und das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion. Fehlten den meisten Menschen und Ländern außerhalb der reichen Industriestaaten bislang die Mittel, durch eine auf der Nutzung fossiler Energieträger basierende Wirtschaft zu Wohlstand zu gelangen, so fehlen ihnen nunmehr die Mittel, die Folgen des Klimawandels abzuwehren. Generell gilt: Die Menschen werden auf absehbare Zeit umso stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sein, je ökonomisch und sozial marginalisierter sie sind.

Die Kämpfe um Ernährungssouveränität und Klimagerechtigkeit in Zentralamerika waren 2011 ein Schwerpunkt unserer Arbeit im Ökumenischen Büro. Bereits im November/Dezember 2010 lag der Fokus der Solidaritätsbrigade nach El Salvador auf Vorschlag unserer Partnerorganisation OIKOS auf der Frage nach Ernährungssouveränität. 2011 haben wir die Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen Ernährung und Klima bei der Solidaritätsbrigade nach Nicaragua im August und beim Bundestreffen der El Salvador-Gruppen im November in Frankfurt am Main vertieft: Die Nicaragua-Brigade erarbeitete auf Grundlage ihrer Ergebnisse den Themenbaustein zu „Klimawandel“ für die Bildungsmaterialien „Fokuscafé Lateinamerika“ vom Informationsbüro Wuppertal. Zum El Salvador-Bundestreffen in Frankfurt und der dazu gehörigen Veranstaltungsrundreise waren María-Ana Calles Ramos als Vertreterin der Kleinbauernorganisation ANTA und der Klimaaktivist Javier Rivera eingeladen, um die Brisanz und Dringlichkeit der Forderungen nach Ernährungssouveränität und Klimagerechtigkeit zu vermitteln und gemeinsam über Handlungsansätze nachzudenken.

Zerstörtes Feld

Zerstörte Felder nach der Unwetterkatastrophe E-12


Unwetterkatastrophe in Zentralamerika: Das Tropische Tief E-12

Die Aktualität unserer Schwerpunktsetzung zeigte sich beim diesjährigen El Salvador-Bundestreffen. María-Ana Calles Ramos, Vertreterin der Kleinbauernorganisation ANTA, erfuhr während ihres Aufenthalts in Deutschland, dass ihre Familie evakuiert und ihr Haus – ebenso wie die meisten anderen Häuser der Gemeinde – fortgeschwemmt worden war. Ebenso stand ihre Mais-Ernte unter Wasser, die die Familie das nächste Jahr über hätte ernähren sollen. An diesem Fall zeigt sich der Zusammenhang des Klimawandels mit der Ernährungssituation der Menschen deutlich. Der Kampf gegen genmanipuliertes Saatgut und für eine Landreform sind nur ein Teil des Kampfes um souveräne Ernährung. Auch Pflanzen aus biologischem Saatgut auf einem bestenfalls kollektiv bewirtschafteten Feld widerstehen nicht solchen Regenmassen, wie sie im Oktober in Folge des Tropischen Tiefs E-12 auf El Salvador regneten. Schwere Regenfälle sind in Mittelamerika um diese Jahreszeit nicht ungewöhnlich. In diesem Jahr regnete es aber deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Dass die starken Regenfälle nicht nur zunehmen, sondern auch immer verheerendere Auswirkungen haben, liegt an der Abholzung der Wälder und dem großflächigen Anbau von Monokulturen.

 

Ernteausfälle und Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln

Die Ernteausfälle werden die prekären sozio-ökonomischen Bedingungen der Menschen in der Region mittelfristig verschärfen. Bei den Veranstaltungen der Rundreise im Oktober/November berichtete María-Ana Calles Ramos von der Kleinbauernorganisation ANTA, dass die aktuelle Ernte von Mais, Hirse und anderen Produkten vielerorts den starken Regenfällen zum Opfer gefallen sei. „Ich weiß nicht, wie ich meine Familie das nächste Jahr über ernähren soll“, sagt Calles Ramos, die als Kleinbäuerin auf die Subsistenz angewiesen ist. Mit großem Aufwand hatte sie auf biologische Landwirtschaft umgestellt und hätte dieses Jahr erstmals eine ausreichende Ernte gehabt. Nun wird die Familie keine Einnahmen haben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, geschweige denn, um die Aussaat im kommenden Jahr zu finanzieren. Betroffen sind auch die Familien, die auf zusätzliche Einnahmen als LandarbeiterInnen angewiesen sind. Über Wochen konnten sie nicht arbeiten und somit die Ernährung ihrer Familien nicht mehr sichern. Gleichzeitig steigen durch die Knappheit des Angebots die Preise für Grundnahrungsmittel.

Hochwasser

Hochwasser und Überschwemmungen zwangen viele Menschen dazu, ihre Siedlungen zu verlassen

 

Das tropische Tief E-12 ist vielerorts die dritte große Unwetterkatastrophe seit 2005. Die Region ist aber auch in anderer Hinsicht sehr verwundbar. So hatten z.B. die BewohnerInnen der Gemeinde von María-Ana Calles Ramos zuletzt 2005 beim Ausbruch des Vulkans von Santa Ana, Ilamatepec, ihre Gemeinde verlassen und an anderem Ort neu gründen müssen. Nicht nur wegen fehlender Landtitel, sondern auch von Naturkatastrophen aus ihren Siedlungen vertrieben zu werden und alles zu verlieren, wird für die Landbevölkerung in El Salvador zunehmend zur Normalität.

Unsere Partnerorganisationen in El Salvador, OIKOS Solidaridad und ANTA, und das Movimiento Comunal de Matagalpa in Nicaragua, setzen sich dafür ein, die Marginalisierung breiter Bevölkerungsschichten zu überwinden, die maßgeblich unter den Folgen der Unwetterkatastrophe zu leiden haben. Einen konkreten Beitrag zur Armuts- und Hungerbekämpfung leisten diese Organisationen, indem sie die Menschen beim Anbau von Getreide, Gemüse und Obst und beim Aufbau einer Hühnerhaltung unterstützen. Außerdem geben sie Schulungen, ermutigen die Menschen dazu, sich zu organisieren, und erstellen gemeinsam mit der Bevölkerung Pläne für den Katastrophenfall. Auch auf den in El Salvador und Nicaragua immer stärker zu spürenden Klimawandel werden die Menschen vorbereitet. Durch umfangreiche Wiederaufforstung, Bodenschutzmaßnahmen und das Anlegen von Antierosionsgräben, Schutzhecken und Dämmen sollen die negativen Folgen der immer häufiger und immer stärker auftretenden tropischen Gewitter und Hurrikane abgeschwächt werden. Durch die verstärkte Infiltration von Wasser in die Böden erhöht sich zudem der Grundwasserspiegel – was es für die Bauern und Bäuerinnen einfacher macht, die sich ebenfalls häufenden Dürreperioden zu überstehen. Wenn über die Katastrophenprävention die Selbstorganisation und das Bewusstsein der Gemeinden gestärkt werden, ist das laut Carlos Ruiz vom Movimiento Comunal de Matagalpa, die „Geburt des Politischen im Kommunitären“.

 

Verbesserter Katastrophenschutz in El Salvador und Nicaragua

Um die Lage der Marginalisierten zu verbessern und sie gegen Katastrophen zu wappnen, sind die Schaffung ökonomischer Perspektiven, verstärkter Umweltschutz und besserer Zugang zu Bildung und Gesundheit notwendig. Dafür kämpfen unsere Partnerorganisationen in Mittelamerika.

Notfallplan

Eine Mitarbeiterin vom Movimiento Comunal erläutert eine Notfallplan für den Katastrophenfall

 

In manchen Ländern Mittelamerikas machen sich Verbesserungen in der Umsetzung von Notfallmaßnahmen bemerkbar. So sind in El Salvador und Nicaragua nach der diesjährigen Katastrophe die Regierungen und die Katastrophenschutzeinrichtungen frühzeitig aktiv geworden, haben Menschen evakuiert und Notfallpläne umgesetzt. In El Salvador ist dies in erster Linie der engen Kooperation von staatlichen Stellen sowie der von der FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) regierten Kommunen mit nichtstaatlichen Organisationen zu verdanken, die aufgrund ihrer Netzwerke und ihrer Kontakte zu lokalen Initiativen sofort handeln konnten. Sie richteten Notunterkünfte ein und kümmerten sich um die Erstversorgung der Betroffenen.

María-Ana Calles Ramos, hob beim diesjährigen El Salvador-Bundestreffen lobend hervor, dass die Regierung von Mauricio Funes den Nationalen Notstand ausgerufen und internationale Unterstützung angefordert habe. Vorherige Regierungen der rechten ARENA-Partei hätten dies in ähnlichen Situationen nicht getan, um die Attraktivität des Landes für internationale Investoren nicht zu schmälern. Zudem sei es der aktuellen salvadorianischen Regierung gelungen, die Zahl der Toten viel geringer zu halten, als dies bei vergleichbaren Katastrophen unter früheren Regierungen der Fall gewesen sei.

 

Globale Verantwortung

Der Globale Norden, der die Länder Mittelamerikas primär zur Befriedigung seines Konsum- und Energiebedarfs als Quellen von Rohstoffen, billigen Arbeitskräften und Agrarprodukten nutzt, muss ebenfalls für die erhöhte Katastrophenanfälligkeit Mittelamerikas in die Verantwortung genommen werden. Unsere Partnerorganisationen engagieren sich deswegen auch in internationalen Netzwerken gegen Bergbau und die Landnahme für Agrospritplantagen und für die Sicherung der Ernährungssouveränität ihrer Länder. So ist die Kleinbauernorganisation ANTA auf internationaler Ebene mit Vía Campesina vernetzt, der zentralen Organisation für den Kampf der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern für das Recht auf eine andere Landwirtschaft und Ernährung weltweit. Und unsere Partnerorganisation OIKOS ist in der zentralamerikaweiten Kampagne für Klimagerechtigkeit organisiert. Javier Rivera, unser diesjähriger Gast beim El Salvador-Bundestreffen engagiert sich beim salvadorianischen BürgerInnennetzwerk gegen Gentechnik, das sich zunehmend auch der Bekämpfung von Agrosprit-Monokulturen zuwendet. Hauptberuflich ist er aber für das zentralamerikanische „Programm zur Stärkung von Kapazitäten im Risikomanagement“ tätig und beobachtet dafür die Klimaverhandlungen der UNO. Zuletzt galt seine Beobachtung und politische Kampagnen- und Lobbyarbeit den Verhandlungen in Durban, Südafrika, im Dezember 2011, wo sich erneut zeigte, dass die Länder des industrialisierten Nordens nicht bereit sind, ihre wirtschaftlichen Interessen und ihren hohen Lebensstandard Einschränkungen zu unterwerfen. Die unzähligen Appelle, wie im wahrsten Sinne des Wortes überlebensnotwendig CO2-Reduktionen für viele Länder des Globalen Südens sind, stießen auf taube Ohren.

Ökologische Schuld

Ökologische Schuld – Reparationen jetzt!" - eine Forderung an die Industriestaaten, Verantwortung für die Auswirkungen ihres Lebensstils zu übernehmen

 

Gemäß unserem Anspruch, VertreterInnen sozialer Bewegungen aus dem Süden hier „eine Stimme zu geben“, ist es folgerichtig, dort entstandene Entwicklungsmodelle in die hiesige gesellschaftliche Auseinandersetzung einzubringen. Die Konzepte der „Ernährungssouveränität“ und der „Klimagerechtigkeit“ sind uns von unseren Partnerorganisationen nahegebracht worden. Die Menschen in Zentralamerika haben von zahlreichen konkreten Beispielen zu berichten, wie Landwirtschaft, Klima und Ernährung im Norden und Süden einer zunehmend globalisierten Welt zusammenhängen.Unsere Aktivitäten zielen darauf ab, Verständnis für diese ganz konkreten Auswirkungen des Klimawandels zu schaffen und dafür, dass in unserer globalisierten Welt die Ursachen und Folgen eines Entwicklungsgedankens, der von der Idee eines grenzenlosen Wachstums geprägt ist, nur gemeinsam zu bekämpfen sind.

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