Eine breite Basisbewegung organisiert sich und steckt nach zähem und mutigem Widerstand gegen den Staatsstreich eine Niederlage ein


Am Jahresende 2009, nach den umstrittenen Wahlen in Honduras, sieht es so aus, als habe die honduranische und internationale Rechte einen wichtigen Sieg errungen: Die linke Opposition boykottierte die Wahl, es gewann ein Vertreter der ökonomischen Elite, bei geringer Wahlbeteiligung und unter Einsatz militärischer Repression. Die neue, konservative Regierung wird von den USA und anderen Ländern anerkannt werden. Sie wird sich zugunsten der traditionellen Elite des Landes bemühen, den status quo vor Amtsantritt von Präsident Zelaya im Januar 2006 wiederherzustellen.

 

„Sind Sie damit einverstanden, die aktuelle Verfassung zu reformieren?“ - Bereits vor dem Putsch mobilisierte eine breite Bewegung für die „Cuarta Urna“, ein Schritt auf dem Weg zu einer Verfassungsgebenden Versammlung

 

Dazwischen lag eine Phase gesellschaftlicher Aufbruchstimmung, die für Honduras´ Eliten eine ernst zu nehmende Gefahr darstellte, was letztlich zum Putsch vom 28. Juni 2009 führte. Nach dem Vorfall, bei dem der amtierende Präsident Zelaya in seinem Schlafzimmer überfallen und außer Landes geflogen wurde, fanden soziale Bewegungen, Gewerkschaften und linke Parteien zu einer bis dahin nicht gekannten Stärke und Einigkeit, mit der sie über sechs Monate hinweg den Widerstand gegen PutschistInnen, Polizei und Militär aufrecht erhielten.
Einige Erscheinungen im bisherigen Verlauf des Konfliktes sind außergewöhnlich:
·    die Einsatzbereitschaft der in der Frente de Resistencia contra el Golpe de Estado (Widerstandsbewegung gegen den Putsch) zusammengeschlossenen Gruppen
·    der Zusammenhalt des strategischen Bündnisses zwischen linken sozialen Bewegungen und dem abgesetzten Präsidenten Zelaya, der, aus einer Viehzüchterfamilie stammend, Angehöriger der Oligarchie des Landes ist
·    die Beharrlichkeit der Gruppe um Zelaya (im wesentlichen sein ehemaliges Kabinett, bestehend aus Mitgliedern der liberalen Partei), unter Inkaufnahme erheblicher Mühen und Gefahren, an ihrem Kurs festzuhalten und weiterhin auf der legitimen Präsidentschaft Zelayas zu bestehen
·    die Tatsache, dass der Putsch (der dritte in Honduras seit 1960) zunächst von sämtlichen Regierungen der Welt verurteilt wurde, auch von denen, deren Interessen er eindeutig dienlich war (USA, Kolumbien, Mexiko, EU)
·    die Tatsache, dass sich die Fraktion der PutschistInnen trotz einhelliger Verurteilung durch sämtliche Regierungen der Welt mit einem waghalsigen politischen Projekt unter Zuhilfenahme skandalöser Menschenrechtsverletzungen durchsetzen konnte.
Aus der Perspektive des Ökumenischen Büros gilt besonderes Augenmerk dem Wesen und den  Interessen der sozialen Bewegungen in der Widerstandsbewegung gegen den Putsch.
Eine für Honduras bisher einmalige Situation ist die Allianz eines Präsidenten mit einer breiten Front sozialer Bewegungen. Welche Kräfte Zelaya und die Seinen dazu bewogen haben, im Verlauf seiner Amtszeit seinen Kurs fundamental zu ändern und eben dieses Bündnis zu suchen, darüber ist auf allen Seiten reichlich spekuliert worden. Zelaya führte eine Reihe von Reformen zugunsten marginalisierter Teile der Bevölkerung durch: War der Beitritt zum linken lateinamerikanischen Staatenbündnis ALBA noch von einer Parlamentsmehrheit bestätigt worden, kosteten ihn Maßnahmen wie Schulspeisungen, Erhöhung des Mindestlohns und Ansätze zu einer Landreform mehr und mehr die Unterstützung seiner eigenen Partei.
Klar war hingegen allen Beteiligten, dass seine Reformen mit der Wahl vom 29. November 2009 hinfällig werden würden, denn die Wahl eines Vertreters der Oligarchie zum neuen Präsidenten war zu keiner Zeit gefährdet.
Das Anliegen, den eingeschlagenen Weg über seine Amtszeit hinaus zu retten, führte zum Projekt eines „Nationalen Dialogs“ über eine neue Verfassung. Während es Zelaya und seiner Gruppe wahrscheinlich auch darum ging, seine Wiederwahl in der Zukunft zu ermöglichen, knüpften sich für die sozialen Bewegungen nach wie vor die verschiedensten Hoffnungen an dieses Projekt, was bereits lange vor dem Putsch zu einer breiten Einigung der verschiedensten Organisationen und Bevölkerungsgruppen führte:
Innerhalb der Bewegung sind u. a. beteiligt: KleinbäuerInnen, Indigenas, Schwarze, GewerkschafterInnen, Feministinnen, StudentInnen und Menschenrechtsorganisationen.
Entsprechend divers sind die Forderungen, die an eine neue Verfassung gestellt werden: Dem seit Jahrzehnten in Honduras bestimmenden Zweiparteiensystem soll ein alle Bevölkerungsteile einschließender neuer Gesellschaftsvertrag entgegengesetzt werden, der in einer verfassungsgebenden Versammlung ausgehandelt werden soll. Die beteiligten Organisationen führen unter anderem als zu behandelnde Themen an: Landreform, Privatisierung öffentlicher Dienste, Abbau natürlicher Rohstoffe, Frauenrechte, Arbeitsbedingungen, Rassismus, Umweltschutz, US-Militärbasen auf honduranischem Territorium.
Daher unterstützte ein breites Bündnis sozialer Organisationen den Prozess einer Verfassungsänderung, der mit einer landesweiten Umfrage am 28. Juni 2009, dem Tag des Putsches, beginnen sollte. Für die VertreterInnen der sozialen Bewegungen war es eine in Honduras völlig neue Erfahrung, von einem Präsidenten ernst genommen zu werden. Dieser wiederum konnte nur noch auf sehr wenig Rückhalt in seiner Partei zählen und war existenziell auf die Bewegungen angewiesen.
Umstritten bleibt, ob Zelayas Interesse hauptsächlich in der Ermöglichung seiner Wiederwahl lag, wie die honduranische Rechte behauptet. Er selbst äußerte sich dazu wenige Tage vor dem Putsch folgendermaßen: “Ich habe heute keinerlei Interesse an der Möglichkeit einer Wiederwahl. Ich glaube, es ist ein Diskussionsthema für die Zukunft, nicht für meine Regierungszeit.“1
Parallel zum Verfassungsprozess verfolgte die Bewegung ein weiteres Projekt: Mit dem erklärten Ziel, die Zweiparteienherrschaft der Oligarchie zu brechen, bündelte sie ihre Kräfte in einer gemeinsamen unabhängigen Präsidentschaftskandidatur für die Wahlen Ende November. Kandidat wurde der Gewerkschaftsführer und Vertreter der Organisation Bloque Popular, Carlos Reyes.
Beide Projekte stellten für die Oligarchie ernst zu nehmende Gefahren dar, war sie es doch gewohnt, aufgrund der nahezu 100%igen Kontrolle aller staatlichen Institutionen wie Kongress, Oberster Gerichtshof, Oberstes Wahltribunal, der Industrie, der landwirtschaftlichen Flächen und fast aller Medien das Land praktisch als ihr Eigentum zu behandeln2 .
Dementsprechend wurde der Putsch von den Bewegungen nicht nur als Angriff auf den Präsidenten bzw. die Demokratie, sondern auch auf ihre eigenen Interessen verstanden und bedeutete zunächst einen enormen Dynamisierungsschub politischer Mobilisierung, der in wenigen Tagen zur Gründung der Nationalen Widerstandsfront gegen den Putsch (Frente Nacional contra el Golpe de Estado) führte, der alle oben genannten Organisationen und Bewegungen angehören. Die frente hat seit dem Putsch unzählige Demonstrationen und Aktivitäten unter zum Teil höchst gefährlichen Bedingungen durchgeführt und hat laut der Menschenrechtsorganisation COFADEH mindestens 17 Tote und hunderte Verletzte und Inhaftierte zu beklagen.
Während der Zeit des Putsches verfolgte die Bewegung zwei zentrale Ziele:
1. die Wiedereinsetzung des Präsidenten Zelaya. An diese Bedingung knüpfte sie ihre Beteiligung an den Wahlen im November mit der unabhängigen Kandidatur von Carlos Reyes.
2. Die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung (constituyente), in der in einem „nationalen Dialog“ ein neuer Gesellschaftsvertrag jenseits des bipartidismo (System eines Zweiparteienstaats) ausgehandelt werden sollte.
Im Verlauf der Auseinandersetzung wurde deutlich, dass der Bewegung der zweite Punkt wichtiger war als der erste. Als im September Delegationen der PutschistInnen und der Fraktion um Zelaya über das sogenannte San José-Abkommen verhandelten (was sich später als Farce erwies), trat der Vertreter der Widerstandsfront, Juan Barahona, von den Verhandlungen zurück, als sich herausstellte, dass Zelaya auf den Verfassungsprozess verzichten wollte. Barahona betonte dabei, dass dies nicht als Bruch zwischen der Bewegung und Zelaya zu verstehen sei.
Als Carlos Reyes Anfang November mit dem Verweis auf die Illegitimität der geplanten Wahlen seine Präsidentschaftskandidatur zurückzog, rief er dazu auf, weiter um die constituyente zu kämpfen.
Diese zentrale Forderung wird auch über die Wahlen hinaus der Fokus der sozialen Bewegungen bleiben. Margarita Murillo von der Führung der Widerstandsfront gegen den Putsch: „Früher kämpften wir alle getrennt, die Bauern, Lehrer, Gesundheitsangestellte, aber die Putschisten haben uns gezwungen, uns alle für ein großes Ziel zu vereinigen. Und dieses Ziel ist, gegen den Putsch zu kämpfen und danach die verfassungsgebende Versammlung auf den Weg zu bringen.“3
Seit dem Putsch sind auch im deutschsprachigen Raum viele Organisationen auf die Entwicklung in Honduras aufmerksam geworden und haben begonnen, die Widerstandsbewegung zu unterstützen. Hierbei stand die Verbreitung von Informationen aus der Perspektive der sozialen Bewegungen im Vordergrund sowie die Auseinandersetzung darüber, ob die Bundesregierung die Wahlen vom 29. November anerkennen sollte. Weiterer Fokus ist das Verhalten der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, die den Putsch im Gegensatz zu allen Regierungen weltweit als „Rettung der Demokratie“ verteidigte.
Interessierte Organisationen im deutschsprachigen Raum haben sich in der „Honduras-Koordination“ zusammengeschlossen und planen für 2010 weitere Aktivitäten.

 1 Manuel Zelaya, zitiert nach der Website des peruanischen Medienunternehmens rpp: http://www.rpp.com.pe/2009-07-19-manuel-zelaya-instara-asamblea-constituyente-al-retomar-el-poder-en-honduras-noticia_195603.html
 2 Ricardo Arturo Salgado, honduranischer Soziologe, in kaosenlared.net:  http://www.kaosenlared.net/noticia/honduras-verdadera-intencion-oligarquia-todo-contra-participacion-pueb
 3 Interview mit Margarita Murillo auf der nicaraguanischen Website Tortilla con Sal: http://www.tortillaconsal.com/margarita21-9-09.html

 

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