Jahresbericht 2008:

Weiterhin schwierige Menschenrechtslage in Mexiko

In Mexiko hat sich die Menschenrechtslage im Vergleich zu den vergangenen Jahren eher verschlechtert, und zwar nicht nur für MenschenrechtsverteidigerInnen und SozialaktivistInnen, sondern in den unterschiedlichsten Bereichen der mexikanischen Gesellschaft.

Die Anklagen gegen den Amtsmissbrauch seitens der verschiedenen Polizeistrukturen sowie des mexikanischen Heeres – willkürliche Verhaftungen, Folter, Verschwindenlassen, Mord – verstummen nicht. Die Unfähigkeit des Staates, die Verantwortlichen für diese Delikte zu bestrafen, kann bereits als „chronisch“ bezeichnet werden.

Am 29. August ist das „Nationale Menschenrechts-Programm“ (Programa Nacional de Derechos Humanos) in Kraft getreten. Dies sollte eine Agenda des Staates in Sachen Menschenrechte darstellen, es ist aber nichts weiter als eine Aufzählung der Rechte, die sowieso in der Verfassung verankert sind. Die Erstellung des Plans übernahm das Innenministerium. Die Meinung der Organisationen der Zivilgesellschaft, die seit Jahren einen solchen Plan fordern, wurde nicht einbezogen. Außerdem gibt es keinerlei Instrumente zur Bewertung der Einhaltung und Umsetzung dieses Programms und ebensowenig sind Konsequenzen im Falle der Nicht-Einhaltung vorgesehen. Damit wird noch einmal deutlich, wie die Regierung Forderungen der Organisationen der Zivilgesellschaft vereinnahmt, sie zu ihren eigenen Gunsten verändert und dann als eigene Initiative vorstellt. Dies macht einen Dialog zwischen Regierung und AkteurInnen der sozialen Bewegungen unmöglich. Ein weiteres Hindernis für einen Dialog sind die ständige Repression und Willkür, der verschiedene AktivistInnen ausgesetzt sind.

Pressefreiheit

Bezüglich der Pressefreiheit sprechen folgende Zahlen für sich: Im Jahr 2008 sind 10 Journalisten ermordet worden, zwei gelten als verschwunden und zwei Journalistinnen eines freien Radios aus dem Bundestaat Oaxaca sind im April in einem Hinterhalt ermordet worden. Alle diese Verbrechen blieben bisher straflos.

Gesetzesänderungen in der Sicherheitspolitik

2008 gab es bemerkenswerte rechtliche Veränderungen bezüglich der inneren Sicherheit.

Das sogenannte „Sektorprogramm der nationalen Verteidigung 2007 – 2012“ erlaubt durch eine Verordnung des Präsidenten weiterhin die Anwesenheit des mexikanischen Heeres in den Straßen. Wie es weltweit die Regel ist, hat auch in Mexiko die Armee kein Mandat zur Übernahme polizeilicher Aufgaben. Doch wird argumentiert, dass nur die Soldaten das organisierte Verbrechen und den Drogenhandel bekämpfen können.

Die Armee soll auch zur Einschränkung des Einflusses der bewaffneten Gruppen dienen. Außerdem soll sie „erfolgreich gegenüber Gruppen auftreten“, die den Staat zu destabilisieren versuchen. Auf diese Weise wird dem Heer der Auftrag zur Bekämpfung sozialer Mobilisierungen erteilt.

Auch im Prozessrecht gab es Gesetzesänderungen. Sowohl Polizei als auch StaatsanwältInnen wurden mehr Zuständigkeiten zugeteilt. In einigen Fällen kann nun ohne Durchsuchungsbefehl in den Wohnraum von Personen eingedrungen werden. Die Beweisvorlage gegen Angeklagte kann außerdem länger verzögert werden als bisher.

Wie das Menschenrechtszentrum „Centro de Derechos Humanos Miguel Agustín Pro Juárez“ vorhergesagt hatte, haben diese Änderungen in der Gesetzgebung zu einer Erhöhung der Menschenrechtsverletzungen durch Militär- und Polizeiangehörige geführt. Allein beim „Centro Pro DH“ liegen mindestens 50 dokumentierte Fälle von Mord, willkürlicher Verhaftung, Misshandlung, Folter, unbegründeter Durchsuchung, usw. vor. Die fünf Bundestaaten, in denen die meisten Fälle beklagt werden, sind: Tamaulipas, Michoacán, Chihuahua, Guerrero und Sinaloa.

Indigene Rechte

Die indigene Bevölkerung bleibt weiterhin die gefährdetste und ungeschützteste Minderheit in Mexiko. In letzter Zeit wurden vermehrt Entwicklungsprojekte, sogar unter dem Vorwand des Umweltschutzes, als Begründung genommen, um zahlreiche Räumungen von indigenen Gemeinden durchzuführen.

Außerdem sind sie ständig Angriffen, Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen durch Paramilitärs, Soldaten und Polizisten ausgesetzt.

Aus Chiapas erreichen uns regelmäßig Nachrichten über Bedrohungen oder Angriffe auf zapatistische Gemeinden.

Beispielhaft hierfür ist der Fall des Massakers von Miguel Hidalgo: Am 3. Oktober fand eine polizeiliche Operation statt. An dieser waren sowohl bundesstaatliche und föderale Polizeieinheiten als auch die Staatsanwaltschaft von Chiapas, das Sicherheitsministerium sowie eine Delegation der Bundesanwaltschaft beteiligt. Als Grund für die Operation wurde die Besetzung des zeremoniellen Zentrums von Chincultik durch die Bevölkerung von Miguel Hidalgo angegeben.

Bei der Operation wurden sechs Personen von der Polizei getötet, 17 verwundet und 36 festgenommen.

Gewalt gegen Frauen, Frauenmorde und systematische Frauenmorde

Die Gewalt gegen Frauen, die Frauenmorde und die systematischen Frauenmorde haben zugenommen, besonders in Ciudad Juárez und im Estado de Mexico. Aber auch in anderen Bundesstaaten nehmen, trotz der Ernennung von Frauenbeauftragten und dem Erlass von Gesetzen gegen Gewalt gegen Frauen, die Aggressionen gegen Frauen zu. Es klingt paradox: Je mehr Gesetze und Maßnahmen es gibt, desto mehr Gewalt wird gegen Frauen ausgeübt. Das liegt daran, dass die Gesetzgebung oft keine Änderung der Bestrafung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen vorsieht. Anders gesagt: Es gibt zwar mehr Verbote, aber denjenigen, die sich um die Einhaltung der Verbote kümmern müssen, werden keinerlei Instrumente zur Verfügung gestellt.

Die Zahlen belegen klar: In Mexiko nimmt die Gewalt gegen Frauen ständig zu. Im ersten Halbjahr 2008 sind mehr Frauen ermordet worden als im ganzen vorherigen Jahr. 50% Prozent der Frauen in Mexiko sind oder waren Opfer von sexuellen oder körperlichen Übergriffen; 30% dieser Fälle ereignen sich schon vor der Hochzeit. Dies zeigt, dass Frauen in Mexiko einer dauerhaften, strukturellen Gewalt ausgesetzt sind, die keinerlei Strafe nach sich zieht.

In Ciudad Juárez, wo das Ökumenische Büro auf vier Jahre gute Zusammenarbeit u.a. mit der Organisation Nuestras Hijas de Regreso a Casa (NHRC) zurückschauen kann, sind dieses Jahr 17 Frauen ermordet worden und 30 gelten als Verschwundene.

Seit Anfang unserer Partnerschaft mit Organisationen aus Juárez ist es uns deutlich geworden, dass sich dort kaum etwas ändern wird, solange Straflosigkeit herrscht.

Eigentlich hat sich die Situation diesbezüglich in 2008 sogar verschlechtert. Mitglieder von NHRC erhielten zweimal Morddrohungen im Zusammenhang mit der Vorstellung von Filmen in Ciudad Juárez, die das Thema Frauenmorde behandeln. Dadurch wird deutlich, wie wichtig es für einige Leute ist, dass darüber in Juárez nicht geredet wird. Keiner der beiden Fälle wurde aufgeklärt. Im zweiten Fall wurden die beiden Opfer in ihren Wohnungen bedroht, während sie von der Bundespolizei geschützt werden sollten.

Die systematischen Frauenmorde haben ihren Schauplatz in Ciudad Juárez. Jedoch darf man dabei nicht vergessen, dass in anderen Bundesstaaten die Zahl der ermordeten Frauen noch höher ist. Im Estado de México sind im Jahr 2008 146 Frauen Morden zum Opfer gefallen. In Jalisco wurden in den vergangenen 10 Jahren 523 Frauen umgebracht, dort erwies sich die Stadt Guadalajara und Umgebung als gefährlichste Region für Frauen. Allein dort gab es von Januar 2007 bis Oktober 2008 62 weibliche Mordopfer. Das immer größere Desinteresse des Staates, den Frauen ein Leben ohne Gewalt zu bieten, wird immer deutlicher. Den vielen Worten folgen keine Taten.

Menschenrechtsverletzungen gegenüber MigrantInnen

Auch die Rechte der MigrantInnen werden in der mexikanischen Republik weiterhin missachtet. Während des Besuchs einer Delegation mexikanischer Menschenrechtsorganisationen in Gefangenenlagern für MigrantInnen in Oaxaca wurden zahlreiche Misshandlungen gegen MigrantInnen gemeldet. Als Täter wurden Mitglieder des Instituto Nacional de Migración (Nationales Migrationsinstitut), Angehörige der verschiedenen Polizeieinheiten sowie des Bundesheeres und der Marine genannt. Am 31. März gelang es dem Menschenrechtsverteidiger Irineo Mújica Arzate, die Misshandlung von MigrantInnen durch Bedienteste der Bundesmarine zu fotografieren.

Für MexikanerInnen wird Migration weiterhin als eine der wenigen Chancen gesehen, der Krise zu entweichen. Laut einer Studie des College of Mexico (COLMEX) leben 70% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Auf kommunaler, bundesstaatlicher und nationaler Ebene wird sehr viel über das Thema gesprochen, aber außer einiger populistischer Programme und teurer Werbekampagnen, die diese ankündigen, geschieht nichts.

Es gibt strukturverändernde Maßnahmen, diese aber haben den Schutz der Wirtschaft zum Ziel und benachteiligen die unteren Schichten der Gesellschaft.

Da viele unserer PartnerInnen in Mexiko in direkter oder indirekter Weise von der negativen Entwicklung der Menschenrechtssituation betroffen waren, haben wir verschiedene Protestbriefaktionen initiert.

Diese Entwicklungen haben wir auch in unserer Pressearbeit zu Mexiko deutlich gemacht.

Im Jahr 2009 werden wir uns deswegen mit der Kriminalisierung der sozialen Proteste als Schwerpunktthema unserer Mexikoarbeit beschäftigen.


 

(dt)
Weiterhin schwierige Menschenrechtslage in Mexiko
Erschienen im Jahresbericht 2008 des Ökumeninschen Büros
München
Dezember 2008

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